Spritschleudern auf der Überholspur

Automobilbranche schert sich weder um Klimaschutz noch um gegebene Versprechen

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Wie so oft, wenn Unternehmen in die öffentliche Kritik geraten, lassen sie sich von Regierungen eine sogenannte Selbstverpflichtung abnötigen. So auch die europäische Automobilindustrie. Vor acht Jahren verpflichtete sie sich darauf, den spezifischen Kraftstoffverbrauch ihrer Neuwagen drastisch zu reduzieren. Doch offenbar war das Versprechen nicht das Papier wert, auf das es geschrieben wurde.

Während der Rohölpreis neue Rekordhöhen erklimmt – am Samstag kostete ein Fass etwas über 75 US-Dollar –, scheint die Autoindustrie unbeeindruckt. Das ist zumindest den Zahlen zu entnehmen, die in Brüssel ein Netzwerk verschiedener verkehrspolitischer Organisationen vorlegte. Demnach verbergen Europas Hersteller hinter Hochglanz-Karosserien und jeder Menge futuristischer Elektronik veraltete Motortechnologie, die mehr Kraftstoff als nötig verbraucht. Da ein direkter Zusammenhang zwischen dem Kraftstoffverbrauch und den Emissionen des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) besteht, wird folglich die Umwelt doppelt unnötig belastet. CO2 ist Hauptverursacher des Klimawandels.

1998 hatte sich der Verband der Europäischen Automobilindustrie (ACEA) gegenüber der EU-Kommission verpflichtet, bis zum Jahr 2008 die durchschnittlichen CO2-Emissionen auf 140 Gramm CO2 pro Kilometer für alle Neuwagen zu reduzieren. Doch davon war man 2005 noch ein gutes Stück Weges entfernt, heißt es bei Transport & Energy (T&E), einem gemeinsamen Brüsseler Lobbybüro von rund 20 verschiedene alternativen Verkehrsverbänden aus den meisten EU-Staaten wie dem hiesigen Verkehrsclub Deutschland. Die Analyse der Verkaufszahlen habe ergeben, dass im vergangenen Jahr die Neuwagen im Durchschnitt 160 Gramm CO2 pro Kilometer an die Umwelt abgaben, nur ein Prozent weniger als im Vorjahr. Soll die Zielmarke noch erreicht werden, müsste die Effizienzsteigerung 2006 und 2007 deutlich über vier Prozent betragen, was etwa das Doppelte des bisher besten Jahresergebnisses seit 1998 wäre.

Die Einhaltung der ACEA-Selbstverpflichtung scheint daher kaum noch möglich, aber es wäre nicht das erste Mal, dass derartige Versprechen sich als heiße Luft erwiesen. In der Umwelt- wie in der Sozialpolitik werden seit den 1980er Jahren Selbstverpflichtungen der Wirtschaft von konservativen, aber mitunter auch von sozialdemokratischen Regierungen gerne als Königsweg angepriesen, auch wenn sie immer wieder missachtet werden, wie zuletzt die Versprechen, ausreichend Lehrstellen zu schaffen.

Unterdessen werfen die Umweltverbände der Kommission Untätigkeit vor, zumal viele EU-Mitglieder sowieso in ihren Klimaschutzzielen hinter dem Zeitplan herhinken.

Präsident Barrosos (EU-)Kommission hat sich im Sessel zurückgelehnt und seelenruhig zugeschaut, wie die Automobilindustrie all ihre neue Technologie dafür einsetzt, die Autos noch schwerer und die Maschinen noch stärker zu machen, anstatt die Kraftstoffeffizienz zu erhöhen. Barroso muss endlich merken, dass die freiwillige Selbstverpflichtung einer Industrie, die für 15 Prozent der CO2-Emissionen der EU verantwortlich ist, nicht ausreicht und gerade kläglich scheitert. Gesetzliche Regelungen müssen her, wenn es wirklichen Fortschritt geben soll.

T&E-Direktor Jos Dings

Die Technologie für eine deutliche Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs ist jedenfalls vorhanden und auch nicht allzu teuer. Letztes Jahr war im Auftrag der EU-Kommission vorgerechnet worden, dass es 577 Euro pro Neuwagen kosten würde, die CO2-Emissionen auf den ehrgeizigeren Grenzwert der Kommission von 120 Gramm pro Kilometer zu reduzieren. Das hört sich nach viel an, wäre aber bei den derzeitigen Preisen und durchschnittlichem Fahrverhalten schon nach etwa eineinhalb Jahren wieder drin.

Das EU-Ziel bedeutet gegenüber dem Ist-Zustand eine Reduktion der (spezifischen) Emissionen um 25 Prozent, also auch ein 25 Prozent niedrigerer Kraftstoffverbrauch pro Kilometer. Mittelfristig würden also die Autohalter von den sparsameren Motoren erheblich profitieren.

Regeln, die die Autos kraftstoffeffizienter machen, sparen viel Geld und schützen das Klima. Es ist also höchst Zeit, dass Präsident Barroso seinen spritschluckenden VW-Touareg abstellt und Europas Autoindustrie auf den Weg in Richtung Effizienz bringt.

Jos Dings

Dem Beobachter stellt sich allerdings die Frage, weshalb die Autohersteller angesichts der steigenden Benzin- und Dieselpreise nicht dem Drängen der Umweltschützer nachgeben. Immerhin ist im 1. Quartal 2006 in Deutschland der Benzinverbrauch um rund sechs Prozent zurückgegangen, während etwa zwei Prozent des billigeren Diesels getankt wurde. Die Verbraucher achten am Zapfhahn also mehr aufs Portemonnaie, da sollte man eigentlich meinen, dass sie auch sparsameren Autos den Vorzug geben.

Doch dem ist – im statistischen Durchschnitt – offenbar nicht so. Das mag daran liegen, dass der fahrbare Untersatz Status und nicht selten auch Phallussymbol ist, und die PS-Zahl des Motors das Stützkorsett des Selbstwertgefühls bilden muss. Anders ist jedenfalls nicht die Beliebtheit der besonders spritschluckenden Pseudo-Geländwagen zu erklären, der sogenannten SUVs (Sport Utility Vehicles). Der Porsche Cayenne Turbo bringt es immerhin auf knapp 500 Gramm CO2-Emissionen pro Kilometer, und wer dafür rund Hunderttausend Euro auf den Tisch legt, dem ist es wahrscheinlich fast egal, wie viel er an der Tankstelle zahlen muss.