Die Taliban und der Terrorismus

Obgleich die Taliban in Afghanistan vermehrt Terroranschläge im irakischen Stil ausüben, werden sie auf der Liste der Terrororganisationen des US-Außenministeriums nicht aufgeführt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Vor kurzem veröffentlichte das US-Außenministerium den jährlich vorgelegten Bericht über den internationalen Terrorismus. Die Zahlen werden seit kurzem vom National Counterterrorism Center aufbereitet, nach dem es 2005 11.000 Terroranschläge mit 14.600 Toten gegeben haben soll, 30% der Anschläge mit 55% der Toten verzeichnete der Irak (Über 10.000 Terroranschläge weltweit 2005). Zwar musste man einräumen, dass die Besetzung des Irak den Terrorismus gefördert habe, aber man betonte auch, dass die hohen Zahlen gegenüber früheren Jahren von einer anderen Methodologie stammen. Henry Crumpton, Special Coordinator for Counterterrorism, versicherte bei Vorstellung des Berichts jedenfalls, dass die Welt irgendwie „sicherer“ geworden sei.

Natürlich ist al-Qaida, wer auch immer genauer sich dahinter verbergen mag oder wer auch immer damit gemeint ist, ein zentrales Thema in Bezug auf Terrorismus. Crumpton erklärt, das man auch bei der Bekämpfung von al-Qaida Fortschritte erzielt habe. Die Führung des Terrornetzwerks stehe sowohl im Irak als auch im Gebiet an der afghanisch-pakistanischen Grenze unter großem Druck. Die wenigen Führer seien isoliert und auf der Flucht, Bin Laden oder Sawahiri kontrollierten die Netzwerke nicht mehr und müssten sich auf Propaganda verlegen.

Bei der Vorstellung blieben ansonsten Afghanistan und der dort zunehmende Widerstand unerwähnt, der von verschiedenen Gruppierungen ausgeht (Islamischer Staat in Waziristan?). Ob man in Afghanistan noch zwischen Taliban und al-Qaida-Resten unterscheiden kann, ist freilich eine schwierige Frage. Der Grenzbereich wird im Bericht zwar im neuen Kapitel „Sicherer Hafen“ aufgeführt, aber nicht explizit so bezeichnet, sondern lediglich als „umkämpfte Region“ (auch der Irak gilt nur als „potenzieller Hafen“). Allerdings wird auch festgestellt, dass es eine erhöhte terroristische Aktivität in Afghanistan und Pakistan gibt. Man spricht vom Widerstand und von Anschlägen von „Terroristen und Anti-Koalitions-Kämpfern“, meidet aber eine genauere Kennzeichnung.

Im Anhang des Berichts findet sich wie gewohnt auch eine Liste der als ausländische Terroristengruppen eingestuften Organisationen. Dort findet man natürlich al-Qaida und manche in Pakistan und Kaschmir operierende Gruppen, aber nicht die Taliban aufgeführt. Nur bei Ansar al-Sunna wird auch von „kurdischen Taliban“ gesprochen, bei al-Qaida heißt es, dass manche Taliban auch mit diesem Netzwerk zusammenarbeiten.

Aufmerksam auf das Fehlen der Taliban, die zunehmend Terroranschläge im Stil der Gruppen im Irak ausführen, in der Liste machte ein Bericht des Council on Foreign Relations. Die Taliban sind auch nie auf einer Terrorliste anderer Länder wie der EU aufgeführt worden, obgleich sie al-Qaida einen „Sicheren Hafen“ gewährten und nach der Niederlage in Afghanistan zahlreiche Anschläge ausgeführt haben. Allerdings ist nach der Auflösung des Taliban-Regimes ebenso wie bei al-Qaida höchst unklar, ob „die Taliban“ noch als Organisation oder Gruppe agieren oder eher ein loses Netzwerk höchst unterschiedlicher Gruppierungen darstellen, die mehr von außen als mehr oder weniger große Einheit gesehen werden.

Im Bericht wird die Vermutung angestellt, dass die Taliban vielleicht deswegen nicht als Terroristen aufgeführt werden, weil der von der US-Regierung unterstützte afghanische Präsident Karsai eine Integration der Paschtun erreichen will, die einen Großteil der Taliban gestellt haben. Überdies wurden die Taliban als Kämpfer gegen die russischen Besatzer von Pakistan, Saudi-Arabien und den USA unterstützt.

Weitere Überlegungen werden im Christian Science Monitor angestellt. Hier wird etwa auf einen Artikel der in Afghanistan lebenden Journalistin Sarah Chayes verwiesen, die meint, die US-Regierung habe sich einseitig auf al-Qaida eingeschossen, unter anderem auch deswegen, weil sie sich einst mit Warlords und der Nordallianz verbündet hat, um die Taliban zu stürzen. Sie meint, dass al-Qaida jetzt hier kaum mehr eine Rolle spielt, wohl aber die Taliban, die Angst und Schrecken verbreiten.

Die vom US-Außenministerium erstellte Terroristenliste ist eine höchst politische Angelegenheit, die darüber entscheidet, welche Organisationen von den USA bekämpft werden. Das trifft beispielsweise gegenwärtig auf die Hamas zu. Allerdings befindet sich auf der Liste auch die im Irak existierende "Modjahedin-E-Khalq" (MEK), die Hussein unterstützte, weil sie gegen das Iran-Regime kämpfte (Wenn es den eigenen Interessen dient). Mit dieser Terrororganisation weiß man aber nicht so recht umzugehen und hält sie angeblich im Irak unter Quarantäne. Allerdings heißt es auch, man benutze sie, um den Iran zu destabilisieren (Der Teufel auf dem Hügel).

Mit den Taliban gibt es über die Bekämpfung der Russen im Kalten Krieg hinaus auch eine lange Geschichte seitens der US-Regierung. Auch nachdem die Taliban bereits 90 Prozent des Landes kontrollierten und dort ihren Gottesstaat mit drakonischen Mitteln umsetzten, duldete man das Regime, weil man Afghanistan unter anderem auch als strategisch wichtige Region für die Energieversorgung betrachtete. Ein totalitäres Regime könnte eine gewisse Stabilität garantieren und daher für die Sicherheit einer geplanten Pipeline von Turkmenistan nach Pakistan garantieren, die der kalifornische Konzern UNOCAL mit einem internationalen Konsortium plante. Bekanntlich war man seit 1996 auch in Verhandlungen mit den Taliban eingetreten, die Anschläge auf die afrikanischen US-Botschaften 1998 störten dann das Geschäft und die Akzeptanz des Taliban-Regimes. Zum wirklichen Bruch kam es aber erst, als die Taliban nach dem 11.9. Bin Laden nicht ausliefern wollten. Karsai war übrigens ein ehemaliger „Berater“ von Unocal.

Aber das dürfte natürlich nicht die Position des US-Außenministeriums erklären. Man scheut einfach aus verständlichen Gründen davor zurück, in einem Land, das man befreit hat und aus dem man Fortschritte melden muss, eine weitere Terrorgruppe auf die Liste zu setzen, weil das einen schlechten Eindruck machen könnte. Die EU führt zwei Listen über Individuen und Organisationen, die dem Terrorismus zugeordnet werden. Auf der einen Liste kommen al-Qaida und Taliban gar nicht vor. Zudem wurde eine UN-Liste mit Individuen und Organisationen übernommen, die zu al-Qaida und Taliban gehören oder mit diesen zusammenarbeiten. Europäische Soldaten, die in Afghanistan stationiert sind, dürften zunehmend das Ziel von Terroranschlägen werden (Frühling am Hindukusch).