Dem Westen Grenzen zeigen

Die Koalition der Zornigen: Damaskus und Teheran

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Der Solidaritätsbesuch des iranischen Präsidenten Ahmadinejad beim syrischen Amtskollegen al-Assad bescheinigte es jüngst aller Welt: Syrien und Iran wollen eine gemeinsame Front gegen die Einflussnahme des Westens auf ihre Politik und die gesamte Region bilden.

Die Kluft zu den zu kurz greifenden, aber gebetsmühlenartig wiederholten Forderungen der USA und ihrer europäischen Verbündeten nach einer Anerkennung Israels und der Eindämmung extremistischer Strömungen hat sich vertieft.

Auftrumpfen in Damaskus

Gewonnen hat hingegen das regionalpolitische Profil al-Assads. Das bis vor kurzem noch abgedrängte syrische Regime hat sich, für den Moment wenigstens, konsolidiert. Entsprechend konnte es sich al-Assad in einer Rede am 21. Januar leisten, die antisyrische Regierung im Libanon als vorübergehend zu belächeln, eine Kooperation mit der UN-Untersuchungskommission zur Ermordung Rafik Hariris in begrenztem, und nicht wie gefordert, in vollem Umfange zuzusichern und die Muslime und Araber zur Verteidigung ihrer Werte aufzurufen.

Von einer Abwendung von islamistischen Hardliner-Gruppierungen kann somit keine Rede sein. "Warum sollte er auch?", kommentiert Udo Steinbach, Direktor des Deutschen Orient-Instituts, gegenüber Telepolis:

Gruppierungen wie Hizbollah und Hamas gehören zur Selbstlegitimation des syrischen Regimes als letztem arabischen Frontstaat zu Israel.

Gerade angesichts des westlichen Drucks liegt es daher kaum im Interesse Syriens, von seiner Rolle als Anwalt der palästinensischen Sache zu lassen - zumal es keinerlei Gegenangebot für den Golan, das eigene, von Israel völkerrechtswidrig annektierte Gebiet erhält. Eine Ausgangssituation, in der ihm nun das für den Westen wirtschaftlich, strategisch und militärisch weit gewichtigere Iran den Rücken stärkt.

Geschichtsträchtige Allianz

Ein Bündnis, das so neu nicht ist. Syriens alawitisches Regime entspringt einer schiitischen Sekte und pflegt daher mit dem schiitischen Iran traditionsgemäß freundschaftliche Beziehungen. Damit kommt Syrien eine Sonderstellung unter den arabischen Nationen zu: Ein Zweig der Schia regiert Sunniten, die mit den gleichfalls sunnitischen Völkern Jordaniens und Palästinas einst Großsyrien bildeten. Vor diesem ethnogeschichtlichen Hintergrund wird klar, dass das Außenseiterregime, wollte es überleben, von Anfang an eine säkulare, panarabische Politik verfechten musste - ganz im Gegensatz zum Panislamismus des Iran.

Den guten Beziehungen tat dies keinen Abbruch, wie bereits der iranisch-irakische Krieg zeigte: Als einziger arabischer Staat schlug sich Syrien auf die Seite des Iran. Die von Iran finanzierte und Syriens langjährige Präsenz im Libanon unterstützende Hizbollah ist ein weiterer gemeinsamer Nenner. Über die religiösen Ansichten der fundamentalistischen Partei sah Damaskus pragmatisch hinweg, zumal die Reislamisierung seit den Achtzigern auch die eigene Gesellschaft einholte und mittlerweile fest im Griff hält.

Das Maß an Pragmatismus, zu dem das Regime fähig ist, sollte jedoch nach keiner Seite unterschätzt werden: Während der Friedensverhandlungen in den neunziger Jahren zeigte sich Damaskus durchaus bereit, seinen langjährigen Verbündeten vorübergehend zu vergessen und sich dem gemeinsamen Erzfeind Israel zu nähern. Doch statt Friedenspotential herrscht erneut - und vielleicht mehr denn je - Eskalationsgefahr. Die Devise "meines Feindes Feind ist mein Freund" ist somit wieder angesagt.

Gespür erforderlich: Schia & Sunni

Auch wenn Jordaniens König Abdullah bereits sorgenvoll einen "schiitischen Halbmond" ausmalt, der vom Iran über den Irak nach Syrien reiche, ist kaum davon auszugehen, dass Syriens Regime nur die schiitische Karte spielen und sunnitische Nachbarn wie Ägypten, Saudi-Arabien oder Jordanien verprellen wird.

Dass es weiterhin sunnitische Gruppierungen im Irak unterstützt und somit das wichtigste Zugeständnis, das ihm die USA abverlangen, nicht macht, ist ein Indiz für seine Verpflichtung gegenüber sunnitischen Sensibilitäten, mit der es sich auch landesinnere Revolten vom Leibe hält. Zugleich trägt es so dazu bei, die USA auf irakischem Boden auf Trab zu halten.

Bush's Geister

Ein kleiner Beitrag - denn dass den USA der Irak zur Hölle wird und die Schiiten derart erstarkt sind, verdanken sich die USA selbst. Mit ihrer Strategie der "Constructive Instability", die hier aushöhlt und dort aufspaltet, treiben sie den Irak wie den Libanon an den Rand des Bürgerkrieges.

Und mehr noch: "indem sie sich als Anstifter und Schiedsrichter veritabler Low-Intensity-Bürgerkriege aufdrängten, setzten sie Zentrifugalkräfte frei, die sie in Zukunft wohl nur schwer unter Kontrolle halten können", schreibt Walid Charara.

Dazu gehört das Schiitentum: Im Irak fordert es mit Erfolg seine ihm jahrzehntelang vorenthaltenen Rechte ein, im Libanon demonstrierte die Hizbollah mit ihrem Aufmarsch im März 2005 eindrucksvoll ihre Präsenz und Stärke, im sunnitischen Saudi-Arabien, in dem schon die Frage nach der Anzahl schiitischer Saudis politischen Zündstoff birgt, fordern immer mehr von ihnen Gleichberechtigung, und im Iran pocht Ahmadinejad auf das eigene Atomprojekt und wird dafür von den schiitischen Minderheiten in Afghanistan, Pakistan und Indien beklatscht - und vom sunnitischen Syrien.

Der muslimische Faktor

Einzig aus Bündnisnot geschieht dies sicherlich nicht. Gerade die um ihre Pfründe besorgten arabischen Diktatoren können sich nicht über die massiv gewachsene Abneigung ihrer Bevölkerungen gegenüber dem Westen und dessen Protegé Israel hinwegsetzen. Aber sie können sie verstärkt instrumentalisieren, wie jüngst beim Übergriff auf die nordischen Botschaften in Damaskus geschehen.

Bedenkenswert auch das Interview, das Hizbollah-Chef Scheich Hassan Nasrallah kürzlich der saudischen Tageszeitung Al-Hayat gab. Auf die Frage, ob er Ahmadinejads Strategie als provokant empfände, antwortete er: "Nur im Hinblick auf das Thema Israel". Doch habe der iranische Präsident "lediglich ausgesprochen, was in den Herzen und Köpfen von 1,4 Milliarden Muslimen" stecke.

Aus dem Mund des Strategen Nasrallah, der auch von Nichtschiiten respektiert wird, ist das kein Nebensatz. Ahmadinejads Konfrontationskurs könnte daher von einer muslimischen Solidaritätswelle getragen werden, die im Falle weiterer überhasteter, realitätsferner westlicher Initiativen, ungeahnte Ausmaße annehmen könnte.

Allein schon unter diesem Aspekt fragt sich, ob der jüngste Schulterschluss Damaskus-Teheran tatsächlich als "Achse der Isolierten" zu werten ist. Eine "Achse", die sich nicht nur durch die Hizbollah im Libanon verlängert, sondern mittlerweile auch durch die - sunnitische - Hamas in Palästina.