Die WM und die Bürgerrechte

Bürgerrechtsorganisationen sehen die Fußballweltmeisterschaft als "Einfallstor für Ausgrenzung, Abschottung und nationalen Sicherheitswahn"

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Langsam steigt in Deutschland das Fußballfieber. Immer mehr Produkte mit WM-Zusatz werden angeboten und die Werbung hat sich ganz auf die WM eingestellt. Selbst in der Berliner Humboldtuniversität scheint man sich dem allgemeinen Diskurs über Fußball nicht entziehen zu können. Ein Bündnis Kick it hat zu einer Großveranstaltung am Mittwoch Abend eingeladen. Unter dem Label haben sich Menschenrechtsinitiativen, Bürgerrechtsorganisationen und der Chaos Computer Club zusammen gefunden, die in der WM mehr als einen sportlichen Wettkampf sehen. Sie befürchten vielmehr, dass sie zum „Einfallstor für Ausgrenzung, Abschottung und nationalen Sicherheitswahn“ wird, wie es im Aufruf zur Veranstaltung heißt.

Die Liste der Beispiele, die dieses harsche Urteil belegen sollen, ist lang. So müssen sich die ca. 300.000 WM-Beschäftigten einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen. Diese Maßnahme wurde von Datenschützern heftig kritisiert. „Das Verfahren ist völlig unverhältnismäßig und obendrein rechtswidrig, weil es keine gesetzliche Grundlage dafür gibt", kritisiert Thilo Weichert, Landesdatenschutzbeauftragter von Schleswig-Holstein.

Auch die Kameraüberwachung wird während der WM kräftig ausgeweitet. Jede Großleinwand soll beobachtet werden. Selbst private Betreiber von öffentlichen Vorführungen sollen davon nicht ausgenommen werden, obwohl auch hier die rechtliche Grundlage strittig ist. Zudem stoßen Einreise- und Aufenthaltsverbote zur Bekämpfung der sogenannten Hooligans den Menschenrechtlern sauer auf.

Allerdings wird ein Problem des Bündnisses darin bestehen, dass Bürgerrechtsexperten die WM zum Anlass nehmen, um Probleme des Datenschutzes zu thematisieren, während die Mehrzahl der Betroffenen, nämlich der gemeine Fußball-Fan, in diese Debatte nicht wirklich eingebunden oder daran interessiert ist. Es gibt zwar Ansätze der Kontaktaufnahme über das Bündnis Aktiver Fußballfans. Doch soweit wie in der Schweiz ist man hierzulande noch lange nicht. Dort haben sich Fußballfans und politische Aktivisten im Widerstand gegen Überwachung und Bespitzelung koordiniert.

Der Hintergrund für dieses ungewöhnliche Bündnis war die Behandlung von aktiven Fußballfans durch die Polizei. Sie wurden häufiger eingekesselt, ihre Daten wurden gesammelt und immer wieder verwertet. Ähnlichen Maßnahmen waren in der Vergangenheit auch politische Aktivisten immer wieder ausgesetzt. Daraus hat sich in der Schweiz die Zusammenarbeit entwickelt, die in Deutschland bisher nur in Ansätzen vorhanden ist. Ob sie durch Kickit ausgeweitet werden kann, ist zweifelhaft.

Der Stellenwert der WM beim Abbau von Bürgerrechten und Datenschutz sollte allerdings auch nicht überschätzt werden. Sie ist ein Großereignis von vielen, bei der Pläne, die schon in den Schubladen von Ministerialbeamten liegen, umgesetzt werden sollen. Die aktuelle Debatte um den Einsatz der Bundeswehr im Innern zeigt, dass für solche Pläne keine WM benötigt wird. Bundesinnenminister Schäuble und andere Unionspolitiker hätten sie zwar gerne für die Ausweitung der Rechte der Bundeswehr genutzt. Doch auch als sie merkten, dass sich die SPD nicht so schnell umstimmen lassen und die Zeit für eine Grundgesetzänderung zu knapp wird, gaben die Protagonisten nicht auf. Im Gegenteil: Eine Fronde führender Unionspolitiker wagt sogar den offenen Konflikt mit dem Koalitionspartner, um die Macht der Bundeswehr im Innern zu stärken. Die WM als Argument haben sie längst durch allgemeine Terrorfurcht ersetzt.