"Nicht scharf auf Zeugen"

2005 war für Medienleute das "tödlichste Jahr". Journalisten im Irak haben den gefährlichsten Job der Welt

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Anlässlich des Internationalen Tages der Pressefreiheit veröffentlichte die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) einen aktuellen Bericht. Darin wird 2005 als „das tödlichste Jahr für Medienleute“ bezeichnet. „63 kamen ums Leben, die meisten im Irak.“ Doch auch ansonsten steht es mit der Pressefreiheit nicht zum Besten: Über 1.000 Medien wurden 2005 zensiert und verboten, 60 Prozent mehr als im Vorjahr. Allein in diesem Jahr wurden schon 16 Journalisten wegen oder während ihrer Arbeit getötet, 119 sind derzeit inhaftiert. ROG-Vorstandssprecher Michael Rediske konstatierte, weltweit sei die Pressefreiheit mehr bedroht denn je, Gewalt und Restriktionen nähmen massiv zu und JournalistInnen würden immer häufiger zur Zielscheibe. Zu den größten Feinden der Pressefreiheit gehört laut ROG auch Irans Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad.

Berichten zufolge wurden seit Kriegsbeginn 86 Journalisten allein im Irak getötet und 39 verschleppt (Stand April 2006), hinzu kommen verschleppte und ermordete Medienassistenten sowie Fahrer und Übersetzer, die Auftrag der Presse unterwegs waren. Mehr als ein Dutzend Medienleute wurden allein 2006 bei der Ausübung ihres Berufes getötet. Im Vergleich dazu: In Vietnam haben in 20 Jahren Krieg 63 Medienvertreter ihr Leben verloren. Ursachen dafür sind, dass Kriegsberichterstattung nicht losgelöst von den Risiken des Krieges stattfinden kann, sowie das zunehmende Risiko, verschleppt zu werden. ROG spricht in Bezug auf den Irak vom „tödlichsten Konflikt für die Medien seit dem 2. Weltkrieg“. Die meisten Betroffenen sind Iraker oder Araber, sie arbeiten für Al Arabiya, Al Iraqiya oder auch örtliche Medien. Deshalb hat sich hierzulande niemand für ihr Schicksal interessiert - bis zur Verschleppung der italienischen Journalistin Giulinan Sgrenas Anfang 2005, und bis auf „Reporter ohne Grenzen“, die regelmäßig die aktuellsten Zahlen veröffentlichen.

„Die Information an sich wird zum Feind“, schreibt Sgrena in ihrem Buch „Friendly Fire“, in dem sie ihre Entführung und die für ihren Retter Nicola Calipari tödlich endende Befreiung ausführlich schildert. „Heute, in einer Zeit, in der die Technik es erlaubt, die Welt augenblicklich zu informieren, kann jede Nachricht zum Bumerang für denjenigen werden, der Krieg führt. Also sind auch Journalisten potentielle Feinde.“ Weder die Besatzer noch die Besetzten, so Sgrena weiter, seien an der „Offenlegung der wirklichen Lage“ interessiert und „scharf auf Zeugen“.

Ein Beispiel dafür ist der US-amerikanische Journalist Steven Vincent. Er hielt sich im Juli 2005 in Basra im Süden des Irak auf, „eingebettet“ in die Multinationalen Truppen unter britischer Führung, wie er schreibt. Am 31. Juli 2005 erschien in der New York Times der Artikel „Switched Off in Basra“ von ihm. Darin beschreibt er die religiöse Infiltrierung der Polizei in Basra durch schiitische Gruppierungen, in deren Auftrag die Uniformierten eine Hetzjagd auf Mitglieder der ehemals regierenden Baath-Partei machen. „75 % aller Polizisten, die ich kenne, stehen hinter Moktada al-Sadr - er ist ein großer Mann“, erläuterte dem US-Reporter ein Offizier, der namentlich nicht genannt werden wollte. Eine “alarmierende Anzahl” religiöser Bilder u.a. auf Polizeistationen schienen Vincent diese Aussage zu bestätigen. „Niemand traut der Polizei“, äußerte ein irakischer Journalist gegenüber Vincent. „Wenn einer unserer neuen Ayatollahs mit den Fingern schnippt, dann rennen Tausende Polizisten.“

Ein anderer Polizeibeamter sprach Vincent gegenüber von einem „Todesauto“, „einem weißen Toyota Mark II, der durch die Straßen der Stadt fährt und mit dem Polizisten im Auftrag ihnen nahe stehender extremistischer religiöser Gruppierungen deren Job machen.“ Unter den Augen der Besatzungsmacht: „Unglücklicherweise scheinen die Briten unfähig oder unwillig zu sein, dagegen etwas zu tun“, kritisiert Vincent. Der Journalist hielt sich zu dem Zeitpunkt in Basra auf, um für ein Buch zu recherchieren, das er über die südirakische Stadt schreiben wollte. Doch dazu kam es nicht mehr: Kurz nach Erscheinen des Artikels wurde Vincent verschleppt - vermutlich mit dem „Todesauto“ - und ermordet.

Warum arbeiten Journalistinnen und Journalisten im Irak?

Steven Vincent hat die Gefahr verkannt, er fühlte sich unter dem vermeintlichen Schutz der Briten sicher. Als ihm klar wurde, dass die Besatzungsmächte die Situation in dem einst als „hellsten Licht des befreiten Irak“ gefeierten Basra alles andere als unter Kontrolle haben - vielleicht sogar in die Machenschaften der Terrorgruppen verstrickt sind - war es zu spät.

Giuliana Sgrena hat die Gefahr verdrängt. Sie kam im Januar 2003 nach Bagdad, um - wie Millionen Menschen auf der ganzen Welt an jenem Tag - am 15. Februar 2003 in der irakischen Hauptstadt gegen den drohenden Krieg zu demonstrieren. Danach ist sie in Bagdad geblieben, um für die italienische Tageszeitung Il Manifesto über die Schrecken des Krieges aus Perspektive der Opfer zu berichten. Eine Sichtweise, die sie in den den Mainstream-Medien vermisste. Nach Ausbruch des Krieges forderte ihre Redaktion sie wiederholt auf, nach Italien zurückzukehren, aber Giuliana blieb, bzw., kehrte im Januar 2005 wegen der anstehenden Wahlen nach einem Italien-Aufenthalt nach Bagdad zurück. Seit 1990 war das ihre siebte Reise in den Golfstaat, außerdem arbeitete sie auch in anderen Krisengebieten: Afghanistan, Algerien, Palästina und Somalia. Dabei erlebte sie manch brenzlige Situation und mehr als eine spektakuläre Flucht. „Ich war mir der Gefahren bewusst, hatte aber keine Angst und wollte Zeugin des Geschehens werden“, schreibt sie in „Friendly Fire“. Ihr war klar, „dass alle Menschen aus dem Westen als Feinde wahrgenommen werden, denn sie ähneln ausnahmslos den Besatzern.“

Eine Tatsache, deren Bedeutung sie sich nicht in letzter Konsequenz klar machte. Sie versuchte, so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen und war sehr vorsichtig in der Auswahl ihrer Fahrer und Dolmetscher. Sie wusste: „Im besetzten Irak ist die Wahl der Begleiter ein nicht zu unterschätzendes Detail.“ Außerdem fühlte die erklärte Kriegsgegnerin sich durch ihre guten Absichten geschützt.

Gerade die „Kleinigkeiten“ sind es, die verhängnisvoll werden können. So schreibt z.B. die US-amerikanische Journalistin Jill Carroll, die von Anfang Januar bis Ende März 2006 verschleppt war, dass die Auswahl der Unterkunft von großer Bedeutung sei: Ist das Gebäude zu hoch, läuft es Gefahr, bombardiert zu werden, liegt es an einer befahrbaren Straße, wird es möglicherweise von Terroristen attackiert.

Als sich der Krieg abzeichnete, ging Jill Carroll nach Jordanien, sie wollte nicht ohne das nötige Hintergrundwissen über den Konflikt berichten. Später plünderte sie ihr Sparkonto, reiste nach Bagdad und suchte sich ein heruntergekommenes Quartier, um die oben genannten Risiken auszuschließen. Dann produzierte sie „Texte wie am Fließband“, um den Aufenthalt und die durch ihre Arbeit entstehenden Kosten für Dolmetscher, etc., zu finanzieren. „Es ist nicht einfach, ein solch wichtige Aufgabe zu erfüllen. Besonders, wenn es Leute dort draußen gibt, die auf der Suche nach Ausländern sind - um sie zu enthaupten. Gezählt sind die Tage, an denen Autobomben und Angriffe auf Militärkonvois so unregelmäßig vorkamen, dass wir die Übersicht über deren Ort und Zeitpunkt behalten konnten“, schrieb sie in einem Artikel, der von Spiegel online Anfang Januar 2006, kurz nach ihrer Verschleppung, veröffentlicht wurde. „Im vergangenen Frühjahr stieg die Zahl der Kidnappings und Enthauptungen sprunghaft an, und die westlichen Journalisten wurden zu Gefangenen in ihren eigenen Hotelzimmern.“ Jill Carroll hat die Gefahr also erkannt, ist aber trotzdem geblieben.

Andere wurden verschleppt, weil sie den falschen Leuten vertrauten. Medienberichten zufolge wurden die rumänische Journalistin Marie-Jeanne Ion, ihr Kollege Ovidu Ohanesiau und der Kameramann Sorin Dumitru gekidnappt, weil ihr Mittelsmann, ein in Rumänien lebender irakischer Geschäftsmann, eine Entführung vortäuschen und dann als ihr Retter auftreten wollte. So gedachte er seine Probleme mit der rumänischen Justiz zu lösen. Doch der Plan ging schief, denn die Entführer verkauften die Geiseln weiter an eine andere Gruppe. Wieder andere kamen in den Irak, weil sie die Chance ihres Lebens witterten, waren zu sehr damit beschäftigt, Karriere zu machen und deswegen zu unvorsichtig. Und für wieder andere ist der Irak schlichtweg ihr Arbeitsplatz - der Krieg ist zu ihnen gekommen, nicht sie zum Krieg.