Wenn Fernsehsender und Zeitungen irren

NASA-ESA-Weltraumteleskop Hubble nahm wunderschönes Porträtbild einer Spiralgalaxie auf, das aber entgegen ESA-, NASA- und Agenturmeldungen sowie Presseberichten nicht das größte und "schärfste" Astrofoto einer Galaxie ist

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Hubble, die NASA-ESA-Sternwarte im All, ist immer noch eines der wertvollsten und erfolgreichsten kosmischen Observatorien der Postmoderne. Sie ist ein fester, nicht mehr wegzudenkender Bestandteil der Astronomie und sogar eine feste Größe in den Medien. Nunmehr hat der alte Veteran einmal mehr bewiesen, dass er längst noch nicht zum alten Eisen gehört. Sein Galaxienporträt von Messier 101, der so genannten Feuerrad-Galaxie, verdient das Prädikat „besonders ansehnlich“, ist aber nicht – wie die ESA, die NASA und etliche Agenturen und Zeitungen fälschlicherweise berichteten, das größte und in puncto Auflösung beste Astrobild einer Spiralgalaxie.

Manchmal muss sich der Leser nicht nach den Nachrichten richten. Fehlinformationen, Fehlinterpretationen, Druckfehler, Flüchtigkeitsfehler, falsche Übersetzungen, mangelhafte Korrekturen oder deplacierte Superlative – die Liste potenzieller Fauxpas’, die selbst gestandene Profis bisweilen fabrizieren, ist lang. Derlei Malheurs sind nur allzu menschlich und spiegeln zugleich eine programmierte Schwäche des Informationskreislaufes wider. Schließlich treten Fehler solcher Couleur meist dann zutage, wenn der Faktor Zeit Überhand gewinnt, wenn die Zeiger der Redaktionsuhren gnadenlos voranschreiten und die Uhren in den Agenturen erbarmungslos vor sich hinticken.

Internet sei Dank …

Dieses Mal hat es sogar die beiden weltweit größten Raumfahrtagenturen „erwischt“: die Europäische Raumfahrtagentur ESA und die US-Raumfahrtbehörde NASA. Sie leisteten sich am Dienstag sozusagen zeitgleich einen kleinen Lapsus, als sie ein Hubble-Astrofoto einer Galaxie veröffentlichten und besagte Aufnahme als „largest ever galaxy portrait“ titulierten. „It is the largest and most detailed photo of a spiral galaxy beyond the Milky Way that has ever been publicly released”, war noch am Mittwoch in einer offiziellen NASA-Pressemeldung zu lesen.

Dieses Drei-Farben-Komposit, aufgenommen vom NASA-Weltraumteleskop Spitzer, zeigt die Feuerrad-Spiralgalaxie (M101) in drei Wellenlängen. (Bild: Karl Gordon, Steward Observatory)

Auch wenn die Pressestellen der beiden Behörden – Internet sei Dank – den Sachverhalt inzwischen korrigiert und relativiert haben, ist der Fehler noch nicht aus der (Cyber-) Welt. Auf den populären amerikanischen Raumfahrt- und Astronomie-Webseiten "Spaceref" und "Spaceflightnow", die den alten Pressetext praktisch unverändert übernommen haben, begegnet der interessierte Leser ihnen noch immer. Selbst Space.com, fraglos das bekannteste Astronomie-Magazin im Netz, ließ sich zu dem irreführenden Kommentar “The Hubble Space Telescope captures the most detailed image ever taken of a spiral galaxy” verleiten – und allen voran die Nachrichtenagenturen dieser Welt, die bekanntlich Information schnell verarbeiten müssen und daher wenig Zeit und Muße für eine eingehende Recherche haben.

Nicht nur Spiegel Online lag daneben

Selbst die renommierte DPA ließ sich zu der missverständlichen Überschrift „’Hubble’ schießt schärfstes Galaxien-Porträt“ hinreißen. Und da Zeitungen, Magazine und im Besonderen die oft oberflächlichen TV-Nachrichtenmagazine den Agenturdiensten scheinbar völliges Vertrauen entgegenbringen, ist die Fehlinformation programmiert – so zumindest in dem vorliegenden Fall. Denn abgesehen von dem Online-Ableger der Science-Rubrik des Österreichischen Rundfunks (ORF), leitete die deutsche Presse die Hubble-Fehlinformation fast geschlossen weiter.

NASA-ESA-Weltraumteleskop Hubble: Der alte Veteran gehört noch längst nicht zum alten Eisen. (Bild: NASA)

Auch Spiegel Online bediente sich der dpa-Agenturmeldung und stellte in einem leicht veränderten Bericht mit der Headline „Das schärfste Galaxienbild aller Zeiten“ den Sachverhalt sogar völlig auf dem Kopf. Die Internetableger der Rheinzeitung, der Stuttgarter Nachrichten, des Handelsblattes oder des Kölner Stadt-Anzeigers – die Reihe könnte beliebig fortgesetzt werden – lancierten allesamt eine klassische Falschmeldung. Die Kölnische Rundschau war von dem Hubble-Bild derart angetan, dass sie es sogar auf ihrer Frontpage abdruckte. Leider stellte aber auch sie das Astrofoto als „das bislang beste und detailreichste Foto einer Spiralgalaxie im Weltraum“ vor.

Selbst auf der ZDF-Website des Heute-Magazins findet sich die irreleitende Überschrift: „Das Weltraumteleskop Hubble hat das bislang schärfste Foto einer Spiralgalaxie gemacht, das jemals geschossen wurde.“ Und RTL2 sowie CNN, stehen dem – wie auch viele andere TV-Sender – in nichts nach.

Hubbles bestes Bild von M101 bzw. NGC 5457. Schätzungen von Astronomen zufolge beläuft sich die mögliche Anzahl von Sternen in der Feuerrad-Galaxie auf sage und schreibe eine Billion. Was deren Temperatur und Lebensspanne anbelangt, dürften davon ungefähr 100 Milliarden sonnenähnlich sein. (Bild: ESA/NASA)

Dabei hätte es erst gar nicht soweit kommen müssen. Schließlich machte bereits am 27. Februar, also unmittelbar nach der NASA-Veröffentlichung des M101-Galaxienbildes, kein geringerer als der (für Insider) bekannte US-Astronom und Fachjournalist Robert Naeye auf den eigentlichen Fehler aufmerksam. „Impressive as this picture is, it is not the largest of a galaxy ever taken”, schrieb dieser in einem Sky&Telescope-Onlinebeitrag. Kurz darauf entschuldigte sich der verantwortliche Pressechef vom ESA/Hubble-Informationszentrum in Garching bei München, Lars Lindberg Christensen, im Namen der ESA für den Ausrutscher. „We apologize for the inconvenience and thank Robert Naeye (S&T) for pointing out this mistake”, so Christensen im Anhang der SpaceRef-Meldung, der übrigens den Sachverhalt in einer E-Mail-Korrespondenz mit Telepolis relativierte: „It is definitely the sharpest image of the Pinwheel galaxy and also – at our current knowledge – the second largest mosaic of a galaxy.”

… das einzig wahre, bis auf den heutigen Tag beste, schärfste und größte Mosaikbild einer Galaxie … (Bild: Robert Gendler)

Den in puncto Bestauflösung immer noch amtierenden Spitzenreiter hat indes ein anderer in Szene gesetzt: der US-Physiker und passionierte Astrofotograf Robert Gendler. Als dieser im September und November des letzten Jahres die 2,2 Millionen Lichtjahre entfernte Nachbar- und Spiralgalaxie Andromeda mit dem 20-Zoll-Teleskop (50 Zentimeter) des privaten Nighthawk Observatory in New Mexico (USA) anvisierte, gelang ihm ein unvergleichliches Astrofoto. Dank einer Belichtungszeit von 90 Stunden konnte er M31 bzw. NGC 224, so die Katalognamen des Andromeda-Nebels, in bislang nicht erreichter Bestauflösung fotografieren. Sage und schreibe 21.904 x 14.454 Pixel weist sein Andromeda-Bild auf.

Dennoch Schnappschuss der Extraklasse

Ungeachtet des ganzen journalistischen Missgeschicks lohnt dennoch ein Blick auf das Hubble-Bild der im Sternbild „Großer Bär“ beheimateten Feuerrad-Galaxie, das die NASA und ESA am Dienstag veröffentlichte. Hierauf ist dank der Lichtempfindlichkeit der „Advanced Camera for Surveys“ (ACS), der „Wide Field and Planetary Camera 2“ (WFPC2) und dem Einsatz von drei verschiedenen Farbfiltern (blau, grün, rot) sowie einer langen Belichtungszeit, die stundenweise im März und September 1994, im Juni 1999, November 2002 und Januar 2003 möglich war, zu sehen, dass M101 allemal ein wahrer Augenschmaus ist. Es ist zwar nicht generell das größte und in puncto Auflösung beste Astrofoto und zugleich größte je angefertigte Bild einer Galaxie, aber immerhin das größte und in punkto Auflösung beste Astrobild, das Hubble während seiner inzwischen knapp 16-jährigen Karriere machen konnte.

Bildausschnitt des aktuellen Hubble-Astrofotos von Messier 101 (Bild: ESA/NASA, Heritage Team)

Genauer gesagt handelt es sich bei der jüngst veröffentlichten Hubble-Aufnahme um ein Komposit von 51 einzelnen Hubble-Bildern, die Forscher des Space Telescope Science Institute (STScI) in Baltimore zusammensetzten und mit einigen Daten von erdgebundenen Teleskopen, dem Canada-France-Hawaii-Telescope (Mauna Kea/Hawaii) und dem Kitt Peak National Observatory (Arizona/USA) überlagerten. Was Hubble über einen Zeitraum von zehn Jahren im Rahmen unterschiedlicher Forschungsprojekte aufnahm, gewann in Bestauflösung an Konturen. Mit einer Auflösung von 16.000 x 12.000 Pixel präsentiert sich die Feuerrad-Galaxie auf dem Hubble-Foto gestochen scharf und offenbart viele bis dahin unbekannte Strukturen in derart dichter Detailfülle, dass die Auswertung nach Ansicht der Astronomen ein ganzes Jahrzehnt dauern könnte.

…die Moral von der Geschichte

Gewiss, trotz dieses „kosmischen“ Fauxpas’, der aus der Sicht von Nachrichtenagenturen und Zeitungen natürlich längst Schnee von gestern ist, wird die Erde auch in Zukunft ihre Bahnen um die Sonne ziehen, werden die Galaxien im Zuge der Raumexpansion selbstverständlich weiter voneinander wegdriften. Die Welt wird schon nicht untergehen.

Ja, eigentlich wäre das ganze Hin und Her nicht der Rede wert, hätten sich die Damen und Herrn, die an der Verbreitung der Falschinformation mitgewirkt haben, daran erinnert, dass immer dann Vorsicht und Recherche angebracht ist, wenn Superlative ins Spiel kommen.

Wie dem auch sei – das Leben in den Redaktionen geht weiter, die Nachrichtenagenturen werden auch in Zukunft kaum Zeit dafür aufbringen, die von ihnen lancierten Meldungen kritisch zu überprüfen. Und solange das Gros der Medien den Agenturen dieser Welt auch weiterhin blindlings vertraut, bleibt manchmal halt die korrekte Information – sofern es eine solche überhaupt gibt – auf der Strecke.

M101 ist auch in Hochauflösung zu bewundern
Wer einmal in M101 virtuell „eintauchen“ möchte, bediene sich bei der NASA