Wenn ein Virus den DVD-Spieler lahm legt

Neue Kopierschutzsysteme bringen mehr Unsicherheit

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Immer hysterischer reagieren Film- und Musikindustrie auf die vermeintliche Gefahr durch die Privatkopie. Kopiert wurde aber, seit es Tonbandgeräte und Videorekorder gibt – Platten und Filme wurden trotzdem verkauft. Doch mit dem Verkaufen könnte es bald vorbei sein – aus Angst vor den Kopierschutzschikanen, die mit HDTV, Blue-Ray-Disc und HD-DVD auf die geplagten Kunden zukommen und diese überfordern.

Wenn ein Auto gestohlen wird, so ist dies für den Besitzer sehr kostspielig, denn gestohlene Fahrzeuge werden zwar durchaus häufig wieder gefunden, doch dann in nicht mehr brauchbarem Zustand. Den Schaden ersetzt zwar die Versicherung, doch nur den Zeitwert des Fahrzeugs; davon lässt sich kein neues kaufen. Es bleibt also auf jeden Fall eine finanzielle Belastung und niemand freut sich, wenn sein Auto geklaut oder angezündet wird. Für den Hersteller ist es allerdings kein Schaden, denn er kann nun ein neues Auto verkaufen.

Diebstahlschutz für Autos gibt es deshalb auch erst seit wenigen Jahren serienmäßig – auf Wunsch der Versicherungen. Zuvor waren Autoschlösser dagegen oft so schlecht, dass man ältere Vehikel notfalls auch mit einem Fahrradschlüssel aufsperren konnte – und moderne Fahrzeuge auf jeden Fall mit einem Schlüssel des gleichen Modells. So kam es gar nicht so selten vor, dass man jemanden spätabends nur schnell zur Bahn brachte und danach im Durcheinander vor dem Bahnhof in den falschen Wagen einstieg, mitunter sogar losfuhr und den Irrtum erst entsetzt bemerkte, weil im Radio ein anderer Sender eingestellt war. Ebenso sind die Autoverwechslungen auf Firmen-Großparkplätzen wie bei Siemens Legende. An sich lachhaft, wo es für Wohnungstüren seit Jahrzehnten Schlösser gibt, bei denen die Nachbarskinder mit ihrem Schlüssel kein Glück haben.

Eine CD oder DVD ist wesentlich weniger wert als ein Auto: Man bekommt sie in eine mehr oder weniger interessante Zeitschrift eingewickelt schon für unter zwei Euro und auch ohne Zeitschrift ab zehn Euro. Der Materialwert liegt sogar deutlich unter einem Euro. Sie wird auch relativ selten gestohlen, außer aus Autos, sondern eher noch guten Freunden mit demselben Geschmack kopiert. Dabei wird niemand geschädigt, weil der so Beschenkte sich die entsprechenden Schreiben selbst nie gekauft hätte, doch glaubt der Hersteller, so weniger CDs oder DVDs verkaufen zu können. Dies gilt sinngemäß auch für diejenigen, die sich selbst beschenken, indem sie Schätzchen aus den Sammlungen der reicheren Freunde kopieren.

DVD-Kopieren – das ultimative Verbrechen?

Trotzdem schlägt hier die Gesetzgebung wesentlich härter zu: das Urheberrechtsgesetz wurde im September 2003 extra um Paragraphen ergänzt, die das Umgehen von Kopierschutz-Maßnahmen unter Strafe stellen, wobei es egal ist, warum dies geschieht – beispielsweise, um die gekaufte Aufnahme überhaupt abspielen zu können. Gewerbsmäßigen Piraten bereitet weder das Gesetz noch die Technik normalerweise großes Kopfzerbrechen, nur der normale Kunde muss sich mit nicht funktionierenden oder gar Trojaner installiernden CDs oder aus dem Urlaub mitgebrachten DVDs, die in seinem heimischen DVD-Spieler nicht laufen oder ihn gar durch Umstellen eines Regionalcodes für hiesige Ware unbrauchbar machen, herumplagen. Manche DVD-Laufwerke sollen infolge Kopierschutz-Lesefehlern sogar durchbrennen. Der Kunde stört mittlerweile schlichtweg, die Branche wäre ihn gerne los.

Mit jedem technischen Fortschritt wird dabei die Gängelung der Käufer weiter verschärft: War die Audio-CD ursprünglich ein offenes, genormtes Medium, das auf allen dafür bestimmten Geräten ohne Probleme laufen sollte, so machte die DVD mit dem Kopierschutz-System CSS (Content Scrambling System) und den Regionalcode-Schikanen bereits mehr Probleme. Auf regulären Geräten führte ein gemischter Bestand von amerikanischen und europäischen DVDs zur Blockade und auf Linux-Computern war nicht einmal das Ansehen ordnungsgemäß vor Ort erworbener Filme möglich: Der sogenannte Kopierschutz erwies sich wieder einmal als Abspielschutz.

Obwohl diese Probleme schnell aus der Weg geräumt werden konnten und dem DVD-Absatz bis heute keinen Abbruch taten – im Gegenteil, so mancher griff erst zu, als es regionalcodefreie Abspielgeräte gab –, war die Filmindustrie beleidigt und will nun sicher sein, dass die Schikanen bei den zukünftigen, höher auflösenden Formaten Blue-Ray-Disc und HD-DVD ebenso wie beim hochauflösenden Fernsehen HDTV nicht zu umgehen sind. Dies führt beim neuen, superscharfen Fernsehen dazu, dass der Trottel von Käufer, der bereits frühzeitig fünfstellige Euro-Summen für seine Anlage ausgegeben hat, vor einem schwarzen Bildschirm sitzt und selbst der, der brav jedes Jahr der jeweiligen Normung entsprechend einen neuen Fernseher kauft, nie sicher sein kann, ob diese wirklich auch mit seinen restlichen Komponenten zusammen spielt.

AACS: Das Grauen kommt in Stufen

Mit den hochauflösenden DVD-Nachfolgern Blue-Ray-Disc oder HD-DVD werden die Kunden nicht von Anfang an schikaniert: Einige Jahre lang dürfen auch Bildschirme mit Analog-Eingang noch ein Bild zeigen. Ein Grund dürfte allerdings sein, dass er viele schlichtweg noch keine die Träume der Fimbranche erfüllenden Computerbildschirme am Markt gibt; aus Steuergründen (Importzoll: Der EU-Röhrenmonitorgroschen kommt) werden die meisten LCD-Bildschirme zudem auch heute noch mit dem technisch weit aufwendigeren VGA-Analog-Eingang ausgerüstet statt mit DVI, und Computerbildschirme mit dem Kopierschutzsystem HDCP gibt es noch gar nicht am Markt. Deshalb werden hier die alten Bildschirme erst nach und nach schwarz geschaltet. Und alles klingt deutlich harmloser als beim bereits jetzt mit voller Härte vor dem Ansehen mit alter (= mehr als 1 Jahr) Hardware geschützten Live-Fernsehen.

Doch die Tücke liegt im Detail. So wie CDs mittlerweile mit Trojaner-Software ausgerüstet werden, die die Computer des Käufers sabotiert, so werden auch Blue-Ray-Disc und HD-DVD mit Dingen bespielt sein, die der Kunde eigentlich nicht bestellt hat: da die Experten mittlerweile davon ausgehen, dass jeder Kopierschutz irgendwann geknackt wird, wollen sie kompromittierte Datenträger und Geräte schlichtweg abschalten beziehungsweise die geknackten Codes auf dem Verkehr ziehen, indem eine entsprechende Liste über das Internet nachgeladen wird.

Bei DVD-Spielern fürs Wohnzimmer, die gar keinen Internetanschluss haben, werden diese Listen über die eingelegten Medien nachgeladen: wer sich eine neue Scheibe kauft und in sein Gerät schiebt, füttert dieses, bevor auch nur das erste Pixel des Filmbilds erscheint, mit einem Update. Wenn er Pech hat, stellt er anschließend fest, dass seine älteren Scheiben nicht mehr laufen oder gar das ganze Gerät scheinbar den Geist aufgegeben hat.

Totalschaden nach Update?

Wenn Hacker also bestimmte Geräte oder Aufnahmen geknackt haben sollten, zahlen anschließend die ehrlichen Käufer den Preis dafür. Noch gar nicht abzusehen ist, was passiert, wenn sich die Konzerne massiv zerstreiten und Sony beispielsweise gegen Matsushita schießt, indem Sony BMG auf ihre Scheiben eine Liste brennen lässt, die alle Panasonic-Spieler abschaltet. Oder wenn sich Hacker in die Kommunikation der Computer mit der Filmindustrie über das Internet einschalten und einfach mal alle bekannten Blue-Ray-Disc- oder HD-DVD-Laufwerke abschalten lassen.

Sicher wird es früher oder später auch Scheiben geben, die man seinem ärgsten Feind schenkt und die nach dem Einlegen ins Gerät dieses mit einem Update der Liste verbotener Geräte abschalten, die schlichtweg alle bislang gebauten Geräte und Schlüssel enthält.

Man spricht konkret von „erneuerbarem Kopierschutz“, jede Scheibe, die man in das Abspielgerät einlegt, aktualisiert dort die Liste verbotener Schlüssel und erneuert außerdem die eingespielte Kopierschutz-Software. Auch hier könnten Hacker in kürzester Zeit beliebig viel Chaos anstellen, wenn sie eine Software einspielen, die unerwartete Funktion auslöst oder eben das Gerät abschaltet. Und natürlich muss es dazu gar keine „Hacker“ geben; vielmehr schaffen die Hersteller von Virenschutzprogrammen es immer wieder selbst, ihre Systeme über ihre eigenen Updates lahmzulegen.

Strom weg? Spieler kaputt!

Edward Felten, der sich schon mit der Unwirksamkeit von CSS und der Widerrechtlichkeit anderer Kopierschutzsysteme wie SDMI (Zwischen den Zeilen) beschäftigt hat und für Vorlesungen über diese Systeme mit Strafverfolgung bedroht wurde, sieht in einem Interview im letzten New Scientist im neuen Kopierschutzsystem AACS (Advanced Access Content System) zwar durchaus ein gutes technisches Design, geht jedoch davon aus, dass auch dieses System von Profis umgangen werden kann. Dafür wird der normale Konsument mit immer komplizierteren Systemen belästigt, die auch ohne absichtliche Sabotage den Dienst versagen können, beispielsweise bei einem Stromausfall kurz nach Einlegen der hochauflösenden Scheibe, so dass das Gerät mitten im Flashvorgang der Firmware stromlos wird. Danach ist es ein Fall für die Garantie, solange dieser noch besteht. Bei älteren Geräten darf der Käufer selbst dafür zahlen, dass diese wieder in einen funktionsfähigen Zustand versetzt werden.

Die Techniken hinter AACS werden im Gegensatz zu älteren Systemen geheim gehalten und selbst der Grund, warum dies so ist, wollte die Branche dem New Scientist nicht verraten. Seth Schoen von der EFF prophezeit deshalb, dass der Käufer solcher Geräte mit zwei Arten von Problemen zu kämpfen haben wird: einerseits, dass ein Missgeschick wie ein Stromausfall im falschen Moment den teuren hochauflösenden DVD-Spieler lahm legt; andererseits aber auch, dass die Filmfirmen mit voller Absicht per Update das Gerät um Funktionen berauben, die es beim Kauf noch hatte und auf die der Käufer gebaut hatte, wie eben die Ausgabe analoger Signale oder beispielsweise auch die Anzeige von Standbildern.

Ein alternatives System zu AACS, Self-Protecting Digital Content (SPDC), war ursprünglich auch für die Blue-Ray-Disc vorgesehen und hätte bei korrumpierten Schlüssel eine Meldung angezeigt, dass der Gerätebesitzer eine Vertretung des Filmstudios anrufen solle, um diesem darzulegen, dass er ein Problem hat. Hier wurde davon ausgegangen, dass Piraten nicht die Nerven haben werden, das Filmstudio anzurufen, wenn sie Probleme haben, der normale Käufer aber schon, was zugegeben auch eine ziemlich optimistische Einstellung ist. AACS schaltet dagegen ohne weitere Diskussion das Gerät ab. Und auch alternative Systeme für hochauflösende DVDs sind nicht weniger problematisch.

Verglichen mit dem Beispiel am Anfang bedeutet dies, dass das Auto nicht nur ab Werk eine Wegfahrsperre hat, sondern nach einem Besuch in der Waschanlage, bei dem die Wagenelektronik unbemerkt automatisch upgedated wurde, plötzlich auch nicht mehr startet, wenn am Radio nicht der richtige Sender eingestellt ist, der Wagen im Rotlichtviertel geparkt wurde oder sich noch Benzin im Tank befindet, das älter als vier Wochen ist. Bei einem Auto würde so etwas niemand akzeptieren. Warum sollte man es bei DVD-Spielern tun?