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Mit "Nanoloop" Musik auf dem Gameboy produzieren

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Da glänzt die neue Spielekonsole mit aufwändiger 3D Grafik und blankpoliertem 16:9 Display. Und das Beste ist, man kann sie fast überall mit hinnehmen. Und was haben Sie mit der alten gemacht? Hoffentlich nicht verschenkt oder gar bei Ebay versteigert. Wenn doch, dann haben Sie vielleicht endgültig die Change verpasst, ein großer Star im Musik-Business zu werden. Denn in Ihrem alten Spielgefährten, vornehmlich in den tragbaren Varianten von Nintendo, schlummert vielleicht eine innovative Beatsequence für Madonnas nächstes Album oder zumindest für den trendigen Shampoo-Werbespot vor der Tagesschau.

Die Rede ist von Nanoloop, einem hoffentlich nicht durch die auf Musikapplikationen besonders aufmerksame Mobilfunkbranche abmahngefährdeten Sequencer-Modul für die mittlerweise recht große Gameboy Familie. Wahlweise mit der Versionsnummer 1.3, für die älteren Gameboy Varianten, inklusive dem Advance SP und 2.0 für alle neueren Gameboys inklusive dem Gameboy Micro und dem Nintendo DS mit Touchscreen.

Nanoloop-Module (Bild: Ramon Wartala)

Allen Varianten ist die minimalistische, grafische Bedieneroberfläche gemein, die gänzlich ohne Beschreibung auskommt. Diese Tatsache macht vor allen Dingen dann Sinn, wenn man einen globalen Markt für den Absatz dieses Moduls im Auge hat. Und den hat Oliver Wittchow aus Hamburg, der dieses kleine Wunderwerk in Software gegossen, auf Chips gebrannt und in Module verpackt hat, auf dass sie dem kleinen Gameboy die hippsten 8-Bit-Sounds entlocken mögen. Aufgebaut ist Nanoloop als sogenannter Stepsequencer, der Loops aus 16 1/16-Noten abspielt, während man diese mit den Feuer- und Steuerknöpfen des Gameboy in ihrer Höhe, in ihrem Volumen und diversen anderen Parametern editieren kann.

So weit so kompliziert, möchte man meinen. Im Gegenteil! Aufgebaut ist die Benutzeroberfläche von Nanoloop in unterschiedliche Ansichten. Nachdem das Modul in den dafür vorgesehenen Schacht eingesteckt und die Software in den Hauptspeicher des Games Boys geladen ist, wird als Eingangsbildschirm der sogenannte Single Channel View dargestellt.

Auf ihm werden die ersten 16 Noten als kleine graue Kästen einer 4 x 4-Matrix dargestellt. Acht dieser 4 x 4-Matrizen lassen sich mit Hilfe des Steuerkreuzes und einiger Tastenkombinationen, die das 25-seitige Minihandbuch ausführlich erklärt, mit Leben bzw. Klang füllen. Jedes Kästchen kann dabei allgemeine Parameter wie Lautstärke, Tonhöhe und -länge und das eigentlichen Instrument aufnehmen. Oder eben sie bleiben leer und damit stumm. Sounds können über 13 Parameter "erzeugt" werden. Dabei reicht die Bandbreite von einfachen Synthesizer- bis zu Zisch- und Xylophonklängen. Schnell ist die erste Loop erstellt und die Beschränktheit des Soundgenerators tritt ganz in den piepsenden Hintergund der ersten Eigenkreation. Wenige Noten und Spuren reichen bereits aus um mit der ersten Loop herumzuexperimentieren.

Richtig Spaß macht dabei auch der "Live"-Modus von Nanoloop, der das eingegebene Notenmuster per Zufall auf der 4 x 4-Matrix anordnet oder die Instrumenten-Parameter variiert. Die so erstellten Loops oder auch Patterns können zu Spuren zusammengestellt werden. Spuren mit jeweils 7 Patterns können zu einem Song vereinigt werden. Ganze 16 Songs, oder auch 128 Spuren lassen sich mit Namen versehen und im Modulspeicher von Nanoloop 2.0 ablegen (Beispiel).

Doch damit sind die Möglichkeiten dieses Musikspielzeugs noch längst nicht ausgereizt. Die in Nanoloop erstellen Songs können natürlich auch auf den heimischen Computer überspielt werden, um dann zum Beispiel als MP3 ihren Weg ins weltweite Datennetz zu finden. Dazu wird jedoch ein Kabel benötigt, welches den Gameboy-Line-Out mit dem Line-In-Eingang des Computers verbindet. Aufnahme, Verfremdung und Konvertierung in ein passendes Format kann unter Windows zum Beispiel das frei erhältliche Audacity erledigen. Darüber hinaus gibt es auch noch das passende MIDI-Kabel, um die Daten an MIDI-fähigen Geräten abspielen lassen zu können.

Alles Spielkram? Wer dies meint, sollte einen kleinen Ausflug in die Welt der Nanolooper-Community wagen. Dort findet man auch Hinweise auf erstellte MP3-Dateien, welche zumeist auf http://music.gameboymall.com/ gehostet werden. Im Gameboy-Musicclub haben sich Interessierte Musikerinnen und Musiker gar eine eigene Plattform geschaffen und mit "Hot Gameboy Music" eine komplette CD produziert (Beispielsong von der CD). welche beim Label Plag Dich Nicht erschienen ist.

Oliver Wittchow vertreibt Nanoloop in Eigenregie über seinen Online-Shop. Kurz vor dem Relaunch der neuen Version konnte Telepolis mit dem Entwickler ein Interview führen:

Wie kamen Sie auf die Idee, der verspielten Gameboy-Gemeinde Nanoloop zu schenken?

Oliver Wittchow: Es war zunächst eigentlich nur ein Bastel- und Design-Experiment im Rahmen des Kunsthochschulstudiums. Die ursprüngliche Idee, den Gameboy zu programmieren, kam außerdem von einem Freund. Er konnte von seiner C64-Zeit her schon BASIC und hat mir dann die Grundlagen auf dem Gameboy beigebracht. Ein Soundprogramm war für uns beide das Naheliegendste, weil wir mit der damaligen (Ende 1997) Soft- und Hardware zur Musikerzeugung nicht so glücklich waren.

Nachdem er einen kleinen Sequencer und ich einen einfachen Synthesizer geschrieben hatte, hatte er dann kein Interesse mehr. Ich dagegen war so begeistert, dass ich mich entschloss, richtig programmieren zu lernen.

Als ich dann zum ersten Mal vor Publikum damit musiziert habe (Frühjahr 1998, im Liquid Sky-Club in Köln), waren die Reaktionen derart euphorisch, dass ich beschloss, es weiter zu entwickeln und auf Cartridges zu vertreiben ("Schenken" ist vielleicht nicht ganz passend, es ist ja nicht gerade billig).

Ist Nanoloops ein deutsches Phänomen oder verkaufen Sie Nanoloops weltweit?

Oliver Wittchow: Das erste halbe Jahr (1999) habe ich es nur in Deutschland verkauft, dann aber bald in die ganze Welt. Seither gingen die Nanoloops etwa zur Hälfte in die USA und je zu einem Viertel nach Mitteleuropa und Japan. Seit etwa zwei Jahren allerdings geht über die Hälfte nach Japan und je ein Viertel landet in USA und EU.

Vor einiger Zeit war zu lesen, dass Sie vorhatten, Nanoloops auf Handys zu portieren. Was ist aus diesem Projekt geworden?

Oliver Wittchow: Als die ersten Java-Handys mit FM-Soundchip in Japan rauskamen, dachte ich man könnte dafür auch einen Sequencer programmieren – was aber leider nicht möglich ist (Java-Handys können Töne nicht kontinuierlich und gepuffert abspielen).

Inzwischen gibt es ein paar Smartphones, mit denen das ginge und ich habe auch vor Jahren schon einen Prototypen programmiert. Aber mit einem Handy lässt sich aufgrund der Einhand-Bedienung und oft mangelhafter Ergonomie nicht annähernd so bequem und schnell arbeiten wie mit einem Gameboy. Deshalb habe ich mit Automation und Zufallsfunktionen gearbeitet und die Darstellung/Bedienung entsprechend verändert. Das Resultat ist ein Programm, mit dem man spielerisch Minimal-House erzeugen kann. Das ist zwar nicht mehr Nanoloop, aber auch ganz unterhaltsam.

Bis heute gibt es relativ wenige audio-fähige Smartphones (z.B. SDA und neuere Nokias mit Symbian), und deren Nutzer interssieren sich wahrscheinlich meist nicht so für Minimal-Techno, deshalb habe ich die Entwicklung erstmal eingestellt.

Sollten Mario-geplagte Eltern lieber Ihr Modul den lieben Kleinen schenken?

Oliver Wittchow: Obwohl nicht für Kinder entwickelt, wird Nanoloop durchaus auch von Kindern benutzt – und vereinzelt sogar im Kindergarten eingesetzt. Manche Kinder neigen allerdings dazu, es als ein Spiel aufzufassen, bei dem man nur möglichst viele und möglichst laute Töne machen muss. Ob Eltern sich das Gedudel antun wollen, weiß ich nicht, aber kreativer als Spiele daddeln ist es allemal.

Wenn nicht Kinder, welche Zielgruppe haben Sie dann mit Nanoloops im Auge?

Oliver Wittchow: Es gibt keine Zielgruppe in dem Sinne; ich habe Nanoloop nach meinen Vorstellungen entwickelt und wer damit etwas anfangen kann, benutzt es halt. Man kann grob zwischen den ernsthafteren und den spielerischen Nutzern unterscheiden: Erstere sind mit Computermusik vertraut und haben recht präzise Vorstellungen und Ansprüche, letztere kommen aus anderen Bereichen, spielen z.B. in einer Band oder sind Künstler. Viele finden durch Nanoloop ihren ersten Zugang zur elektronischen Musik und gehen dementsprechend unvoreingenommen an die Sache heran.

Ich finde diesen "sozialen" Aspekt inzwischen den interessantesten: Dass Leute elektronische Musik machen, die sonst nicht auf die Idee kommen würden. In Wien gibt es z.B. seit Jahren einen Gameboy-Musicclub, wo sich einmal im Monat Leute treffen, um füreinander oder auch gemeinsam Gameboy-Musik zu machen. Neben dem inzwischen wohlbekannten 8-Bit / Chiptune Stil gibt es da sehr eigenwillige Performances, oft auch in Verbindung mit Gesang und analogen Instrumenten.

Was sind Ihre Lieblings Bands?

Oliver Wittchow: Das letzte Konzert, das ich besucht habe, war Moodymann in Düsseldorf.

Mein Vater wollte unbedingt, dass ich Keyboard spielen lerne. Haben Sie auch ein Musikinstrument zu spielen gelernt – und wenn ja, welches?

Oliver Wittchow: Ich habe ein Jahr lang Querflöte gelernt, und in der Schule hatte ich Gitarre als Wahlfach.

Gibt es Musiker, die mit Nanoloops kommerzielle Songs produzieren?

Oliver Wittchow: Ja, es gab mehrere Nanoloop-only-Releases und zahlreiche Produktionen, für die Nanoloop verwendet wurde.

Am bekanntesten ist wohl der Nanoloop 1.0-Sampler mit agf/dlay (Antye Greie-Fuchs/Vladislav Delay), Dat Politics, Merzbow, Felix Kubin, Hrvatski, Pyrolator, Blectum from Blechdom, Pita, Scratch Pet Land, asciii, Stock, Hausen & Walkman, Bruno & Michel are smiling und Ostinato.

Auch der Wiener Gameboy-Musicclub hat einen Sampler herausgebracht, auf dem einige Nanoloop-Tracks sind. Und demnächst folgt noch eine 8-Bit-Kraftwerk-Compilation, an der ich auch persönlich mitgewirkt habe.