Sicherheit geht vor Datenschutz

Die Mehrheit der US-Bürger findet es in Ordnung, dass ihre Telefonverbindungen von der NSA überwacht und gespeichert werden, 2005 könnte es sich um 500 Milliarden Anrufe gehandelt haben

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Politisch und seitens der Medien ist US-Präsident Bush unter heftige Kritik geraten, nachdem bekannt wurde, dass die NSA heimlich die Kunden der drei größten Telefonkonzerne belauscht und die Verbindungsdaten in der angeblich bislang größten Datenbank speichert (Umfassender Lauschangriff auf US-Bürger). Sollten tatsächlich auch die Inlandsgespräche der insgesamt 200 Millionen US-Bürger überwacht werden, dann hätte Bush die Öffentlichkeit und den Kongress ebenso wie sein Justizminister belogen.

Auch nach Bekanntwerden des mutmaßlichen Umfangs der seit Anfang 2002 gestarteten Lauschaktion versicherte Bush, es würden nur Telefongespräche mit Terroristen abgehört, Inlandsgespräche würden nur mit richterlicher Genehmigung abgehört. Allerdings stritt Bush, auch keine einzige der geäußerten Behauptungen ab. Bush stellt sich auch weiterhin hinter Michael Hayden, den er erst am Montag als neuen Direktor für die CIA nominiert hat und der als Chef der NSA für den Aufbau des gigantischen Lauschprogramms verantwortlich war.

Hayden hat bei einem Besuch im Kongress beteuert, dass das Lauschprogramm im Rahmen der Gesetze durchgeführt wird und es der einzige Zweck des Geheimdiensts sei, die Freiheit und Sicherheit der amerikanischen Bürger zu schützen. Kongressmitglieder kündigten an, Hayden genau über das Lauschprogramm bei den Anhörungen zur Berufung zu fragen. Überdies wurden Gesetzesvorschläge präsentiert und Untersuchungen angekündigt.

Die Zeitung USA Today hatte hingegen auf der Grundlage von unterrichteten Informanten geschrieben, dass alle Verbindungsdaten gespeichert und nach verdächtigen Mustern durchsucht würden, um terroristische Netzwerke auszumachen. 2005 sind über die drei betroffenen Telefonkonzerne 500 Milliarden Telefongespräche gelaufen, seit 2001 zwei Billionen. Das ist eine stattliche Datenmenge, auch wenn nur die Verbindungsdaten gespeichert und durchsucht werden.

Auch wenn sich selbst republikanische Politiker besorgt über das Lauschprogramm zeigen, da die Wahlen naherrücken und die Popularität der Bush-Regierung immer weiter nach unten sinkt, scheinen die US-Bürger es relativ gelassen zu nehmen, wenn ihre Kommunikation abgehört wird. Nach einer Umfrage der Washington Post und ABC News am 11. Mai finden 63 Prozent der Befragten das NSA-Lauschprogramm in Ordnung, um den Terrorismus zu bekämpfen. 41 Prozent befürworten das Lauschprogramm sogar stark, während nur 24 Prozent sich stark dagegen aussprechen. Und 66 Prozent würde es auch nicht weiter stören, wenn die NSA die Nummern gespeichert hätte, die der Befragte angerufen hat.

Für zwei Drittel der Befragten sind der Kampf gegen den Terrorismus und die Abwehr möglicher Terroranschläge wichtiger als der Schutz der Privatsphäre (personal privacy). Allerdings ist diese Haltung von 79 Prozent im Juni 2002 auf jetzt 65 Prozent abgesunken. 53 Prozent sagen, die Regierung tue im Kampf gegen Terrorismus genug, um die Rechte der Amerikaner zu schützen, allerdings finden das 45 Prozent nicht so. Mit einer leichten Mehrheit von 51 zu 47 Prozent befürworten die Amerikaner den Umgang mit den Bürgerrechten.

Dass die Menschen – keineswegs nur in den USA - offenbar kaum mehr wirklich reagieren, wenn der Weg zu einer immer umfassenderen Überwachung beschritten wird, mag auch daran liegen, dass sie eigentlich bereits von einer breiten Überwachung ausgehen oder sich dieser Möglichkeit bereits angepasst haben, so dass eine neue Enthüllung nicht mehr wirklich überraschend ist. Der Science-Fiction-Autor William Gibson hat, befragt nach dem neuen NSA-Lauschprogramm, sich in diese Richtung in einem Interview geäußert:

I've been watching with keen interest since the first NSA scandal: I've noticed on the Internet that there aren't many people really shocked by this. Our popular culture, our dirt-ball street culture teaches us from childhood that the CIA is listening to *all* of our telephone calls and reading *all* of our email anyway.

I keep seeing that in the lower discourse of the Internet, people saying, "Oh, they're doing it anyway." In some way our culture believes that, and it's a real problem, because evidently they haven't been doing it anyway, and now that they've started, we really need to pay attention and muster some kind of viable political response. …We've gotten somewhere we've never been before. It's very interesting. In the short term, I've taken the position that it's very, very illegal and I hope something is done about it.

Update: Eine weitere Umfrage, die von MSNBC durchgeführt wurde, kam allerdings zu einem anderen Ergebnis, das die erste Umfrage relativiert. Hier sagten 53 Prozent der befragten, das NSA-Lauschprogramm sei „zu weit gegangen“. Und 57 Prozent sind der Meinung, die Bush-Regierung habe die Grenzen der präsidialen Macht überschritten.