Schule als Strafe

Nur wer beim E-Learning schlechte Noten hat, muss hingehen

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Zu Anfangszeiten des WWW gab es lebhafte Diskussionen um E-Learning und wie das Internet die Schule abschaffen würde. 2006 sind die technischen Möglichkeiten da, die man sich damals vorstellte, aber die Utopie einer Ablösung der Schule ist aus der öffentlichen Diskussion fast völlig verschwunden.

In der Wikipedia heißt es dazu nur kurz: "[m]ittlerweile weiß man, dass E-Learning die traditionellen Bildungsformen nicht ersetzen kann." Warum dies der Fall sein soll, wird nicht weiter ausgeführt. Lediglich "Nachteile" des E-Learning werden aufgezählt, doch auch diese wirken eher gezwungen. So heißt es, dass Kinder erst lernen müssten, mit elektronischen Lernmedien umzugehen, dass "zu wenig Qualitätsprodukte am Markt" seien und zu wenig Lehrer im E-Learning-Bereich arbeiten würden, dass "Techniker" und "Technik" die Lerninhalte bestimmen und die soziale Kompetenz nicht gefördert werde.1

Im Vergleich zu den bestehenden Nachteilen der Schule wirken diese Nachteile des E-Learning allerdings eher lächerlich. So scheint es etwa durchaus ein Vorteil, wenn die "soziale Kompetenz", die Kinder an der Rütli-Schule erwerben, sich nicht weiter ausbreitet (vgl. Regelschule im Ausnahmezustand).

Angstfreies Lernen

In einer Schule muss der Hauptaufwand darauf gelegt werden, Prestige zu erwerben (wie im Büro und im Gefängnis). Dabei spielt das Prestige bei formellen Vorgesetzten (Lehrern) häufig eine untergeordnete Rolle gegenüber dem bei informellen Vorgesetzten (Bullies). Das führt dann in einer Schule strukturell (ebenso wie im Büro oder im Gefängnis) zu einem Klima, das nicht in jedem Fall lern- oder bildungsförderlich sein muss: In der Wikipedia kommt beim Eintrag School der Gliederungspunkt "bullying" an erster Stelle. Angst wird aufgrund dieser Struktur weniger von den Lehrern, als von den Schülern selbst erzeugt.

Vorschläge, Haupt- und Realschulen zusammenzulegen, oder Rufe nach mehr Gesamtschulen verkennen die grundsätzliche Wirkungsweise dieser Struktur, aufgrund derer auch andere Schulen einen fruchtbaren Nährboden für eine Übernahme der in Hauptschulen entwickelten Kultur bilden.

Eine Möglichkeit, dem zu entgehen, wäre die konsequente Umstellung auf ein E-Learning-System: Kein bloßer Einsatz überteuerter Laptops und Programme im Klassenzimmer (Vgl. Erste Laptops mit drahtlosem Internetzugang an Stuttgarter Schule), sondern Hausunterricht. Diesem Hausunterricht hängt in Deutschland allerdings noch der Geruch religiöser Fanatiker an – und er ist bis auf wenige Ausnahmefälle verboten.

In der Schweiz und in Österreich ist Hausunterricht erlaubt. Das Problem, wie man ohne Schulen die Nachkommenschaft von "bildungsfernen Eltern" mit einem gewissen Grundinstrumentarium an Bildung versehen kann, wurde dort durch eine regelmäßige zentrale Überprüfung des Wissenstandes gelöst. Eine Lösung, die sich auch für E-Learning anbietet.

Schule als Strafe

Das Modell Schule stammt aus einer Zeit, als Informationsträger sehr teuer waren und aus Kostengründen mit Kreide auf eine Schiefertafel geschrieben werden musste. Die Schiefertafeln verschwanden, der zentrale Ort blieb. Und mit ihm seine Nachteile: Im Vergleich zum bequemen Lernen am eigenen Bildschirm mit relativ freier Zeiteinteilung ist die Situation einer Schule mit langem Schulweg, aggressionsfördernden Busfahrten mit Kämpfen um Sitzplätze und starren Zeiten (vgl. Frühes Aufstehen führt zu Dauer-Jetlag) durchaus eine Strafe. Warum sie also nicht als solche einsetzen?

Wer in den regelmäßigen zentralen Prüfungen zu schlecht ist, könnte in einem E-Learning-System zur "Strafe" bis zur nächsten bestandenen Prüfung mit einer Schulpflicht belegt werden. Das würde Anreize für Bildung erzeugen, die sehr unmittelbar wirken.

Um ein erneutes Entstehen dysfunktionaler Strukturen zu verhindern, sollten zur Strafe zum Schulbesuch gezwungene Kinder durch die, aufgrund des Umstiegs des Großteils der Schüler auf elektronischen Hausunterricht, freigewordenen Lehrer im Schichtbetrieb einzeln oder in sehr kleinen Gruppen unterrichtet werden. Gewaltauffällige Schüler dürften ausschließlich Einzelunterricht erfahren. Je schlechter ein Schüler ist, desto länger müsste er in der Schule bleiben – was den Zeitrahmen eines normalen Schultags durchaus erheblich übersteigen sollte. Kinder könnten auf diese Weise schädlichen Einflüssen im Elternhaus entzogen werden. Erreicht ein Schüler bei der Jahresprüfung die geforderte Punktzahl, dürfte er es im nächsten Jahr wieder ohne Schule probieren.

Kostenersparnisse

In einem System der Regelbildung via E-Learning-Hausunterricht ließen sich die kommunalen Etats durch den Wegfall eines Großteils der Raum-, Strom- und Heizkosten erheblich reduzieren. Das Modell verspräche aber nicht nur erhebliche Einsparungen für die öffentlichen Kassen, sondern auch für die Eltern: Alleine für die in Bayern jährlich fälligen 20 Euro Büchergeld könnten sich Eltern wesentlich mehr als den für häusliches E-Learning notwendigen, gebrauchten Pentium-1 mit Ubuntu kaufen. E-Learning-Software gibt es zuhauf als Open Source-Produkte, die von den Kultusministerien nur angepasst oder weiterentwickelt werden müssten. Beispiele wären Moodle, LON-CAPA oder ILIAS. Das Schulungsmaterial für das E-Learning könnte vom Kultusministerium zusammengestellt oder entworfen, unter eine Creative-Commons-Lizenz gestellt und auf DVD oder via Internet kostenlos an die Eltern schulpflichtiger Kinder verschickt werden. Anbieten würde sich auch die Einrichtung von WLAN-Spots, zu denen Eltern mit schulpflichtigen Kindern kostenlos Zugang bekommen. Ein Nebeneffekt davon wäre, dass diese Zugänge einen fast kostenneutralen Anreiz darstellen, sich Kinder zuzulegen.

Die komplette Umstellung des Systems könnte zudem als Instrument für eine Entbürokratisierung der Lerninhalte genutzt werden. Unter anderem könnte dabei hinterfragt werden, ob Sport, Musik, Kunst und Religion unbedingt mit öffentlichen Zwangsprüfungen gefördert werden müssen.

Aufsicht durch Recht auf Telearbeit

Das Problem der Aufsicht von Kindern während des häuslichen E-Learning ließe sich durch die Einlösung eines anderen alten Versprechens aus der Frühzeit des Internet lösen: Ein Recht nicht nur auf Teilzeit, sondern auch auf Telearbeit (wofür wiederum der kostenlose WLAN-Zugang genutzt werden könnte).

Unternehmensbürokratien erwiesen sich bisher für eine umfassende Einführung von Telearbeitsplätzen, trotz aller potentiellen Wettbewerbsvorteile, als zu unbeweglich – ein Indiz dafür, dass auch Führungskräfte sich ihren eigenen Pausenhof erhalten wollen, auf dem sie nach Herzenslust Rütli-Bully spielen können.