Das Posthumane in der Popkultur

Robocop als Prototyp des Cyborg-Kinos

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der Film Robocop, den der Regisseur Paul Verhoeven 1987 in Hollywood inszeniert hat, ist ein Science Fiction-Streifen um einen tödlich verletzten Polizisten in der nahen Zukunft, der mithilfe moderner medizinischer Technologien in einen Cyborg, also ein Mensch-Maschine-Mischwesen, verwandelt wird. Der Film weist viele Action-Elemente auf, ist zugleich aber auch ein satirischer Kommentar zum Big Business, zu den Medien und zum Cyborg-Thema selbst. Die Figur des Robocop steht im Zentrum zweier Kino-Fortsetzungen (1990 und 1993), einer 22-teiligen Fernsehserie (1993 - 95) und einer vierteiligen Miniserie (2000). Hinzu kommen zwei Animationsserien, mehrere Computerspiele und Comics sowie Spielzeug. Die Annahme ist gerechtfertigt, dass Robocop mittlerweile zu einer popkulturellen Ikone geworden ist. Wenn man Internet-Gerüchten Glauben schenken will, wird bei Sony überlegt, ein Remake des ersten Teils auf dem Stand der heutigen CGI-Technik zu drehen.

Was wir in Hollywood erleben könnten, sei eine "heiße Phase mythopoetischer Produktion", in der die Bilder und Phantasien des neuen Jahrtausends ausgebrütet werden, wie der Philosoph Peter Sloterdijk vor einigen Jahren meinte. Wenn man einen Blick auf die Welle der Cyborg-Filme wirft, die bis Mitte der neunziger Jahre Kinos und Videotheken überschwemmte (und bis heute die Fernsehkanäle), dann wäre da nichts Überwältigendes zu erwarten gewesen: Cyborg, Cyborg-Cop, Nemesis, Universal Soldier, Futurecop, Cyborg Agent, Death Machine, Cyborg Warriors ... Die Liste ist endlos.

Mitunter war schwierig zu unterscheiden, wer da in diesen Machwerken aufeinander ballerte (am Produktionsdesign wurde meist gespart, so dass äußere Merkmale kaum weiterhalfen): naturbelassene Menschen, Cyborgs oder Androiden, also Roboter in Menschengestalt, die von Metropolis (1927) über Blade Runner (1982) und Terminator (1984) bis hin zu Artificial Intelligence: AI (2001) ihre eigene Filmgeschichte hinter sich gebracht haben. Eine Parade "eindimensionaler" Cyborgs zog an den Zuschauern vorüber, die das Science Fiction-Genre gründlich verleiden konnte.

In der Rückschau lässt sich die Periode von 1987-1995 als eine Phase des SF-Kinos bestimmen, in der ein (erster) Boom des Cyborg-Themas zu verzeichnen ist. Dieses Thema war nicht neu. Seinen Ursprung hat es in Konzeptpapieren der NASA, die zu Beginn der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts publiziert wurden. Schon 1966 wird der Spielfilm Cyborg 2087 gedreht, im darauffolgenden Jahrzehnt folgt die bekannt gewordene Fernsehserie Der Sechs-Millionen-Dollar-Mann (1974-78), in der durch einen Unfall lädierte Körperteile ersetzt werden und deren Pilotfilm auf dem Roman "Cyborg" (1972) von Martin Caidin basiert.

Mitentscheidend dafür, dass es nun ab Mitte der achtziger Jahre zu diesem Ausstoß an Filmen kam, ist sicherlich der Erfolg des Cyberpunk in der SF-Literatur gewesen, der das Thema der Mensch-Maschine-Verbindung in neuer Fassung auf die Agenda setzte und ihm einen popkulturell attraktiven Anstrich verpasste. Zudem wurde zum ersten Mal auf breiter Front durch Fortschritte in den Technowissenschaften sichtbar, dass eine posthumane Existenzform sich am Horizont abzeichnet. Der Cyborg stellt insofern einen symbolischen Ausdruck dar für eine grundlegende "Leerstelle", die in der rasant voranschreitenden Technokultur entstanden ist.

Wie die Literaturwissenschaftlerin N. Katherine Hayles schreibt, ist der Cyborg das Produkt eines Prozesses und zugleich ein Anzeichen für denselben. Niemand weiß, was wie auch immer konkret gestaltete zukünftige Technologien, die weiterhin in das Innere des Menschen eindringen, an kulturellen Umwälzungen mit sich bringen werden. Niemand kennt die Identitätsprobleme und emotionalen Konflikte, die diese begleiten werden (und die zuvor ihren thematischen Niederschlag in SF-Filmen finden können). Unbestreitbar ist die grundlegende Ambivalenz dieser anvisierten Mensch-Maschine-Einheit, die sich historisch spezifische Formen des symbolischen Ausdrucks sucht.

Die filmischen Cyborgs waren in dieser Boom-Periode vornehmlich am äußeren Design leicht identifizierbare Mensch-Maschine-Wesen, wie sie zum Beispiel auch in der Fernsehserie Star Trek - Die nächste Generation als Borgs auftraten - ein zum visuellen Klischee geronnenes Abbild, an dessen Auflösung in neueren SF-Filmen gearbeitet wird. So wie das Cyborg-Motiv vorübergehend bevorzugt Bilder um die menschliche Körperlichkeit transportiert hat - und Robocop ist hierfür ein (selbstironisches) Beispiel -, so ist der Cyborg auch ein Wesen einer anderen, technologisch verwandelten Welt, dessen Konturen sich nur erahnen lassen.

Eine satirische Variante des Cyberpunk

Schauplatz der Handlung von Robocop ist die amerikanische Stadt Detroit in der nahen Zukunft (gedreht wurde der Film allerdings größtenteils in Dallas und Pittsburgh). Die Stadt ist offensichtlich heruntergekommen, und der alles beherrschende Konzern OCP (Omni Consumer Products) möchte an die Stelle des alten Zentrums Delta City setzen, eine sauber geordnete High-Tech-Welt unter seiner Regie. Dabei sind Slums natürlich im Weg. Die Polizisten im Revier des Innenstadtbereichs sind durch die grassierende Kriminalität besonders gefährdet, fühlen sich unterbezahlt und wollen streiken.

Der dorthin versetzte Polizeiofficer Murphy wird bei seinem ersten Einsatz, der in den misslungenen Versuch mündet, den Bankräuber Boddicker mit seiner Bande zu verhaften, tödlich verletzt. Da er die Verwertungsrechte an seinem Leichnam seinem Arbeitgeber übertragen hat - OCP hat die Führung und Verwaltung der Polizei übernommen -, kann dieser mit ihm machen, was er will, und verwendet seinen Körper für das Robocop-Projekt. Geleitet wird es von Bob Morton, der seine Chance in dem Moment gekommen sieht, als die Vorführung eines innerbetrieblichen Konkurrenzprodukts, des ED 209 (steht für "enforcement droid") - eines selbständigen Roboters für den Polizeieinsatz -, das sein schärfster Rivale Dick Jones betreut, in einem Fiasko endet: ein Freiwilliger aus der Vorstandsetage wird während der Vorführung erschossen.

Robocop wird als "Ganzkörper-Prothese" hergestellt. "Wir haben das Beste aus beiden Welten kombiniert," wie Morton bei dessen Premiere verkündet, "die schnellsten Reflexe, die moderne Technologie anzubieten hat, ein computergestütztes Gedächtnis und eine lebenslange Programmierung, das Gesetz auf der Straße zu vertreten." Robocop wird in den News als Teil eines "revolutionären Verbrechensbekämpfungsprogramms" angekündigt. Als Handlungsdirektiven werden ihm eingepflanzt: diene dem allgemeinen Wohl, beschütze die Unschuldigen und bewahre das Gesetz (als Abwandlung der Asimovschen Roboter-Gesetze).

Robocop weist die vier Cs des Cyberpunk-Films auf, die Frances Bonner aufzählt: "corporations, crime, computers, corporeality", allerdings in satirischer Überspitzung. OCP hat die Verwaltung der örtlichen Polizei übernommen, weil - wie Jones verlautbart - man aus allem ein Geschäft machen könne. ED 209 wird angekündigt als "Rund um die Uhr"-Polizist, als Gesetzeshüter der Zukunft - und als möglicher Streikbrecher. Als ED 209 den Freiwilligen aufgrund einer technischen Störung mit Maschinengewehrsalven zerfetzt, äußert der Chairman gegenüber Jones bloß seine tiefe Enttäuschung, schließlich könne jede Verzögerung des Projekts die Firma Millionen an Zinsen kosten. Morton prescht daraufhin vor und bietet sein Robocop-Projekt als Alternative an. Jones sieht seine eigenen Interessen im Kampf um die Karriere in Gefahr und droht Morton bei einem Zwiegespräch auf einer Toilette: "Sie haben mit Ihrer komischen Erfindung diese Firma beleidigt. Ich hatte mit der Armee schon einen Kaufvertrag für ED 209, ein laufendes Programm, mit Ersatzteillieferung für 25 Jahre. Wen interessiert es da schon, ob das Ding funktioniert." Der Zweikampf zwischen beiden wird für Morton tödlich enden.

"Robocop war eine Reaktion auf die habgierigen Achtziger", meinte der Autor Ed Neumeier. Und der Film hat nichts von seiner satirischen Schärfe verloren, ganz im Gegenteil: Dass ein kapitalistischer Konzern staatliche Kontrollfunktionen übernimmt und für sein Profitinteresse nutzt, ist keine Übertreibung mehr, wenn man heutzutage auch in bundesdeutschen Medien lesen kann, dass Teilbereiche des hiesigen Gefängnissystems privatisiert werden sollen. Robocop war eine frühzeitige bissige Antwort auf den Privatisierungswahn öffentlicher Güter, der jetzt zur vollen Blüte treibt. Und die typisierten Charaktermasken der Vorstandsmitglieder sind gut getroffen, wenn man an das reale aalglatte Verhalten mancher Manager angesichts großer Wirtschaftsskandale in jüngster Zeit denkt. Besonders der zweite Mann der Firma, Dick Jones, wird portraitiert als gewissenloser zynischer Manager, der buchstäblich über Leichen geht und seinen Widersacher Morton durch Boddicker beseitigen lässt.

Boddicker und Jones pflegen nämlich eine organisch gewachsene Geschäftsbeziehung in einer Welt, in der ethische Regeln gelockert werden und die Exekutive vom Kapital gemanaget wird. Boddicker erledigt die Drecksarbeit und erhält dafür Protektion und die marktbeherrschende Stellung bei Geschäften mit Drogen, Prostitution, Glücksspiel, die der Bau von Delta City in Aussicht stellt, wie Jones ihm ihren Deal schmackhaft macht. Der letzte Kill-Job von Boddicker soll die endgültige Vernichtung Robocops sein. Robocop hatte zuvor eine Rauschgiftfabrik zerstören und dabei Boddicker verhaften können, der natürlich lautstark darauf hinwies, dass er den Schutz durch Jones genießt. Robocop will diesen daraufhin verhaften, aber er ist blockiert durch die einprogrammierte "Direktive 4", die besagt, dass kein Vorstandsmitglied von OCP verhaftet werden darf. "Was dachten Sie, dass Sie sind?", fährt Jones ihn an, "Ein gewöhnlicher Polizeibeamter? Sie sind unser Produkt, und dass sich unsere Produkte gegen uns wenden, werden wir wohl kaum zulassen." Er lässt ED 209 auf Robocop los und ruft die Polizei. Robocop kann mit Lewis` Hilfe seinen Verfolgern entkommen und zu einem alten Industriegelände fliehen, während sich Boddickers Bande für den Showdown mit neuen wirkungsvollen Waffen ausrüstet, die Jones ihnen verschafft ("Das Militär hat nichts, was wir nicht auch haben.").

Robocop liefert das zugespitzte Bild eines Kapitalismus, der das öffentliche Leben unter seine Kontrolle bringen will und dabei den Einfluss der Politik zurückdrängt. Die Grenzen zwischen kapitalistischem Unternehmertum und Kriminalität verschwimmen. Robocop mit seiner Polizei-Funktion nimmt allerdings nicht den Standpunkt der "Straße" ein, wie das Credo des Cyberpunk lautet, er ist das Produkt eines gesellschaftlichen Kontrollsystems, das am Ende nicht hinterfragt wird (im dritten Teil der Robocop-Filmreihe wird es allerdings zu einer Revolte gegen OCP kommen). Robocop wird Jones erschießen, nachdem der Chairman, den Jones als Geisel hält, diesen feuert (und damit die "Direktive 4" deaktiviert). Ansonsten bleibt alles beim Alten.

Robocop gestaltet jedoch einfallsreich die Widersprüche eines zukünftigen Bildes des US-Kapitalismus. Die zunehmende Verarmung, die zunehmende Verrohung des Lebens wird im Robocop-Universum immer wieder, auch in den nachfolgenden Filmen und TV-Serien, zum Thema gemacht. In den omnipräsenten Fernsehnachrichten wird einmal ein Arbeitsloser interviewt: "Es ist ein freies Land hier. Aber frei ist hier eigentlich nichts, weil hier nichts sicher ist, wissen Sie. Du stehst allein da. Gesetz des Dschungels." Paul Verhoevens Aussagen in Interviews lassen darauf schließen, dass die Kritik am "corporate capitalism" intendiert war. Und die Nachrichten im amerikanischen Stil gesondert zu veralbern, war für Verhoeven ein zusätzliches Anliegen:

Robocop is mostly about the idiocy of American television. These kind of people that flip-flop between extreme sadness, and fun, and a commercial. I always thought that Robocop was my reaction to being thrown into American society, and looking around with wide eyes, thinking ´this is completely crazy´.

Die immer wieder in den Film eingeblendete TV-Sendung "Media Break" ist eine Nachrichtenshow mit Unterhaltungselementen, die sogar von zwei echten Fernsehjournalisten moderiert wird. Der Film bietet auch eine beißende Satire auf die Warenästhetik. "Media Break" wird unterbrochen mit diversen Werbespots für "Nukem", ein Spiel um atomare Erstschläge für die ganze Familie, oder für Kunstherzen, bei dem ein Mediziner eine ganze Kollektion an künstlichen Organen anpreist. Allein dieser kurze Spot ("Sie wählen Ihr Herz!") lässt ahnen, wie sehr die posthumane Option auch eine Frage des Geldbeutels sein wird.

Auf der Suche nach der (verlorenen) Identität

Es ist nicht zu leugnen, dass die Handlung des Films in konventionellen Bahnen verläuft. Robocop bleibt ein traditionelles Erzählsubjekt, das Konflikte einer "Identitätskrise" durchmacht - eine dramaturgische Notwendigkeit, um eine Identifizierung des Zuschauers zu erleichtern. Robocop überwindet die größte Krise, die sich nur schwer vorstellen und nachempfinden lässt: das Ereignis des eigenen Todes. Da Officer Murphy in neuer Form weiterexistieren wird, bedeutet das gleichzeitig auch den Verlust der Familie und aller bisherigen Lebensbezüge (bis auf seinen Polizeijob). Der Film zeigt gewissermaßen die vollständige Entfremdung einer Figur von sich selbst, die durch eine psychische Hölle geht, um wieder zu sich zu kommen.

Murphys Exekution wird ausführlich gezeigt. Im Krankenhaus stirbt er an seinen schweren Verletzungen. In den ersten Szenen nach seiner "Wiederauferstehung" handelt Robocop wie ein Polizeiroboter - "Robocop hat keinen Namen, er hat ein Programm", so Morton - und liefert Beweise für seine technische Zuverlässigkeit in der Jagd nach Kleinkriminellen. Er stößt dabei jedoch auf ein Mitglied aus Boddickers Bande, was eine Irritation in seinem künstlichen manipulierten Bewusstsein auslöst, da dieser ihn als Opfer erkennt und für tot hält.

Robocop forscht in einer Polizeidatenbank und erfährt schließlich von Murphys Existenz. Er fährt zu dessen altem Haus, und Erinnerungen an sein Familienleben tauchen in seinem Bewusstsein auf. Entgegen der zu erwartenden "Selbstbeherrschung" als technischem System lässt Robocop seine Frustrationen raus und zertrümmert einen PC der Immobilienfirma, die das Haus verkaufen will. Trotz seiner starken maschinellen Verfasstheit seines Körpers zeigt er menschliche Schwächen, was in dieser Situation jeder Kinobesucher nachempfinden kann.

Die Schlüsselszene ist, wenn Robocop vor dem großen Showdown auf dem Industriegelände in Anwesenheit von Officer Lewis seinen Schutzhelm, also seine "Charaktermaske", abnimmt und in eine spiegelnde Fläche schaut (Murphys Gesicht ist erhalten, während sein Hinterkopf maschinell ist). Lewis hatte ihn zuvor schon mit seinem Namen angesprochen. Das ist der Moment der wiederkehrenden Selbsterkenntnis, bei dem Robocop allein sein möchte und die mitfühlende Lewis wegschickt. Er wird wieder mit sich identisch und akzeptiert sein Schicksal. Gestärkt durch diesen Vorgang geht er ohne den Helm in das Duell mit Boddicker und löscht die ganze Bande während des Kampfes aus.

Für die letzte Abrechnung macht er sich auf den Weg zu OCP. Wenn er am Ende seinen Widersacher Jones besiegt hat (und nebenbei auch noch seinen vollständig maschinellen Konkurrenten ED 209), zeigt er Stolz und antwortet ganz selbstverständlich auf die Frage des Chairmans, wie sein Name sei, mit "Murphy". Der Zyklus ist abgeschlossen. Der Zuschauer wird diese emotionale Verwandlung, in der große psychische Probleme bewältigt worden sind, als heldenhaft empfinden. Verhoeven sagt auch, dass er mit dem Film zeigen wollte, was die menschliche Seele alles aushalten könne. Dieser Aspekt von Robocops "Persönlichkeitsentwicklung" dürfte zum Erfolg der Figur entscheidend beigetragen haben. Seine dramatische Situation lässt ihn reifen, er kann seine "ideologische Programmierung" als reiner Befehlsempfänger durchbrechen und wird auch menschlich gesehen ein anderer als er vorher war.

Natürlich gibt es diesbezüglich auch andere Interpretationen. "Robocop verkörpert das Leiden an dieser Verschmelzung", behauptet Marcus Stiglegger, "die Klage über den Verlust der Menschlichkeit, die geheime Sehnsucht nach der bürgerlichen ´heilen Welt´." Robocop träumt nicht, wie auch andere Rezensenten meinen, von der Wiederherstellung seiner Lebenswelt mit Kleinfamilie. Die ist unwiderbringlich verloren, und er akzeptiert, dass seine Frau und sein Sohn ein neues Leben begonnen haben. Auf der oberen Erzählebene überwindet Robocop seine Enttäuschung über die ihm zugemutete Existenzform als Maschinenwesen und gewinnt gerade, indem er diese Belastung auf sich nimmt, eine neue Identität als Murphy und damit eine neue Menschlichkeit. Seine Robocop-Existenz ist erzähltechnisch eiegntlich vergleichbar damit, wie in anderen Filmen das Leben unfreiwillig Behinderter geschildert wird.

Die Figur des Cyborg-Polizisten bleibt von ihrer Anlage her gebrochen, ambivalent, und sie umfasst verschiedene Bedeutungskomplexe, die in Spannung zueinander stehen. Robocop handelt menschlicher als andere Figuren, er repräsentiert ein Schicksal, aber zugleich ist seine Existenz eine Provokation, die die Frage stellt, was "menschlich" ist. Robocop nimmt Themen auf, die sich ganz praktisch in der Medizin entwickelt haben: die Prothetik als Ersetzung von Körperteilen durch künstliche Artefakte. In anderer Hinsicht wiederum stellt Robocop von Anfang an auch eine komische Einlage dar, etwa wenn er mit seinem Zielsuchsystem die menschlichen Kollegen bei Schießübungen übertrifft. Auch wenn er als handelndes Subjekt neu eingeführt wird, so ist der Aufwand, der für seinen Unterhalt aufgebracht wird, doch beträchtlich: mehrere Wissenschaftler stehen offenbar im Keller der Polizeiwache zur Verfügung, um ihn zu warten und seine technischen Systeme zu überwachen.

Hinter seiner Rolle steht die an sich schon absurde Idee eines optimierten Gesetzeshüters, der absolut objektiv, unbestechlich, fehlerfrei handelt und dem Verbrechen den Garaus macht. Bei Robocop ist alles das von Murphy abgespaltet, was "Ich" und "Es" waren. Robocop ist gewissermaßen ein reines "Über-Ich", bis sich allmählich wieder sein "Ich" meldet. Auch das "Es", seine menschliche Triebnatur, scheint zumindest trotz großer körperlicher Beeinträchtigung in Residuen noch vorhanden zu sein - Robocop meint an einer Stelle gegenüber Lewis, dass er seine Familie noch fühlen, sich aber nicht erinnern könne.

Robocop ist eine Imagination aus der Frühgeschichte der Cyborgs. Man kann ihn auch interpretieren als Karikatur auf die Cyborg-Idee - sein Körper-Design erinnert tatsächlich an einen bodybuilding-mäßigen männlichen "Körperpanzer" (für die Rolle von Robocop war ursprünglich Arnold Schwarzenegger gecastet worden). Claudia Springer hat auf den Umstand hingewiesen, dass für die Inszenierung der neuen Mensch-Maschine-Einheiten in den achtziger Jahren eine Bildlichkeit benutzt wird, die stark mit Körper-Funktionen verbunden ist. Robocops Körperform betont eigentlich etwas, das durch den technischen Fortschritt massiv bedroht ist: die Arbeitskraft des (männlichen) Körpers, die zunehmend aus der Produktionssphäre verdrängt wird. Robocop ist plump, langsam in seinen Bewegungen, die mehr daran denken lassen, dass da jemand eine Ritterrüstung trägt (was wiederum die Akzeptanz durch das Publikum begünstigt haben dürfte), dann wieder hochmodern, wenn es um die schnellen direkten Datenbankabfragen geht. Er stellt wirklich keine perfekte Einheit dar.

Die Mensch-Maschine-Symbiose ist relativ einfach gestaltet (das Design ist laut Verhoeven dem weiblichen Androiden Maria aus Metropolis nachempfunden, einem seiner Lieblingsfilme). Letztlich besteht Robocop aus einem organischem Gehirn (mit künstlichen Gedächtnisinhalten), einigen Innenorganen und einem komplett neuen Metallkörper. Er spricht mechanisch, "computermäßig" nach Maßgabe früher Sprachprogramme. Witzig eher, dass in seinen Oberschenkel eine Halterung für seine Waffe eingebaut ist.

Derr Film bietet darüberhinaus auf der Subtext-Ebene Einblicke in die Rekonstruktion der Identität durch Technologie in der heutigen Kultur. Robocop symbolisiert die Erfahrung einer umfassenden Modernisierung, mit deren Hilfe der Kapitalismus versucht, Warenproduktion und -verkehr zu verbessern. Die Geschwindigkeit der Einführung neuer Technologien nimmt zu, die einhergehen mit neuen Anforderungen an Lernbereitschaft und Aufmerksamkeit und die auch imaginär verarbeitet werden. In dieser Modernisierung gehen andere Erfahrungen und (Teil-)Identitäten notwendig verloren. Fred Glass ist der Meinung, dass der Film ...

provide the viewers with an unconscious vehicle for dealing with the collective issues raised by the transition, under capitalist control, from a relatively stable national, mechanical / industrial society to a new and uncertain transnational information technology order. (...) The cyborg, part human and part computer, struggling to achieve a meaningful identity, in this context becomes a character with which a sizeable fraction of the audience can identify, albeit mostly at an unconscious level.

Ganz allgemein werden die Zuschauer über die Bilder einer High-Tech-Gesellschaft und des Gebrauchs neuer Technologien zur Identifikation mit einem schnellen, technisch geprägten Lebensstil gedrängt. Aber in Robocop werden neuartige Identitätsprobleme einer technokapitalistischen Gesellschaft hinzugefügt: die Hauptfigur besitzt mehrere Identitäten, eine Vergangenheit als Vater, Mann, Polizist, während er in seiner Transformation zu etwas Neuem geworden ist, das er (und seine Umwelt) identitätsmäßig noch nicht bewältigen - bis "er" es integrieren kann. Indem Robocop seine Identität wiederfindet, unterläuft er zugleich seine eigene Programmierung, leistet er Widerstand und liefert einen Beweis, dass seine Besitzer von OCP (und damit stellvertretend der Kapitalismus) die Technologie nicht gänzlich unter Kontrolle haben können. Robocop schaltet sich eigenhändig in technische Netzwerke ein, als er in der Datenbank nach Informationen zu seiner Herkunft sucht.

Verhoeven gives us a representation of a new field of forces. In the background of the film are capitalism with its relentless search for profits and Hollywood escapist violence. But something new is added that, at one level, reinforces these themes, and, at another level, undermines them: new discursive practises of the mode of information now take the lead in controlling and empowering the body. Science reconfigures the body at will and electronically mediated communication (taped memory) works to undo the forces of evil.

... kommentiert Mark Poster. Dass Robocop dazu in der Lage ist, Informationen direkt in sein Gedächtnis einzuspielen, ist zudem ein Aspekt, der dem Cyborg zu einem "Interface-Körper" verhilft als einer weiteren Transformation.

Elemente des Cyborg-Kinos

Eine ganze Reihe von Cyborg-Motiven ist in den letzten Jahrzehnten in die populäre Kultur eingedrungen: da gibt es monströse, verunstaltete Mensch-Maschine-Einheiten, die das menschliche Leben bedrohen (wie die schon erwähnten Borgs), aber auch neue, positiv besetzte Superkräfte, die aus einer merkwürdig "glatten" Verschmelzung von Körper und Technik hervorgehen (wie bei den Power Rangers). In neueren Hollywoodstreifen kommen nun verstärkt die Gen- und Nanotechnologie zum Einsatz (und lösen damit bisherige Vorstellungen von Mensch-Maschine-Synthesen ab). Dazu schreibt Serjoscha Wiemer:

Hier zeichnet sich ein Gegenmodell zu den Cyborgs ab: Die Ordnung des Körpers zerfällt, einzelne Körperteile entwickeln ein Eigenleben und beginnen sich selbständig zu verändern oder unkontrolliert zu wuchern. Während die Cyborgs den organischen Körper durch Abstraktion in eine Maschine verwandeln, die Bedürfnisse wie Schlaf, Hunger oder Sexualität kaum mehr kennt, verkörpern die Mutantenkörper durch ihre somatische Rebellion die Gegenthese zu dieser Abstraktion und legen eine utopische Fluchtlinie offen.

In Alien - Die Wiedergeburt (1997), dem vierten Teil der Serie, wird die weibliche Hauptfigur Ripley aus genetischem Material der vorherigen Ripley geklont, die am Ende von Teil 3 Selbstmord begangen hat und mit einem Alien schwanger war. In der neuen Ripley mischen sich folglich menschliche und fremdrassige Gene. Spawn (1997) ist die erste Verfilmung einer in den USA sehr erfolgreichen Comic-Serie von Todd McFarlane. Die Hauptfigur Spawn geht - diesmal im wahrsten Sinne des Wortes - durch die Hölle und kehrt Jahre später als Außenseiter in die wirkliche Welt zurück, ist er doch ein wandelnder verbrannter Leichnam. Vor seinem unfreiwilligen Ableben noch mit einem biotechnologisch erzeugten Virus verseucht, entdeckt er nach und nach seine Superkräfte: er ist in der Lage, seine Gedanken mithilfe einverleibter Nanotechnologie in materiell kontrollierte Körperreaktionen zu übersetzen, eine Schutzhaut anzulegen und Dinge aus seinem Körper wachsen zu lassen. Ihn umweht ein lebender Umhang, der ständig in Bewegung ist und sich in eine Waffe und anderes verwandeln kann.

Die Cyborgisierung kann, wie das vorhergehende Kapitel gezeigt hat, auch interpretiert werden als Metapher für neue Muster des Technologiegebrauchs und neue Erfahrungen ihrer Verkörperung. Die amerikanische Biologin und Historikerin Donna Haraway analysierte 1982 den Cyborg denn auch als Metapher, als Theorie-Fiktion, an der sich die Beschaffenheit der gesellschaftlichen und körperlichen Realität ablesen lasse. Der Körper sei als solcher "denaturalisiert", er müsse als Konstrukt gesehen werden:

die gesellschaftlichen Wissenschafts- und Technologieverhältnisse, wie sie in der Elektronik und Biotechnologie sichtbar werden, sind mächtige Techniken zur Intensivierung des Warencharakters aller Dinge, teilweise durch die Verschiebung und Neuziehung grundlegender Grenzen, durch die die Gegenstände gesellschaftlich konstituiert werden. Zu diesen Gegenständen gehören wir selbst.

Dass OCP die freie Verfügungsgewalt über Murphys Körper hat, wirkt wie eine ironische Bestätigung dieser Analyse. Letztlich macht ihn diese liebevolle altmodische Gestaltung vom heutigen Standpunkt eher untauglich für modernere Cyborg-Fiktionen, um die zunehmende Verfügbarkeit und Flexibilisierung des menschlichen Körpers samt seiner Psyche als Anforderung im Kapitalismus zu reflektieren.

Und doch findet sich in dem Film etwas, das ihm einen festen Platz in der Filmgeschichte sichert, wenn sie unter dem Aspekt posthumaner Themen betrachtet wird. Die Hinrichtungsszene gibt einen Eindruck von der Dramatik des Todes und der Zerstörung des menschlichen Körpers (der Schauspieler Peter Weller wurde für diese durch eine Puppe ersetzt). Eine überraschende Situation für die Zuschauer: Die Hauptfigur ist tot, sie muss also irgendwie wiederbelebt werden, um noch Held einer Geschichte sein zu können. Aus Murphys Sicht nimmt der Filmbetrachter den vergeblichen Kampf der Ärzte und sein Ableben wahr. Zwischen die Aufnahmen von den Rettungsversuchen schieben sich Erinnerungsbilder seines Lebensfilms. Auf der Tonspur sind nur die Ärzte zu hören, die schließlich ihre Bemühungen einstellen. Es folgt Schwarzbild. Dann taucht aus der gleichen subjektiven Perspektive ein Videobild auf, das technisch justiert wird, erlöscht, wieder eingeschaltet wird. Robocops Wahrnehmungssystem wird aktiviert. Kameramann Jost Vacano erklärt dazu:

Wir wollten die Wahrnehmung dieses Gehirns zeigen, dem während der Operation Chips und ein künstliches Gedächtnis eingepflanzt werden. Zunächst erkennt der Robocop und mit ihm der Zuschauer die Dinge nur schemenhaft, nimmt irgendwelche abstrakten Strukturen wahr, die sich allmählich konkretisieren. Es entstehen auch sehr komische Momente, etwa, wenn sich die Gesichter, die auch erst nach und nach Schärfe kriegen, zu ihm herunterbeugen. Dieser subjektive Blick einer halb künstlichen Intelligenz, bei dem die unmittelbare visuelle Wahrnehmung stets von künstlichen Strukturen, Zeichen und Zahlen überlagert wird, zieht sich später durch den ganzen Film.

Dieser Übergang von Murphy zu Robocop ist so interessant inszeniert, dass diese Sequenz als eine der ersten visuellen Darstellungen für das Posthumane gelten wird, wenn auch ironisch überformt. In dem Maße, wie Robocop über einen Interface-Körper verfügt, verlässt er den Bereich menschlicher Zuschreibungsmöglichkeit. Allerdings ist hier die Grenze des Robocop-Ansatzes erreicht.

Im Großen und Ganzen bleibt die Cyborg-Vision von Robocop auf einen technisch umgerüsteten Körper beschränkt, ohne seine Kernerzählung einer Identitätskrise auszudehnen. Robocop hat dazu beigetragen, die Dimension des Posthumanen positiv zu besetzen, und "mehr" auszusagen als nur eine normale Krisenerzählung, abgesehen von seinen satirischen und sozialkritischen Qualitäten. Doch der technische Fortschritt macht auch vor der Erfindung des Robocop nicht halt. Die Cyborgs der Zukunft werden in Richtung wuchernder biotechnoider Mutantenkörper zu suchen sein, wie sie in Filmen wie Spawn präfiguriert worden sind.

Literatur