Mundgerecht konsumierbare Vergangenheit

Was ist eigentlich dran am Hype um Disneys DDR-Melo "Das Leben der Anderen"?

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Wenn Disney mal einen Film über die Stasi und DDR-Tristesse in seinem "Buena Vista"-Verleih herausbringt, muss es sich schon um etwas Besonders handeln. Und tatsächlich: Florian Henckel von Donnersmarcks vom Berlinale-Wettbewerb - zu Recht - abgelehntes Stasi-Melo "Das Leben der Anderen" wird zu seinem Filmstart von einem Hype sondergleichen begleitet. Jetzt müssen ihn alle sehen. Aber warum eigentlich?

Das ist so einer dieser Filme, wie er Kulturstaatsministern gefällt. Ein süffiges Melodram aus bräunlich düsterer DDR-Zeit, mit etwas Sex und Kunst gewürzt, viel garst'ger Repression, einigen Toten, noch mehr Herzschmerz, ein paar kalten bösen Tätern, vielen, vielen deutschen Opfern und einem Saulus, der zum Paulus wird. Kulturstaatsminister Bernd Neumann lud den Bundestag gleich zur exklusiven Vorpremiere, DDR-Berufsversteher Wolfgang Thierse findet ihn "atemberaubend", und die Mitglieder der exklusiven "Deutschen Filmakademie" können schon gleich gar nicht irren: Elfmal insgesamt haben sie "Das Leben der Anderen" von Florian Henckel von Donnersmarck nominiert.

Die heilige "Branche" also - welch ehrfurchtsvoller Klang, wenn der greise Günter Rohrbach, der einst Fassbinder förderte, jetzt als Akademiepräsident dieses Wort ausspricht, für das ihm Fassbinder, lebte er noch, womöglich Prügel androhen würde, und weite, glücklicherweise nicht alle Teile der deutschen Filmkritik, sekundieren nach Kräften: "Grandios!", "grandios!", "grandios!", "grandios!", "grandios!", hieß es tatsächlich fünfmal in Folge im Deutschlandradio - eher Film"kritik" als Reflexion und Fragen. "Unsexy" heißt es lobend sogar im Kultblatt "Steadycam" - aber das macht ihn ja auch noch nicht gut. Und als ob Engagement nicht auch sexy sein, schön inszeniert und mit Stilgefühl daher kommen könnte.

Gleichklang macht Konsensfilm

Die klügeren westdeutschen Zeitungen holten sich zur Sicherheit lieber gleich noch einen Ossi, am besten einen Schriftsteller, der als DDR-Experte qua Geburt den Film zum Dokument adelt und ihm Authentizitätszeugnis ausstellt. "Der politische Sound ist authentisch, der Plot hat mich bewegt", klampfte Wolf Biermann in der Welt, und dann, mit zwei Ausrufezeichen: "Er hat ja alles das nicht selber erlebt! Und trotzdem kann solch ein junger Mann mitreden!". Was ja nur den ernsthaft erstaunen kann, der eigentlich findet, dass man nur das beurteilen kann, was man selbst erlebt hat. So wurden seit den 50er Jahren gern Debatten über die Nazi-Zeit erledigt.

Und Thomas Brussig fand alles in der SZ "in den Details so realistisch, dass man wie von selbst glaubt, er beruhe auf Tatsachen." Mitunter kamen zusätzlich auch noch 68er Kritiker und Totalitarismustheoretiker zu Wort, seit Jahren bewährte und sichere Kantonisten wie Mariam Lau, die in der Welt gegen "diese seltsame Verniedlichung der SED-Diktatur" wettert und gleich eine kleine Westler-Verschwörungstheorie entwickelt: "Daß der Film es nicht in den Wettbewerb der diesjährigen Berlinale geschafft hat, ist vor diesem Hintergrund ["Diese verquere Identifikation mit der DDR"] dann schon nicht mehr so verwunderlich."

Bei soviel Gleichklang wird man unruhig: Kann denn nicht mal wenigsten einer aus der Reihe tanzen? Kann man nicht ein wenig abgewogener Pro und Contra gegeneinander stellen. Oder ist man gleich ein böser Mensch, ein Verteidiger der Diktatur, wenn man den Film jetzt nicht ganz so toll findet wie der Rest der Welt? Die FAZ ist mal wieder fast die einzige, die differenzierte und den "Konsensfilm" erkannte, der er ist:

Er tut niemandem weh, er organisiert Einverständnis, indem er noch im Scheitern und im Sinnlosen einen Sinn findet, aber er ist nie aufregend oder originell ... Als wäre die affektgehemmte Haltung des Lauschers auf ihn übergegangen.

Trotzdem ist den Film über die böse Stasi zu gucken nun Bürgerpflicht. Erst recht, weil sie so böse dann nicht ist und am Ende mit dem Blut einer edlen Frau alle Deutschen, Täter und Opfer irgendwie miteinander zur großen Gemeinschaft versöhnt. Jetzt müssen ihn alle sehen. Der Besuch ist zum Beflissenheitsakt und politischem Gebot geworden. Und man darf wetten, dass "Das Leben der Anderen" im Wonnemonat Mai den einstigen Bundesfilmpreis erhalten wird. Genau das Einmütige und noch mehr das Schrille der jetzigen Lobeshymnen macht misstrauisch und weckt instinktiv den Verdacht, es ginge eben hier doch nicht allein um einen schönen Film und dessen Qualität.

Die bitteren Tränen des Stasi-Hauptmanns

Es gibt einen Moment, so ungefähr in der Mitte von "Das Leben der Anderen", da weint Gerd Wiesler. Es ist nur eine einzige lange Träne, die stumm und kalt am Nasenflügel dieses harten Mannes hinunter fließt, dessen übriges Gesicht dabei nahezu unbewegt bleibt. Weinen scheint auf den ersten Blick so gar nicht zu diesem verschlossenen, auch innerlich verhärteten Stasi-Hauptmann zu passen, der gerade mit dem "OV Laszlo" beschäftigt, auf einem Dachboden am Berliner Prenzlauer Berg hockt und einen Künstler bespitzelt.

"OV" heißt nämlich im Stasi-Jargon "operativer Vorgang", und "Laszlo" ist der Name unter dem die Stasi den Schriftsteller Georg Dreymann in ihren Büchern führt. Alle durch Geräusche und eine Überwachungskamera am Hauseingang rekonstruierbaren Details dieses Lebens werden von Wiesler rund um die Uhr in bürokratischem Duktus protokolliert. "Vermutlich Geschlechtsverkehr" heißt es da mitunter.

Wiesler weint nicht aus Trauer, obwohl er soeben über eine der rund zwei Dutzend Wanzen, die von seiner Organisation kürzlich in der Wohnung des Autors verteilt wurden, vom Selbstmord eines anderen Künstlers erfahren hat. Schon eher weint er vermutlich ein wenig aus Rührung, weil ihn die Musik bewegt, die Dreymann, noch ganz im Schock der Nachricht, halb besinnungslos am Wohnzimmerflügel spielt.

Doch am wahrscheinlichsten ist, dass Wiesler über sich selber weint. Er weint, weil er gerade einen entscheidenden Moment der Selbsterkenntnis erlebt und begreift, an was er da eigentlich beteiligt ist, was das für ein Staat ist, für den er seine schmutzige Arbeit tut. Und wie fern er selbst dem ist, was eigentlich das Leben ausmacht: Anstand, Loyalität, Vertrautheit, Intimität, Gefühle, Mut. Dieses Leben, das leben die anderen, doch erst durch den "OV Laszlo" erfährt Wiesler, was ihm fehlt. Er wird von nun an sein Leben ändern. Es ist keine Entscheidung, die auf einen Schlag kommt, sie hatte sich schon zuvor bei einem Theaterbesuch angekündigt, und noch lange wird er mit sich ringen, wird Gutes tun, und dann wieder das, was seine Organisation von ihm verlangt.

"...und versuche gut zu sein."

Später sieht man Wiesler, wie er Brecht-Gedichte liest, und dann, wie er ein Lied hört mit Wolfgang Bocherts Zeile "...und versuche gut zu sein." Wiesler versucht es. Es ist die Kunst, die ihn zum guten Menschen macht, und das "Das Leben der Anderen" erzählt davon, wie das geschieht. Es ist ganz erstaunlich und stimmt froh, wie stark der Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck offenbar an die Kunst glaubt, zugleich allerdings fragt man sich skeptisch, ob denn das nicht eine sehr altbackene, biedermeierliche Vorstellung von Kunst ist, die hier dominiert: Kunst als das Schöne, Trostspendende, als das, was dem Leben zunächst einmal fern steht und es besser macht. Fern steht die Kunst in Henckel von Donnersmarcks Sicht auch der Politik.

Indem der Film einen solchen Gegensatz zwischen Kunst und Politik konstruiert, knüpft er an die klassischen Ästhetiken des Deutschen Idealismus an: der "ästhetisch erzogene" Mensch als Gegenprogramm zu den rohen Kräften der von der Französischen Revolution geprägten Politik. Bezeichnend dafür das vom Regisseur gern verwandte Lenin-Zitat in Bezug auf Beethovens Appassionata:

Ich kann diese Musik nicht oft hören, weil ich sonst Menschen die Köpfe streicheln will, denen ich sie doch einschlagen muss, mitleidslos einschlagen.

Der Film könnte auch "Die Sonate vom Guten Menschen" heißen wie das Musikstück, das im Film vorkommt, denn sein eigentliches Thema ist nicht, wie es jetzt immer heißt, die DDR oder die Stasi, sondern die Frage, was es heißt, gut zu sein. "Sie sind ein guter Mensch", sagt Christa-Maria Sieland eines Tages zu Wiesler, als sich beide zufällig in einer Kneipe begegnen, die Schauspielerin, Lebensgefährtin des Schriftstellers, und ihr Stasi-Schatten, der ihr, weil er um ihre Probleme noch besser weiß, als ihr Lebensgefährte, ein paar aufmunternde Worte sagt.

Politisch ist der ganze Film daher ein Bluff

Gewiß handelt "Das Leben der Anderen" auch von der DDR. Es erzählt von ein paar Monaten in deren Endphase, Ende 1984 bis Frühjahr 1985. Sieland ist erfolgreiche Bühnendarstellerin, aber labil, denn sie ist medikamentensüchtig. Vor allem hat sie sich auf ein Verhältnis mit DDR-Kulturminister Hempf eingelassen, der seine Macht schamlos ausnutzt und sie erpresst. Auch Dreymanns Überwachung geht auf Hempf zurück, er will "etwas finden", notfalls konstruieren, um den Nebenbuhler auszuschalten.

Das ist das eigentlich Kuriose an diesem Film: Die Überwachung, von der er erzählt, und mit dem er die wahre Natur des Überwachungsstaats bloßlegen will, ist rein persönlich durch Eifersucht motiviert und gar keine politische. Denn Dreymann ist zunächst gegenüber dem Regime weitaus loyaler, als viele andere, ein geradezu linientreuer Erfolgsautor und persönlicher Freund Margot Honeckers, die ihm, wer hätte das gedacht, ausgerechnet Solschenizyn-Bücher mit persönlicher Widmung schenkt. Sein Herz hat er natürlich trotzdem am rechten Fleck. Und erst, als Dreymann von den heimlichen Treffen seiner Freundin erfährt, fasst er den Mut, heimlich einen regimekritischen Text zu schreiben. Auch hier also Eifersucht und Liebe als Triebfedern, nicht in erster Linie politisches Engagement. Dies hat er übrigens mit einem ganz anderen, filmisch viel besseren Film, mit Benjamin Heisenbergs "Schläfer" gemeinsam. Die Tragödie der DDR, so könnte man diesen Film verstehen, war, dass sie ihre Gefolgsleute und deren Idealismus durch persönliche Kleinlichkeit und den Egoismus der Funktionäre kaputt machte. Politisch ist der ganze Film daher ein Bluff.

Dreymanns Überwacher Wiesler ist zu diesem Zeitpunkt längst zu dessen verborgenem Schutzengel geworden und deckt das Verfassen des Textes - zum Thema Selbstmordstatistik in der DDR, ein hochinteressanter Aspekt übrigens -, widerstrebend, aber irgendwie doch überzeugt. Als dieser dann anonym im westdeutschen "Spiegel"-Magazin publiziert wird, setzt die Stasi-Tätersuche mit der ganzen Härte der Apparatsmacht ein. Doch auch in diesem Fall überrascht es eher, dass die Diktatur immer noch Beweise für das verlangt, was sie doch im Grunde längst weiß, und wofür sie irgendwann sogar ein Geständnis protokolliert hat. Zumindest den Anschein der Rechtsstaatlichkeit wollte die Diktatur also wahren? Aber warum eigentlich? War die DDR etwa ein Rechtsstaat?

Wer "Das Leben der Anderen" jetzt von ganz Linksaußen kritisiert - man lese etwa die schnöseligen Texte der "Junge Welt"-Kryptostalinisten ("ein weiterer Versuch, die DDR zu delegitimieren") -, der sollte bedenken: Florian Henckel von Donnersmarck zeigt gute DDR-Menschen, der ebnet die Unterschiede zwischen den beiden deutschen Diktaturen auf dieser Ebene nicht ein, im Gegenteil.

Frauenopfer und Läuterung der Männer

Trotzdem endet alles nicht gut; es kommt zum Verrat aller an alle mit folgerichtig tragischem Ausgang. "Ich war zu schwach. Ich kann nie wieder gutmachen, was sie getan haben", sagt Sieland zu ihrem Überwacher, als sie sterbend auf dem Pflaster liegt und endlich begriffen hat, was er getan hat. Und die einzige Frau unter den Hauptfiguren ist es natürlich, die ihr Leben lassen muss, und für die Freiheit von zwei Männern am Ende vom Regisseur/Autor geopfert wird. Damit die Läuterung der Hauptfiguren in Gang kommt, muss die Frau zunächst vergewaltigt werden und später in ihrem Blut liegen.

Mit dieser Handlung fügt sich "Das Leben der Anderen" den klassischen Gesetzen des Melodrams. Das bleibt natürlich auf seine Art immer spannend und ist oft bewegend. Und vielleicht wäre es schön, wenn es tatsächlich so gewesen wäre. Mit "der Wahrheit über die DDR", wie der Regisseur und viele Nachbeter jetzt behaupten, hat das allerdings trotzdem nicht übermäßig viel zu tun. Auch wenn Margret Köhler stellvertretend für viele im Branchenmagazin "Blickpunkt Film" behauptet, das Werk sei "sauber recherchiert", wird dies auch durch Wiederholung nicht wahrer. Der Anspruch, historische Realität zutreffend wiederzugeben, hält genauerer Überprüfung nicht stand.

Der Kardinalfehler in Bezug auf die historischen Fakten liegt darin, dass es einen Stasi-Mann, der gleichzeitig Dozent an der Stasi-Hochschule, persönlicher Überwacher und Leiter der Verhöre von Verdächtigen war, nicht gab. Tatsächlich praktizierte gerade die Stasi strenge Arbeitsteilung. Und entscheidend für das Wesen des Systems war die gegenseitige und multiplizierte Überwachung. Keiner konnte irgendeinem vertrauen.

Ganz gut illustriert dies eine Anekdote aus dem Leben des DDR-Schriftstellers Jurek Becker: Über eine Gesprächsrunde von acht Personen, zu der er und Manfred Krug gehörte, haben die anderen sechs je einen Bericht geschrieben. Ein Kulturminister, der mit diesem Amt nicht einmal Mitglied im DDR-Politbüro war, konnte einem Stasioffizier übrigens auch keine Befehle erteilen oder seine Karriere beeinflussen. Kein Funktionär konnte auch die Stasi mal eben so auf einen x-beliebigen DDR-Bürger ansetzen, schon gar nicht aus derlei persönlichen Motiven - auch wenn das als Roman & Filmstoff noch so süffig klingt. Jeder "OV" wurde überprüft. Auch ist aus den 80er Jahren kein Selbstmord eines namhaften Regisseurs bekannt und keiner einer bekannten Schauspielerin.

Klischees des Tristessekinos

Auch den Geist der DDR verfehlt der Film in seiner Absicht, die Geschichte eines DDR-Schindlers zu erzählen, völlig. Denn einen Oskar Schindler gab es in der DDR eben nicht, denn nicht einer von Hundertausenden Stasi-Mitarbeiter hat in irgendeiner, der Film-Episode annährend ähnlichen Form seine Überwachungsobjekte geschützt und gedeckt oder Verdächtigen zu helfen versucht. Henckel von Donnersmarck erfindet sich den guten Stasi-Menschen - und man möchte schon wissen, woher das Entlastungsbedürfnis eigentlich kommt, das sich in solchen Szenarien befriedigt?

Die Wiesler-Figur und ihre filmische Rechtfertigung, die diesen am Ende als Opfer des Systems, als heimlichen guten Menschen und Wohltäter vom Prenzlauer Berg dastehen lässt, macht aus dem gemeinen Stasi-Mann eine Identifikationsfigur für all die alternden Ex-Regimeprofiteure, die heute mit dicken Renten in ihren Schrebergärten hocken und PDS wählen. Hubertus Knabe, Leiter der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen, betont:

Der Film ist unnötig unglaubwürdig, das hat es nicht gegeben, und das konnte es auch nicht geben, weil die Stasi in orwellscher Manie auch ihre eigenen Leute überwacht hat.

Auch Jörg Dresemann, Leiter der Stasi-Gedenkstätte Normannenstraße, in der der Film zum Teil gedreht wurde, hat an der Geschichte "vieles zu bemängeln". Er führt nur die Verteidigung an, es handle sich ja "um keinen Dokumentarfilm, sondern um eine imaginierte, vorgestellte Geschichte", ein Argument, aus dem vor allem eine gewisse Verachtung für das Genre spricht. Entscheidend ist aber, dass der Film ungeachtet solcher Einwände als "die" Wahrheit über die DDR wahrgenommen wird. Dabei bietet er nur eine andere Seite der Wahrheit als jene, von der "Sonnenallee" und "Good Bye Lenin!" erzählten.

Es sind die Klischees des Tristessekinos: leere Straßen, leere Zimmer, graue Häuser, graue Gesichter. Die Prostituierte, die im Stasi-Dienst offenbar für dessen Mitglieder kostenlos nutzbar war, ist eine fette alte Vettel wie ihr System. Die Privatwohnung von Wiesler ist so karg eingerichtet wie eine Mönchszelle, geprägt von Leere, pedantisch ordentlich mit unpersönlichen Gegenständen dekoriert - der Raum eines zwanghaften, depressiven Charakters - und als solches ein Spiegel des Systems, das er repräsentiert. Überhaupt blickt Henckel von Donnersmarck auf die DDR wie auf ein Glaubenssystem. Sein Wiesler ist einer, der gläubig ein Teil des Systems wurde, und nun in eine Glaubenskrise kommt. Indem der Film ihn läutert, kritisiert er moralisch sicher Macht, Karriere, Geilheit - was er weitaus weniger sicher tun könnte, erzählte er eine West-Geschichte.

Aber auch diese Leere hat mit der Realität eines brodelnden Kulturlebens rund um den Prenzlauer Berg, mit vollen Kneipen, mit Lese- und Gesprächszirkeln, mit der bürgerlichen Gesellschaft des realexistierenden Sozialismus nichts zu tun. Immerhin gibt der Film einem ein Gefühl für das, was Überwachungsstaat bedeutet. Allerdings werden fast alle Menschen in diesem Film, auch die niederen Chargen der Stasi, in erster Linie Opfer und sind "gute Menschen". "Böse" im tieferen Sinn ist nur der Minister und Wieslers Führungsoffizier. Dabei bestand das Geheimnis des langen Bestehens der DDR, wie auch anderer Diktaturen, doch wohl eher darin, dass es viele, auch "kleine" Täter gab, dass fast jeder auch zum Täter wurde. Getragen wird alles von glänzenden Darstellerleistungen. Ulrich Mühe verkörpert als Wiesler die Verwandlung und Aufweichung seiner Figur überaus glaubwürdig. Noch besser ist der abgründige Ulrich Tukur als sein Vorgesetzter. Sebastian Koch war noch nie so nuanciert, wie hier als Dreymann, während Martina Gedeck demgegenüber in der Rolle der Sieland etwas blass bleibt.

So ist man am Ende mit alldem nicht wirklich glücklich, dominiert Unzufriedenheit. Das rührt auch daher, dass der ganze Film arg glatt daherkommt. Wie bei den TV-Movies "Luftbrücke" oder "Dresden" ist hier alles lehrbuchgetreu umgesetzt und politisch korrekt unangreifbar verteilt. Gerade das ist aber das Problem. Die Frage ist und muss ausschließlich sein: Ist der Film als Film gut? Unabhängig von der Story und unseren weltanschaulichen Ansichten. Natürlich sind Filme von Eisenstein und Riefenstahl Klassiker, auch wenn uns die dahinterstehende, durch sie propagierte Ideologie zuwider sein mag.

Eine wirklich persönliche filmische Handschrift lässt Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck aber nicht erkennen. Für ein Debüt ist das fast ein zu reifer Film, überaus kühl kalkuliertes Industriekino, aber jenseits des fraglosen moralischen Engagements und des Interesses am Thema, ist ein ästhetisches Interesse, irgendeine Lust, ein individueller Ausdruck, eine Haltung, gar ein Risiko, eigentlich nicht spürbar. Das genau aber ist es, was exzellente Filme von recht guten unterscheidet.

Herumschieben historischer Kulissen

Dominik Grafs Film "Der Rote Kakadu", man muss ihn hier nennen, hat, was immer man womöglich dagegen aussetzen möchte, in seiner so ganz anderen Form von der DDR zu erzählen, jedenfalls in der Freiheit, die Graf sich nimmt, zum historisch exakteren Ergebnis geführt und eine Version der Vergangenheit präsentiert, die etwas zur Gegenwart zu sagen hat, die die Vergangenheit als Herausforderung, als Forderung auch offen hält. "Das Leben der Anderen" ist hingegen Herumschieben historischer Kulissen. Während die Vergangenheit für die Gegenwart völlige Verfügungsmasse ist, darf die Vergangenheit die Gegenwart nicht in Frage stellen, darf die DDR keinesfalls wieder zur "Alternative" werden. Das mögen unsere Totalitarismustheoretiker nicht. Kein Wort mehr bitte schön von "D-Mark-Nationalismus", von den Folgen des Zweiten Weltkriegs, von den Bedingungen des Kalten Kriegs, in denen die DDR von einem US-Präsidenten allen Ernstes zum "Reich des Bösen" gerechnet wurde.

Dabei ginge das. Und zwar mit Links: Ein Film über Überwachung könnte uns etwas über die Verhältnisse in denen wir leben erzählen, in denen im "Kampf um die innere Sicherheit" die Freiheit des Bürgers ausgehöhlt wird. In denen das Recht auf Privatsphäre darnieder liegt. In denen SchilySchäubles Bundesinnenministerium als Schild und Schwert der Republik den Krieg gegen den Terror führt. In denen das Militär verpolizeilicht und die Polizei militarisiert wird. Davon will der Film und sein Regisseur nichts wissen. Davon will schon gar nicht die heilige Branche etwas wissen, die von großer Industrie träumt und diesen Film jetzt vor allem deshalb feiert, weil er sie träumen lässt und nicht auf die armselige Realität zurückführt.

Irritationen werden konsequent vermieden

Geschichtspolitisch ist dies einmal mehr ein Film, der mit ästhetischen Mitteln an der Bildung einer deutschen Opfergemeinschaft schmiedet. Der Irritationen konsequent vermeidet, der aus diesem Vermeiden ein System macht. Versöhnungskitsch. Der Filmtitel ist daher verräterisch: "Das Leben der Anderen" handelt vom Leben der anderen, nicht vom eigenen des Regisseurs. Henckel von Donnersmarck hat einen Film über das Leben der Deutschen aus der DDR gemacht - mit westdeutschem Blick auf die Vergangenheit:

Sie ist nicht unsere, sondern etwas Fremdes, das uns nichts zu sagen hat, sondern nur bestätigt, das alles gut so ist, wie es jetzt ist. Gibt es eine Figur, die so etwas verkörpert wie die Legitimität der DDR? Es geht dabei nicht um Ausreden, wie: Man solle doch auch die schönen Seiten sehen. Worum es aber schon geht, ist Differenzierung. "Das Leben der Anderen" ist einerseits ein Film über die schlimme DDR und doch ein Täterversteher-Film, der gerade damit auch von einer anderen Seite aus nichts anderes macht als "Der Untergang": Die Vermenschlichung des Bösen. Sie waren ja doch nicht so schlimm, oder?

Henckel von Donnersmarck richtet es sich im Schrecken gemütlich ein. Er präsentiert die DDR genau so einfach und klar und eindeutig, das man nicht mehr viel nachdenken muss, dass man weiß, wo man steht. Er zerteilt die Vergangenheit in kleine, mundgerecht konsumierbare Stücke, in Unterrichtseinheiten. Man wird ihn den Schulklassen zeigen, bis man ihn nicht mehr sehen kann. Schon jetzt ist man eigentlich, wenn man etwas gegen diesen Film sagt, nicht nur anderer Meinung, sondern ein schlechter Mensch. Es nutzt dem Regisseur aber gar nichts, wenn man sich jetzt über solche Seiten und über die großen ästhetischen Defizite hinwegtäuscht, wenn man so tut, als mache ein gutes Thema und eine moralisch korrekte Haltung schon einen guten Film, als merke man nicht eben doch auch, dass dies ein Erstlingsfilm ist.

Klar: "Das Leben der Anderen" wird ein Erfolg werden. Er wird es auch, aber nicht nur, weil dies gut gemacht ist. Aber er bringt das Kino nicht weiter. Und wenn man ihn jetzt mancherorts - auch dort, wo dies nicht durch offenkundige Interessen erklärbar ist - als "großes Kino" feiert, wenn man so tut, als wäre dies eine cinematographische Offenbarung, dann hat dies auch viel mit den Defiziten unserer Filmkultur zu tun, damit, dass es eine ästhetische Filmerziehung in Deutschland eigentlich gar nicht gibt.

Und dass in der DDR noch die Kinder nur über Stasi und Politik geredet haben, glaubt sowieso kein Mensch. "Das Leben der Anderen" hat bei aller handwerklichen Könnerschaft auch den faden Geschmack eines Thesenfilms und lässt letztlich kalt.