Die Web 2.0-Maschine

Es kann so einsam im Hirn eines Investmentbankers sein, wenn er versucht, wieder Geld in einer neuen Internetwelle zu investieren. Aus ethischen Gründen helfen wir deshalb etwas nach und beschreiben den aktuellen Trend als Maschine. Das kennt er, damit macht er sich morgens Kaffee.

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Wer seit zehn Jahren im Internet unterwegs ist und dort versucht, sein Geld zu verdienen, wird ein merkwürdiges Deja-vu-Erlebnis haben. Zuerst sprachen nur die Freaks von Mash-up, AJAX und der wisdom of masses, dann drehten genau die sich von einem neuen Phänomen ab, das das Buzzword "Web 2.0" besitzt, und nun beißen sich die Business-Haie an dem Thema fest und fischen im trüben Wasser des nächsten Hypes.

Aber sie tun das mit einer Menge an Fragezeichen, was denn Web 2.0 sein und wie man daraus Geld machen könnte. Wir wollen diesen armen Seelen helfen, es ist eigentlich ganz einfach. Wir stellen uns Web 2.0 als eine Maschine vor. Sagen wir, sie stellt eine heiße, munter machende Suppe aus Bohnenpulver mit der Hilfe von Strom her. Das ist einfach nachzuvollziehen. Dann wird das schon klappen mit der Hilfe.

Jede schöne Maschine fängt mit einem Schild an, auf dem ihr Name steht. Am besten, man verkürzt ein existierendes Wort um ein bis zwei Buchstaben oder ahmt ein Geräusch damit nach. Wie wäre es denn zum Beispiel mit LINGRRR . Das wäre jetzt zum Beispiel der Autorname phonetisch aufgemotzt und semantisch mit dem Geräusch von zermalmten Kaffeebohnen angereichert. Damit lässt sich eine Maschine sehr gut bewerben. Und es klingt ein bisschen neu und geheimnisvoll, denn "Kaffeemaschine" wäre hier ja marketingtechnisch suboptimal und genauso sinnlos wie "Übersichtskarte" für gchart.com.

Dann wäre es gut, den Zweck der Maschine drunter zu schreiben. Da wird es schon ein wenig kniffeliger. Denn letztendlich gibt es bereits Tausende von Kaffeemaschinen auf dem Markt, also sollte man hier noch überraschen. Aber das ist einfach, denn im Moment stellen wir alle verblüfft fest, dass Produkte nicht einfach da sind und alles tun. Man muss vielmehr mitmachen, damit etwas mit ihnen entsteht. Der Kunde ist also der Serviceangestellte einer Maschine. Er wartet sie, bedient sie, kauft und füllt sie mit Stoffen wie Wasser und Pulver - und nur dann entsteht Kaffee. Und dieses Wissen ist momentan sehr modern. Also machen alle mit. Also schreiben wir als Zweck darunter: "Brühe Deinen eigenen Kaffee".

Gut. Das ist langweilig.

Also denken wir eine Runde weiter und sagen: "Brühe Deinen eigenen Kaffee und schreibe Deinen Namen für alle sichtbar in den Milchschaum." Jetzt kommen wir der Sache schon näher. Wir wollen jetzt nur noch Kunden finden. Wir haben noch gar keine Maschine? Klug beobachtet, aber das ist ja der Witz dabei. Moment. Wir werben mit diesem Slogan und einer Interessentenliste da, wo man am billigsten die meisten Kaffeetrinker bekommt. Sagen wir: Im In-Café um die Ecke. Dort kann sich jeder, der so etwas gerne hätte, in diese Liste eintragen und weiß: Sobald die Maschine auf dem Markt ist, wird er informiert und bekommt sie zuerst und billiger. Vermutlich.

Vielleicht locken wir ihn auch mit einem kleinen Spiel. Eine Tüte Flüssigsirup liegt nun neben jeder Kaffeetasse im Lokal, und er kann schon einmal ausprobieren, wie denn das so wäre. Den eigenen Namen in die Schaumkrone schreiben. Vorerst also als händisches Demo. Alle im Lokal staunen, wenn es dann einer auch tut, wenn man es denn sieht, wenn denn jemand sich dafür interessiert, wenn denn überhaupt jemand im Moment nahe genug an der verzierten Tasse sitzt. Und leicht ist es nicht. Da steht dann "gnnffff" statt "Elfriede", das stört. Schön, dass es dafür bald eine Maschine geben wird.

Nun kann es passieren, dass alle die Idee toll finden, aber keiner trägt sich in die Liste ein. Was hat man dann verloren? Richtig. Nix. Man denkt ein wenig nach, wechselt zum Italiener um die Ecke und bietet eine Maschine an, die mit Parmesan den eigenen Namen auf ein Teller Tomatennudeln schreibt. Aber wenn nun eine Menge an Interessenten zusammenkäme, können wir ein Problem bekommen. Wir müssen die Maschine bauen.

Also gehen wir zu einem Mechaniker und sagen: Ich brauche eine Maschine, die so wie auf dem Bild dieser Liste aussieht, und sie soll den eigenen Namen auf die Schaumkrone des Kaffees schreiben. Dann sagt der Mechaniker: "Wer braucht denn so einen Quatsch?" Dann sagen wir: "Na, die Menschen hier auf dieser Liste, deshalb haben sie sich ja eingetragen." Dann sagt der Mechaniker: "Aha. Das ist aber nicht leicht." Dann sagen wir: "Deshalb bauen wir ja die Maschine bei Ihnen." Das macht ihn stolz, er beauftragt einen Subunternehmer in Indien und der baut klugerweise ein Ding, das eine Tastatur hat und je nach Buchstaben eine Düse zum Ruckeln bringt. Die Schrift ist Hindi.

Prima.

In der Zwischenzeit sagen wir uns: Menschen, die so etwas wollen, die brauchen vielleicht auch Kaffeepulver. Also schicken wir Briefe an die in der Liste: Hey, wir haben auch tollen Kaffee für Dich, den würden wir Dir schon einmal empfehlen, denn die Maschine, die Du Dir wünschst, ist schon fast fertig. Und einzelne kaufen wirklich den Kaffee, das ist schon einmal schön und deckt das Porto. Und weil wir Geschäftsleute sind, verkaufen wir die Liste an sich weiter an einen Kaffeetassen-Hersteller. Der wird nun auch einen Brief aufsetzen, weil wir ihn überzeugen konnten: Da sind Menschen, die sich mit ihrem Kaffee beschäftigen. Und deshalb kann man ihnen alles andrehen, solange da eine Bohne drauf zu sehen ist. Denn Kaffee trinken an sich ist unglaublich langweilig. Da muss schon was passieren.

Also nimmt uns unser Geschäftspartner diese Liste für sehr viel Geld ab, und wir verdienen und sitzen mit einem Stuhl in der Sonne und trinken Bier. Das ist schön. Die Menschen auf der Liste finden das nicht, denn jeden zweiten Tag kommen Briefe an. Von Tassenherstellern, aber auch von Löffelherstellern, von Putzmittelherstellern und von solchen, die sogar Kaffeefahrten anbieten. Gut, nicht alles macht wirklich Sinn, aber das liegt auch daran, dass die Abnehmer von Listen diese auch wieder weiterverkaufen. Man will ja Geld verdienen. Und die armen Kunden in spe beschließen zwei Dinge: Aufhören mit Kaffee trinken und: das In-Café meiden. So muss es angefangen haben.

Übrigens ist jetzt die Maschine fertig. Sie schreibt eigentlich nur ein indisches Zeichen für "Made in India" auf den Schaum, und das sieht man auch nicht lange, weil der Schaum einfällt. Aber das passt schon. Die Idee ist ja immer noch neu. Und freudig schicken wir nun einen Brief an alle Interessenten, die Maschine sei da.

Zwei Dutzend davon schicken uns einen Brief vom Anwalt zurück und fühlen sich belästigt. Merkwürdig. Das verstehen wir nicht, vielleicht hatten die einen schlechten Tag. Aber einer will die Maschine haben. Seltsamerweise aber im Tausch gegen eine Maschine, die die eigene Adresse neben den Skilift in den Schnee pinkelt. Alle anderen schweigen. Nanu. Der Markt schien doch anzubeißen, die Liste war randvoll, sonst hätten wir doch kein Geld für den Bau dieses Teils ausgegeben.

Wir rufen einen von denen an, die wir auf der Liste haben, und der sagt uns: Es war doch nur eine Liste. Klar war die Idee schön, und klar hätte ihn das da interessiert, aber zum einen wird er gerade überschwemmt mit Angeboten zu Kaffee und Kaffeezubehör und Kaffeemaschinen, und zum anderen ist er erschrocken, dass die Maschine etwas kostet. Das sei jetzt überraschend gewesen, und davon stand auch nichts auf der Liste.

Aha, sagen wir, aha.

Am nächsten Morgen lassen wir ein paar Studenten an der Türe der Listenmenschen klingeln. Und bevor die zuschlagen können, lassen wir ihnen vorschlagen, dass sie die Maschine gratis bekommen, aber dafür müssten sie dann auch auf der Liste bleiben und alle anderen Angebote darum herum lesen. Vielleicht auch das billigste davon kaufen. Das sei doch nett. Übrigens würde die Maschine ja auch ihren Namen auf die Tasse schreiben. Wenn die Kunden Wasser, Pulver, Milch und Schokosirup zufügen. Aber der Rest sei gratis, und die Maschine könne man auch weitervermieten. Das amortisiere sich nach 300 Kaffee im Monat.

Ein paar schlagen zu, ein paar schlagen die Türe zu, ein paar sagen, sie seien eigentlich Teetrinker. Und ein paar brechen heulend zusammen und zeigen auf dreizehn Maschinen unterschiedlicher Funktion, die hinter ihnen im Wohnzimmer stehen. Die könnten alle irgendetwas mit Kaffee, denn merkwürdigerweise würden Geschäftsleuten nur noch solche Sachen einfallen.

Aber gut, wir hatten ja Tausende auf der Liste, und tatsächlich bleiben zehn. Wir müssen ein wenig in die Tasche langen, denn damit kann man die Maschinenkosten nicht ganz hereinholen, aber das wird schon.

Dann flattert am nächsten Tag eine Unterlassungsklage von einem Hersteller von Schaumbeschriftungen herein, der sein Patent in Bali angemeldet hatte. Da waren wir vorher schon einmal im Urlaub. Sonst sagt uns das nichts. Aber das Schreiben sagt, dass das alles jetzt sehr teuer werden kann. Und dann ist da ein anderes Schreiben von einem Kaffeeschaumbeschrifter, der uns eine Fusion vorschlägt (mit anderen 20 Kaffeeschaumbeschriftern, vor allem in Südamerika), damit man zusammen ein Konsortium gründet und den Kerl aus Bali in Grund und Boden klagt. Außerdem sei man dann ein Industriestandard, und eine beigelegte Studie zeigt, dass ein Forschungsinstitut - merkwürdigerweise auch mit Sitz in Bali - dem Kaffeebeschriftermarkt ein Wachstum von 30-67% in den nächsten sieben Jahren vorhersagt. Vor allem in Asien. Zeit, einzusteigen und an die Börse zu gehen.

Wir gehen mit.

Die Emission der Aktien ist ein voller Erfolg. Die Aktie schießt von Null auf 34 USD in einer Woche. Dann schießt sie wieder nach unten. 80% des Kapitals sind vernichtet. Was ist passiert: Die EU verbietet die Beschriftung von Kaffee und normiert die Schaumkrone als werbefreies Lebensmittel. An diesem Tag steigen wir auf Schnaps um. Privat.

Wir kämpfen eine Weile für das freie Recht, mit Kaffee herumspielen zu dürfen. Und im Hintergrund suchen wir verzweifelt Investoren, die uns jetzt aus dem Geschäft herauskaufen. Aber da gibt es ein kleines Problem. Kaffee ist nicht mehr sehr chic, und wenn man den Schmierfinken zu fassen kriegen sollte, der diesen Artikel geschrieben hat, dass man Kaffee am besten beschriftet beim Straßenhändler kauft oder gar nicht, weil das nur Firlefanz sei, dann würde man ihn eigenhändig in die braune Soße tunken - und ihn dann händisch mit der Motorsäge beschriften.

So in etwa muss man sich den Einstieg in die Web 2.0-Welt vorstellen. Oder man lässt es auch einfach und sieht zu, wie kleine Firmen kleine Margen und ein wenig Geld damit verdienen, weil sie am großen Geld gar nicht interessiert sind. Und eigentlich geht das Leben weiter. Und viele Menschen verdienen wenig Geld, aber immerhin. Besser als - wie sonst üblich -, dass weniger Menschen viel verdienen.

So, lieber Investor. Ich mach uns erst mal ein wenig Kaffee.