Keine "smoking gun"-Hinweise

Der letzte Safeguards-Report der IAEA wird Iran vor den UN-Sicherheitsrat bringen, es blieben Fragen offen, aber von einer unmittelbaren Bedrohung ist keine Rede

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am 27. Februar 2006 ist der letzte Report des Gouverneursrates der IAEA, des obersten Leitungsgremiums der IAEA über das iranische Nuklearprogramm an die Mitgliedstaaten erstellt worden. Der Report ist „restricted“, aber natürlich zirkulieren die ersten Kopien. Er ist so objektiv wie nur möglich, wird den Iran aber trotzdem bei der nächsten Sitzung am 6. März 2006 vor den Sicherheitsrat der UNO bringen.

Geht man davon aus, dass das iranische Nuklearprogramm zumindest abseits der energiepolitischen Motive auch sicherheitspolitische (Europa ist vorläufig im Iran gescheitert) hat und damit zumindest die Option auf eine eigenständige iranische nukleare Abschreckung mittelfristig sichergestellt werden soll, so liest sich der jüngste Report der IAEA zwar in Folge der vorangehenden nach wie vor kritisch, lässt jedoch auch erkennen, dass von einer unmittelbaren Nähe zum Kernwaffenerwerb keine Rede sein kann. Angaben über die zeitliche Nähe oder Ferne zur Konstruktion einer eignen Kernwaffe enthält er nicht.

Der Bericht ist noch kein Abschlussbericht, der Iran in allen Punkten eine saubere Weste bescheinigt. Es stehen noch Fragen offen und neue sind sogar hinzugekommen. Die Schlussfolgerung des Reports aber enthält die richtige, diplomatisch verfasste Dosis, um den Druck auf den Iran aufrecht zu halten, ohne die Option zu beschneiden, dass der UN-Sicherheitsrat sich nicht doch noch mit der Sache beschäftigt kann, falls Iran die Verhandlungen mit Russland verschleppt oder abbricht. Der Medien-Spin der nächsten Tage wird aber möglicherweise ein ganz anderer sein und Iran der unmittelbaren Nähe einer Nuklearwaffe bezichtigen. Ganz gleich, wie unerträglich die Holocaust-Leugnungen der iranischen Führung sein mögen, ganz gleich was man moralisch, politisch oder ethisch von diesem Regime halten mag, es sollten Tatsachen und Fakten, sowie Propaganda und psychologische Kriegsführung auseinander gehalten werden.

Anlass zur Dramatisierung der Gefahr durch den Iran bietet der Zwischenbericht der IAEA jedenfalls nicht. Im Gegenteil, die Details über den Zustand und die Richtung des iranischen Nuklearprogramms lesen sich ganz unaufgeregt. Inzwischen hat Iran die Vorbereitungen zur begrenzten Anreicherung zu Forschungszwecken aufgenommen, nachdem die Verhandlungen mit den EU3 gescheitert sind. Wie angekündigt wurden die IAEA-Siegel entfernt, aber die Anlagen stehen weiterhin unter der Aufsicht der IAEA. Damit bleibt eine Verhandlungslösung immer noch möglich, auch wenn Iran in kleinen technischen Schritten versucht, den gesamten Brennstoffkreislauf zu meistern. In der Anlage in Natanz wurde mit den ersten Vorbereitungen zur Anreichungen in kleinem Stil zu Forschungszwecken begonnen. Im Einzelnen wurden die Gasleitungen in der Pilotanreicherungsanlage (PFEP) in Natanz erneuert, sowie einige Rotoren für die Zentrifugen und andere Komponenten getestet.

Die Pilotanlage, an der die Arbeiten aufgenommen wurden, ist für sechs Maschinenkaskaden ausgelegt, die je 164 Zentrifugen enthalten. Selbst mit einer voll funktionstüchtigen Anlage in dieser kleinen Größe kann keine signifikante Menge Uran angereichert werden, die über Forschungszwecke hinausgehen würde. Um Spaltmaterial für eine Bombe anzureichern müssten sich mindestens 1000 Zentrifugen mehrere Jahre lange drehen. Die PFEP dient dem Zweck, das technische Wissen für das Anreicherungsverfahren zu erlangen und zu demonstrieren, dass Iran die Anreicherungstechnik beherrscht. In ferner Zukunft soll dann die eigentliche Uranreicherung im großen Stil in der verbunkerten Anreicherungsanlage begonnen werden.

Soweit ist der Iran längst nicht. In der Vergangenheit hatte das Land immer wieder technische Probleme beim Betreiben selbst kleiner Kaskaden. Teilweise gingen laut Angaben der IAEA fast ein Drittel der Zentrifugen bei Tests zu Bruch. Dem Zwischenbericht zu Folge hat Iran im Februar eine einzige Testzentrifuge mit Gas (UF6) zur Anreicherung befüllt. Eine Testkaskade mit 10 Zentrifugen wurde im selben Zeitraum technisch überprüft und ebenfalls befüllt. Ende Februar wurde das Vakuum der ersten Kaskade mit 20 Zentrifugen getestet. Angereichert wurde noch nicht. Der Anreicherungsprozess in der Pilotanlage selbst würde weiterhin unter der Aufsicht der IAEA erfolgen. Die Befüllungsanlage, alle mit UF6 gefüllten Zylinder und das gesamte konvertierte Uran (85 Tonnen UF6) befindet sich, der IAEA zu Folge, ebenfalls unter der Aufsicht der Behörde. Gleichzeitig stellen jedoch diese 85 Tonnen Uranhexafluorid (UF6) ca. 450 kg Uran235 dar, das theoretisch für 12-15 Kernwaffen ausreichen würde.

Iran hatte in der Vergangenheit freiwillig den erweiterten Safeguard-Standards der IAEA zugestimmt, diese aber schriftlich am 6. Februar aufgekündigt. Die IAEA modifizierte darauf hin ihre Überwachungsgeräte in der Pilotanlage. Damit ist weiter die Kontrolle des iranischen Programms trotz der diplomatischen Krise gegeben. Diese Kontrolle ist auch im ganz im iranischen Sinne, um weiterhin Transparenz und Kooperation zu demonstrieren.

Der neue Report vermerkt, dass die IAEA „keine Abzweigung von nuklearem Material für Nuklearwaffen oder andere nukleare Explosionsgeräte vorgefunden hat“. Der Zwischenbericht endet allerdings auch, wie zuvor andere Berichte, mit der Feststellung, dass die IAEA „zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in der Lage ist zu schlussfolgern, dass es keine nicht-deklarierten Materialien oder Aktivitäten im Iran gibt“.

Wie die USA, Russland, China und die EU3 den jüngsten Bericht interpretieren werden, wird davon abhängen, wie sie Iran gesonnen sind und welche Politik sie verfolgen. Die Hardliner werden die offenen Punkte herausheben, auf den vergangenen Vertragsbruch des Iran hinweisen und den Sicherheitsrat auffordern, aktiv zu werden. Die anderen werden den Iran drängen, die Anreicherung zu suspendieren oder ganz im eigenen Land darauf zu verzichten. Sie werden weiter auf eine Verhandlungslösung hoffen.

Im Prinzip kann nun alles ganz schnell gehen - oder die Krise wird noch eine Weile hin und her schaukeln.

Nach der IAEA-Sitzung am 6. März 2006 ist folgendes möglich:

  1. Die USA entscheiden sich irgendwann unabhängig von den Fakten zu Luftschlägen.
  2. Der UN-Sicherheitsrat nimmt die Diskussion auf und China und Russland verschleppen dann die Verhängung von Sanktionen.
  3. Oder den iranisch-russischen Verhandlungen wird noch einmal Zeit gegeben.

Die Wünsche der IAEA

Nachdem seitens Iran die bisherige Unterbrechung der Uran-Anreicherung Anfang des Jahres 2006 aufgekündigt worden war, werden zu Beginn unter Punkt 2 die Wünsche der IAEA formuliert:

Iran möge:

  1. alle Anstrengungen zur Uran-Anreicherungen und Wiederaufarbeitung von Plutonium sofort einstellen, incl. aller Forschungs- und Entwicklungsarbeiten;
  2. den Bau des Schwerwasser-Reaktors überdenken;
  3. das Zusatzprotokoll zum Nichtverbreitungsvertrag umgehend ratifizieren und umsetzen;
  4. vertrauensbildende Maßnahmen umsetzen;

Abseits der grundsätzlichen völkerrechtlichen Zulässigkeit eines eigenen nuklearen Brennstoffkreislaufes seitens Iran - die in diesem Dokument nicht diskutiert wird - sowie abseits der bisherigen offenen und nicht geklärten Fragen über mögliche militärische Optionen, die technische Details betreffen, wurden in diesen Report Behauptungen reklamiert, die weder zu verifizieren, noch zu falsifizieren sind.

Fragwürdige Behauptungen über das iranische Atomwaffenprogramm

Am 8. Februar 2006 veröffentlichte die Washington Post einen Artikel von Dafna Linzer über das iranische Nuklearprogramm, in der sich neue, nicht falsifizierbare Behauptungen finden, die sich auf absolut fragwürdige Quellen berufen. Das ganze erinnert an die Vorwürfe gegenüber dem irakischen Kernwaffenprogramm. Ein Kernelement der damaligen Anschuldigungen waren die nicht-existenten irakischen Massenvernichtungswaffen, vor allem das nicht mehr existierende Nuklearwaffenprogramm.

In dem Artikel heißt es, iranische Ingenieure hätten auf einer Konstruktionsskizze einen 400 Meter langen Tunnel für einen Kernwaffentest entworfen und diese Information befände sich bereits seit 20 Monaten im Besitz von US-Nachrichtendiensten:

Iranian engineers have completed sophisticated drawings of a deep subterranean shaft, according to officials who have examined classified documents in the hands of U.S. intelligence for more than 20 months.

Complete with remote-controlled sensors to measure pressure and heat, the plans for the 400-meter tunnel appear designed for an underground atomic test that might one day announce Tehran's arrival as a nuclear power, the officials said.

Dafna Linzer

Linzer räumt ein, dass es auch gemäß der US-Nachrichtendienste noch zehn Jahre dauern könnte, bis es soweit wäre. Und eine Autoren- oder Urheberschaft dieser Konstruktionszeichnungen sei nicht weiter bekannt.

Die Zeichnungen gehen auf einen Laptop zurück, den ein iranischer Bürger 2004 gestohlen haben soll. Mit Hilfe eines anderen iranischen Bürgers sei er außer Landes gebracht worden, nachher beim BND aufgetaucht und nunmehr im Besitz der US-Behörden. Zahlreiche Dokumente auf diesem Laptop verwiesen eindeutig auf militärische Absichten des iranischen Nuklearprogramms. Es stellt sich also die Frage, welche dieser Argumente aus dieser „Laptop-Geschichte“ weiter verwendet werden und ob sie vor dem Sicherheitsrat der UNO zur Sprache gebracht werden, denn außer diesem dubiosen Laptop gibt es bislang keinerlei sachdienliche Beweise.

Bush administration officials, convinced that Iran has a weapons program, believe that the body of documentation is the nearest anyone can expect to "smoking gun" evidence.

Dafna Linzer

"Smoking gun"-Beweise sind aus dem Irak-Krieg bekannt. Wie sie im Fall des Iran aussehen werden, ist noch unklar. Der Iran streitet die Anschuldigungen gegenüber der IAEA bislang nur ab.

Die Unterstellungen der Laptop-Story im Detail.

  1. „Green Salt“. Unter „green salt“ versteht man Uran-Tetrafluorid (UF4), das als Zwischenprodukt für die Herstellung von UF6 verwendet werden könnte. Mit dem Bau einer verbunkerten Anlage für UF4 wird unterstellt, Iran wolle sich eine zusätzliche geheime Kapazität zur Herstellung der Vorstufe von kernwaffenfähigem Material aneignen. Abgesehen davon, dass zahlreiche Experten ein solches Vorgehen für technisch nicht plausibel und wahrscheinlich halten, besitzt Iran mit seinen 85 Tonnen UF6 ohnehin schon den Eingangsstoff für ca. fünfzehn Kernwaffen, so es diesen denn anreichern und zu metallischem Uran überführen könnte.
  2. „Re-Entry Vehicel“. Auf dem Laptop hätten sich auch Daten und Fakten über die Forschung Irans zur Konstruktion und Herstellung eines Wiedereintrittskörpers aus der Atmosphäre für einen Nuklearsprengkopf befunden, also etwa für eine ballistische Rakete mittlerer oder langer Reichweite. Dafna Linzer spricht gar von „over thousands of pages of drawings“. Tausende Konstruktionszeichnungen? Ist das ernst gemeint? Vor allem, wenn keine physikalischen Analysen vorhanden sind? Tatsache ist, dass diese Technologie nicht ohne Tests von statten gehen kann. Tatsache ist weiter, dass es sich dabei um die komplexeste Technologie des gesamten Nuklearwaffenkomplexes handelt. Gegenwärtig befindet sich die iranische Raketenwaffe, um es etwas salopp zu formulieren, noch immer auf dem Niveau ballistischer Konservendosen mit einem Streukreisradius (CEP) von einigen Kilometern.
  3. Kernwaffen-Konstruktion. Es wird eine Skizze angeführt, auch angeblich von diesem „Laptop“ stammend, in der eine Darstellung eines einfachen Kernwaffen-Designs unterstellt wird. So gut, so primitiv. Einfache Kernwaffen-Designs sind in der offenen physikalischen Literatur nachzulesen. Komplexere Überlegungen sind zwar nicht unmittelbar im Internet, aber doch in der Fachliteratur ansatzweise zu finden. Einem ausgebildeten Kernphysiker gleich welcher Herkunft wird es keine Schwierigkeiten bereiten, die grundsätzliche Funktionsweise von Kernwaffen, die wichtigsten physikalischen Parameter und die notwendigen Eingangsbedingungen für ein eigenes Kernwaffenprogramm innerhalb weniger Tage zu recherchieren. Dafür bedarf es auch keiner obskurer Skizzen. Die wissenschaftlich-technischen Schwierigkeiten beginnen erst dann und dort, wenn Experimente für die „Verkleinerung“ und „Optimierung“ von Kernwaffen erforderlich sind.

Diese drei neuen Punkte wurden offenbar von den USA in den IAEA-Report hineinreklamiert. Bei allen anderen Punkten handelt es sich um Unklarheiten, die das iranische Nuklearprogramm betreffen, bei diesen dreien um unbewiesene Behauptungen. Die Behandlung vor dem Sicherheitsrat der UNO wird zeigen, mit welcher Absicht die EU-3, die Russische Föderation und die USA verhandeln werden. Deeskalierend oder eskalierend.