Wasserkraftwerk Belo Monte

Neues altes Staudamm-Projekt im Amazonas-Gebiet

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Nach den starken internationalen Protesten im Jahre 1989 verschwand das umstrittene Staudamm-Projekt "Belo Monte" scheinbar von der Tagesordnung - zeitweise. Jetzt hat es die brasilianische Regierung wieder auf die Agenda gesetzt. Die Kritikpunkte von einst haben auch heute noch ihre Gültigkeit. Belo Monte soll eines der größten Wasserkraftwerke der Welt werden.

Bild: Socioambiental

Brasilien setzt große Hoffnungen in den weiteren Ausbau der Wasserkraft - die derzeit installierte Gesamtkapazität liegt mit 65 GW bei einem Viertel des geschätzten Gesamtpotentials - 41% dieses Gesamtpotentials werden dabei im Einzugsgebiet des Amazonas erwartet.

Im Südosten Brasiliens begann eine erste Phase des Ausbaus der Wasserkraftnutzung während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, mit einer deutlichen Steigerung der Stromerzeugung in den 1970er Jahren. 2003 kamen fast 70% des brasilianischen Stroms aus dem Gebiet. Besonders einschneidend war die Errichtung des Kraftwerks Itaipú im südbrasilianischen Bundesstaat Paraná, dem mit 14,000 MW Nennleistung immer noch größten Wasserkraftwerk der Welt. Eine zweite Phase konzentrierte sich, beginnend in den 1950er Jahren, auf Stromgewinnung und Bewässerungsprojekte am Rio São Francisco im semiariden Nordosten (Rio São Francisco - Lulas Transamazônica?). Die in den 1980er Jahren fertig gestellten ersten Großprojekte am Amazonas schließlich läuteten eine dritte Phase ein, wenn auch mit bisher vergleichsweise geringer Bedeutung für die nationale Stromerzeugung (1986 sah der Nationalplan zur Elektroenergie noch die Errichtung von 40 Wasserkraftwerken im Amazonas-Gebiet bis 2010 vor). Neben dem Großkraftwerk Tucuruí am Rio Tocantins geriet besonders der Balbina-Staudamm in die Kritik. Dem Stausee, mit 2.400 Quadratkilometern fast zehnmal so groß wie Europas größter Stausee (Alqueva), steht eine begrenzte, praktisch nie ausgeschöpfte Kraftwerkskapazität von 250 MW gegenüber. Er gilt als eine der größten Umweltkatastrophen im Amazonas-Gebiet.1

Neues Projekt - alte Widersprüche

Nun soll im Bundestaat Pará, in der Nähe von Altamira, mit Belo Monte ein weiteres Wasserkraft-Großprojekt im Amazonasbecken umgesetzt werden. Der fast 2000 Kilometer lange Rio Xingu soll angestaut werden.

Schwerwiegende ökologische und sozioökonomische Konsequenzen sind zu erwarten. Der damalige Präsidentschaftskandidat Luiz Inácio Lula da Silva erklärte noch im September 2002 in seiner programmatischen Schrift "Der Platz des Amazonas in der brasilianischen Entwicklung" (O Lugar da Amazônia no Desenvolvimento do Brasil): Brasiliens Hauptenergiequelle, die sich hauptsächlich auf Wasserkraft stützt, hat mit ihren Megabauwerken zur Flussanstauung das Amazonasbecken beeinträchtigt. Berücksichtigt man die Besonderheiten des Amazonas, die bruchstückhaften und ungenügenden Kenntnisse, die bisher über die verschiedenen Formen der Reaktion der Natur hinsichtlich des Anstauens in seinen Becken gewonnen wurden, ist es nicht empfehlenswert, blind jene Staudammpläne umzusetzen, die praktisch allein von Eletronorte platziert wurden.

Erstes Treffen der indigenen Völker des Rio Xingu, 1989. Unter den 3000 Teilnehmern fanden sich 650 Indios aus verschiedenen Landesteilen und dem Ausland, Umweltschützer, zahlreiche Journalisten sowie der Sänger Sting; aber auch Vertreter des brasilianischen Staates und der Energieerzeuger. Eine über die Nichtbeteiligung der indigenen Völker beim Bau von Wasserkraftwerken am Rio Xingo entrüstete Frau hält dem damaligen Präsidenten von Eletronorte, José Antônio Muniz Lopes, zur Warnung eine Machete ins Gesicht. Hernach sollten nie wieder indigene Wörter zur Namensgebung von Wasserkraftwerken verwendet werden - Belo Monte sollte ursprünglich "Kararaô" heißen - in der Sprache der Kaiapó "Kampfschrei". Das Projekt wurde überarbeitet - aus sieben geplanten Kraftwerken wurde eins - und das Treffen von Altamira ging als Meilenstein in die Geschichte der brasilianischen Umweltbewegung ein. Bild: Socioambiental

Nun setzt auch Lula beim Ausbau der Stromerzeugung auf Groß-Wasserkraftprojekte - auch am Amazonas.

Die Regierung Lula will noch 2006 Umweltverträglichkeitsprüfungen für Belo Monte durchführen lassen, um 2007 mit der Ausschreibung des Projekts beginnen zu können, das hauptsächlich ausländische Privatinvestoren anziehen soll. Eine Ironie der Geschichte: Die Protestbewegung von 1989 wurde auch von der nun regierenden Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores (PT) getragen - die nun, im Endeffekt, die Privatisierung der Gewässer des Amazonasbeckens vorantreibt. Gerade auf dem Energiesektor entscheiden noch immer Privatunternehmen über die Bestimmung von Investitionen aus öffentlicher Hand. Die gesetzlich geforderten Umwelt-und Sozialverträglichkeitsprüfungen werden oftmals von privaten Dienstleistungsfirmen erstellt.

Márcio Pereira Zimmermann, Sekretär für die energetische Planung und Entwicklung im Bergbau- und Energieministerium (Planeamento e o Desenvolvimento Energético do Ministério das Minas e Energia), findet die Positionen der Nichtregierungs-Organisationen unverantwortlich. Gruppen wie Greenpeace würden nicht akzeptieren, auch "nur irgend eine Fabrik im Amazonasbecken zuzulassen". Der Vorwurf der Fortschrittsfeindlichkeit erfreut sich in der ohnehin kaum stattfindenden öffentlichen Diskussion großer Beliebtheit - der Verdacht einer internationalen Verschwörung gegen die Fortschrittsbestrebungen Brasiliens ist nicht weit entfernt. Gleichzeitig sollen weitere diverse und durchaus selektive Versprechen die Präfekten der betroffenen Gegenden gefügig machen.

Die Aussagen des vom International Rivers Network editierten Buches Tenotã-Mõ werden ebenso angegriffen. Dieses Buch warnte vor den Konsequenzen eines weiteren ungezügelten Ausbaus der Wasserkraft in Brasilien, unter besonderer Berücksichtigung der geplanten Eingriffe am Rio Xingu.

Pereira Zimmermann geht von einer Kapazität von 4,7 GW (ursprüngliches Projekt: mehr als 11 GW) aus. Verschiedene Fachleute haben jedoch diese Zahl in der Vergangenheit wiederholt angezweifelt - nicht zuletzt aufgrund der Besonderheiten des Rio Xingu, dessen Wasserführung hochgradig unbeständig ist. Für sie ist offensichtlich: um das Projekt wirtschaftlich zu gestalten, sind von vornherein mehrere Staudämme vonnöten. Außerdem werden Konsequenzen auf die Schiffbarkeit des Flusses erwartet. Und nicht nur das - weitere Szenarien befürchten das Ende des sozialen Zusammenhalts der traditionellen Familienstrukturen der Kleinbauern im Gebiet, ein Ausufern des Landspekulantentums sowie langfristig nicht zu erfüllende Erwartungen an die durch den Staudammbau zeitweise geschaffene Beschäftigungsverhältnisse. Hinzu kommt die zu erwartende illegale Ausbeutung indigener Gebiete durch illegale Holzfäller.

Die untere Kostengrenze des Bauvorhabens wurde bei umgerechnet 2,5 Milliarden Euro angesetzt; Umweltschützer gehen stattdessen von 4,5 Milliarden Euro aus. Dabei sind die anfallenden Kosten für den Bau von Stromleitungen noch nicht inbegriffen - eine Schätzung für das alte Projekt lag bei vier Milliarden US-Dollar. Die ursprünglich vorgesehene Überflutung von 1200 Quadratkilometern wurde auf 400 Quadratkilometer eingeschränkt, um eventuell neu aufflammenden Protesten den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Umweltschützer weisen auch auf ein anderes Problem hin: Wem kommt die erzeugte Elektroenergie letztendlich zu Gute? Es sind hauptsächlich die energieintensiven Industrien wie die verschiedenen Metallurgie-Unternehmen (Eisen und Aluminium) sowie Zementfabriken. Hinsichtlich der Versorgung örtlicher Gemeinden ist man skeptisch - das Beispiel des Kraftwerks Tucuruí hat Schule gemacht. 1984 ans Netz gegangen, wird erst jetzt dafür gesorgt, die unmittelbar in der Nachbarschaft des Stausees lebenden Anlieger ans Netz anzuschließen - mit dem Licht-Für-Alle"-Programm.

Zwangsumsiedlungen und Auswirkungen auf indigene Gruppen

Bis heute sollen ca. eine Million Menschen in Folge von Staudamm-Projekten in Brasilien aus ihrer Heimat vertrieben worden sein. Die "Bewegung der von Staudämmen Betroffenen" (Movimento dos Atingidos por Barragens) schätzt, dass von 100 vertriebenen Familien bisher 70 ohne annehmbare Entschädigung geblieben sind. Diese Zahlen wecken analoge Befürchtungen für das geplante Belo-Monte-Projekt.

Entlang des Rios Xingu leben ca. 14,000 Indios. Neben den Juruna sind weitere Völker zumindest indirekt vom Staudammbau betroffen: Arara, Parakanã, Xikrin Kayapó, Araweté, Assurini do Xingu, Kararaô, Xipaia, Xikrin do Bacajá und Kuruaia. Keines dieser Völker wurde im Rahmen des Projekt-Genehmigungsverfahrens angehört - wie es die brasilianische Verfassung vorsieht. Die Parakanã haben bereits einschlägige Umsiedlungs-Erfahrungen während des Baus des Großkraftwerks Tucuruí gesammelt. 1987 wurden im Zuge der Flutung des Balbina-Stausees außerdem zwei Drittel der eingeborenen Waimiri-Atroari zwangsweise umgesiedelt. Neben der Überflutung wird in anderen Bereichen des Flussgebiets mit Austrocknungen gerechnet, so dass traditionelle Tätigkeiten wie das Fischen oder die Fortbewegung im Kanu eingestellt werden müssen.

Den einstmaligen Verbündeten, Präsident Lula, gibt der Leiter der Koordination indigener Organisationen des Amazonas-Gebiets (COIAB), Jacinto Barbosa Cabral, unterdessen verloren: an die Weltbank und an transnationale Unternehmen. Von Lulas Wahlversprechen gegenüber der indigenen Bevölkerung ist wenig geblieben; COIAB bemängelt vor allem die ausgebliebene Demarkation bzw. Revision von 648 indigenen Gebieten. Die resultierenden Landkonflikte forderten allein im Jahre 2004 30 Todesopfer. Die Protestbewegung von 1989 soll unter Mitwirkung von Amnesty International, Greenpeace und Survival International spätestens 2007 wieder aufleben.

Andere hydroelektrische Großprojekte stehen am 3,400 Kilometer langen Rio Madeira im südwestlichen Amazonien auf der Tagesordnung: in der Nähe von Porto Velho sollen mit Santo Antonio (3,150 MW) und Jirau (3,300 MW) zwei weitere Wasserkraftwerke entstehen.