Wenige Gletscher, mehr Hochwasser und Dürren

Hamburger Meteorologen haben eine Prognose für das Klima in Deutschland zum Ende des 21. Jahrhunderts vorgelegt

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Der Klimawandel wird teuer, ist sich das Umweltbundesamt (UBA) sicher. Nicht nur in den ärmsten Ländern, die in den Tropen oder als kleine Inselstaaten den Unbillen des Wandels im besonderen Maße ausgesetzt sehen. Auch in Mitteleuropa ist mit drastischen Änderungen der Niederschlagsmuster, Durchschnittstemperaturen und Hochwassergefahren zu rechnen, sollte die Konzentration der atmosphärischen Treibhausgase weiter zunehmen. Erstmalig haben Hamburger Meteorologen eine detaillierte Prognose für die Zeit gegen Ende des 21. Jahrhunderts gewagt, die am 25. April auf einem gemeinsamen Workshop von UBA und dem Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie vorgestellt wurde.

An Warnungen vor dem Klimawandel gibt es keinen Mangel. Im Jahre 2003 hieß es zum Beispiel in einer gemeinsamen Erklärung der Meteorologischen Gesellschaften der Schweiz, Österreichs und Deutschlands:

Auch wenn die Ursachen der beobachten Klimaänderungen kompliziert sind und die Rolle der natürlichen Klimaänderungen noch keinesfalls ausreichend geklärt ist, geht die globale Erwärmung der letzten 100 - 150 Jahre mit hoher Wahrscheinlichkeit auf menschliche Aktivitäten zurück, insbesondere auf den ständig gestiegenen Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) und anderen klimawirksamen Spurengasen in Zusammenhang mit der Nutzung fossiler Energieträger (Kohle, Erdöl und Erdgas, einschließlich Verkehr) und Waldrodungen. Falls die Emission dieser Gase weiterhin ähnlich stark ansteigt wie bisher, wird für die kommenden 100 Jahre im globalen Mittel ein Temperaturanstieg (bodennah) von 1,4 bis 5,8 °C befürchtet.

Inzwischen wissen wir es noch ein bisschen genauer. Mit einem regionalen Klimamodell wurde in Hamburg errechnet, dass es vor allem im Süden und Südosten Deutschlands wärmer wird, insbesondere in den Alpen. Dort werden die Winterniederschläge deutlich zunehmen, allerdings wird davon aufgrund der höheren Temperaturen weniger als Schnee fallen. Da Regen sofort abfließt, bedeutet das eine erhöhte Hochwassergefahr. In den Sommermonaten wird hingegen der Niederschlag weniger werden, worunter in vielen Gegenden Land- und Forstwirtschaft erheblich leiden wird. Entsprechend sieht man im UBA schwarz, was die Höhe der Klimaschäden angeht:

Allein in den vergangenen zehn Jahren beliefen sich die Schäden durch die großen Hochwasser von Isar, Lech, Iller und Inn (1999 und 2005), an der Elbe und der Mulde (2002), an der Oder (1997) sowie an Rhein, Mosel, Saar und Maas (1993 und 1995) auf rund 13 Milliarden Euro. Hitze und Dürre verursachten etwa eine Milliarde Euro Schäden. Durch die Stürme Jeanette, Daria, Vivian, Wiebke, Lothar und Martin entstanden Kosten von insgesamt etwa 2,5 Milliarden Euro4. Als Folge dieser Extremereignisse waren in Deutschland schätzungsweise mehr als 7.000 Todesfälle zu beklagen. Die wetter- und kimabedingten Schadenskosten dürften zukünftig exponentiell steigen und könnten bis zur Mitte des Jahrhunderts jährlich etwa 27 Milliarden Euro betragen.

Künftige Klimaänderungen in Deutschland

Die 7.000 Toten waren ganz überwiegend Opfer der Hitzwelle im Jahre 2003. Nach Angaben der Weltmeteorologie Organisation (WMO) gab es seinerzeit rund 21.000 Tote in Westeuropa. Das UBA weist daraufhin, dass die hitzebedingten Gesundheitsprobleme Deutschland relativ unvorbereitet trafen. „Es fehlte an medizinischem Wissen, Aufklärungs- und Vorsorgemaßnahmen sowie an Warnsystemen.“

Eine Grundlage für Aufklärung und auch Warnsysteme könnten künftig Computermodelle wie das Hamburger REMO legen. Das ungewöhnliche an den Berechnungen der Hamburger Meteorologen, auf die sich die UBA-Schadensprognosen stützen, ist ihre Kleinräumigkeit. Für gewöhnlich sind die Computermodelle, mit denen Meteorologen und andere Klimawissenschaftler einen Blick in die Zukunft unseres Klimas werfen notgedrungen grob gestrickt. Das liegt an der ungeheuren Fülle an Rechenoperationen, die nötig sind, um die komplexen Prozesse abzubilden. Bildlich gesprochen wird über den Erdball ein Gitter gelegt, an dessen Knotenpunkten für jeden Zeitschritt die Bewegungsleichung der Atmosphäre berechnet werden. Kleinräumigere Prozesse wie Wolkenbildung, Niederschläge sowie Impuls-, Energie- und Wasserdampfaustausch mit den Wasser-, Land- und Eisoberflächen müssen parametrisiert werden. Entsprechend sind die Prognosen, die mit den Modellen errechnet werden können, bestenfalls Mittelwerte für größere Regionen.

Drei unterschiedliche Szenarien für die Entwicklung der Emissionen des CO2, des wichtigsten Treibhausgases, (die anderen Treibhausgase werden gewöhnlich in CO2-Aäquivalente umgerechnet) und die Entwicklung der Schwefeldioxid-Emissionen (SO2). SO2 bildet in der Atmosphäre kleine Schwebteilchen (Aerosole), die zu den Verursachern des sauren Regens gehören, aber zugleich einen kühlenden Effekt auf das Klima haben. Quelle: Klimaprojektionen für das 21. Jahrhundert

Die Hamburger Klimaforscher verwenden für ihre globale Prognosen zwei miteinander gekoppelte Modelle: Zum einen ECHAM5, das Atmosphäre und Landoberflächen simuliert, und zum anderen das Ozeanmodell MPI-OM. Die horizontale Auflösung des Atmosphärenmodells beträgt 1,875 Grad, was am Äquator einem Gitterabstand von etwa 200 Kilometer entspricht. Das Ozeanmodell rechnet mit Abständen von 1,5 Grad entsprechend etwa 160 Kilometer am Äquator.

Mit derartigen Modellen kann man untersuchen, wie sensibel das globale Klima auf Veränderungen in der Konzentration der Treibhausgase reagiert. Für verschiedene Szenarien des Anstiegs von CO2 kann eine grobe regionale Temperaturverteilung und auch der Bedeckung mit Schnee und Eis berechnet werden. Die Hamburger haben vor einem guten Jahr mehre Szenarien durchgerechnet, die in den nächsten Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschuss der Vereinten Nationen für den Klimawandel (IPCC) einfließen werden, der im nächsten Jahr erscheint.

Die günstigste Variante sieht einen Anstieg der Treibhausgasemissionen bis 2040 um 50 Prozent vor und einen nachfolgenden Rückgang auf die Hälfte des heutigen Niveaus bis zum Jahre 2100. Letzteres wäre voraussichtlich gleichbedeutend mit einer Stabilisierung der Konzentration in der Atmosphäre, denn zumindest unter heutigen Bedingungen nehmen Ozeane und Biosphäre in etwa die Hälfte der Emissionen auf und nur 50 Prozent dessen, was aus Verbrennungsmaschinen und Entwaldungsprozessen in die Atmosphäre gelangt, bleibt dort auch längerfristig um zum Treibhauseffekt beizutragen. Selbst in diesem, gemessen an den gegenwärtigen politischen Realitäten optimistischen Szenario wird die Temperatur gegen Ende des 21. Jahrhunderts im globalen Mittel noch um 2,5 Grad steigen (Referenzperiode sind die Jahre 1961 bis 1990). Für die ungünstigeren Varianten sagen die Hamburger einen Anstieg um 4,1 Grad voraus. In allen Fällen wird sich die Arktis besonders stark erwärmen und das dortige Meereis im Sommer je nach Szenario nahezu oder vollständig verschwinden.

Das Polarmeer. Oben der heutige Zustand darunter, darunter Prognosen für das Ende des Jahrhunderts. Das (weitgehende) Verschwinden des ganzjährigen Eises wird das Auftauen der Permafrostböden erheblich beschleunigen. Dadurch werden große Mengen CO2 und vor allem des noch wesentlich effizienteren Treibhausgases Methan (CH4) freigesetzt werden, eine positive Rückkoppelung, die in den Klimamodellen bisher nicht berücksichtigt wird. Quelle: Klimaprojektionen für das 21. Jahrhundert

Was man it diesen grobmaschigen Modellen nicht kann, ist genauere Vorhersagen für so kleine Gebiete wie die Schweiz oder Deutschland zu berechnen. Daher hat man in Hamburg in Zusammenarbeit mit anderen ein sogenanntes Regionalmodell (REMO) entwickelt, das wie mit einer Lupe Teilbereiche in genaueren Augenschein genommen werden können. In diesem REMO können die Gitterabstände je nach Bedarf auf 50 oder gar 10 Kilometer reduziert werden. An den Rändern werden dann die vom oben beschriebenen Basismodell errechneten Werte eingegeben, wozu unter anderem auch die Meeresoberflächentempertaur gehört. Mit diesem verfeinerten Modell hat die Hamburger REMO-Gruppe berechnet, dass in Deutschland bsi zum Ende des Jahrhunderts die mittleren Temperaturen je nach Scenario um 2,5 bis 3,5 Grad Celsius steigen werden. Die Erwärmung variiert allerdings geographisch und saisonal stark. Am stärksten wird sich der Winter im Süden erwärmen, und zwar um bis zu vier Grad. Gleichzeitig werden die sommerlichen Niederschläge im ganzen Land abnehmen. Besonders ausgeprägt wird dieser Rückgang allerdings im Süden und Südosten (um 30 Prozent) und im Nordosten (um 25 Prozent) sein. Zusammen mit der Erwärmung wird das die ohnehin schon seit Jahrzehnten vom sauren Regen gebeutelten Wälder unter enormen Stress setzten. Die Klimazonen verschieben sich nordwärts und viele Pflanzenarten werden nicht schnell genug hinterher wandern können.

Veränderung der Wintertemperaturen. Quelle: UBA

Das REMO ist an verschiedenen realen Wettereignissen der Vergangenheit getestet worden, die ganz gut reproduziert werden konnten. Solche Tests sind notwendig, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie gut die Computermodelle die realen Verhältnisse nachbilden. Zu diesem Zweck nimmt man sich die Beobachtungsdaten und lässt dann das Modell mit diesen einen gewissen Zeitraum das Wetter bzw. Klima einer bestimmten Region ermitteln. Das hat man beim REMO zum Beispiel mit dem Oderhochwasser vom Juli 1997 gemacht und kam auf eine Abflussmenge der Oder – das ist in diesem Falle für die Hydrologen der kritische Wert – auf einen Betrag, der nur um rund zehn Prozent unter dem tatsächlich eingetroffenen lag. Das ist für ein Klimamodell, das eigentlich nur Mittelwerte über einen längeren Zeitraum berechnen soll, eine ansehnliche Genauigkeit.

Abnahme der Sommerniederschläge. Quelle: UBA

Die Schlussfolgerungen, die das UBA aus den Ergebnissen der Hamburger REMO-Gruppe zieht, sind nicht unbedingt neu, aber für eine Bundesbehörde in ihrer Konsequenz immerhin bemerkenswert: Die Konzentration des atmosphärischen CO2 muss auf einem Niveau von unter 400 Millionstel Volumenanteilen (ppm, parts per million) stabilisiert werden (derzeit beträgt der mittlere CO2-Gehalt der Atmosphäre 381 ppm, 1880, als die industrielle Revolution noch in den Kinderschuhen steckte, waren es 280 ppm).

Um die Stabilisierung zu erreichen, müssen bis Mitte des Jahrhunderts weltweit die Treibhausgasemissionen auf die Hälfte des 1990er Niveaus reduziert werden. Die Industriestaaten, so das UBA, sind in besondere Verantwortung, da sie den Entwicklungsländern Raum lassen müssen. Ihre Emissionen müssten folglich in den nächsten 44 Jahren um 80 Prozent zurückgehen. Für Deutschland sei eine Reduktion um 40 Prozent bis 2020 und um 80 Prozent bis 2050 „technisch möglich und wirtschaftlich tragfähig“.

Jedes Zögern beim Klimaschutz wird teuer, da die Schadenskosten für Klimafolgeschäden progressiv wachsen dürften: Die weltweiten Kosten für anspruchsvollen Klimaschutz liegen bei durchschnittlich einem Prozent der globalen Wirtschaftsleistung – und damit weit unter den ökonomischen Folgen eines ungebremsten Klimawandels, dessen Schäden bis zu zehn Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung ausmachen könnten. Deutschland hat das nötige Wissen und Können, um dem Klimawandel rasch zu begegnen. Eine schnelle sowie deutliche Steigerung der Energieeffizienz in Kraftwerken und bei der Energienutzung sowie die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien sind hierfür entscheidend.

Das UBA in einer Zusammenfassung der Ergebnisse des erwähnten Workshops

Bleibt anzumerken, dass selbst das Ziel, die CO2-Konzentrationen unter 400 ppm stabilisieren zu wollen, das heißt mehr oder weniger auf dem gegenwärtigen Niveau von 381 ppm, noch eine weitere Erwärmung nach sich ziehen wird. In den letzten 100 Jahren hat sich die über den ganzen Erdball und das ganze Jahr gemittelte Temperatur der bodennahen Atmosphäre um 0,6 Grad erhöht. In Deutschland betrug der Anstieg 0,9 Grad.

Selbst wenn man von heute auf morgen die Treibhausgaskonzentration einfrieren könnte, würde der Temperaturanstieg noch um einige Zehntel Grad weitergehen und damit die Verschiebung der Klimazonen und Veränderungen der Niederschlagsverteilung und vermutlich auch die Zunahme von Extremereignissen. Ursache hierfür ist die Trägheit einiger Komponenten des Klimasystems. Bis sich die ganze Deckschicht der Ozeane den neuen Randbedingungen angepasst hat, dauert es Jahrzehnte. Ebenso werden die Gletscher der Hochgebirge mehrere Jahrzehnte brauchen, bis sie ein neues Gleichgewicht gefunden haben. Besonders träge sind das Tiefenwasser der Ozeane und die Gletscher der Antarktis, die eher in Jahrtausenden rechnen.