Integration, nicht Assimilation

Die Abschlusserklärung einer Konferenz europäischer Imame macht die Gratwanderung der Muslime in Europa deutlich, aber auch die Schwierigkeiten, sich in eine säkulare Gesellschaft zu fügen

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In Wien wurde zum Ende einer von der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich organisierten „Konferenz für europäische Imame und SeelsorgerInnen“, die von der EU und der österreichischen Regierung mit veranstaltet wurde, eine Erklärung veröffentlicht. Darin bekräftigten die 130 muslimischen Geistlichen aus 40 Ländern ihr schon 2003 in Graz geäußertes Bekenntnis zu Pluralismus, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und den Menschenrechten. Deutlich wendete man sich vom Extremismus ab, kritisierte aber auch die wachsende Feindlichkeit und Diskriminierung gegenüber den Muslimen, deren Religion mit Terrorismus gleichgesetzt werde. Aber man sieht sich auch in der Pflicht, sich deutlicher zu äußern – und zeigt trotz aller Bemühungen, dass es noch viel zu tun gibt.

Erklärungen haben es in sich, dass sie mit großen, meist wenig überzeugenden Worten und Absichten daherkommen. Deutlich aber wird in der Wiener Erklärung, dass die moderaten Muslime, die an ihrem Glauben festhalten, aber sich von den Radikalen distanzieren wollen, eine schwierige Gratwanderung zwischen den Erwartungen aus dem eigenen Lager und denjenigen vollziehen, die aus den Gesellschaften kommen, in denen sie leben. So wehren sie sich bei allem demonstrierten Integrationswillen auch gegen für sie überzogene Forderungen der Anpassung, suchen dem negativen Begriff der Parallelgesellschaft das Bild einer pluralen Gesellschaft entgegenzusetzen und sehen sich als Sündenböcke für die Ablehnung von Ausländern in vielen europäischen Ländern:

In verschiedenen europäischen Ländern sind soziale und wirtschaftliche Spannungen gleichzeitig in Zusammenhang mit einer oft aggressiv und emotional geführten „Ausländerdebatte“ zu bringen. Muslime werden pauschalierend benutzt, um ein Bild des „Fremden“ entstehen zu lassen, das in Zeiten der Unsicherheit Halt in einer negativen Abgrenzung bietet. Es scheint, als solle damit ein „Wir“-Gefühl erzeugt werden, das Gesellschaften, die massiv unter einem Verlust des sozialen Zusammenhangs leiden, zunehmend abhanden kommt.

Eine religions-, gar islamkritische Debatte durfte man sich von diesem Forum nicht erwarten, das eher verstärkt darauf setzt, mit theologischen Argumenten den Extremismus zu bekämpfen. Man sieht in manchen der zurückhaltend formulierten Ansätze aber auch die Schwierigkeiten, die der Islam mit der Aufklärung hat. So bekennt man sich zu Religions- und Meinungsfreiheit, aber sagt auch, „dass sich im Umgang mit dem Islam ein solcher Konsens erst noch bilden muss“, bei dem es um die Grenzen der Meinungsfreiheit geht. Hier scheint auf, dass wohl nach Ansicht der Anwesenden nicht der Islam, sondern die Pressefreiheit angepasst werden muss.

Man ist für Religionsunterricht in der Landessprache an den Schulen, überhaupt betont man die Wichtigkeit, die Sprache des Landes zu beherrschen. Ein wenig müde wirkt die Argumentation, dass der Islam nicht auf einer Einheit von Religion und Politik besteht. Man verweist auf die Vergangenheit, in der es auch anders gewesen ist oder in der sich der Islam als offen gegenüber der Wissenschaft erwiesen habe. Beim Thema Scharia wird auch keineswegs deutlich, in welcher Weise diese gehandhabt werden soll, also welche Vorschriften man als wichtig erachtet. Es heißt zwar, dass gerade über die Scharia große Missverständnisse herrschen, aber warum können die Imame nicht sagen, dass beispielsweise die Scharia nicht prinzipiell das Tragen von Kopftüchern oder eine Verschleierung verlangt.

Die Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem ist interessant, allerdings würde man sich hier auch eine Kritik an den reichen Sippen erwarten, die viele Länder im Nahen Osten wenig demokratisch, aber auch mit religiöser Unterstützung regieren:

Menschenwürdiges Leben in Gegenwart und Zukunft zu sichern ist aus islamischer ökonomischer Sicht mit einer Reihe ethischer Richtlinien verbunden. Dazu gehören ein Zinsverbot, ein Monopolverbot, das Verbot von Spekulationen und die Pflicht zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Konsum und Rohstoffen.

So verschwommen und einfallslos die Ausführungen zur „Jugend“ sind, so deutlich sind immerhin grundsätzliche Erklärungen zur Stellung der Frau, also zur uneingeschränkten Gleichberechtigung. So heißt es: „Jede Form von Verletzung von Frauenrechten soll kritisiert und bekämpft werden. Zwangsehe, FGM, Ehrenmorde und familiäre Gewalt haben keine Grundlage im Islam.“ Aber etwa beim Kopftuch wird man wieder windelweich. Anstatt den Kopftuchzwang aus der Religion heraus aufzulösen, wird das Kopftuch als Einlösung der Selbstbestimmung der Frau gesehen, weswegen ein Kopftuchverbot „kontraproduktiv“ sei, da dies „Frauen von wesentlichen Bereichen des Lebens“ ausschließe. Wenn es um Selbstbestimmung geht, dann müssten die Frauen und Mädchen auch tatsächlich selbst bestimmen können, ob sie ein Kopftuch tragen wollen oder nicht. Und das könnte man auch deutlich sagen.

Trotz der Bemühungen ist der Weg wohl noch weit, aus einem religiös-politischen Weltbild zu einer deutlicheren Trennung von Religion und Staat zu kommen (fundamentalistische Strömungen gibt es freilich nicht nur im Islam, sondern natürlich auch bei den Christen, bei denen die Trennung von Staat und Religion keinesfalls fest gefügt ist). Was die religiösen Führer aber wahrscheinlich auch wegen ihrer Abhängigkeit von den Gemeinden kaum leisten können, sollten die moderaten und liberalen Muslime aber vorantreiben. Es gibt innerhalb der muslimischen Communities zu wenig kritische Diskurse, die nach außen dringen und Öffentlichkeit hereinholen.