Zwei Jahre ohne Aufklärung der Madrider Anschläge

Spanien: Die Untersuchungskommission war eine Farce und nicht einmal Anklagen wurden bisher erhoben

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Weiterhin ist keine Aufklärung über die Anschläge vom 11. März 2004 in der spanischen Hauptstadt in Sicht. Die Untersuchungskommission war eine Farce und nicht einmal Anklagen wurden bisher erhoben, der Ermittlungsrichter läuft Gefahr, Angeklagte frei lassen zu müssen, wenn sie die Höchstzeit für die Untersuchungshaft überschreiten. Das ist bei einigen geschehen, die in Spanien die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA vorbereitet haben sollen. Vor dem Berufungsprozess fordert der Staatsanwalt ohnehin Freisprüche und Strafreduzierungen wegen „fehlender Beweise“.

Vor zwei Jahren legten islamische Fundamentalisten insgesamt 13 Bomben vier Vorortzügen in Madrid. Sie töteten 191 Menschen und verletzten weitere 1500 Personen zum Teil schwer (vgl. Blutiger Wahlkampf in Spanien). An diesem zweiten Jahrestag fällt das Gedenken deutlich bescheidener aus als vor einem Jahr. Viele Opfer werden aber erneut nicht am Trauerakt im „Wald der Abwesenden“ oder an der Kranzniederlegung an der Puerta del Sol teilnehmen. Letztes Jahr hatten sich die große "Vereinigung 11-M" wegen ihrer Kritik an der Aufklärung und der versuchten Instrumentalisierung der Opfer geweigert, am offiziell verordneten Gedenken teilzunehmen (vgl. Ein Jahr ohne Aufklärung).

Nichts ist in Madrid vom Brimborium zu spüren, mit dem der 1. Jahrestag begangen wurde, der mit dem "Internationalen Gipfel über Demokratie, Terrorismus und Sicherheit" geschmückt worden war. Mit ihren hochgesteckten Zielen waren 200 „Terrorismusexperten“ und Staats- und Regierungschef unter der Leitung von UNO-Generalsekretär Kofi Annan ohnehin gescheitert. Eine „Agenda von Madrid“, um „weltweit“ eine „gemeinsame Strategie“ gegen alle „Formen des Terrorismus“ vorzugehen, gibt es nicht. Nicht einmal ein gemeinsame Definition dafür, was Terrorismus ist, wurde erarbeitet (vgl. Warnung vor Aushöhlung elementarer Rechte).

Wie vor einem Jahr äußern die Opfer deutliche Kritik. Letztes Jahr hatten sie das Ende der peinlichen Untersuchsuchungskommission begrüßt, die mehr vernebelt als aufgeklärt hat (vgl. Schauspiel einer Aufklärungskommission). Doch ihre die Forderung, die Anschläge unabhängig zu untersuchen, ist ein weiteres Jahr ungehört verhallt. Gerade hat die Präsidentin Pilar Manjón juristische Schritte gegen den Ermittlungsrichter Juan del Olmo angekündigt, weil er dem großen Verband die Teilnahme am Prozess als Nebenkläger verweigern will.

Der seltsame Richter Del Olmo

Wie Manjón hat er weitere 112 Angehörige aufgefordert, innerhalb 72 Stunden zu beweisen, dass sie von den Anschlägen betroffen wurden. Doch wer weiß das besser als Del Olmo? „Damit beleidigt der Richter die Würde der Opfer“, sagte Manjón. Es handele sich um ein Vorgehen, „das mit einer politischen Partei verbunden ist“ und meinte die ultrakonservative Volkspartei (PP). Die Aktivitäten des Richters müssten reichen, damit „Spanien umkehrt und sich fragt, welche Justiz wir haben“. Der Richter wollte die Vereinigung 11-M zuvor unter der Kontrolle der AVT zwingen, die er als Nebenklägerin akzeptiert.

Doch in der AVT, die von der PP kontrollierten wird, sind nur wenige 11. März-Opfer organisiert. Del Olmo wurde unter der PP-Regierung exklusiv mit den Ermittlungen betraut, und behandelt die AVT stets bevorzugt (vgl. Galizien entscheidet über baskischen Friedensprozess). Immer mehr Regionalgliederungen spalten sich von ihr ab, weil die mehr Front gegen die sozialistische Regierung macht, als sich um die Nöte der Opfer zu kümmern. Zu erinnern ist, dass die PP abgewählt wurde, weil sie die Bevölkerung massiv belogen hat und gegen besseres Wissen die Anschläge der baskischen ETA zuschrieb (vgl. Lügen haben kurze Beine, auch in Spanien).

Der Ex-Ministerpräsident José María Aznar behauptet weiter, die Sozialisten (PSOE) hätten sie missbraucht, um die Wahlen zu gewinnen. Gegen Aznar wird nun ermittelt, weil er nach seiner Abwahl Akten des Geheimdienstes (CNI) mitgehen haben lasse. Bekannt ist, dass vor der Machtübergabe reichlich Daten und Sicherheitskopien zu diversen Vorgängen einer Löschaktion zum Opfer fielen (vgl. Neue Havarie mit alten Bekannten).

Del Olmo will die Kritiker aus dem Prozess heraushalten und ihnen den Zugang zu den Akten erschweren. Manjón fragte, warum es der Richter, der ohne Begründungen zu liefern auch schnell mal eine Zeitung schließt (vgl. Baskische Journalisten gefoltert) bisher keine Anklage erhoben hat, obwohl er seit zwei Jahren nur mit dem Thema beschäftigt ist. Sie fürchtet, mutmaßliche Täter könnten frei kommen, wenn die Höchstzeit für Untersuchungshaft abläuft.

Del Olmos auffälliges Verhalten ist nicht neu. Schon der Untersuchungskommission verweigerte er Zugang zu Ermittlungsakten. Statt einen Nationalpolizisten zu verhaften, der in den Bombenbau verwickelt ist (vgl. "Das Absurdeste des Absurden"), versuchte er erfolglos die Tageszeitung El Mundo mundtot zu machen, die aus seinen Akten darüber berichtete (vgl. Nationaler Gerichtshof geht gegen große spanische Zeitung vor).

Die Spitzel der Nationalpartei

Doch das ist nur ein kleiner Teil der Verwicklungen der Sicherheitskräfte in die Anschläge. Seit langem ist bekannt, dass es ohne die Spitzel der Nationalpolizei, die den Sprengstoff besorgt und über einen Spitzel der Guardia Civil (vgl. Von Spitzeln, Terroristen und dem schweren Geschäft der Aufklärung) an die Islamisten lieferten, die Anschläge nicht gegeben hätte. Der Geheimdienst CNI hatte Kontakte bis in den direkten Kreis der Attentäter (vgl. Dubiose Verbindungen) und die Polizei kontrollierte Chefs der Madrider Anschläge (vgl. "Polizei kontrollierte Chefs der Madrider Anschläge“) über den Spitzel Cartagena. Gerade wurde bekannt, dass der ausgerechnet dann abgezogen wurde, als er informierte, es würden „Märtyrer“ für Anschläge in Madrid angeworben.

Trotz dieses Wissens exkulpierte Del Olmo die Sicherheitskräfte frühzeitig und behauptete, sie wären den Spitzeln nicht informiert worden. Dabei hatte er die zu diesem Zeitpunkt nicht einmal vernommen. (vgl. Spanische Untersuchungen). Dabei hatte die Guardia Civil längst Kenntnis über die Sprengstoffdeals aus anderer Quelle (vgl. Von Spitzeln, Terroristen und dem schweren Geschäft der Aufklärung) und ihr Spitzel Rafa Zouhier hatte für sie sogar Proben des verwendeten Industriedynamits Goma-2 Eco besorgt.

Gegen ihn und acht weitere Personen hat Del Olmo gerade die Untersuchungshaft um zwei Jahre verlängert. Bei der Vernehmung dementiert Zouhier erneut, mit den Attentätern paktiert zu haben (vgl. Auch in Spanien tagt eine Untersuchungskommission). Die einzige bewaffnete Bande mit der er kollaboriert habe, sei die Guardia Civil gewesen. Doch Del Olmo muss Zouhier anklagen, weil er sonst gegen die Sicherheitskräfte ermitteln müsste

Er hat nun Frist bis zum 10. April gesetzt bekommen, um Anklage zu erheben. Bisher beschuldigt er 116 Personen, von denen nur 25 im Knast sind. Mit Bezug auf Quellen im Nationalen Gerichtshof, spricht die aus dem Sondergericht gut informierte Zeitung El País davon, es werde Anklage gegen 30-40 Personen erhoben.

Freisprüche

In zwei Jahren müssen rechtskräftige Urteile stehen, sonst geschieht das, was im Al-Qaida Verfahren (vgl. Zweifelhaftes Urteil im Al-Qaida-Prozess in Madrid) gerade passierte. Mitte Februar mussten zwei Personen frei gelassen werden, die zuvor zu knapp neun Jahren Haft verurteilt worden waren, weil sie die Anschläge am 11. September in den USA aus Spanien vorbereitet hätten. Die Urteile waren nicht rechtskräftig und die Staatsanwaltschaft versäumte es, sich innerhalb von zwei Wochen zu deren Einspruch zu äußern. Mohamed Needl Acaid und Mohamed Zahier Asade wurden frei gelassen, bevor sie die Höchstdauer von vier Jahren U-Haft überschritten.

Wahrscheinlich glaubt die Staatsanwaltschaft auch nicht daran, dass die beiden wieder ins Gefängnis müssen. Die Anklage bröckelt vor dem Berufungsverfahren weiter ab. Hatte das Ministerium für Staatsanwaltschaft einst für drei Hauptangeklagte jeweils 74.337 Jahre Haft wegen Mord an 2973 Personen gefordert, waren es im Urteil zwischen 27 und 6 Jahre Haft, meist mit Unterstützung einer terroristischen Vereinigung begründet. Sechs Personen wurden frei gesprochen, davon einer der Hauptangeklagten.

Nun fordert die Staatsanwaltschaft am Obersten Gerichtshof weitere Freisprüche und Strafreduzierungen. Für Eddin Barakat Yarkas, zu 27 Jahren verurteilt, soll die windige Anklage einer „Konspiration zum Mord“ fallen und er soll nur 12 Jahre hinter Gitter, weil er Führer einer terroristischen Bande sei. Es gäbe auch „keine Beweise“ dafür, dass Saik Merizak und Adbulaziz Beniaich zum heiligen Krieg in Tschetschenien waren, weshalb auch sie frei kommen sollen.

Das Urteil gegen den Starreporter des arabischen TV-Senders al-Dschasira

An dem Urteil gegen den Starreporter des arabischen TV-Senders al-Dschasira soll nicht gerüttelt werden. Taisir Aluni wurde zu sieben Jahre Haft verurteilt, weil er Al-Qaida unterstützt habe. Das Urteil hatten die Reporter ohne Grenzen (RSF) kritisiert, weil als Beweiselement das Interview Alunis mit Osama Bin Laden angeführt wurde. Das hätte nie als „Anklageelement benutzt werden dürfen“. Was sich hier abspielt, hat wiederum Auswirkungen auf den Prozess zu den Madrider Anschlägen. Denn bei Inhaftierten wie Jamal Zougam, wird gern für die Inhaftierung auf die Bekanntschaft mit Barakat verwiesen (vgl. Madrid: Die Spur führt nach Tanger).