Der Kriegsverlauf im Irak

Der Fall von Bagdad und die Rolle des BND

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Die Aufklärung der Irak-Affäre des Bundesnachrichtendienstes wird schwierig werden. „Insgesamt sehen wir sehr geringe Möglichkeiten zur professionellen Wahrheitssuche“, erklärte Wolfgang Neskovic, Vertreter der Links-Partei im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG). Schließlich ist im Milieu der Geheimdienste nichts so, wie es scheint, und selbst auf diese Erkenntnis kann man sich nicht verlassen. Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um eine der üblichen Äffären im Halbdunkel der Geheimdienste, sondern um die hohe Schule der Spionage: Hat der BND unter Führung seines damaligen Präsidenten August Hanning, derzeit Staatssekretär im Bundesinnenministerium, den Amerikanern im Golfkrieg den Verteidigungsplan von Bagdad beschafft oder nicht?

Die wesentlichen Fakten des Kriegsverlaufs lassen sich in wenigen Sätzen zusammenfassen. Am 20. März 2003 griffen die US-Streitkräfte den Irak an. Statt auf erheblichen Widerstand zu stoßen, wurde der Marsch auf Bagdad für die GIs zu einem Dauerlauf. Nur ein Sandsturm kann den Vormarsch kurz aufhalten. Es schien so, als konzentrierte sich alles auf den Raum Bagdad: Dort musste die Elite der Republikanischen Garde Saddam Hussein den Ansturm der Amerikaner endlich aufhalten. Es drohte ein Häuserkampf in der Fünf-Millionen-Stadt, ein Stalingrad in der Wüste, eine Apokalypse mit dem Einsatz irakischer Massenvernichtungswaffen und atomarer Vergeltung der USA.

Zwar waren die US-Geheimdienstmeldungen über das irakische ABC-Potential reine Kriegspropaganda, aber dennoch konnten sich die US-Streitkräfte bis zum Schluß nicht sicher sein, dass die Iraker nicht doch über eine einzelne Rakete mit chemischem Sprengkopf verfügten, die sie gegen Israel hätten abschießen können, um den Konflikt zu eskalieren. Am Montag, den 7. April 2003, kämpften sich die ersten GIs bis zum südlichen Stadtrand vor. Am folgenden Tag drangen sie weiter in Richtung Stadtzentrum vor, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Am Mittwoch war plötzlich alles vorbei. Das Regime von Saddam Hussein hatte sich quasi in Luft aufgelöst. Seine Gardisten waren über Nacht verschwunden. Kein Häuserkampf, kein Massaker. Die US-Streitkräfte konnten das Machtvakuum so schnell gar nicht auffüllen. In den Straßen der irakischen Hauptstadt plünderte der Mob Geschäfte, Museen und Krankenhäuser.

Der Golfkrieg endete mit einem Rätsel: Wenn die irakische Führung um Saddam Hussein nie kämpfen wollte, warum hat sie dann vor Kriegsbeginn nicht einfach nachgegeben, statt monatelang hoch zu pokern? Jede diplomatische Lösung wäre für beide Seiten besser gewesen. Nichts wäre leichter zu erfüllen gewesen, als die amerikanische Forderung nach einer vollständigen Entwaffnung im ABC-Bereich, da der Irak keine einzige Massenvernichtungswaffe mehr besaß. So aber ergab die irakische Handlungsweise keinen Sinn! Das Rätsel um den Fall Bagdads ist bis heute nicht gelöst und bisher gibt es nur einen plausiblen Erklärungsversuch: Verrat!

Die Rolle des Bundesnachrichtendienstes

Die amerikanische Central Intelligence Agency hatte Ende 2002 keine eigenen Agenten im Irak. Ihre Spione waren Mitte der neunziger Jahre aufgeflogen, als die CIA den sogenannten „Silver Bullet“-Putschversuch gegen Saddam Hussein vorbereitete. Allerdings hatte der irakische Geheimdienst Jihaz al-Mukhabarat al-Amma von den Plänen erfahren und das US-Agentennetz zerschlagen. Also musste CIA-Direktor George Tenet im Vorfeld des Golfkrieges 2003 kurzfristig ein neues Agentennetz aufbauen, das den Codenamen ROCKSTARS erhielt. Fortan lieferten die neuen Spione für viel Geld Information aus den Ortschaften entlang des geplanten US-Angriffstoßes. Nur in Bagdad selbst konnte man kaum Spione anheuern.

Schon im Jahr 2004 hatte Michael R. Gordon daraufhin gewiesen, dass die CIA-Aufklärung im Irak vor Kriegsbeginn so unzureichend war, dass die Amerikaner auf die Unterstützung durch befreundete Nachrichtendienste angewiesen waren:

Much of the intelligence was derived from reconnaissance systems, not from operatives on the ground. With few spies inside Iraq, the agency relied on defectors, detainees, opposition groups and foreign government services, according to a Senate report. “Some critics have claimed during the prewar period, we did not have many Iraqi sources," James L. Pavitt, former deputy director for operations for the agency, said in June in a speech to the Foreign Policy Association. "We certainly did not have enough," he said. "Until we put people on the ground in northern Iraq, we had less than a handful. As I mentioned before, the operating environment was tremendously prohibitive, and developing the necessary trust with those Iraqis who had access was extraordinarily difficult in light of the risks they faced. Once on the ground, however, our officers recruited literally dozens of agents - some of whom paid the ultimate price for their allegiance to us." The C.I.A. inserted agents in the southern oil fields shortly before the war.

American intelligence officers obtained the telephone numbers of Iraqi generals and called to encourage them not to fight. Fearful that the calls were a loyalty test by Saddam Hussein, some changed their numbers, which hindered their efforts to talk to each other when the war was under way. The United States gained a detailed understanding of Iraq's oil infrastructure and obtained a secret map of Iraq's Bagdad defense plan.

Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) gehörte zu den Helfershelfern der US-Geheimdienste. Ansprechpartner waren insbesondere die Iraq Operations Group (IOG) beim CIA, die damals von Robert Grenier geleitet wurde, der Defense HUMINT Service (DHS) der DIA und der J-2-Geheimdienstchef des CENTCOM General Jeff Kimmonds. Schon im Vorfeld des Golfkrieges hatte der BND-Spion CURVEBALL die Amerikaner mit zweifelhaften Informationen über das irakische Bio-Waffenprogramm versorgt (Let's play Curveball). Aber als das Fernsehmagazin „Panorama” kürzlich darüber berichtete, BND-Agenten hätten den Amerikanern die Zielkoordination für potentielle Angriffsziele gemeldet (Die Bundesregierung, der BND und der Irak-Krieg), wurde dies von der Bundesregierung zunächst schroff zurückgewiesen. Die deutschen Agenten hätten nur die Daten über nicht-militärische Ziele weitergeben, als ob die US-Satellitenaufklärung ausgerechnet solche Objekte nicht hätte erfassen können. Schließlich musste die Bundesregierung zurückrudern und in ihrem offiziellen Bericht vom 23. Februar 2003 die Weitergabe von Zielkoordinaten eingestehen ("Es gibt sehr wohl noch offene Fragen"). So hatte die Bundesregierung in der BND-Affäre von Anfang an gelogen.

Wie bisher bekannt wurde, verstärkte die BND-Abteilung für Operative Beschaffung ihre Residentur in Bagdad vom 17. Februar bis 1. oder 2. Mai 2003 durch ein Sonder-Einsatz-Team (SET). Dieses bestand aus den beiden Agenten Volker H. und Rainer M., die von der französischen Botschaft in Bagdad aus operierten, und einem Verbindungsoffizier (German Intel Liaison National Officer) mit Decknamen GARDIST, der beim Hauptquartier Commander-in-Chief Central Command (HQ CINCCENT) im Camp Doha (Qatar) eingesetzt wurde. Insgesamt lieferte das SET-Team 150 Meldungen an die BND-Zentrale in Pullach. In offiziellen Bericht der Bundesregierung heißt es dazu u.a.:

Einige waren Beiträge, die u.a. den Charakter der militärischen und polizeilichen Präsenz in der Stadt beschrieben. In einzelnen Meldungen waren diese Beschreibungen mit geografischen Koordinaten zu Aufenthaltsorten militärischer Kräfte (Einzelfahrzeuge in der Nähe des Offiziersclubs der Luftwaffe; Personal und Material irakischer Spezialtruppenteile) versehen.

Nun stellt sich die Frage, wieviele dieser SET-Berichte der BND an die US-Streitkräfte weitergab. Die Bundesregierung erklärte dazu in ihrem Bericht, daß die weitergegeben Meldungen keine Bedeutung für die US-Luftkriegsführung gegen Bagdad gehabt hätten:

Für die taktischen Luftstreitkräfte waren die an die US-Seite weitergegebenen Informationen ohne Relevanz. Diese waren im Zeitraum 28. März 2003 bis 7. April 2003 durch die Bekämpfung aus der Luft von insgesamt etwa acht irakischen Divisionen südlich und später nördlich von Bagdad gebunden. (...) Die US-Luftstreitkräfte – dies war den für die Informationsfreigabe Verantwortlichen im BND bekannt – führten in diesem Zeitraum keine Angriffe auf kleine, bewegliche Trupps und Gruppen in Bagdad-Stadt durch. (...) Insgesamt hat damit die BND-Zentrale sieben Koordinaten enthaltende Berichte an die US-Seite übermittelt. (...) Vier Meldungen enthielten Koordinaten zu sieben militärischen Teileinheiten bzw. Objekten (...).

Dies ist nur ein halbes Dementi, da die US-Streitkräfte im fraglichen Zeitraum die irakische Hauptstadt massiv bombardierten. Zu einem der sieben SET-Berichte schweigt sich die Bundesregierung in ihrem veröffentlichten Bericht gänzlich aus. Darüber hinaus wurde bekannt, dass die Bundesregierung im geheimgehaltenen Teil ihres Berichtes an den Bundestag 25 weitere SET-Berichte des BND-Kontaktmannes beim HQ CINCCENT einräumte. Aber ist dies die ganze Wahrheit? Kein Wort verliert der Regierungsbericht an den Bundestag zur möglichen Weitergabe des „Bagdad Defence Plan“.

Vier Tage später platzte die „New York Times“ mit ihrer Meldung über die Weitergabe des „Bagdad Defence Plan“ durch den BND an die US-Streitkräfte heraus. Michael R. Gordon berichtete unter Berufung auf eine vertrauliche Studie des Joint Forces Command:

Two German intelligence agents in Bagdad obtained a copy of Saddam Hussein`s plan to defend the Iraqi capital, which a German official passed on to American commanders a month before the invasion, according to a classified study by the United States military. (...) In February 2003, a German intelligence officer in Qatar provided a copy to an official from the United States Defense Intelligence Agency who worked at the wartime headquarters of the overall commander, Gen. Tommy R. Franks, according to the American military study. Officials at the agency shared the plan with the Central Command`s J-2 office, or intelligence division.

Der CDU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach deutete an, dass die Bundesregierung vom BND möglicherweise nicht in vollem Umfang über dessen Aktivitäten unterrichtet wurde, als ob der Geheimdienst Geheimnisse gegenüber der Regierung hätte. „[Ich] bin mir allerdings nicht ganz sicher, ob sie alles weiß, was sie wissen müsste“, erklärte der Unionspolitiker. Derweil sieht sich die deutsche Bundesregierung außerstande, die Vorwürfe der „New York Times“ selbst aufzuklären. Sie bat nun die Regierung in Washington um Unterstützung. Nun wird ein Untersuchungsausschuß des Bundestages immer wahrscheinlicher.

Bisher nicht gestellt wurde die Frage, wieviele Berichte der BND eigentlich an den französischen Auslandsgeheimdienst Direction Générale de la Sécurité Extérieure (DGSE) weitergab, bei dem seine SET-Agenten schließlich untergekrochen waren.

Deutschlands militärische Verwicklung

Zwar hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag am 29. Oktober 2002 erklärt, „dass wir uns an einer militärischen Intervention im Irak nicht beteiligen werden“, aber die Zusammenarbeit auf dem Geheimdienstsektor war nur ein Teil der Kooperation zwischen der Bundesrepublik und den USA. Ein Sprecher der Bundesregierung erklärte dazu am 21. November 2002: „Eine Anfrage der USA nach Unterstützung ist bei der Bundesregierung eingegangen. Sie wird sorgfältig geprüft auf der klaren Grundlage einer deutschen Nichtbeteiligung an einer möglichen Militäraktion im Irak, unserer Bündnisverpflichtungen, rechtlicher Möglichkeiten und Bindungen.“

Während des Golfkrieges kontrollierten fortan Bundeswehrsoldaten an Bord von AWACS-Flugzeugen der NATO den Luftraum über der Türkei und zur Combined Joint Task Force Consequence Management in Kuwait gehörten bei Kriegsbeginn auch Teile des 7. ABC-Abwehrbataillon der Bundeswehr aus Höxter.

Es mag ein zeitlicher Zufall sein, aber als am 17. Februar das SET-Team seine Spionage in Bagdad aufnahm, beschloß der NATO-Rat in Brüssel nach wochenlangem Streit die Unterstützung der Türkei im Falle eines irakischen Gegenschlages und begann sogleich mit entsprechenden Kriegsplanungen. Welchen Beitrag das BND-Team in Bagdad dazu leistete, wurde nicht bekannt.

Eine „Massenklage“ gegen Bundeskanzler Gerhard Schröder wegen der „Vorbereitung eines Angriffskrieges“ gemäß $ 80 StGB wies der Generalbundesanwalt am 21. März 2003 ab.

Der irakische Plan zur Verteidigung Bagdads

Als die „New York Times“ am 27. Februar 2006 den Artikel ihres Militärexperten Michael R. Gordon über die deutsche Verwicklung in den Golfkrieg veröffentlichte, enthielt der Text eine einfache Skizze: Fünf konzentrische Ringe, umgeben von einer zentrifugalen Kurve, die von fünf Doppelachsen unterbrochen wird, dazu ein paar unleserliche arabische Schriftzeichen. Was auf den ersten Blick aussieht wie eine mißratene Bedienungsanleitung für irgendeinen technischen Gebrauchsgegenstand, soll tatsächlich der alte irakische „Bagdad Defence Plan“ sein, der wichtigste Schlachtplan in einem der gräßlichsten Kriege der letzten Jahrzehnte. Man darf vermuten, dass zu dieser Kritzelei noch mehr oder weniger detailliertes Schriftgut gehören muss, aber davon wurde keine einzige Textzeile bekannt. Hier braucht nicht weiter über das militäroperative Niveau der irakischen Planungen spekuliert werden.

Zwar ist bisher nichts bewiesen, aber zunächst einmal darf unterstellt werden, dass das Dokument echt ist. Es ist also kein zweiter „Hufeisenplan“, wie ihn der deutsche Verteidigungsminister Rudolf Scharping 1998 aus dem Hut zauberte, um den Angriff auf Jugoslawien zu rechtfertigen. Nach Angaben von Gordon wurde dieser „neue Plan“ am 18. Dezember 2002 auf einer strategischen Besprechung der irakischen Führung beschlossen. Möglicherweise handelte es sich um eine Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates (Al-Majlis Al-Amn Al-Qawmi). Gemäß den Beschlüssen sollten die Republikanischen Garden in mehreren Ringen innerhalb der Hauptstadt disloziert werden und die innere „rote“ Linie sollte bis zum letzten Blutstropfen verteidigt werden. Gordon macht keine Angaben darüber, wieviele Personen an der Besprechung teilnahmen, aber er nennt mehrere Anwesende beim Namen: Saddam Hussein als Oberbefehlshaber, sein Sohn Qusay Hussein als formaler Befehlshaber der Republikanischen Garden und deren Stabschef Generalleutnant Sayf al-Din Fulayyih Hasan Taha al-Rawi usw. Die Zahl der gedruckten Exemplare des „Bagdad Defence Plan“ dürfte sehr gering gewesen sein, und wenn er verraten wurde, dann musste der Verräter aus der Operationsabteilung des Generalstabes der Republikanischen Garden kommen, vielleicht nahm er sogar an dieser Spitzenkonferenz teil.

Dabei war der irakische Plan zur Verteidigung Bagdads schon vor Kriegsbeginn in groben Zügen bekannt. So berichtete Bill Gertz, der Militärexperte der „Washington Times“, am 22. Februar 2003 über seine Gespräche mit US-Geheimdienstoffizieren:

Around Bagdad, the Iraqis have increased the deployment of anti-aircraft artillery gunss. „That could make it more difficult for us to bomb,“ the official said. “And it increases the likelihood of a strategic incident. [Saddam`s] strategy is drag the conflict out. US intelligence officials have said Iraq plans to set up two defensive rings around Bagdad, the capital. The outer ring will be made up of regular army and better-equipped Republican Guard troops. The inner ring will be made up of elite Special Republican Guard troops. The Bagdad defence plan calls for allowing the outer ring to collapse but holding the inner perimeter and forcing allied forces to engage in tough urban fighting.

Nach Angaben des Befehlshabers des britischen Streitkräftekontingentes, Luftmarschall Brian Burridge, war der „Bagdad Defence Plan“ ein uraltes Dokument, das bereits über zehn Jahre vor Beginn des Zweiten Golfkrieges 2003 den Alliierten bekannt war, also noch aus der Zeit des Ersten Golfkrieges von 1991 stammt. Gegenüber dem Verteidigungsausschuß des britischen Parlaments erklärte Burridge am 11. Juni 2003:

We knew Saddam`s strategy. He believed that he could survive this. He believed that with a combination of circumstances he could achieve the sort of international condemnation of the coalition and the fracture of domestic public support. I believe he felt that those were achievable; we shall never know but I believe. We knew about the Bagdad defence plan over the years, ranging back more than ten years. We had seen how they would seek to defend Bagdad, but we also knew that they would not let us just drive straight up there, so they would want to delay us and it is that delay which is significant, because that is the period in which he assumed that there would be international condemnation and public support would evaporate.

Dies muss keine Widerlegung der NYT-Anschuldigungen gegenüber dem Bundesnachrichtendienst bedeuten, da militärische Schubladenpläne von Zeit zu Zeit aktualisiert werden, erst recht kurz vor ihrer praktischen Umsetzung. Die Frage ist hier, wer gab die letzte Version des Planes weiter? „Was einem nicht bekannt ist, kann man auch nicht weitergeben“, erklärte Vizeregierungssprecher Thomas Steg zum Verteidigungsplan, über den 2003 selbst in den Massenmedien berichtet wurde.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche praktischen Schritte die Iraker unternahmen, um den Plan in die Tat umzusetzen. Nach einem Pressebericht sollten sieben Gräben mit einer Tiefe von 5 Metern ausgehoben und mit Öl gefüllt werden. Beim amerikanischen Angriff wollten die Iraker diese dann mit Sprengstoff in Brand setzen und 25.000 GIs umbringen. Nach der Eroberung von Bagdad fanden sich aber kaum Spuren für solche Panzersperren.

Als die Schlacht um Bagdad begann, beschränkte sich die irakische Kriegsplanung auch nicht mehr auf einen Endkampf in der Innenstadt, wie ihn der „Bagdad Defence Plan“ noch vorgesehen hatte. Wie Michael R. Gorden in einem Artikel vom 20. Oktober 2004 darstellte, hatten die Iraker Anfang April 2003 damit begonnen, einen langen Guerillakrieg vorzubereiten:

“On April 5, 2003, a Defense Intelligence Agency task force said the Baathists had made plans to wage a protracted guerrilla war and would form a tactical alliance with Islamic jihadists. Their goal, the task force said, was to produce casualties so that the American public would push for United States forces to quit Iraq. On April 9, American intelligence agencies issued a "sense of the community" memo - their collective judgement - which concluded that Baath Party cadres, Iraqi security forces and paramilitary fighters were operating independently under longstanding orders. They could be expected to fight on until they were neutralized, Saddam Hussein was killed or senior Iraqi leaders whom they respected ordered them to stop fighting. Even then, the memo said, some would fight on.

Das tatsächliche Kriegsgeschehen in Bagdad

Am 2. April 2003 verkündete Saddam Hussein in einem Fernseh-Video: „Der Sieg ist nahe!“ Aber zum Show-down an der „roten Linie“ in Bagdad ist es nie gekommen. Der amerikanische Angriff auf Bagdad wurde geleitet von Generalleutnant William S. Wallace, dem Kommandeur des V. Corps in Heidelberg.

Am 4. April 2003 konnten die Soldaten der 3. US-Infanteriedivision zunächst den „Saddam International Airport“ rund 25 km westlich von Bagdad einzunehmen. Gleichzeitig stießen US-Vorauskommandos nach tagelangen heftigen Bombenangriffen gegen die irakische Hauptstadt bis an deren Stadtrand vor, ein Teil der Einwohner flüchtete aus der Stadt. Weil zum ersten Mal die Stromversorgung ausfiel, machten Spekulationen die Runde, die Amerikaner hätten eine „BLU-114/B Blackout-Bomb“ eingesetzt. Am 5. April kam es zu ersten Gefechten im südlichen Stadtbezirk Dora, jedoch stießen US-Einheiten gemäß der „Thunder Run“-Taktik vor und besetzten am 7. April 2003 den Präsidentenpalast in der Innenstadt von Bagdad. Am folgenden Tag nahmen die amerikanischen Truppen die ganze Stadt ein, nur noch vereinzelt kam es zu Feuergefechten mit den Gardisten der Bagdader Garnison. Die Zivilbevölkerung nutzte die Situation aus zu umfangreichen Plünderungen. Am 10. April wird auch die verlassene deutsche Botschaft völlig ausgeräumt. Die US-Soldaten sehen dem Treiben tatenlos zu.

Nachdem die US-Truppen die Stadt Tikrit nördlich von Bagdad einnahmen, wurden am 12. April 2003 alle militärischen Kampfhandlungen eingestellt, der Krieg ist damit formal zu Ende. Nach irakischen Angaben starben über 1.500 Zivilisten und eine ungekannte Zahl irakischer Soldaten, die US-Streitkräfte haben 96 Verluste, auf britischer Seite starben 30 Soldaten. Wenige Wochen später beginnt der Guerillakrieg gegen die amerikanischen Besatzungstruppen.

Gerüchte über Verrat

Bereits ein halbes Jahr vor Beginn der eigentlichen Kampfhandlungen, im September 2002, begannen die US-Streitkräfte mit ihrer psychologischen Kriegsführung gegen die irakische Führung. Dazu kontaktieren die US-Geheimdienste die irakischen Politiker, Geheimdienstoffiziere und Militärs durch Telefonanrufe und Emails. Die Kampagne verfolgte mehrere Ziele: Oppositionelle Kräfte sollten moralisch gestärkt werden, während gleichzeitig gegenüber dem Saddam-Regime loyale Personen in Verdacht gebracht wurden, mit den USA zu konspirieren. Dadurch sollte die irakische Führung insgesamt geschwächt und verunsichert werden. Die Psyops-Experten sprechen hier von „Decapitation“ (Enthauptung). Öffentliche Radiosendungen und Flugblätter verstärkten den Effekt.

Im Rahmen ihrer Kriegsplanungen stellten die US-Geheimdienste eine Liste mit über 2.000 Führungsfunktionären des irakischen Regimes, die sie in drei Kategorien aufteilten:

  1. Der „Inner Circle“, eine relativ kleine Gruppe von Spitzenleuten, die Saddam bedingungslos loyal waren. Sie fanden sich nach Kriegsende auf der Fahndungsliste der US-Regierung, dem sogenannten „Kartenspiel“ wieder.
  2. Jener Personenkreis, dessen Loyalitäten man nicht genau einschätzen konnte, die aber möglicherweise „ungedreht“ werden konnten. Wenn sie sich aus den Kampfhandlungen heraushalten würden, könnten sie auf eine gnädige Behandlung durch die US-Regierung hoffen, sollten sie aber Massenvernichtungswaffen einsetzten, würde man sie hart bestrafen, versprach die US-Propaganda.
  3. Die Leute, die gegenüber der Terrorherrschaft von Saddam Hussein eine kritische Haltung einnahmen und auf die die US-Regierung bei einem „regime change“ bauen konnten.

Anscheinend war die amerikanische Enthauptungsstrategie erfolgreich: Wenige Tage nach der fast kampflosen Eroberung Bagdads durch die US-Army begannen sich die Einwohner zu fragen, wieso sie dem erwarteten Gemetzel entgangen waren. In der irakischen Hauptstadt machten erste Gerüchte über einen Verrat die Runde. Danach hatte sich Folgendes abgespielt:

Als die US-Streitkräfte am 4. April 2003 den „Saddam International Airport“ einnahmen, kam es zu einem Kuhhandel zwischen der amerikanischen Militärführung und der Führungsspitze der republikanischen Gardisten in Bagdad. Eingefädelt wurde der Deal von dem kommandierenden General Maher Sufian al-Tikriti, einem Cousin von Saddam Hussein. Er war der Befehlshaber der Special Republican Guard (SRG) mit einer Gesamtstärke von rund 12.000 Mann in vier Brigaden und soll den Amerikanern den „Bagdad Defence Plan“ zugespielt haben. Außerdem soll er seinen unterstellten Spezialeinheiten befohlen haben, ihre Stellungen in der Stadt zu verlassen und vorzurücken, so dass sie von den überlegenen US-Streitkräften auf offenem Gelände vernichtet wurden. Nach einer anderen Version zogen die SRG-Soldaten ihre Uniformen aus, um sich unter die Zivilbevölkerung zu mischen, um so den Guerillakrieg aufzunehmen, was aber zunächst zum Zerfall der Truppe führte. Als Gegenleistung für seinen Verrat soll General Sufian die US-Staatsbürgerschaft und 25 Millionen Dollar erhalten haben.

Während die US-Marines am 8. April 2003 die Version verbreiteten, sie hätten General Sufian und seinen Chaffeur an einer Straßensperre vor den Toren Bagdads erschossen, hieß es in der arabischen Presse, der General sei am selben Tag mit einer amerikanischen C-130 Hercules vom internationalen Flughafen bei Bagdad ausgeflogen worden. In seiner Begleitung soll sich eine Entourage von 20 Personen befunden haben, darunter General Ali Abdul Raschid al-Tikriti und möglicherweise auch Abdol Kareem Nufos al-Nada, ein weiterer Cousin von Saddam Hussein.

Was an diesen Gerüchten dran ist, konnte bis heute nicht geklärt werden. General Sufian ist seit dem 8. April 2003 nie wieder aufgetaucht – weder lebendig noch tot. Soweit bekannt haben sich die Agenten des früheren militärischen Sicherheitsdienstes Al-Amn al-´Askari nicht zu dem Fall geäußert. Wenn General Sufian tatsächlich den „Bagdad Defence Plan“ an die US-Geheimdienste weitergab, würde das den Bundesnachrichtendienst entlasten, es sei denn, der BND hätte den Kontakt zwischen Sufian und den Amerikanern hergestellt oder die US-Geheimdienste hätten den Verteidigungsplan aus mehreren Quellen gleichzeitig bekommen.

Von dem offiziellen Bericht der Bundesregierung zu den BND-Aktivitäten im Irak gibt es bisher drei Versionen: ein 90-Seiten-Exemplar für die dumme Öffentlichkeit, eine 140-Seiten VS-NfD-Ausgabe für „normale“ Bundestagsabgeordnete und ein fast 300-seitiges Geheimdokument für die exklusiven Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) und die Fraktionsvorsitzenden im Bundestag. Jetzt fehlt noch die vierte Textvariante in Form eines Abschlußberichtes eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses.

Gerhard Piper ist Mitarbeiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS).