"Ironie des Schicksals"

Die rechtsextreme Szene feiert den Tod von Paul Spiegel

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Schon im März hatten Neonazis ihren aggressiven Antisemitismus sarkastisch ausgelebt. In Internetforen schrieben sie hämische Kommentare darüber, dass der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, schwer erkrankt sei. Angemerkt wurde indes, Spiegel sei "austauschbar" und man müsse daher die ganze Macht des Judentums brechen. Seit Spiegels Tod am vergangenen Sonntag sprudeln Häme und Judenhass nun förmlich über. "Schurken leben auch nicht ewig", lästern zwei der wichtigsten Portale deutscher Neonazis, das Störtebeker-Netz und Altermedia gleichlautend. Und lenken nur scheinbar wieder ein: "Doch soll man uns nicht nachsagen, dass wir gegen die guten Sitten verstoßen, indem wir Toten nicht Gutes nachsagten – gut das er tot ist."

"Vielen Dank! Das hat gut getan, lange nicht mehr so gelacht…", kommentiert ein Neonazi unter dem Altermedia-Bericht. Allerdings ist diese Art von "Nachruf" nicht neu. Zum Tod von Spiegels Vorgänger Ignatz Bubis waren vor rund sechs Jahren über den Offenen Kanal Berlin in dem von Neonazis betriebenen "Radio Germania" folgender Kommentar gesendet worden: "Bekanntlich soll man über Tote nur Gutes sagen, drum sagen wir: Es ist gut, dass er tot ist." Danach griff die Medienanstalt Berlin-Brandenburg ein, "Radio Germania" wandelte sich gezwungenermaßen zum Internetradio. Bubis' Tod wurde ebenso zur menschenfeindlichen Häme der Band "Die Härte", die Schlager und Hits der Neuen Deutschen Welle mit rassistischen, neonazistischen Texten coverten. Auf der unterdessen indizierten CD "National Deutsche Welle" sang die Band zur Melodie des Schlagers "Am Tag, als Conny Kramer starb" folgendes: "Am Tag, als Ignatz Bubis starb / Und alle Juden heulten / Am Tag, als Ignatz Bubis starb / Und alle Gläser klingen / Das wird ein schöner Tag / Wir pissen auf sein Judengrab."

Ähnlich wie Bubis war auch Spiegel als Kopf des Zentralrates der Juden in Deutschland Hauptfeind der Neonazis. Was man den beiden – dead or alive – wünscht(e), dürfte man in der rechten Szene wohl allen in Deutschland lebenden Juden wünschen. Unter dem zynischen Nickname "Kristallnacht" merkt jemand unter besagtem Altermedia-Text denn auch an: "Ich habe eine ganze Packung Taschentücher verbraucht, um mir meine pseudokoscheren Freudentränen abzuwischen." Ein anderer findet indes, man solle das Datum in Ehren halten: "Auch wenn’s schwer fällt, sollten wir uns die Freude für morgen aufbewahren, denn heute ist bekanntlich der 61. Todestag einer wirklich beutenden Persönlichkeit, der wir dies schuldig sind." Spiegel starb nämlich am selben Tag, an dem Adolf Hitler 1945 Selbstmord begangen hatte. Für einen Neonazi in einem Forum aus dem Umfeld eines Rechtsrockhändlers schlicht "Ironie des Schicksals". Ein sich selbst Nonkonformismus attestierendes Blog, das offenbar Altermedia in Sachen Häme und Sarkasmus den Rang abzulaufen gedenkt, schreibt von einem "Anfall geschichtlicher Ironie" und titelt zum Tod des "Oberjuden(s) Paule Spigel": "Eine Träne geht auf Reisen".

In einem anderen Neonazi-Forum schreibt ein Poster über Spiegels Tod, er lache sich "gerade zu Tode wie schon lange nicht mehr". Und ein angesehenes Forum der Szene überschreibt die neu eröffnete Diskussion mit den Worten: "Die Juden in Deutschland brauchen einen neuen 'Herkules'." Andernorts wird spekuliert, ob Spiegels früherer, umstrittener Stellvertreter Michel Friedman nun der neue Vorsitzende des "Zentralrat(es) der Schwindler" werde und "Maule-Paule" (Kommentar im Störtebeker-Netz) ablöse. Vorausschauend heißt es denn auch schon in einem der Foren: "Als ich die Nachricht von Spiegels ableben erfahren hab, war mein Tag geretten. (...) Wenn jetzt noch Friedman sich von dieser Welt verabschiedet wäre das schonmal nicht schlecht."

"Ein schöner Tag, die Welt steh still, ein schöner Tag. komm Welt lass dich umarmen, welch ein Tag....!!!" wird im Forum einer bekannten Rechtsrock-Band, angelehnt an eine deutsche Bierwerbung gedichtet – fast so, als versuche man sich hier schon daran, ein neues Lied ähnlich jenes von "Die Härte" zu skizzieren. Andere Gedanken bewegen einen Neonazi im Forum des größten deutschen Magazins für rechte Musik: "Vielleicht kriegen wir zu seinen Andenken nächstes Jahr nen Feiertag!" Im Forum des "Freien Widerstands" (FW) – u.a. aus dem Umfeld führender Köpfe der "freien Kameradschaften" – befürchten einige schon, dass Spiegel "ein Staatsbegräbnis (...) auf unsere Kosten" erhalte. Doch nach wenigen ungewohnt zurückhaltenden Postings ist es der FW-Moderator leid und erinnert alle daran, dass "die allgemeine Haltung gegenüber diesem Menschen (...) jedem bekannt (ist). Das wichtigste ist gesagt."

Es waren Bubis und Spiegel, die wiederholt davon berichteten, dass Schmäh- und Drohbriefe an den Zentralrat oder an jüdische Gemeinden kaum noch anonym abgeschickt worden seien. Es seien vielmehr während ihrer Amtszeit immer mehr Briefe eingegangen, deren Inhalte offen beleidigend, verletzend oder bedrohend seien – und das unter Angabe der wahren Absender. So verwundert es wenig, dass Kommentare von Neonazis in offen einsehbaren oder geschlossenen Foren sich in ihrer strafrechtlich relevanten Qualität kaum unterscheiden. Weder Paragraphen zur Verunglimpfung des Ansehens Verstorbener, noch jene zur Volksverhetzung scheinen in den Köpfen der Neonazis zu existieren, wenn sie den Tod Spiegels abfeiern. "Und der Paule, wie geht’s dem? Naja…er sitzt mit seinem Freund dem (Spitz)Bubis in einem Kessel und wird schön durchgekocht", sinniert ein "Mitmacher" unter Altermedia in einem durch die "Schriftleitung" frei gegebenen Kommentar. Der "wartende Krieger" will gar Spiegel nachträglich abgeurteilt wissen: "(...) wir werden dein Werk und Wirken nicht in Vergessenheit geraten lassen, zumindest solange nicht, bis sich ein anständiges Gericht, welches dem deutschen Volk und nicht Juda verpflichtet ist, eingehend damit beschäftigt hat!"

Auch wenn derlei wohl kaum strafrechtliche Ermittlungen nach sich ziehen wird – sowohl die Betreiber des Störtebeker-Netzes, als auch die von Altermedia dürften den Behörden hinlänglich bekannt sein –, die Dichterübung des Kölner Neonazis Axel W. Reitz könnten die Ermittler zumindest klar zuordnen. "Paul war Jurist, und das nicht schlecht, denn Paule, der hatte immer Recht. Malkünstler war er nebenbei, mit grandioser schwarz-weiß Malerei. Auch Schauspielkunst verstehen tat er. Er spielte immer gern Theater. So vielseitig gewesen zu sein im Leben, – das ist nur Wenigen gegeben. Mit Paul hat die BRD einen ihrer Besten verloren… Prost!" kalauert sich der führende Kader des neonazistischen Kampfbundes Deutscher Sozialisten (KDS) durch sein antisemitisches Weltbild. Veröffentlicht übrigens nicht nur mittels Kommentarfunktion auf Portalen und in Foren, sondern auch auf dem von Reitz persönlich mit betriebenen Infoportal des rechtsextremistischen Aktionsbüro Westdeutschland.