Bagdad oder Istanbul? Aufklärung im Zeitalter des Internet

In vorbildlicher Manier eines investigativen Journalismus entlarvten Blogger die Manipulation eines kalifornischen Politikers, der mit einem falschen Foto zeigen wollte, wie "sicher" es in Bagdad ist

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der Kalifornier Howard Kaloogian ist Mitglied der republikanischen Partei, ehemaliger Abgeordneter im kalifornischen Parlament und würde nun gerne in San Diego in das Repräsentantenhaus gewählt werden, nachdem der vorherige republikanische Abgeordnete wegen Korruption ins Gefängnis wanderte. Kaloogian hat sich als eifriger Befürworter von Bushs Politik und vor allem auch des Irak-Kriegs zu profilieren gesucht. Dazu hat er schon viele Aktionen zur Unterstützung angeschoben oder mitgetragen, beispielsweise die "You Don't Speak for Me, Cindy"-Tour oder die „Move America Forward“-Kampagne gegen Michael Moores Film „Fahrenheit 9/11“. Letztes Jahr war der Politiker auf einer sogenannten „Voices of Soldiers“-Wahrheitsreise in Bagdad. Auf seiner offiziellen Webseite präsentierte er sodann das Ergebnis seiner Reise, nämlich dass es im Irak viel friedlicher zugehe, als die Medien den Amerikanern weismachen wollen. Dazu aber wurde ein Foto von Bagdad gezeigt, das aber in Wirklichkeit, wie sich durch investigative Nachforschungen von Bloggern herausstellte, eine Straßenszene in Istanbul darstellt.

Das Foto, das das ruhige Bagdad zeigen sollte, aber in Wirklichkeit eine Straße in Istanbul darstellt

Das Foto stand schon längere Zeit in einem Beitrag auf Kaloogians Webseite. Man sieht eine belebte Straße, Autos, offene Geschäfte. Zum Foto hieß es:

We took this photo of downtown Baghdad while we were in Iraq. Iraq (including Baghdad) is much more calm and stable than what many people believe it to be. But, each day the news media finds any violence occurring in the country and screams and shouts about it - in part because many journalists are opposed to the U.S. effort to fight terrorism.

Kaloogian auf Wahrheitsmission

Kaloogian zeigt sich stolz mit Offizieren und macht klar, dass die Reisegruppe vom Central Command in der „green zone“, der amerikanischen Festung in Bagdad, über die Lage im Land und in Afghanistan informiert wurde. Da weitere Fotografien fehlen, lässt sich davon ausgehen, dass er nie in Bagdad selbst war, noch gar das Land bereiste. Das Foto von der angeblichen Straße in Bagdad musste also anderswo besorgt worden sein, was sich dank der Blogosphäre schließlich auch herausstellte.

Am Dienstag – zwei Wochen vor der Wahl - stolperte anthonyLA, der im Weblog Daily Kos schreibt und gerne Gründe zur Unterstützung einer demokratischen Kandidatin sucht, über das Foto (hier die alte Seite) und versuchte seinen Eindruck zu begründen, dass das Foto nicht aus Bagdad stammen könne. Beispielsweise seien keine Schilder in arabischer Schrift auf dem Foto zu sehen, zudem zeige es ein Mädchen in lockerer Bekleidung und Hand in Hand mit ihrem Freund – für Bagdad unwahrscheinlich. Es sei ganz wichtig, meinte anthonyLA, den Sachverhalt aufzuklären, was die Bloggerschwärme in Gang setzte.

Einen Tag später hatte ein Leser von Daily Kos bereits die Straße identifiziert im Istanbuler Stadtteil Bakirkoy - auf einem Foto eines türkischen Fotografen, der seine Bilder ins Netz gestellt hatte.

Das Foto des türkischen Fotografen, anhand dessen die Straße in Istanbul identifiziert werden konnte

Die Nachricht von dem Schwindel verbreitete sich wie üblich im Web schnell und erreichte auch bald die traditionellen Medien wie die New York Times oder Newsweek. Kaloogian musste eingestehen, dass das Bild nicht von Bagdad ist – und schob die Schuld auf seinen Webmaster, der Fotos verwechselt habe. Ein Teil der Gruppe, mit der er in Bagdad gewesen ist, sei zuvor auch in Istanbul gewesen und habe dort Fotos gemacht. Und dann wurden dem armen Webmaster „Hunderte von Fotos“ gegeben, der einfach das falsche aussuchte. Kaloogian habe den Fehler nicht erkannt, so will er sich zudem herausreden, weil „das Militär uns um Zurückhaltung und darum gebeten hat, in das Internet nur etwas zu stellen, das nichtdeskriptiv ist … Wenn wir etwas gepostet hätten, das man leicht identifizieren kann, könnte es zu einem Ziel werden.“ Also hatte der Webmaster so ein unauffälliges Foto genommen, das dem Kandidaten nicht weiter auffiel und das eben von irgendwoher stammen könnte. Allerdings hieß es ja: „Wir haben das Foto im Zentrum von Bagdad gemacht.“

Das neue Foto

Kaloogian entschuldigt sich auf der Webseite und stellt ein neues Foto online – wieder mit dem Text:

We took this photo of downtown Baghdad while we were in Iraq. Iraq (including Baghdad) is much more calm and stable than what many people believe it to be. But, each day the news media finds any violence occurring in the country and screams and shouts about it - in part because many journalists are opposed to the U.S. effort to fight terrorism.

Aber nun sind natürlich alle hinter dem Kandidaten her. Mittlerweile wurde bereits in Wikipedia das Wort Kaloogian definiert:

Kaloogian (n): A term that describes the use of a false or out-of-context image in order to advance an idea.

Es dauerte nicht lange, so wurde ein neuer Verdacht laut: Auch das neue Bild zeigt nicht, was es nach Kaloogian zeigen soll, sondern es wurde, wie ein anderer Blogger detailliert nachzuweisen versucht, aus einem Fenster des Hotels Rashid gemacht, das in der „green zone“ liegt. Das würde natürlich darauf hinweisen, dass Kaloogian lieber nicht in das „sichere“ und „stabile“ Stadtzentrum von Bagdad gegangen ist, sondern das Foto, wenn es denn von ihm stammt, aus einem Hotelfenster in der Hochsicherheitszone gemacht hat. Und wenn es stimmt, was ein anderer Blogger mit Fotos zu belegen sucht, dann wurde letztes Jahr, kurz bevor Kaloogian in Bagdad war, eines der Häuser durch einen Bombenanschlag zerstört.

Die Moral von der Geschichte: Mit der Hilfe des Internet und der kollektiven oder schwarmhaften Aufmerksamkeit und Intelligenz vieler engagierter Einzelner können Lügen, Schwindeleien und Irrtümer so schnell und vor allem, wenn einmal angelaufen, nachhaltig aufgeklärt werden, wie das in Vor-Internet-Zeiten nicht möglich war. Und das ist ein gutes Zeichen, da sich das Internet noch weiter ausbreitet und dadurch auch diejenigen mehr werden, die es nach Fehlern und Manipulationen durchsuchen.