Boom von Sniper-Videos aus dem Irak

Statt der Köpfungen von Geiseln verbreiten die Dschihadisten und Aufständischen zur Propaganda die blutige Arbeit von Scharfschützen

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Sie haben „Juba“ noch nie gesehen, und wenn sie ihn hören, ist es meist zu spät: Dann liegt schon ein US-Soldat verwundet oder tot auf dem Boden. „Juba“ ist der US-Spitzname für die vielen Heckenschützen in Bagdad, die zum Albtraum der dortigen US-Soldaten geworden sind. „Weil die Amerikaner die Heckenschützen fürchten und ihre wahren Namen nicht kennen, gaben sie ihnen den Sammelnamen „Juba“, sagt Internetspezialist Markus Kaiser vom baden-württembergischen Landesamt für Verfassungsschutz. Die gefilmten Erschießungsszenen aus Bagdad kann man über das Internet auch außerhalb Iraks erleben.

Beinahe täglich stoßen Kaiser und seine Kollegen auf solche „Sniper-Videos“, wenn sie die Webseiten nach extremistischem Bildmaterial durchforsten. „Die Heckenschützen-Bilder sind der Renner in einschlägigen Kreisen.“ Dschihadisten und Aufständische benutzten immer häufiger und immer professioneller das Internet als Propaganda-Instrumentarium, sagt der Leiter der „Kompetenzgruppe Islamismus“ in der Sicherheitsbehörde, Herbert L. Müller.

Die Fundstellen solcher „Sniper-Videos“ sind meist Internet-Foren. Das Bildmaterial wird über kostenlose file-sharing-Angebote ins Netz gestellt. Sie sitzen in Japan, Rumänien, den USA und bisweilen auch in Deutschland. Bei ihnen kann man kostenlos Dateien uploaden: Danach erhält man einen Link zu seiner eigenen Datei, die dann an bestimmte Adressaten weitergeben werden kann. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Der Verbreitungsgrad sei „gigantisch“, sagt Kaiser.

Die Filme sind redaktionell aufbereitet, haben einen Vorspann und Untertitel. Das technische Equipment zur Übermittlung dieser Szenen in die Welt ist auf höchstem Niveau: „Die Terroristen müssen über Laptops und Digitalkameras verfügen und scheinen über die aktuellsten technischen Anforderungen im Bilde zu sein“, sagt Müller. Die Szenen gebe es inzwischen auch im Format zur Verbreitung durch Handys.

Die Attentäter haben ihren „Kriegsberichterstatter“ dabei. Diese visualisierte Berichterstattung über die Verluste auf den Seiten der Koalition sei Teil der Strategie und diene der Steigerung der Moral bei Sympathisanten und Anhängern. „Die Erschießungsszenen aus nächster Nähe aufgenommen - wären sie weiter weg, würden die Bilder wackeln - haben in den vergangenen Monaten „Abschlachtvideos“ vom Markt fast verdrängt. Es hat sich wohl die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich Bilder mit abgetrennten Köpfen negativ auf die Wahrnehmung des Islam auswirken, in dessen Namen die Mörder zu handeln vorgeben“, sagt Müller. Gefilmt werden auch Hinrichtungen von vermeintlichen Kollaborateuren.

Zurzeit tauchten immer wieder Videos aus Waziristan auf (Islamischer Staat in Waziristan?). „In der Grenzregion zwischen Pakistan und Afghanistan bereiten Kleingruppen ihre Anschläge gegen die US-Soldaten vor“, sagt Kaiser. Nach dem Motto „Bilder sind die Botschaft“ drehten die Widerstandskämpfer dort ihre eigenen „Homevideos“. Detailliert kann danach in Europa vom heimischen PC aus das Basteln der Sprengkörper beobachtet werden. Der unvermummte Attentäter kommt darin zu Wort. Untermalt ist das Bildmaterial von „frommen“ Gesängen, die dem Märtyrer nach seinem Anschlag eine verheißungsvolle Zukunft im Paradies mit diversen Jungfrauen in Aussicht stellen.

„Früher dachte man, dass die Attentäter unter Drogen stehen. Wir gehen davon aus, dass das nicht so ist. Sie wurden bestenfalls psychologisch bearbeitet“, sagt Kaiser. Allein im Irak gebe es rund 15 Gruppen, die Anschläge auf US-Soldaten filmen und aufbereiten. Jede verfügt über ein eigenes Logo. „Damit zeigen sie den anderen, dass sie einen eigenen Medientrupp mit Redaktionsteam haben“, sagt Kaiser. Groß im Geschäft mit dem Tod seien etwa „Labayk“ oder „As-Sahab-Media“, die Propagandafilmer des Führungskaders des Terrornetzwerks al-Qaida. (dpa)