Boomtown Moskau

Das neue Moskau sieht ganz schön alt aus

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Wenige Jahre nach dem Umbruch von der Plan- zur Marktwirtschaft setzte in Moskau ein Bauboom von gigantischem Ausmaß ein. Doch statt zeitgenössischer Architektur entstehen zahlreiche Nachbildungen historischer Bauten. Ohne Rücksicht auf gewachsene Stadtstrukturen beherrschen die Interessen der Investoren das Baugeschehen. Selbst vor der raren historischen Bausubstanz wird nicht Halt gemacht. Dabei gibt es spannende Entwürfe, wie überkommene Strukturen neu belebt werden können. Das Projekt "ArchXchange" entwickelte dazu Pläne am Beispiel einer Fabrik.

Eine hohe rote Mauer, hinter der sich der Kreml erhebt. Seitlich davon liegt die Basiliuskathedrale mit ihren Zwiebeltürmen. Ein malerisches Bild, eine beliebte Kulisse in den Fernsehnachrichten. Eines der wenigen Stadtbilder Moskaus, die bei der radikalen Neugestaltung Moskaus selbstverständlich nicht zur Disposition stehen.

An anderer Stelle sieht der Generalplan der Stadtverwaltung für die Entwicklung Moskaus bis 2020 einen Umbau von gut 40 Prozent der Stadtfläche vor. Selbst die Altstadt bleibt nicht verschont. Bis 2015 plant die Stadtverwaltung den Bau von 200 Wolkenkratzern. "Die Projekte sind gigantisch", stellt Architekturkritikerin Olga Sobolewskaja fest. Ihrem Bericht zufolge hat der Erste Stellvertreter des Oberbürgermeisters, Wladimir Ressin, den Moskauern Ende 2003 versprochen, dass die russische Metropole nach der Modernisierung maximal komfortabel für das Leben werde. Und wo es dem Stadtbild an russischer Tradition fehlt, werden historische Bauten einfach kopiert.

Neostalinistischer Baustil

Triumph Palace. Foto: Don-Stry

Schon heute prägen nach historischen Vorbildern gebaute Gebäude wie der "Triumph Palace" das neue Moskau. Der gigantische Turm ist das höchste Haus - und das größte Wohngebäude - Europas. Mit 264 Metern stellt es den bisherigen Rekordbau der Commerzbank in Frankfurt a. M. mit 259 Metern in den Schatten. Zwei Bauten, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. In der deutschen Bankenmetropole baute Norman Foster ein schlankes und transparentes Hochhaus aus Stahl und Glas. Der "Triumph Palace" aber ist ein wuchtiger Riesenklotz, ein mit dominierender Geste weit ausgreifendes Gebäude, so als dränge sich der Wolkenkratzer mit aller Macht in den Vordergrund.

Der 2005 fertig gestellte Turmbau kopiert die Architektur des stalinistischen Zuckerbäckerstils. Der Baukonzern Don-Stroy, der den Giganten errichtete, knüpfte nach eigenen Angaben damit an "die ruhmreiche Tradition des monumentalen Stils der Russischen Hauptstadt" an. Vorbilder waren die "Sieben Schwestern", Verwaltungs- und Wohnhäuser der Stalinära, die weithin sichtbar die die Skyline Moskaus dominieren. Wie schon bei den "Sieben Schwestern" scheint auch beim "Triumph Palace" der Wunsch stilbildend gewesen zu sein, sich von der westlichen Architektur abzugrenzen. Schon die sowjetischen Baumeister wollten kein Manhattan in Moskau, keine modernen Fassaden aus Stahl und Glas. Vor anmutigem himmelblauem Hintergrund inszeniert Don-Stroy den mit Naturstein verkleideten Wohnturm für eine reiche Kundschaft, die sich 500 Quadratmeter große Penthäuser in 105 Metern Höhe leisten kann. Dass es in dem Wolkenkratzer auch ein eigenes Fitnesscenter und Schwimmbad gibt, versteht sich bei solchen Luxusbauten von selbst.

Die das Baugeschehen bestimmenden Investoren und eine autoritäre Stadtverwaltung fördern die architektonische Nostalgie. Zeitgenössische Entwürfe russischer und internationaler Architekten haben es da viel schwerer. So entstehen bizarre Häuser, die die Moskauer als "Luschkow-Empire" bezeichnen. Wie Marina Rumjanzewa in der Neuen Züricher Zeitung berichtete, verweisen sie damit auf den enormen Einfluss und persönlichen Geschmack des Moskauer Bürgermeister Juri Michailowitsch Luschkow auf die Baupolitik der Stadt. Daneben trifft man in der russischen Metropole häufig auch auf den "Stil Vampire" oder "Tortenstil" "Mit Letzterem sind üppige rosa-weiß-gelbliche Kreationen gemeint, überladen mit allerlei Schnörkeln. Sie wimmeln nur so von Säulen, Pylonen oder Pilastern, und jedes zweite Haus hat ein Türmchen", beschreibt Rumjanzewa.

Abriss des alten Moskau

Verbindliche Stadtplanungsrichtlinien setzen sich in Moskau erst langsam durch. Es wird gebaut, was den schnellen Profit verspricht. Dabei wurde bislang auch keine Rücksicht auf die historische Baussubstanz genommen. Weiterhin werden schöne Fabrikgebäude aus dem 19. Jahrhundert zerstört. Auch einzigartige konstruktivistische Bauten der russischen Avantgarde, wie das Melnikov-Haus, sind vom Abriss bedroht. Irreparable Schäden für das kulturelle Erbe der Stadt. Marina Rumjanzewa zufolge wurden in den letzten 10 Jahren etwa 400 historische Bauten abgerissen, darunter 50 wertvolle Architekturdenkmäler. Der Verlust wiegt um so schwerer, als von den Bauten aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert in Moskaus nur wenige bis heute erhalten geblieben sind.

Steht ein denkmalgeschützter Altbau der Umgestaltung im Weg, kommt es schon mal zur "heißen Renovierung": Das Gebäude geht in Flammen auf. Die Ursachen dafür bleiben meist im Dunkeln. Vermutungen über Brandstiftung werden schnell dementiert und lassen sich kaum nachweisen. So auch als die denkmalgeschützte Manege 2004 niederbrannte. Die frühere Paradehalle einer Offiziersreitschule wurde 1817 erbaut und später als Ausstellungshaus genutzt, ein architektonisches Wahrzeichen Moskaus.

Hotel Moskau. Foto: : Alexei Komlev

Andere Gebäude lässt man einfach solange verkommen bis eine Sanierung unrentabel wäre. Bekanntes Beispiel dafür ist das "Hotel Moskau" in der Nähe des Kremls. Ebenfalls ein Bau der Stalinära des Architekten A.V. Schusevs. Ein für die Geschichte Moskaus und der Architektur einzigartiges Gebäude. Mit einer Kopie der Fassade soll das 5000 Zimmer zählende Luxushotel mit modernisiertem Innenleben neu aufgebaut werden. Damit geht aber der künstlerische und historische Wert des Hotels verloren. Die kompromisslose Zerstörung alter Moskauer Gebäude und ihr Wiederaufbau kurbelt die Baukonjunktur an. Davon wiederum profitieren Firmen, an denen auch die Frau des Bürgermeisters Luschkow beteiligt ist.

Wie dramatisch die Situation ist, unterstreicht ein offener Brief des Moskauer Architekturmuseums Schusev an den russischen Präsidenten Wladimir Putin und andere Regierungsstellen. Das Schusev rief 2004 dazu auf, die Reste des alten Moskau zu bewahren. Ökonomischer Profit könne die planvolle Zerstörung der eigenen Geschichte, Kultur und nationalen Identität nicht rechtfertigen. Auf Nachfrage teilte das Museum mit, dass es auf den Brief nie von offizieller Seite eine Antwort erhielt.

Architektur der Stagnation

Beim Surfen über die Website der Immobilienfirma Evans gewinnt man schnell den Eindruck, dass es sich im neuen Moskau gut leben lässt. Einige Altbauwohnungen aus der Zeit vor der russischen Revolution 1917 offerieren die Makler noch. Ebenso preisen sie Bauten der 70er Jahre als Qualitätswohnungen an. Unter der Rubrik "Moderne Bauprojekte" zu besichtigen: Die "besten Luxuswohnungen, die in Moskau heute angeboten werden" mit Tiefgaragen, Gymnastikräumen, Schwimmbädern und sogar Frisiersalons. Wohlstandsinseln, auf denen eine verschwindend kleine Schicht reicher Moskauer lebt. Die kann sich die enormen Mieten, die in den letzten Jahren um das 30-fach stiegen, locker leisten.

Was als Moskauer Bauboom viel Beachtung findet, hat eine hässliche Seite. Darauf weist der niederländische Architekt Bart Goldhoorn hin, der in der russischen Hauptstadt lebt. Der größte Teil der Neubauten seien Plattenbauten von erschreckender Qualität, bei denen kein Architekt beteiligt sei, so der Kritiker. Für Goldhoorn produziert ein großen Teil der russischen Architektur und Stadtplanung nichts als erbärmliche Bauten. Gründe der Misere fasst er in seinem Beitrag "Architektur der Stagnation" für den Band "ArchXchange" -Berlin und Moskau" zusammen. Seiner Meinung nach bilden immer noch überholte sowjetische Normen einen starren Rahmen für die Stadtplanung. "Die Chance ist sehr gering, dass die Form eines Gebäudes die Idee eines Architekten verkörpert - wahrscheinlicher ist, dass sie den Genehmigungsprozess widerspiegelt." Mit dem oben bereits illustrierten Ergebnis.

Aber auch von den Architekten gehen kaum Innovationen aus. Deren Ausbildung hält Goldhoorn für unzeitgemäß, die nicht den internationalen Standards entspräche. In der Bauindustrie mangele es an Initiativen, neue Bauweisen für die hohe Nachfrage nach Wohnraum zu entwickeln. Stattdessen nehmen die Firmen alte Produktionsstätten aus den 70ern wieder in Betrieb. Autoren der Zeitschrift Project Russia wie Bart Goldhoorn versuchen der Stagnation entgegen zu wirken, indem sie neue Ideen in die russische Architekturszene einbringen. Zugleich ist die Zeitschrift ein ausgezeichnetes Kompendium, um die Entwicklung der russischen Architektur zu verfolgen.

Auf die desolate Situation in der Plattenbausiedelungen reagierte Ende letzten Jahres der oberste Moskauer Stadtplaner Alexander Kusmin mit dem Generalplan Wohnungsneubau. Er will die Wohnqualität in Moskau verbessern und europäischen Standards angleichen. Ob aber Kusmins Initiative Erfolg haben wird, darf bezweifelt werden. In der russischen Stadtplanung ist es laut Goldhoorn gang und gäbe, dass Investoren die Zuständigen für ihre eigenen Pläne gewinnen können, " indem man eine Zusatzvergütung anbietet".

Bild: mai.photo | ute langkafel

Wolkenbügel für Moskau

Was für einen Erhalt und die Neunutzung von Altbauten getan werden könnte, spielte das Projekt ArchXchange am Beispiel der Danilovskaya Fabrik durch, einem weitläufigen Ziegelsteinbau aus dem 19. Jahrhundert. Dazu trafen sich junge russische und deutsche Architekten 2005 in Moskau zu einem Wokshop, dessen Ergebnisse nun in einer Ausstellung im Deutschen Architektur Zentrum Berlin zu sehen sind.

Die sechs Planungsteams spielen verschiedene Ideen durch, die die städtebauliche und architektonische Struktur des Danilovskaya-Areals nicht einfach ignorieren. Sie zeigen, wie das Alte an neue Anforderungen angepasst werden kann. Auf dem weiträumigen Gelände von 50.000 Quadratmetern befinden sich viele Hallen, weitläufige Fabriketagen und Kesselhäuser. Über anderthalb Jahrhunderte hinweg veränderte sich das Gebiet entsprechend den Bedürfnissen der dort ansässigen Textilindustrie. Seit den 30er Jahren wurde an den Arbeitsräumen kaum mehr etwas gemacht. Die Bausubstanz der Fabrik ist marode. Anders als in Deutschland fehlt in Moskau noch das Interesse einer breiten Öffentlichkeit an historischen Fabrikgebäuden. Das beginnt sich erst allmählich zu ändern. Heute befinden sich in der Manufaktur Basare. Teile des Baus sind provisorisch als Büros hergerichtet. Nach Einschätzung der Planer von "ArchXchnage" bietet das Gelände trotz seines schlechten Zustands ein enormes Potential für eine kommerzielle und kulturelle Nutzung. Die Lage in der Nähe des Moskauer Zentrums und unmittelbar an der Moskwa ist hervorragend und nur 15 Minuten Fahrt mit der U-Bahn vom Kreml entfernt.

L´art. Bild: Team05

Die gemeinsame Idee aller Planer, das Areal durch den Umbau für die Stadt zurück zu gewinnen, illustriert eindrucksvoll das Berlinern team 05 mit ihrem "L´ART" betitelten Entwurf. Ein L-förmiger Baukörper wird in die Fabrik integriert, der an den Wolkenbügel des russischen Konstruktivisten El Lissitzky erinnert. Dabei bleiben die alten Gebäude erhalten, aus denen ein gläserner Turm aufragt. In der Horizontalen erstreckt sich eine schwebende Brücke bis zur Moskwa hin. "Weithin in der Skyline Moskaus sichtbar, soll für jeden Betrachter deutlich werden, dass die Metropole einen neuen Fixpunkt besitzt", schreibt das team 05 in seiner Projektskizze. Im Skylift geht es hinauf zum Panoramablick.

Solche architektonischen Zeichen steigern die Attraktivität eines Gebäudes, was entscheidend für das Interesse zahlungskräftiger Mieter ist. In der Vision der Architekten ein idealer Standort für internationale Konzerne der Kulturindustrie. Die Mieteinnahmen aus Presse, Film, Musik und Mode sollen dann auch subkulturellen Institutionen die Existenz in anderen Bereichen des Areals ermöglichen. Den anderen Entwürfen fehlt es nicht minder an originellen Einfällen. Dokumentiert sind sie mit knappen Skizzen in dem schon erwähnten Band "ArchXchange". Kurze theoretische Beiträge geben einen Einblick in die aktuelle Entwicklung des Städtebaus und der Architektur in Moskau.

Aber die Entwürfe von "ArchXchange" sind eine Ausnahme. Die Moskauer seien des Modernismus im sowjetischen Stil überdrüssig, was die Ablehnung zeitgenössischer Architektur und die Beliebtheit des Zuckerbäckerstil in der russischen Hauptstadt erkläre, so Bart Goldhoorn. Daran passten sich Politik und Verwaltung nach wie vor an. "Wenn man eine Baugenehmigung braucht, vereinfacht es die Dinge, wenn das Gebäude irgendwie historisch aussieht."