"Mal eben um’s Blog"

Das Handelsblatt ließ lesen

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In all dem Web 2.0-Getöse holte das Handelsblatt fünf Blogger zu einer Lesung nach Düsseldorf. In ein Kino. Im Keller einer Einkaufspassage. Zum Zuhören, Reden und Trinken. So normal war der Hype lange nicht mehr.

Eine Weblog-Lesung ist ja grundsätzlich eher in grindigen Wohnzimmerclubs als in Messing strotzenden Einkaufstempeln wie der Düsseldorfer Kö-Galerie zu vermuten. Doch genau dorthin, in die Passage im 1980er Donald-Trump-Look-and-Feel, zwischen Jil Sander und Bally, lud das Handelsblatt zur Lesung mit fünf prominenten Bloggern. Der Beamer war monströs und die Gästeliste voll. Von den 300 Angemeldeten kamen schließlich vielleicht 200, allemal genug für zufriedene Gesichter bei den Veranstaltern.

Wo ZEIT und Deutsche Welle Preise für die besten Blogs ausloben, holt das Handelsblatt sich die Auserwählten gleich nach Hause. Im Lichtburg-Kino im Keller unter der Kö, wo das Geld von der Decke tropft, lasen also die Damen Modeste und Nuf, die streitbaren Don Alphonso und iX, der beruhigende Don Dahlmann und der hauseigene Thomas Knüwer. Ganz ohne Trackbacks und Kommentare, nur mit je einem ohne erkennbare Notwendigkeit eingeblendeten Foto oder Screenshot auf der Leinwand im Rücken.

Wäre der Abend repräsentativ für die deutsche „Blogosphäre“, so befasste sie sich vornehmlich mit zwei Themen: Der ersten eigenen Wohnung im Falle männlicher Autorenschaft und dem Shopping in den Galeries Lafayettes bei den Bloggerinnen. Don Alphonso, dessen Weblogs an manchen Tagen wie die Fortsetzung von dotcomtod mit anderen Mitteln erscheinen, kümmerte sich kulturhistorisch unterfüttert um alte und neue Internetblasen. Thomas Knüwer bot seine Blogonovela dar, die „kleine PR-Agentur am Rande der Stadt“, und Don Dahlmann lieferte als Kontrapunkt zu Fäkal- und Gewaltgeschichten die Blogpost-Vorlage für die prüde Verwandtschaft. Beim Handelsblatt gibt es die mitgeschnittene Premiere häppchenweise zum Nachhören.

Im Anschluss strömten alle wieder ins Foyer, wo unter Palmen das Buffet wartete. Und so bekamen die hungrigen Blogger wenigstens einmal in der Woche eine warme Mahlzeit. Die Fürsorge der Wirtschaftszeitung, der freie Eintritt, das Buffet und die Getränke auf Rechnung des Verlages waren nur klug. Blogger müssen sich schließlich nicht als Journalisten verstehen, um gute Presse zu liefern. Das Gespür für die „Szene“ kann man dem Handelsblatt jedoch nicht absprechen. Knüwers Weblog Indiskretion Ehrensache zählte im Januar 70.000 Seitenaufrufe. Die Auswahl der Lesenden kam an, nur wenige jammerten darüber, dass bei solchen Veranstaltungen immer die gleichen Blogger läsen. Die Auswahl, am literarischen Schaffen und Feilen orientiert, hilft zudem bei der Scheindebatte „Blogs versus Journalismus“, denn sie zeigt: Blogs sind zunächst ein Medium. Sie können vieles transportieren; Teenage Angst, Imagepflege eines CEOs oder auch druckwerte Prosa wie in diesen Fällen.

Der eigentliche Erfolg der Veranstaltung liegt in der Entfernung von diesen Scheindebatten. Es war eine Lesung. Die Autoren schreiben keine Bücher, sondern Blogs voll. Ihr Businessmodell ist an diesem Abend keines, auf das Problogger oder PRblogger setzen, sondern ein recht traditionelles: Autorenlesung gegen Kohle, Kost und Logis. Die andere Wahrheit ist, dass das Handelsblatt sich kaum so ins Zeug gelegt hätte, wenn die Texte nicht unter antville.org und twoday.net, sondern bei KiWi und Schwarzkopf erschienen wären. Selbstverständlich spielt der Rummel um Blogs eine Rolle. Aber auch das hilft, den getrübten Blick zu klären. Es lässt sich nüchtern betrachten.

Die Bloggeria blieb noch eine Weile, der Weißwein ging bei „Gino’s“ zur Neige. Die Kostenstelle von Online-Redaktionsleiter Julius Endert wurde, so scheint’s, dennoch nicht überstrapaziert, denn Thomas Knüwer spricht schon von einer Fortsetzung.