Wenn Terror nicht reicht, sollen nun Tauschbörsen herhalten

Thilo Weichert: "Es gibt keinen Grund für den Bundestag, eine grundrechtswidrige Vorgabe aus Brüssel umzusetzen"

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Terrorgefahr ist als Argument für die geplante Vorratsdatenspeicherung (VDS) offensichtlich nicht mehr ausreichend. Doch mögliche Urheberrechtsverletzungen durch Tauschbörsen sind offensichtlich ein noch weit schlagkräftiger Grund und sollen die ungeliebte Richtlinie nun legalisieren.

Nachdem die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung in Brüssel abgesegnet wurde, steht die praktische Umsetzung in Deutschland bevor. Der Bundestag hat sich zuvor bereits für die Umsetzung der Richtlinie ausgesprochen und schob den Zwang durch Brüssel als Begründung vor. Ein Argument, welches Dr. Thilo Weichert nicht nachvollziehen kann. Im Interview mit Telepolis spricht der oberste Datenschützer Schleswig-Holsteins über die Gefahren und die eigentliche Intention hinter der Vorratsdatenspeicherung.

Der Bundestag hat am 16.02.2006 beschlossen, die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung umzusetzen. Kurz darauf wurde sie in Brüssel abgesegnet. Der Bundestag war noch 2005 gegen eine Vorratsdatenspeicherung. Warum dieser Meinungswandel? Was hat sich seitdem geändert?

Thilo Weichert: Neu sind die verbindlichen europäischen Vorgaben. Nicht geändert haben sich die verfassungsrechtlichen Hindernisse auf nationaler wie auf europäischer Ebene. Es gibt und gab keinen Grund für den Bundestag, eine grundrechtswidrige Vorgabe aus Brüssel umzusetzen.

Gerade in Deutschland haben ja der ehemalige Innenminister Otto Schily und die Justizministerin Frau Zypries tatkräftig daran mitgewirkt, dass die VDS über den EU-Weg dann für Deutschland verbindlich wird. Dies insbesondere, nachdem der Bundestag sich gegen die VDS ausgesprochen hatte. Diese "Politikwäsche" wird ja auch von den Kritikern stets angesprochen, weil sie den deutschen Bürgern dann suggeriert, man würde völlig machtlos sein gegenüber den Brüsselschen Vorgaben.

Jörg Tauss hat dies ja nach der Abstimmung so formuliert: „Ich halte das (die VDS) in der Tat für einen Anschlag auf Bürgerrechte und auf Datenschutz in Europa, der inakzeptabel ist; da stimme ich den Kritikern zu. Mit dieser Bewertung komme ich jetzt aber nicht weiter. Wir haben diese Richtlinie nun einmal umzusetzen. Würden Sie deswegen nicht auch konstatieren, dass sich hier etwas an der Lage geändert hat? Wir müssen eine Richtlinie umsetzen, ob sie uns gefällt oder nicht.“

Ist diese Machtlosigkeit nicht eigentlich nur vorgeschoben?

Thilo Weichert: Ich nehme Jörg Tauss ab, dass er sich gezwungen fühlt. Trotzdem kann ich seine Konsequenz, nämlich zuzustimmen, nicht nachvollziehen. Deutsches und europäisches Verfassungsrecht und das eigene Gewissen sollten einem fragwürdig zustande gekommenen EU-Beschluss vorgehen. Bei vielen in der Regierung und in den Regierungsfraktionen in Deutschland glaube ich zwar, ein schlechtes Gewissen zu erkennen, aber inhaltlich volle Begeisterung angesichts der Nachhilfe aus Brüssel.

Seitens des Bundesjustizministeriums wird momentan die VDS als Maßnahme gegen Terror und Kindesmissbrauch definiert. Die Empfehlung des Rechtsausschusses enthielt aber den Passus "auch anwendbar auf mittels Telekommunikation begangener Straftaten". Eine Pressemeldung des Bundesjustizministerium sagt dazu: "Zweck der Speicherung ist die Ermittlung, Aufdeckung und Verfolgung schwerer Straftaten, zu denen auch alle mittels Telekommunikation begangene Straftaten gehören" Wie ist diese Aussage zu bewerten?

Thilo Weichert: Die Ankündigung des Justizministeriums zeigt, dass es die verfassungsrechtlichen Bindungen und auch die Vorgaben in der Richtlinie, die versuchen, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz umzusetzen, nicht sehr ernst nimmt. Uns Datenschützern ist von Anfang an klar gewesen, dass dieses neue Ermittlungsinstrument, einmal unter engen Konditionen eingeführt, sukzessive ausgeweitet werden wird.

Die Verfolgung von sog. Urheberrechtsverstößen mit den Vorratsdaten steckt ja schon in der Pipeline. Dass die Schamfrist so kurz ist, diesen Begehrlichkeiten nachzugeben, hätte ich nicht gedacht, ist aber ehrlich: Hier geht es nicht gegen Terroristen, sondern gegen das Herunterladen von Musik und künftig von Filmen.

Wo wäre denn die Gefahr eines direkten Auskunftsanspruches für die Contentindustrie? Vielfach wird ja schlichtweg argumentiert, dass die Contentindustrie ein Recht darauf hätte, schnell zu erfahren, wer hier Rechte verletzt.

Thilo Weichert: Es kann doch nicht sein, dass die staatlich angeordnete zwangsweise Vorratsdatenspeicherung von 240 Millionen EU-Bürgern, die zu 99,99 % nichts mit Urheberrechtsverletzungen am Hut haben, genutzt wird, um fragwürdige private Interessen durchzusetzen.

Das "Quick Freeze"-Verfahren, welches beispielsweise in den USA angewandt wird, spielte in der Diskussion um die VDS nie eine Rolle. Wie ist es zu erklären, dass selbst die USA, welche ja von den Attentaten des 11. September 2001 direkt betroffen waren und sind, auf eine derartige Maßnahme verzichten während sie auf europäischer Ebene konsequent weiterverfolgt wurde bis zur endgültigen Umsetzung?

Thilo Weichert: Quick Freeze wurde von uns Datenschützern in der Debatte um die Vorratsspeicherung immer als eine mögliche Alternative dargestellt. Dass diese nie ernsthaft erwogen wurde, könnte den Verdacht aufkommen lassen, dass es gar nicht nur um die Bekämpfung schwerer Straftaten geht. Die USA folgten der praktischen Vernunft: Quick Freeze lässt sich real umsetzen – die Vorratsdatenspeicherung voraussichtlich nicht.

Meines Wissens sind die Länder, die heute schon solche Regelungen haben, bei der Umsetzung völlig im Schwimmen. Es wird noch viel Hadern und Zähneklappern geben, wenn wirklich versucht werden sollte, das von der EU Beschlossene umzusetzen. Aber diese praktischen Probleme sind kein wirklicher Schutz der Freiheitsrechte in der Informationsgesellschaft.

Das Bundesjustizministerium versichert in seiner Pressemitteilung, "Den Zugang der Strafverfolgungsbehörden zu diesen Daten müssen die Mitgliedstaaten unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit, des Rechts der europäischen Union und des Völkerrechts, insbesondere der Europäischen Menschenrechtskonvention regeln. Wie bislang schon wird auch künftig der Zugang zu solchen Daten grundsätzlich nur aufgrund eines richterlichen Beschlusses zulässig sein."

Dennoch sehen viele die VDS als Zwischenschritt zum direkten Auskunftsanspruch der Contentindustrie auf Daten der TK-Nutzer. So auch der Bundesdatenschutzbeauftragte. Die Contentindustrie hat einen solchen Auskunftsanspruch schon oft gefordert. Wie stehen nun die Chancen dafür? Ist eher damit zu rechnen oder kann man auf die zuvor erwähnte Versicherung, dass es beim richterlichen Beschluss bleibt, bauen?

Thilo Weichert: Sämtliche Befürchtungen bzgl. der Ausweitung der Datennutzung sind mehr als gut begründet. Das Hoffen auf die abhaltende Wirkung von Richterbeschlüssen war in der Vergangenheit leider nicht immer berechtigt. Dies gilt insbesondere in einem derartig techniklastigen Bereich wie hier.

Die von Björn Fay eingereichte Petition zur Vorratsdatenspeicherung hat bisher über 7.000 Mitzeichner. Für Datenschützer und Bürgerrechtler stellt sich natürlich jetzt die Frage, welche Strategien und Gegenmaßnahmen überhaupt sinnvoll sind. Neben der rein technischen Umgehung der Maßnahme durch Anonymisierer oder Proxies – was ist politisch gesehen jetzt überhaupt noch möglich?

Thilo Weichert: Diese politische Diskussion hat erst angefangen. Den Wenigsten ist bis heute klar, was da auf uns alle zukommt. Dies muss und dies wird sich ändern. Daher sind alle Diskussionsbeiträge und Aufklärungsaktionen nötig und sinnvoll.

Was kann jetzt der Einzelne noch tun? Vielfach hat sich jetzt ja die Ansicht "es ist sowieso alles zu spät, die Sache ist gelaufen" durchgesetzt. Deutschland hat sich für die VDS entschieden, Brüssel hat Vorgaben geliefert. Welche Möglichkeiten stehen denn noch offen? Wäre beispielsweise eine Verfassungsklage möglich und wie sind da die Erfolgschancen zu bewerten?

Thilo Weichert: Ich halte alles für möglich: Am unwahrscheinlichsten ist eine Klage gegen die Richtlinie vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) direkt, weil es wohl keinen klagenden Staat geben wird. Sehr wahrscheinlich halte ich aber einen Vorlagebeschluss, der zum EuGH geht. Doch das wird leider etwas dauern.

Auch vermute ich, dass das Bundesverfassungsgericht bei einer Verfassungsbeschwerde gegen das nationale Umsetzungsgesetz bei allem Respekt vor dem Europarecht eine Grundrechtsprüfung durchführen wird. Und die kann meines Erachtens nur negativ ausfallen. Außerdem wird es noch viele praktische Hürden geben, die überklettert werden müssen. Ein Nachbessern an der EU-Richtlinie halte ich dabei nicht für ausgeschlossen.