Die Integrationsunfähigkeit der deutschen Minister

Der deutsche Innenminister und die deutsche Familienministerin haben angesichts rassistischer Gewalt demonstriert, dass sie auf den Kampf der Kulturen und auf den Ausschluss setzen

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Das Verhalten mancher Politiker ist manchmal schwer nachvollziehbar, wenn man ihnen nicht ausschließlich ein strategisches Denken unterstellen will, das aber auch dann kaum verständlich wird. Da ist seit geraumer Zeit, verstärkt durch die Berichte von der Rütli-Schule, von der Integrationspflicht für Ausländer die Rede, die deutsch können und ansonsten sich der Kultur des Landes anpassen müssen. Die milde Strafe für den „Ehrenmord“ machte gerade Schlagzeilen und sorgte für Empörung. Dann wird – just wenn Deutschland angeblich die Welt zu sich einladen will - nun nicht gerade zum ersten Mal ein deutscher Staatsbürger äthiopischer Abstammung brutal von Deutschen niedergeschlagen, wozu unser Bundesinnenminister offenbar nur zu sagen hat, dass auch blonde Deutsche Opfer von ausländischen Tätern werden können. Und unsere Familienministerin übt die Integration, indem sie ein „Bündnis für Erziehung“ unter Ausschluss aller anderen Religionsgemeinschaften und säkularen Organisationen startet.

Offenbar wollen die beiden Minister in den Reihen der Deutschen punkten, die Ausländern, Deutschen mit Migrantenhintergrund und fremden Kulturen und Religionen ablehnend gegenüberstehen, oder sie sind derart davon überzeugt, dass die deutsche Kultur und der deutsche Staat – als hätte es hier niemals zuvor massive Einwanderung und auch Auswanderung gegeben – derart überlegen sind, dass jeder, der ins Land kommt, sich nur zu unterwerfen hat und nichts für die Kultur mitbringt.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble verteidigt die Deutschen vor Integrationsansprüchen. Foto: Bundesinnenministerium

Es werden auch blonde blauäugige Menschen Opfer von Gewalttaten, zum Teil sogar von Tätern, die möglicherweise nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Das ist auch nicht besser.

Bundesinnenminister Schäuble am 20.4. in einem Interview

Schäubles Versuche, die Tat zu relativieren, sie – ebenso wie ausgerechnet Brandenburgs Innenminister Schönbohm - trotz des aufgrund der Aufzeichnung der Handy-Mailbox, auf der das Opfer als „dreckiger Nigger“ beschimpft wurde, von einem rassistischen Motiv zu lösen und sie auch dann, wenn er sie mit Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus zusammenbringt, nur dem Osten Deutschlands zuzuschanzen, sind ebenso erbärmlich wie entlarvend. Schäuble hätte ein Zeichen setzen können, gerade weil die Situation gewissermaßen auch für seine Position günstig war. Schließlich ist das Opfer ein gut integrierter Wissenschaftler, der mit seiner Familie in Potsdam lebt, also ein Wunschzuwanderer, der nicht dem Sozialsystem auf der Tasche liegt. Schäuble forderte aber nicht die Deutschen dazu auf, ihren Teil zur Integration beizutragen, sondern monierte im Kontext der Gewalttat einmal wieder, dass "Versäumnisse über Jahrzehnte" gemacht worden seien, die größtenteils bei den Zuwanderern liegen. Überdies hatte Schäuble erst noch vor kurzem gemeint, dass die „Friedfertigkeit und Freiheitlichkeit unserer Gesellschaft“ durch Zuwanderung nicht verloren gehen dürfe. Andersherum scheint dies nicht zu gelten.

Vielleicht müssten auch deutsche Politiker erst einmal einem Test unterworfen werden, durch den sie beweisen können, dass sie integrationsfähig sind.

Wir sind auf dem Wege zu einer Selbststigmatisierung, wenn die Diskussion weiter so emotional geführt wird wie bisher.

Brandenburgs Innenminister Schönbohm zum Mordversuch an dem Deutschen äthiopischer Abstammung

Immerhin hatte der Generalbundesanwalt die Ermittlung übernommen, weil „erhebliche Verdachtsmomente dafür vorliegen, dass die Täter die Tat aus Ausländerhass und auf der Grundlage einer rechtsextremistischen Gesinnung begangen haben“. Und dies mit einer einleuchtenden Begründung, die selbst der rechten Seite zuneigenden Innenministern einleuchten müsste, wenn sie dies denn wollten:

Gewaltsame Übergriffe auf ausländische Mitbürger erzeugen unter diesen ein Klima der Angst und Einschüchterung und lassen bei ihnen den Eindruck entstehen, sie könnten in der Bundesrepublik Deutschland nicht sicher leben. Aufgrund dieser Wirkung, aber auch weil solche Taten einen Nachahmungseffekt auf andere Personen mit gleicher Gesinnung auszulösen vermögen, ist die Tat bestimmt und geeignet, die innere Sicherheit zu beeinträchtigen.

Aus der Pressemitteilung des Generalbundesanwalts
Kardinal Sterzinsky, Bundesministerin von der Leyen und Landesbischöfin Käßmann sind sich über die Erziehung auf der Grundlage christlicher Werte einig. Andere waren nicht zugelassen. Foto: Regierungonline

Zuerst kommt die „eigene Religion“

Mögen Schäubles Äußerungen mit großen Mühen noch als Ausrutscher bezeichnet werden können, so ist auch mit bestem Willen bei Familienministerin von der Leyen nichts mehr zu retten. Sie hätte gerade angesichts der aufgeregten Debatten der vergangenen Wochen ihr Bündnis für Erziehung nicht nur auf die beiden großen christlichen Kirchen beschränken dürfen. So ist dieses „Bündnis“, bei dem die Vertreter der evangelischen und der katholischen Kirche willfährig partizipierten, zu einem Affront für Andersgläubige geworden, auch wenn sie später einmal noch an den Katzentisch geladen werden, wenn sie dann noch wollen.

Ein Affront ist es aber nicht nur für andere Religionsgemeinschaften wie Juden oder Muslimen, auch für die vielen Menschen in Deutschland, die keiner Kirche und keiner Religion angehören, ist dieses „Bündnis für Erziehung“, das eigentlich ein „Bündnis für christliche Erziehung“ heißen sollte, schwer verdaulich und unverständlich. Zudem verstößt es gegen die im Grundgesetz garantierte Religionsfreiheit, wenn den Kindern zunächst „die eigene Religion“ gelehrt werden müsse. Es scheint so, als wolle man den Kampf der Kulturen nun auch bei der CDU anschüren.

Warum sollten von Staats wegen die beiden christlichen Kirchen die Grundlagen für die Werteerziehung im Elternhaus und im Kindergarten auf der Basis ihrer Vorstellungen legen können? Die Ministerin begründet dies so, dass „unsere gesamte Kultur“ auf der „christlichen Kultur“ gründe. Das stimmt nicht einmal historisch, denn die Wurzeln des Christentums reichen mindestens zurück in die griechische und jüdische Kultur und die abendländische Kultur ist natürlich auch unter dem Einfluss der muslimischen Kultur entstanden. Zudem sind viele kulturelle Schritte seit der Neuzeit nicht mit den Kirchen, sondern oft gegen sie vollzogen worden. Noch absurder wird es, wenn sie weiter „begründet“: „Die ersten 19 Artikel unseres Grundgesetzes fassen doch im Prinzip die zehn Gebote zusammen."

Auch wenn es daher erfreulich sein mag, dass von der Leyen wenigstens nicht die deutsche Bildungsministerin ist, müsste sie sich doch einmal fragen, warum ausgerechnet nur die beiden großen Kirchen „Werte wie Respekt, Verlässlichkeit, Vertrauen und Aufrichtigkeit“ für sich verbuchen können sollen und warum nicht universalistische Werte eine Orientierung bieten können. Aber auch als Familien-, Senioren-, Frauen- und Jugendministerin hätte von der Leyen eine gewisse politische Sensibilität zeigen können, um nicht nur die größten Interessengruppen ins Boot zu bringen, sondern eine zumindest integrierende Geste zu machen. So ist es eine Geste geworden, die den Kampf der Kulturen forciert und demonstrativ andere Kulturen als die vermeintlich deutsche ausschließt, die überdies noch als evangelisch oder katholisch definiert wird. Bedenklich stimmt auch, dass die beiden Kirchen, die doch sonst so für Nächstenliebe eintreten, ohne auch nur einen Anflug von Zurückhaltung mitmarschieren, um ihre Macht und ihren auch durch öffentliche Gelder garantierten Einfluss auf die Kindererziehung zu wahren.

Dazu passt, dass auch andere Politiker wie der bayerische Ministerpräsident Stoiber im Kultur- und Religionskampf einstimmen. So fordert er, dass "der Staat die religiösen Gefühle seiner Bürger besser schützen" muss. Hatte man sich gerade noch für Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit angesichts der Mohammed-Karikaturen stark gemacht, so wird nun ein Verbot der Fernsehserie „Popetown“ und eine leichtere Bestrafung der „Verhöhnung religiöser Symbole“ gefordert. Offenbar nimmt sich die evangelische Kirche nun die muslimische Reaktion zum Vorbild. So sagte der bayerische Landesbischof Johannes Friedrich, der Karikaturenstreit habe gezeigt, dass die Empörung bei Muslimen um ein Vielfaches höher gewesen sei als dies bei vielen Christen möglich wäre. In manchen Gesellschaftskreisen sei es fast normal, sich christlicher Begriffe zu bedienen. Friedrich: "Als Christen müssen wir künftig auch deutlicher sagen, wo unsere Grenze ist." Frage wäre nur, was das wieder mit Integration zu tun hat, wo es doch vornehmlich um Machtdurchsetzung und Alleinvertretungsanspruch geht.