Patentrecht vernachlässigt Krankheiten

Die Forschungsausgaben im Gesundheitsbereich sind höher als jemals zuvor, doch 90 Prozent der Forschungsgelder kommen nur zehn Prozent der Weltbevölkerung zugute

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Wenn in der kommenden Woche die Weltgesundheitsversammlung (WHA) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zusammentritt, wird es unter anderem um den Zugang der ärmsten Teile der Weltbevölkerung zu Arzneimitteln und Impfstoffen gehen. Im Januar hatte Kenia, unterstützt durch Brasilien einen Resolutionsentwurf vorgelegt, der eine globale Verantwortung für Forschung und Entwicklung im Gesundheitsbereich einfordert. Es müsse eine Balance zwischen geistigen Eigentumsrechten und dem Recht jedes Menschen auf gesundheitliche Versorgung geben.

Die Resolution Kenias und Brasiliens unter dem Titel Internationales Rahmenprogramm für unverzichtbare Forschung und Entwicklung im Gesundheitsbereic ist eine Reaktion auf die eklatanten Mängel bei der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung der ärmsten Länder. Fast 15 Millionen Menschen sterben nach Angaben der WHO jährlich an übertragbaren Krankheiten. Ärzte ohne Grenzen zufolge sind die Forschungsausgaben im Gesundheitsbereich zwar hoch wie nie, 90 Prozent der verwendeten Forschungsgelder kämen aber lediglich zehn Prozent der Weltbevölkerung zugute. Gerade für die Bekämpfung von Krankheiten, die ausschließlich in armen Ländern vorkämen, würde kaum Geld investiert.

Mit dem Malariaerreger Plasmodium falciparum infizierte rote Blutkörperchen. Bild: CDC

„Seit 1975 waren nur ein Prozent der entwickelten Arzneimittel für Tropenkrankheiten. Auch in den letzten Jahren hat sich dies nicht verbessert“, sagt Tido von Schön-Angerer von Ärzte ohne Grenzen. Beispiele für solche „vernachlässigten Krankheiten“ sind etwa die Schlafkrankheit oder das Dengue-Fieber. Die 200.000 Menschen, die mit der Schlafkrankheit infiziert sind, müssen entweder auf ein arsenhaltiges Medikament aus den 40er Jahren oder auf ein Krebsmedikament aus den 80er Jahren zurückgreifen. Letzteres muss über Monate viermal täglich injiziert werden. In den unzugänglichen Gebieten, in denen die Krankheit vorkommt, sei eine derart aufwendige Behandlung jedoch nicht möglich, so von Schön-Angerer. Auch die Diagnose ist äußerst kompliziert und von den lokalen Gesundheitszentren meist nicht zu leisten.

Zu den vernachlässigten Krankheiten gehören auch in allen Teilen der Welt vorkommende wie AIDS und Tuberkulose. Für diese Krankheiten existieren Therapien, die jedoch zumeist nur mit großem finanziellen Aufwand und intensiver medizinischer Betreuung durchgeführt werden können. Schon eine sichere Diagnose ist in armen Ländern oft nicht zu leisten. Bei AIDS gebe es keine unkomplizierte Diagnosemethode für Kleinkinder, und auch bei einfachen Tuberkulose-Tests, bei denen der Speichel untersucht wird, werde nur die Hälfte der Fälle erkannt, bemängeln Ärzte ohne Grenzen.

Die Notwendigkeit, Arzneien für vernachlässigte Krankheiten zu entwickeln, wird zunehmend von der Öffentlichkeit erkannt. So gibt es etwa einige Produktentwicklungspartnerschaften zwischen Nichtregierungsorganisationen oder privaten Stiftungen und der Pharmaindustrie. Im Unterschied zum normalen Forschungs- und Entwicklungsprozess müssen die Kosten nicht nachträglich durch den Verkauf eingespielt werden, sondern werden direkt finanziert. Die NGOs Ärzte ohne Grenzen, medico international und BUKO-Pharmakampagne fordern, dass sich auch Regierungen stärker im Bereich der Arzneimittelentwicklung engagieren.

"Pharmaunternehmen investieren doppelt soviel in Werbung wie in neue Medikamente"

Bei der traditionellen Verteilung von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten ist zumeist die Pharmaindustrie für das fertige Produkt zuständig. Die deutsche Bundesregierung fördert zwar die Grundlagenforschung für eine Vielzahl von Krankheiten, ob ein Medikament jedoch bis zur Produktreife weiterentwickelt wird, entscheiden die Arzneimittelhersteller entsprechend der späteren Vermarktungschancen. Der Patentschutz nach dem „Abkommen über handelsbezogene Aspekte geistigen Eigentums“ (TRIPS der Welthandelsorganisation WTO verhindert seit vergangenem Jahr die Produktion von preisgünstigen Generika. Bis zum Jahr 2016 sind davon lediglich die ärmsten Länder ausgenommen, die jedoch meistens keine eigenen Herstellungsmöglichkeiten haben (Patent ausgebremst).

Die Pharmaindustrie macht geltend, dass die Entwicklung eines neuen Medikaments etwa 800 Millionen US-Dollar kosten würde. Erfahrungen der „Initiative Arzneien für vernachlässigte Krankheiten“ (Drugs for Neglected Diseases Initiative) machten hingegen deutlich, dass die Kosten bei einem Achtel davon liegen könnten. „Pharmaunternehmen investieren doppelt soviel in Werbung wie in neue Medikamente“, bemängelt Christian Wagner von der BUKO-Pharmakampagne. Nicht jedes neue Medikament sei auch erforderlich, manchmal ginge es auch nur um die Verlängerung des Patentschutzes, der nach 20 Jahren ausläuft. „Nur zehn Prozent der neuen Arzneimittel bringen Verbesserungen für die Therapie“, meint Wagner.

Kenia und Brasilien sind mit ihrem Resolutionsentwurf nicht allein. Im vergangenen Jahr veröffentlichte die DNDI einen Forschungsaufruf, der von zahlreichen Wissenschaftlern und Nobelpreisträgern unterzeichnet wurde. „Regierungen müssen die Verantwortung für die globale öffentliche Gesundheit übernehmen“, heißt es darin. Im April veröffentlichte eine Sonderkommission der WHO ihren Bericht zum Thema Geistiges Eigentum, Innovation und Öffentliche Gesundheit. Die Kommission war 2003 beauftragt worden, die Zusammenhänge zwischen geistigen Eigentumsrechten und ihrem Einfluss auf die öffentliche Gesundheit zu beleuchten. Die Kommission stellt fest, dass neue Anreize und Finanzierungsinstrumente für die Forschung und Entwicklung jenseits des Patentrechts nötig sind. Geistige Eigentumsrechte funktionierten als Anreiz für Innovation nur, wenn ein Markt vorhanden sei, was aber in den Entwicklungsländern nicht der Fall sei.

Nach Informationen der BUKO-Pharmakampagne werden die skandinavischen Länder, Österreich, Belgien und die Niederlande die Resolution Kenias unterstützen. Aus dem Bundesgesundheitsministerium hieß es, die Bundesregierung unterstütze Maßnahmen zur Medikamentenversorgung, den Vorschlägen Kenias und Brasiliens könne aber nicht uneingeschränkt zugestimmt werden.