Ein schlechtes Omen

Steven Roach, der "letzte Mohikaner", wirft das Handtuch. Der einzige kritische Wall Street-Ökonom sieht die Welt nun "auf einem guten Weg" - internationale Finanzblätter befürchten den Anfang vom Ende

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Die britischen und US-Amerikanischen Finanzblätter konnten es nicht glauben: Der letzte „Krisenprophet“ der Wall Street hat das Handtuch geworfen. Stephen Roach, Chefökonom der Wall Street-Investmentbank Morgan Stanley, die nach eigenen Angaben „Assets“ im Wert von 622 Mrd. USD verwaltet, hatte jahrelang als einsamer Mahner die Geld- und Budgetpolitik der USA kritisiert und einen Dollar-Crash samt schwerer internationaler Finanzkrise als praktisch unvermeidlich bezeichnet. Das Ausland werde bald nicht mehr bereit sein, die ausufernde US-Verschuldung zu finanzieren, die Krise sei unausweichlich, diktierte er jedem, der es hören wollte in die Feder.

Nach gut sechs Jahren vergeblichen Wartens auf die Katastrophe sieht er die Welt jetzt aber plötzlich auf einem guten Weg – wobei die Korrektur doch um so schlimmer werden müsse, je länger die Ungleichgewichte anhalten, wie Roach bislang immer erklärt hatte.

I must confess that I am now feeling better about the prognosis for the world economy for the first time in ages.

Dass sich nun „auch der letzte Mohikaner zur Zuversicht bekehrt“ hat, lässt die Neue Züricher Zeitung indes befürchten, „dass es der Wirtschaft bald wieder schlechter gehen“ werde. Es sei ein schlechtes Omen, meint die NZZ. Und auch der Guardian und etliche weitere britische und US-amerikanische Blätter sehen darin ein „klares Verkaufssignal“. Laut Roach nehme die Welt hingegen endlich „ihre Medizin“ - womit er die Zinserhöhungen in den USA, Europa, China und bald Japan meint - oder beabsichtige das zumindest. Die G7 und der Internationale Währungsfonds hätten erkannt, dass sie für das „multi-economy“ Problem der globalen Ungleichgewichte „multilaterale“ Lösungen finden müssen, und außerdem werde der Wert des Dollar endlich wieder in die richtige Richtung, nämlich nach unten „gemanagt“.

Was die Finanzblätter hier monieren, ist freilich ein wohlbekannter Frühindikator für kommendes Unheil: Wenn sich Aufschwungphasen zu „Booms“ entwickeln, entfernen sich die Preise (in klassischen Boom-Bust-Zyklen meist die Preise von Aktien, aber auch von Anleihen, Rohstoffen, Immobilien etc) ja immer von den „fundamentalen“ Bewertungsmassstäben. Bald melden sich daher auch die ökonomisch versierten Kritiker zu Wort, die vor diesen Abweichungen warnen und einen bevorstehenden Crash befürchten. Kommt es nach jahrelangen Warnungen aber lange Zeit nicht zu den befürchteten negativen Entwicklungen, dann finden die Kritiker, die Jahr für Jahr die selben Kassandrarufe erschallen lassen, kaum mehr Gehör, da ja nichts passiert ist.

Gleichzeitig beobachten die Kritiker, wie ahnungslose Laien an den Börsen ein Vermögen verdienen. Das führt oft zu erstaunlichen Windungen: Als sicher geglaubtes Wissen wird in Zweifel gezogen, neue und noch so absurde Theorien werden „empirisch“ gestärkt und so dann auch von einigen vormals noch kritischen Experten geglaubt. So verlieren gerade Experten in Boomzeiten gerne Hemd und Hosen, da ihre auf Fachwissen basierenden Zweifel einen Einstieg zuvor verhindert haben. Und wenn dann endlich die „Läuterung“ erfolgt ist, finden sich die Preise oft schon auf Höchstständen. Dementsprechend sind etliche Aktienanalysten großer Finanzhäuser erst 1999/2000 mit ihrem Privatvermögen in die New-Ecvonomy–Märkte gegangen und haben hoch verloren.

Dass die Rettung der Finanzwelt doch möglich sein soll, liegt, Roach zufolge, nun aber an „mächtigen strukturellen Veränderungen der Weltwirtschaft“, nämlich der sich rapide ausbreitenden Globalisierung, die weltweit die Inflation dämpfe. Die Notenbanken könnten sich daher den Luxus gönnen, sich mit dem Entzug der Liquidität Zeit zu lassen, was die Wahrscheinlichkeit reduziert habe, dass die Welt auch heute wieder von den Boom-Bust-Zyklen früherer Jahre getroffen werde. Zuversicht schöpft Roach zudem aus dem Statement der G-7 Finanzminister und Notenbankgouverneure vom 21. April, dem extra ein Annex zu den globalen Ungleichgewichten angehängt wurde.

Müssen die Sicherheitsgurte angelegt werden?

Dass sich die sonst so gelassene NZZ zu okkulten Prophezeiungen aufschwingt, verdient Beachtung; und was Roach sich wirklich denkt, mag für immer ein Geheimnis bleiben. Immerhin ist Morgan Stanley dem Vernehmen nach eines der Finanzhäuser, das auf Wunsch von US-Fed und Treasury als Käufer einspringt wenn die ausländische Nachfrage nach neu emittierten US-Staatsschulden zu wünschen übrig lässt. Aber wenn selbst Roach von einem möglichen Ende der Boom-Bust-Zyklen fabuliert und die Preis dämpfende Wirkung der Globalisierung erst dieser Tage erkannt haben will, erinnert das doch stark an die angeblichen strukturellen Veränderungen durch die New Economy, mit denen damals die hohen Aktienpreise gerechtfertigt wurden.

Könnte es nun also wirklich Zeit sein, die Sicherheitsgurte anzulegen? Immerhin erleben wir auch laut dem nun geläuterten Roach derzeit die „Mutter aller Liquiditätszyklen“. Seit historische Aufzeichnungen bestehen zeigen die jeweiligen „Charts“, dass bei so gut wie allen durch Kreditexpansion finanzierten Booms die letzten 20 Prozent an Preissteigerung mit Abstand am schnellsten erfolgt sind – und die Bankkredite haben im letzten Jahr in den USA laut dem Internetdienst Prudent bear innerhalb eines Jahres um 745 Milliarden auf 7,7 Billionen USD zugenommen. Kurz vor dem Beginn des Einbruchs steigt zudem die „Volatilität“, die täglichen Schwankungen nehmen zu und oft dauert es eine Weile, bis der Markt feststellt, dass es sich bei den sich häufenden Kursverlusten nicht um vorübergehende „Korrekturen“ handelt, sondern um die Trendwende.

Ausländische Käufer (und Halter) von Dollaranleihen werden derzeit tatsächlich gleich von zwei Trends in die Mangel genommen: Erstens sinken durch den Zinsanstieg die Kurse der umlaufenden Anleihen und zweitens erleiden sie Wechselkursverluste durch die Abwertung des Dollar. Während bei keinem der Trends derzeit aber eine Wende abzusehen wäre, werden die Ausländer für die Finanzierung der Defizite aber nach wie vor benötigt.

Nun wäre ein „Run“ auf den Dollar die ökonomisch rationale Konsequenz der beiden Trends, insofern könnte die Bekehrung von Roach einfach eine weitere verzweifelte Marketingaktion der Wall Street darstellen. Andererseits könnten Deutschland, Japan und aufstrebende Länder wie China die eigene Konsumnachfrage vielleicht doch so weit anheben, dass die derzeit jährlich rund 900 Milliarden USD an Gütern und Dienstleistungen, die die USA netto vom Ausland kreditfinanziert importieren, so kompensiert werden, dass ein Rückgang der US-Nachfrage doch nicht zu einer schweren weltweiten Rezession führt. Ein „unordentlicher“ Abbau der Ungleichgewichte, vor dem Roach so lange gewarnt hat (wenn also selbst die Notenbanken einen Crash der US-Anleihen und des Dollar nicht verhindern können) wäre dem jedenfalls nicht zuträglich.