Saudische Frauen und der Personalausweis

Ab Sommer 2006 dürfen Frauen selbst einen Ausweis beantragen - aber schon das Ausweisfoto wirft in der konservativen saudischen Gesellschaft mit Schleierzwang Probleme auf

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Saudi-Arabien muss sich verändern, sagt selbst König Abdullah Bin Abdul Aziz. Allerdings, so versicherte er, müssten sich die geplanten Reformen im Rahmen der Scharia halten, zumal Allah Saudi-Arabien gesegnet habe, weil die Verfassung des Landes auf dem Islam basiert. Ob eine Liberalisierung der saudischen Gesellschaft mit Erhaltung der Monarchie überhaupt möglich ist, dürfte ebenso fragwürdig sein wie ein Versuch, einen demokratischen Rechtsstaat unter Bewahrung der Scharia einzuführen. Das betrifft nicht nur extreme Fälle wie Steinigungen von Frauen oder die Exekution von ehemaligen Muslimen, die zu einer anderen Religion konvertiert sind. Wie weit der Weg ist, zeigen schon kleinere Probleme, beispielsweise aktuell, ob denn Frauen Ausweise mit Bildern haben dürfen.

Allerdings gibt es keinen festgelegten Kanon der Scharia. Wie das islamische Gesetz auszulegen ist, ist eine Frage der Interpretation. Im Unterschied zur katholischen Kirche gibt es für Entscheidungen keinen Papst, der Allahs Stellvertreter und damit unfehlbar wäre. Das macht es der islamischen Welt vielleicht auch so schwer, eine stringente Aufklärung der Religion entgegenzusetzen, die nicht so strikt zentralistisch und hierarchisch organisiert war wie die katholische Kirche, gegen die sich zunächst der Protestantismus und in dessen Folge auch die Aufklärung profilieren konnten.

Gleich ob beim Karikaturenstreit oder bei der Frage, ob Menschen, die vom Islam zu einem anderem Glauben übertreten, findet man unterschiedliche Positionen. Der Islam ist monotheistisch, aber pluralistisch, selbst wenn derzeit die Fundamentalisten und Extremisten in der Weltöffentlichkeit größere Aufmerksamkeit finden und die gemäßigten Muslims offenbar Schwierigkeiten haben, sich deutlich vernehmbar zu äußern.

Wie ein aktueller Konflikt in der saudischen Monarchie zeigt, in der die Religionspolizei ein weitgehend ungeregelte Autorität besitzt und willkürliche Verhaftungen vornehmen kann, stößt die strenge Auslegung der Scharia, wie sie von den saudischen Wahabiten praktiziert wird, auf manchmal seltsame Probleme. Im saudischen Königreich haben besonders Frauen einen schweren Stand. Sie müssen in der Öffentlichkeit verhüllt sein (Frauen ohne Kopftuch öffnen die "Türen des Bösen"), dürfen nicht alleine ausgehen, das Fahren ist ihnen verwehrt ("Ich glaube, dass eines Tages Frauen Autofahren werden"), mit dem Wählen gibt es Schwierigkeiten, auch mit der beruflichen Tätigkeit, obgleich viele saudische Frauen hoch gebildet sind. Immerhin dürfen sie seit 2004 selbständig Firmen oder Geschäfte führen.

Seit 2001 werden Frauen auch Personalausweise ausgestellt, aber sie dürfen sie nur erhalten, wenn ihr Mann oder Vater dem zugestimmt hat. Das aber scheint oft schwierig zu sein, weil doch auf einem Ausweis auch ein Foto der Frau sein muss, die ja in der Öffentlichkeit eigentlich verhüllt sein sollte. Was nützt der Schleier in der Öffentlichkeit noch, wenn derjenige, der den Ausweis kontrolliert, dann das unverhüllte Gesicht der Frau sehen kann. Daher sind die Frauen oft nur auf den Ausweisen ihrer Männer ohne Bild eingetragen, was gleichzeitig selbstverständlich auch dazu dient, ihre Bewegungsfreiheit einzuschränken.

Zum Problem wird das allerdings, weil mehr Frauen arbeiten und ihren Geschäften oder an der Börse spekulieren nachgehen. Dazu benötigen sie eigene Bankkonten. Um Betrügereien zu verhindern, verlangen nun Banken in der saudischen Stadt Madinah Ausweise von ihren Kundinnen, wenn sie Geldgeschäfte tätigen oder Geld abheben wollen. Sonst müsste stets ihr männlicher Wächter – etwa der Vater oder der Mann – mit in die Bank kommen, um sich auszuweisen und die Unterschrift zu leisten. Manche Konten wurden auch gesperrt. Die Banken – sollten sie der Emanzipation der Frauen Vorschub leisten? – drohen, weitere Konten einzufrieren, wenn die Kundinnen sich nicht mit Personalausweisen mit Bild identifizieren.

Arab News berichtet über den Vorfall, der Frauen verärgert habe. Angeblich wurde der Identifizierungszwang mittels eines Ausweises mit Portraitfoto nicht rechtzeitig angekündigt. Manche Frauen – die von ihren Männern möglicherweise die Erlaubnis nicht bekommen oder sich an die Tradition halten wollen – werden gar zu Verfechtern der Anonymität und beklagen sich, dass die Banken die Frauen nicht dazu zwingen dürften, Personalausweise haben zu müssen. Die wären andererseits ein weiterer Schritt zur allmählichen Gleichberechtigung der Geschlechter und zur längst überfälligen Auflösung der muslimischen Männerherrschaft.

Ab Juli 2006 wird es allerdings in Saudi-Arabien einen weiteren Aufbruch geben. Ab dann sollen nämlich Frauen auch einen Personalausweis ohne Zustimmung ihres Mannes oder Vaters erhalten können. Der musste, seitdem es überhaupt Ausweise für Frauen ab 2001 gab, persönlich auf das Amt und dort den Antrag für seine Frau unterschreiben. Fragt sich natürlich nur, wie die Bankangestellten herausfinden wollen, ob die verschleierte Frau mit dem Bild auf ihrem Ausweise übereinstimmt. Und man fragt sich auch, ob die saudische Monarchie möglicherweise den Weg über das Ausweisbild gewählt hat, um die Situation für die Frauen zu liberalisieren? Identifikation ließe sich bei Wahrung der Verhüllung beispielsweise auch mit Fingerabdruckscannern überprüfen.