Metzeln im Namen Gottes

Die "Lord's Resistance Army" und ihr blutiges Geschäft im Norden Ugandas

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Derzeit ist die Anwendung religiös inspirierter Gewalt im öffentlichen Bewusstsein hauptsächlich mit dem politischen Islam verknüpft. Dafür gibt es gute Gründe, aber man sollte derweil die christlich inspirierten Massakerpropheten nicht vergessen.

Auf der Liste der unangenehmsten Wohnorte der Welt hätte der Norden Ugandas in den letzten zwanzig Jahren dauerhaft eine Spitzenposition eingenommen. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Die britischen Kolonialherren organisierten das Land nach einem Nord-Süd-Schema, das dem Süden die Rolle der ökonomisch entwicklungsfähigen Region und dem Norden, insbesondere den dort lebenden Acholi, die Rolle der Rekrutierungsbasis für die Kolonialarmee zuwies.

Dieses Schema drückt sich bis heute darin aus, dass der Süden als eine der sichersten und am besten entwickelten Gegenden Afrikas gilt, während der Norden recht zutreffend mit dem Begriff "verbrannte Erde" beschrieben wäre. Die militärischen Organisationen der Acholi, insbesondere die "Lord's Resistance Army" benutzen bis heute Standardkommandos aus der britischen Kolonialzeit.

Nach der Unabhängigkeit (1962) regierte zunächst Tito Ukello, ein Acholi aus dem Norden, dann errichtete Idi Amin seine Schreckensherrschaft, und entfernte die Acholi aus der Armee ("entfernen" bedeutete in diesem Zusammenhang hauptsächlich "liquidieren"). Nach Amins Sturz und einer Reihe kurzlebiger Regimes kam 1986 schließlich der heute noch amtierende, aus dem Süden stammende Yoweri Kaguta Museveni an die Macht, der bis dahin der Anführer einer Guerilla-Armee namens "National Resistance Army" gewesen war.

Die Acholi-Soldaten, die sich in den Phasen ihrer Machtnähe genauso verhalten hatten wie ihre Gegner, wurden von Museveni aufgefordert, sich bei ihren Stützpunkten zu melden und ihre Waffen abzugeben. Da dieser Aufruf so ähnlich klang wie ein früherer Appell von Idi Amin, der zur massenhaften Abschlachtung gehorsamer Acholi führte, verzichteten die meisten in diesem Fall lieber auf Gehorsam und bildeten im Norden Ugandas und im Süden des Sudans Rebellengruppen, die die Zivilbevölkerung in den Acholigebieten vor den zu erwartenden Übergriffen der neuen Regierung schützen wollten.

"Holy Spirit Mobile Force"

Dieses in Maßen verständliche und am realen Eigeninteresse orientierte Handeln geriet jedoch völlig aus dem Blick, als der religiöse Fanatismus das Ruder übernahm. Alice Lakwena, die sich für eine Heilerin im ganz großen Stil hielt, infizierte die Rebellentruppen mit einem synkretistischen Glaubenssystem und heiligem Eifer. Dieses Glaubenssystem vereinigte traditionelle Acholimythen, die mit Geistwesen namens Jogi (Einzahl: Jok) zu tun haben, und eine rigorose, charismatische Auslegung des Christentums.

Sie bildete im Rahmen der Acholi-Rebellen-Allianz eine besondere Einheit von fanatisierten Glaubensanhängern namens "Holy Spirit Mobile Force" und begab sich auf einen Kreuzzug gegen die Regierung Musevenis in Kampala. Da sie ihren Anhängern gepredigt hatte, sie bräuchten sich nur mit Butteröl einzureiben, um unverwundbar zu sein, und da ihre Glaubenskrieger hauptsächlich mit Macheten und Flinten bewaffnet waren, wurden sie von Musevenis halbwegs modern ausgerüsteten Truppen aufs Übelste zusammengeschossen, mehrere Tausend von ihnen starben.

Religiöses Wahnsystem

Jetzt hätte diese Phase der andauernden ugandischen Tragödie beendet sein können, aber es scheint sich dort immer jemand zu finden, der das Drama fortführen will. Joseph Kony, ein Verwandter von Alice Lakwena, die nach dem Scheitern ihres Kreuzzuges geflohen war, behauptete, ihr spiritueller Erbe zu sein, vereinigte die versprengten christlich inspirierten Rebellen unter seiner Führung, radikalisierte das Programm Lakwenas noch und fing an, das Land nach Kräften zu terrorisieren. Er entwickelte dabei Taktiken von einer bestürzenden Grausamkeit. So zum Beispiel haben seine Heilskrieger in den letzten zwanzig Jahren mindestens 20.000 Kinder entführt, die als Kindersoldaten und Sexsklaven missbraucht werden.

Um zu verhindern, dass sie aus den LRA-Lagern zu ihren Eltern zurückkehren, werden sie gezwungen, diese zu töten. Wer bei Fluchtversuchen erwischt wird, wird zuerst gefoltert und dann getötet. Sogar von Kannibalismus ist in diesem Zusammenhang die Rede. Obwohl Kony von den suizidalen Militärstrategien seiner Tante abgekehrt ist, schickt er seine Kindersoldaten oft noch unbewaffnet in den Kampf, wie seinerzeit die "Holy Spirit Mobile Force". Die Gesamtopferzahl des Konflikts geht in die Hunderttausende. In politischen Kommentaren wird immer wieder die Frage nach den Zielen Konys gestellt.

Das scheint am Kern der Sache vorbeizugehen, denn er hat sich durch seine Handlungen hinreichend als Geisteskranker zu erkennen gegeben, der von einem religiösen Wahnsystem gesteuert wird.

Offensichtlich ist ein Element dieses Wahnsystems den letzten geistigen Zuckungen Hitlers verwandt, denn Kony hat nach Aussagen ehemaliger LRA-Kämpfer beschlossen, die Acholi zu bestrafen, weil sie in ihrer Sittenlosigkeit und Verderbtheit nicht samt und sonders zu ihm übergelaufen sind. Schon bei Alice Lakwena ging es um eine "Reinigung" der Acholi von Hexen und Zauberern und den mit ihnen im Bunde stehenden bösen Jogi, Kony führt dieses Programm fort. Dementsprechend ist ein politisches Handeln der LRA im eigentlichen Sinn nicht zu erkennen, sie beschränkt sich ganz darauf, die Zivilbevölkerung zu überfallen und sie als Ressourcenreservoir, Kanonenfutter und Hassobjekt zu missbrauchen.

Was tut der Westen?

1997 antwortete Museveni mit einer Zwangsumsiedlung der Acholi in Flüchtlingscamps, wo sie vor den Machenschaften der LRA geschützt sein sollten. Aber diese Camps werden mehr recht als schlecht bewacht. Abend für Abend machen sich Tausende Kinder auf in die größeren Städte wie Gulu und Kitgum, um vor den Raubzügen der LRA-Banditen sicher zu sein. Generell wird die Situation in den Lagern als desaströs beschrieben, es gibt dort nichts zu tun, die Unterkünfte sind erbärmlich, Krankheiten und Mangelernährung grassieren. Das Umland, wie gesagt: verbrannte Erde. Herr Kony sitzt derweil im Sudan und frönt seinen bizarren Leidenschaften. Was tut der Westen?

Er unterstützt Herrn Museveni bei seinen Bemühungen, so lange an der Macht zu bleiben wie nur irgend möglich. Man möchte Uganda als Erfolgsstory wahrnehmen, und blendet dabei die Zustände im Norden des Landes genehm aus. Museveni ist selbst kein Kind von Traurigkeit, was Menschenrechtsverletzungen angeht, seine Soldaten verhalten sich teilweise nicht viel besser als die LRA, er manipuliert Wahlen, wie es ihm passt, und viele Beobachter gehen davon aus, dass er und seine Junta kein Interesse an einem Ende des Bürgerkriegs haben können, wenn es genau dieser Bürgerkrieg ist, der das Sprudeln westlicher Militär- und sonstiger Hilfe garantiert.

Parallel zur Hilfe für das amtierende Regime garantiert der Westen mehr schlecht als recht die Grundernährung in den Acholi-Flüchtlingslagern. Hier und da scheinen christliche Missionare ehemaligen entflohenen LRA-Mitgliedern nicht nur psychosozial zur Seite zu stehen, sondern ihnen auch Lesen und Schreiben beizubringen, aber von einem Bildungsprogramm für die ständig sich auf der Flucht befindenden Acholi-Kinder hört man nichts.

Es gibt zwar Anstrengungen der UNICEF und anderer Organisationen, ugandischen Kindern eine Minimalbildung zu verschaffen, aber sie scheinen im verratenen und verkauften Norden nicht im Mindesten zu greifen - wie auch, wenn die LRA mit ihren Massakerstrategien sinnvolle Entwicklungsarbeit unmöglich macht.

Und daher ist auch mit einer Langzeitperspektive gegen das ideologische Hexengebräu, das die LRA antreibt, nicht zu rechnen. Der mit einem christlichen Turbolader versehene Geisterunfug wird nicht nur nicht aktiv bekämpft, sondern er schlägt offenbar auf die offizielle anglikanische Kirche in Uganda zurück. Jedenfalls sind aus ihrer Reihe Stimmen zu hören, die davor warnen, Kony aus dem Verkehr zu ziehen: Sein Geist könnte ja dann auf andere überspringen.

Unter solchen Voraussetzungen gehen die Chancen der Acholi auf eine Zukunft ohne Gemetzel im Namen des Herrn gegen Null.