CONPLAN 8022

Ein globaler Angriffsplan der USA, der auch den Einsatz von Nuklearwaffen vorsieht, ist in Kraft getreten - mit möglichen Auswirkungen auf den Iran

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Der Angriffsplan enthält eine konventionelle und eine Cyberwar-Komponente, aber auch eine nukleare. CONPLAN 8022 wäre im Fall einer möglicherweise bevorstehenden Intervention der USA eines der wichtigsten militärischen Planungsdokumente. Soeben erschien eine neue Studie der Federation of American Scientists (FAS), in der die bisher bekannten Fakten hierzu nochmals zusammen gefasst und gebündelt werden.

Unmittelbar nach 9/11 zirkulierten unter Washingtons politischen Eliten Gerüchte über einen nuklearen Vergeltungsschlag. Nur, gegen wen? Man hatte weder eine Zielliste, noch einen klar erkennbaren Gegner, noch eine Medienstrategie zur Legitimation und auch keinen militärischen Einsatzplan. Seit Ende 2005 sieht dies nun anders aus.

„Global Strike“ ist eine neue Strategie, die dann angewandt werden soll, wenn die Abschreckung kurz vor dem Scheitern steht. Das aus 9/11 resultierende strategische Dilemma, dass sich Selbstmordattentäter grundsätzlich nicht abschrecken lassen, wird dadurch jedenfalls nicht aufgelöst und bearbeitbar gemacht, sondern ist in das Vorfeld eines möglichen Präventivschlages seitens der USA verschoben worden.

Mit dem CONPLAN 8022, sowie der Subvariante 8022-2, beide auch „Global Strike“ genannt und erstmals erwähnt vom renommierten US-Militärexperten William Arkin in der Washington Post im Mai 2005, sind seitdem bislang nur wenige Fakten an die Öffentlichkeit gelangt. Im September 2005 berichtet Walter Pincus in der Washington Post von einer Überarbeitung der Militärdoktrin JP 3-12, der „Doctrine for Joint Nuclear Operations“ des US-Generalstabs, die mittlerweile vom Pentagon zurückgezogen und von der offiziellen Website des US-Generalstabes entfernt wurde. Nachdem das Web nichts vergisst, sind alle bisherigen Versionen der JP 3-12 vielerorts zu finden, etwa auf der Website des „Nuclear Information Projects“ von Hans Kristensen in Kooperation mit der Federation of American Scientists. Sowohl Kristensen wie auch Arkin gehören zu den seriösesten unabhängigen Experten in Hinblick auf die Nuklearstrategie der USA.

Die Stärke dieser neuen Studie der FAS liegt im Dokumentationsteil (230 Seiten) verborgen, der eine umfangreiche Genese von „Global Strike“ und alle bislang verfügbaren Dokumente enthält, die bis dato auf den verschiedensten Websites verstreut lagen. Der analytische Teil beträgt gerade zehn Seiten und fasst zusammen, was Hans Kristensen, der Autor, schon zuvor in zwei Artikeln in Arms Control Today und im Bulletin of the Atomic Scientist veröffentlicht hatte.

Die Kernelemente der gar nicht so neuen Strategie

Mit der „Nuclear Posture Review“ von 2001 (NPR), also mit der „Neubewertung für die Richtlinien für die Kernwaffenstrategie“, wurde in einem größeren strategischen Zusammenhang, d.h. auch für die Öffentlichkeit sichtbar, eine nicht nur, aber auch präventive Nuklearstrategie eingeführt (Neue Atomwaffen sollen entwickelt werden).

Die NPR ist ein vom Kongress gegenüber der Exekutive vorgeschriebenes Verfahren, um die Richtlinien der US-Nuklearwaffenplanung zumindest in Ansätzen öffentlich zu diskutieren. Üblicherweise wurden vom US-Verteidigungsministerium immer zwei Versionen produziert. Eine „interne“, die als secret oder topsecret eingestuft ist. Sowie eine für den öffentlichen Diskurs bestimmte, die somit nicht klassifiziert ist. Bislang konnte man die NPR als eine Art „Weißbuch“ bezeichnen, obgleich natürlich vieles im Dunklen verblieb. Die vorletzte NPR wurde 1994 unter Clinton veröffentlicht. Bereits unter der Präsidentschaft von Clinton dachten die Generalstabchefs über einen präventiven Einsatz von substrategischen Kernwaffen nach. Eine Sub-Doktrin, die „Doctrine for Joint Theater Nuclear Operations” befand sich schon 1996 öffentlich zugänglich im Netz, auf der Website des US-Generalstabes, wurde aber ebenfalls kürzlich entfernt. Es war ein „Expertendokument“, das keine größere Öffentlichkeit erreichte. Wie gesagt, schon Mitte der 1990er Jahre enthielt diese Sub-Doktrin folgende Elemente:

  1. “Kriegsförmige Erwiderung” (belligerent response, nukleare Vergeltungsmaßnahmen gegen Nichtkernwaffenstaaten, die Massenvernichtungswaffen einsetzen);
  2. “Kampfstoffabwehr” (agent defeat, die thermische Vernichtung chemischer und biologischer Substanzen am Boden und in der Luft);
  3. die Zerstörung von Einrichtungen und Operationszentren “nichtstaatlicher Akteure”;
  4. und nicht zuletzt handelte es sich um nukleare Präventivschläge gegen Produktionseinrichtungen von realen oder vermuteten nuklearen, chemischen oder biologischen Produktionseinrichtungen sowie um Kommando- und Kontrollzentren;

Diese Konzepte gingen schon damals weit über das hinaus, was im Kalten Krieg als Abschreckung bezeichnet wurde. Und sie gingen auch bereits über das hinaus, was man als den substrategischen Einsatz von Kernwaffen im Gefecht bezeichnet hatte, um eine als überlegen wahrgenommene konventionelle Kräftekonstellation in einer Blockkonfrontation oder am Schlachtfeld abzuwehren.

Unter dem Titel “Erwünschte Resultate des Einsatzes von Kernwaffen” (JP 3-12.1 Doctrine for Joint Theater Nuclear Operations, Seite I-2) wurden schon Mitte der 1990er Jahre folgende Zielsetzungen hervorgehoben:

  1. Decisively change the perception of enemy leaders about their ability to win.
  2. Demonstrate to enemy leaders that, should the conflict continue or escalate, the certain loss outweighs the potential gain.
  3. Promptly resolve the conflict on terms favourable to the United States and our allies.
  4. Preclude the enemy from achieving its objectives.
  5. Ensure the success of the effort by US and/or multinational forces.

Die Entfernung der JP 3-12 aus der öffentlich zugänglichen Liste der Publikationen des US-Generalstabs bedeutet jedoch nicht, dass damit auch deren Absicht und Inhalt revidiert worden wäre. Im Gegenteil.

In der soeben (am 16. März 2006) veröffentlichten Nationalen Sicherheitsstrategie (NSS), die das „höchstrangige“ strategische Dokument der USA darstellt, wurde dieser Ansatz nochmals bekräftigt, wenn auch vernebelt. Einerseits heißt es, dass die Abschreckung scheitern könne und dass sich Selbstmordattentäter grundsätzlich nicht abschrecken ließen:

Prevent attacks by terrorist networks before they occur. A government has no higher obligation than to protect the lives and livelihoods of its citizens. The hard core of the terrorists cannot be deterred or reformed; they must be tracked down, killed, or captured.

Auf der anderen Seite wird sehr wohl auf die offensive Nuklearwaffenplanung erneut hingewiesen, diese jedoch wieder mit „Abschreckung“ begründet, obgleich es sich dabei um Prävention handelt.

Safe, credible, and reliable nuclear forces continue to play a critical role. We are strengthening deterrence by developing a New Triad composed of offensive strike systems (both nuclear and improved conventional capabilities); active and passive defenses, including missile defenses; and a responsive infrastructure, all bound together by enhanced command and control, planning, and intelligence systems.

“Global Strike” und CONPLAN 8022 sind somit die letzten Mosaiksteinchen in einem Konzept, das man auch „global attack“ nennen könnte und sich semantisch schon seit langem mit einem eigenen Logo etwa auf der Homepage der Edwards Airforce Base findet.

Im Kern geht es um offensive und präventive Militäroperationen mit „optimierten“ konventionellen Waffen, Cyberwar-Angriffen und eben auch mit Nuklearwaffen. Einige Langstreckenbomber B-52 befinden sich erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges wieder in ständiger Alarmbereitschaft, um jederzeit einen Nuklearschlag durchführen zu können.

Als die größte Bedrohung für die USA durch einen staatlichen Akteur wurde in der NSS vom 16.März 2006 Iran identifiziert.

We may face no greater challenge from a single country than from Iran.

Das ist, was Irans militärische Fähigkeiten anbelangt, absolut lächerlich. Für Jahre. Was Irans regionales und internationales Sicherheitsdilemma und somit seine nuklearen Absichten betrifft, so schrieb einer der bedeutendsten Militärhistoriker der Gegenwart, der Israeli Martin van Creveld:

Wherever U.S forces go, nuclear weapons go with them or can be made to follow in short order. The world has witnessed how the United States attacked Iraq for, as it turned out, no reason at all. Had the Iranians not tried to build nuclear weapons, they would be crazy.

Man darf gespannt sein, wie sich dieser Diskurs vor dem Hintergrund von CONPLAN 8022 und “Global Strike” weiter entwickeln wird.

Georg Schöfbänker ist Politikwissenschafter und betreibt das Österreichische Informationsbüro für Sicherheitspolitik und Rüstungskontrolle in Linz.