Mehr Sensibilität, weniger Vorurteile

Massenmedien, Migration und Integration als Herausforderungen für den Journalismus. Ein Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge

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Da Journalisten das politische und gesellschaftliche Klima in Sachen Migration prägen, "sollten sie eine größere Sensibilität gegenüber rassistischer Ausgrenzung zeigen," findet Christoph Butterwegge. Gemeinsam mit Gudrun Hentges, Politikwissenschaftlerin an der Hochschule Fulda, hat der 55-Jährige das Buch "Massenmedien, Migration und Integration" herausgegeben. Wissenschaftler analysieren darin Migrationsdebatten und die Berichterstattung in den Medien, beginnend mit den frühen "Gastarbeitern" und endend bei den "Gotteskriegern" nach dem 11. September 2001. Telepolis sprach mit dem Leiter der Abteilung für Politikwissenschaft an der Universität Köln über das komplexe Thema.

Die Berichterstattung über Migranten spiegelte anfangs Ängste wider. Sie nehmen "uns" die Arbeit weg, und in Ghettos wächst die Kriminalität, hieß es. Unter der rot-grünen Bundesregierung kam dann mehr ökonomische Rationalität ins Spiel, siehe Green Card und die Erkenntnis, dass ohne ausländische Arbeitskräfte der "Wirtschaftsstandort Deutschland" zusammenbricht. Seit dem 11. September 2001 vermischen sich Ängste und Rationalität. Muslime werden plakativ als Terroristen und Extremisten dargestellt, aber zugleich betont man, das Gros derselben lebe friedlich als Arbeiter im Land. Glauben Sie, die Berichterstattung spiegelt die Realität überhaupt wider?

Christoph Butterwegge: Migrationsberichterstattung spiegelt die Realität durch die Weltanschauung, Überzeugungen und Befürchtungen der Medienmacher gebrochen wider, konstruiert sie teilweise aber auch selbst. Was der Zeitungsleser und die Fernsehzuschauerin über "massenhafte Migration" nach Deutschland, das "Scheitern der multikulturellen Gesellschaft" oder den angeblich "fehlenden Integrationswillen der Zuwanderer" erfahren, entscheidet nicht nur wesentlich mit darüber, was sie vom Zusammenleben mit Menschen anderer Religion, ethnischer Herkunft oder Nationalität halten, sondern auch darüber, wie sie einzelnen Zuwanderern im Alltag begegnen.

Nennen Sie uns ein Beispiel?

Christoph Butterwegge: Dass sich viele Muslime in Deutschland heute stärker abgelehnt fühlen und dass sie häufiger auf der Straße "angemacht" oder gar angegriffen werden, ist vermutlich nicht zuletzt auf die Medienberichterstattung nach dem 11. September 2001 zurückzuführen. Seither gelten sie als potenzielle Attentäter, als Gefahr für die Innere Sicherheit und als gesellschaftliches Sicherheitsrisiko.

Migranten dienen als Projektionsfläche

Bemerkenswert war im Buch ein Zitat aus der FAZ vom 12. September 1962: "Kommunistische Agitatoren werden ihr möglichstes tun, West-Berlin zu verleumden und die eigenen Zustände als paradiesisch anzupreisen. Kann man diese Gefahr ruhig in Kauf nehmen und darauf vertrauen, auch ein einfacher Arbeiter aus Sizilien oder Andalusien werde den wirklichen Unterschied zwischen beiden Teilen Berlins schnell begreifen?" Das zielte im Kalten Krieg auf italienische Kommunisten ab, die als "Gastarbeiter" totalitäre Denke zu importieren drohten. Im "Kampf der Kulturen" wird nun gewarnt, islamische Gotteskrieger bedrohten als Einwanderer die Freiheit. Geht es gar nicht ohne Feindbilder?

Christoph Butterwegge: Medial verbreitete Zerrbilder untermauern Klischees, Vorurteile und rassistische Stereotype. Dadurch, wie Journalisten und Journalistinnen über Ausländer, Flüchtlinge und Zuwanderer berichten, zementieren sie eine im Bewusstsein der Bundesbürger ausgebildete Hierarchie, wonach bestimmte Gruppen von Ausländern als "Fremde" oder gar als Feinde betrachtet werden. Andere – wie etwa prominente Sportler und Künstler –, sind hingegen willkommene Gäste. Besonders stark ausgeprägt ist dieser Dualismus in der Lokal- und der Boulevardpresse: Beide bringen das "Ausländerproblem" oft mit "Überfremdung" sowie mangelnder Innerer Sicherheit in Verbindung. Das war nach den Anschlägen von Washington, New York, Madrid und London nicht anders als während des Kalten Krieges. In beiden Fällen dienten Migranten der eigenen "westlichen" Selbstvergewisserung und als Projektionsfläche für die aggressive Grundhaltung gegenüber dem "Feind".

Schauen wir einmal mehr auf den Alltag und tauchen möglicherweise ab in die eigenen Vorurteile: Seitdem die ersten "Gastarbeiter" eintrafen, warnen zumeist konservative Politiker oder Medien vor Ghettobildung, Kriminalität und Gewalt. Heute sind diese Befürchtungen, glaubt man den Medien, zumindest in manchen Stadtteilen wahr geworden. Neonazis haben den Begriff "multikulturell" schon in "multikriminell" umgetauft, Behörden und Politiker warnen vor einem weiteren Wachstum der Kriminalität, in Frankreich brannten erst unlängst die Vorstädte. Da drängt sich der Einruck auf, die Warner von einst hatten Recht...

Christoph Butterwegge: Migranten sind keine Engel, sondern genauso Menschen wie Einheimische auch. Sie reagieren auch ganz ähnlich wie diese auf Verarmung, Verelendung in Slums und berufliche Perspektivlosigkeit. Nur wenn die Aufnahmegesellschaft zu erkennen gibt, dass sie Zuwanderer nicht abschreibt, sondern aufnimmt und nach Möglichkeit fördert, kann sie Verwahrlosung und Gewalt im Keim ersticken. Integration, die man zu Recht von den Migranten erwartet, ist keine Einbahnstraße, sondern kann nur gelingen, wenn wir die Voraussetzungen dafür schaffen und Minderheiten gleiche Rechte und soziale Chancengleichheit einräumen.

“Kampf der Kulturen“ vorschnell ausgerufen

Der so genannte Karikaturenstreit eskalierte unlängst. Ihr Buch greift das Thema noch nicht auf. Umso mehr interessiert natürlich, wie Sie die Debatte dazu sehen.

Christoph Butterwegge: Als die dänische Tageszeitung "Jyllands-Posten" im September 2005 zwölf Mohammed-Karikaturen veröffentlichte, wollte sie damit offenbar die Muslime im eigenen Land bewusst provozieren. Natürlich ahnte niemand, wie stark die Protestwelle anwachsen, dass sie die gesamte islamische Welt erfassen und sich gewaltsam entladen würde. Bei dem "Karikaturenstreit" ging es nicht nur um die Grenzen der Pressefreiheit und die Schutzwürdigkeit religiöser Gefühle, sondern auch um die Möglichkeiten eines friedlichen Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, ethnischer Herkunft und Religion.

Mir scheint, dass politische Scharfmacher nur auf eine Gelegenheit gewartet haben, um ihre These zu erhärten, dass sich "der Islam" und "die westliche Lebensart" nicht vereinbaren lassen. Leider haben auch viele deutsche Journalisten vorschnell den "Kampf der Kulturen" ausgerufen und mit diesem falschen, weil undifferenzierten Deutungsmuster den Weg zu einem harmonischeren Miteinander verbaut.

Was raten Sie Journalisten daher für die Zukunft?

Christoph Butterwegge: Journalisten prägen das migrationspolitische und das gesellschaftliche Klima, ohne sich dessen immer bewusst zu sein. Sie sollten eine größere Sensibilität gegenüber rassistischer Ausgrenzung und mehr Rücksicht gegenüber den davon Betroffenen zeigen. Man kann Migranten und Migrantinnen als Belastung der Sozialsysteme, als Bedrohung der Inneren Sicherheit oder als Bereicherung der Aufnahmegesellschaft darstellen. Man kann aber auch zu vermitteln suchen, dass Menschen unabhängig von ihrer Hautfarbe, ethnischen Herkunft oder Nationalität derselbe Respekt gebührt, weshalb sich die Frage nach ihrer Nützlichkeit "für uns" eigentlich von selbst verbietet. Statt dessen wären fundierte Informationen über den Alltag, die Arbeitsbedingungen und die Lebenswirklichkeit der Migranten angebracht.

Bei den "normalen" oder "nützlichen" Migranten passiert das gelegentlich schon. Über Flüchtlinge erfährt man hier indes weniger...

Christoph Butterwegge: Statt – häufig mit einem Anflug von Sensationsgier – über jene Probleme zu berichten, die Asylsuchende machen, könnte man mehr über Probleme berichten, die sie haben, etwa Fluchttraumata, Furcht vor Abschiebung und Anschlägen, Diskriminierung und Ausgrenzung sowie Vereinsamung im Alter. Man darf die Migranten und Migrantinnen in den Medien aber nicht auf eine Opfer- beziehungsweise Objektrolle reduzieren, muss sie vielmehr häufiger selbst zu Wort kommen lassen.

Im Buch wird festgestellt, dass zwischen 9 und 10 Prozent der Bevölkerung Deutschlands Migranten sind. Unter den Beschäftigten in den Medien gibt es nur ein Prozent davon. Ihr Rat?

Christoph Butterwegge: Journalisten mit Migrationshintergrund sollten nicht diskriminiert, sondern zur Normalität in Zeitungsredaktionen und Sendeanstalten werden, wie Zuwanderung im Zeichen der Globalisierung längst eine Normalität ist.

Christoph Butterwegge und Gudrun Hentges (Hg.): Massenmedien, Migration und Integration. Herausforderungen für Journalismus und politische Bildung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006. 260 Seiten, 19,90 Euro.