Radiozeugnisse: Versetzung gefährdet

Deutschlands Radiosender befinden sich auf dem Weg in eine ernsthafte Krise

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Innerhalb eines halben Jahres sind den Hörfunkern weit mehr als eine halbe Million Hörer abhanden gekommen. Das ist zumindest das Kernergebnis der Media-Analyse, die am 8. März veröffentlicht wurde. Für die als „offizielle Währung“ im deutschen Radiomarkt geltende Untersuchung waren im Frühjahr und Herbst des vergangenen Jahres mehr als 58.000 Deutsche telefonisch befragt worden. Grund zum Jubeln gab’s eigentlich nur in Ismaning bei München.

Unter Radiomanagern kursiert eine Faustregel für Umsatzsteigerungen: Pro 10.000 dazu gewonnener Hörer in der Media-Analyse, erhöhen sich die Werbeumsätze im Folgejahr um 1 Million Euro. Für Antenne Bayern hieße das ein Umsatzplus von 15 Millionen Euro – schließlich wurde für den Privatsender in der aktuell veröffentlichten Media-Analyse ein Zugewinn von knapp 150.000 - auf fast eine Million Hörer - in der Durchschnittstunde ausgewiesen.

„Antenne Bayern schlägt alle Rekorde“, freuten sich die Radiomacher aus Ismaning bei München in einer eilig verbreiteten Pressemitteilung und stellten zudem fest, dass „Antenne Bayern seit heute nicht nur Bayerns, sondern Deutschlands meistgehörter Radiosender“ sei.

Mit „Dingsbums“ zum Erfolg

Ganz korrekt ist diese Feststellung nicht – schließlich sind die Daten der jetzt veröffentlichten Media-Analyse zwischen sechs und 12 Monate alt. Und auch die von Antenne Bayern angeführten Gründe für den Erfolg sind zweifelhaft: “Es war der Mut der Mannschaft manchmal andere Wege zu gehen, als die anderen. So haben wir in den letzten Jahren unser Informationsangebot kontinuierlich ausgebaut“, ließ Programmdirektorin Valerie Weber per Pressemitteilung verlauten.

Die von groß angelegten Anzeigen- und Plakatierungskampagnen begleiteten Gewinnaktionen des Senders wie „Dingsbums“, hat die Radiofrau in diesem Zusammenhang lieber verschwiegen. Auffallend ist allerdings, dass Antenne Bayern seine Hörerzahlen kontinuierlich steigert, seitdem Radioberater Rik de Lisle den Hörfunkern aus Ismaning bei München vor knapp zwei Jahren den massiven Einsatz der zumeist dümmlichen Aktionen mit hohen Gewinnversprechen verordnet hatte.

„Losbudenradio“ mit begrenzter Haltbarkeit

Dass diese Art von Losbudenradio nur eine begrenzte Haltbarkeit hat, müssen andere – ebenfalls von de Lisle betreute - Privatprogramme längst registrieren. In den vergangenen zwei Jahren verlor der sächsische Privatsender Radio PSR mehr als ein Drittel seiner Hörerschaft. „Radscho, nee lass ma“, sagen sich offenbar immer mehr Sachsen. Allein im Freistaat sind in dieser Media-Analyse über 50.000 Hörer weniger aufgelistet, als noch ein halbes Jahr zuvor. Bundesweit kamen gar über 550.000 Hörer abhanden.

Vor allem bei den Jüngeren macht sich immer mehr Radiomüdigkeit breit. In der vermeintlich werberelevanten Zielgruppe der 14-49jährigen waren es diesmal allein 489.000 Hörer weniger – das ist innerhalb eines halben Jahres ein Rückgang von 3,9%. Wohl nie zuvor ist die Nutzung eines Mediums in Deutschland in einer vergleichbar kurzen Zeit dermaßen stark gesunken.

Radio befindet sich längst in einer ernsthaften Krise. Das werden demnächst wohl auch Werbeentscheider zunehmend feststellen und gemeinsam mit ehemaligen – vor allem jüngeren - Hörern zu anderen Medien wie dem Internet abwandern. Ob die Faustregel für Umsatzsteigerungen für den „MA-Gewinner“ Antenne Bayern überhaupt noch zutreffen wird, ist offen. Programmdirektorin Weber hauchte dennoch am Mittwoch mehrfach ein „Danke fürs Einschalten“ ins Mikrofon ihres Senders.

Horst Müller ist Professor für Redaktionspraxis im Fachbereich Medien an der Hochschule Mittweida (FH).