Satt und depressiv

Der Markt für langlebige Konsumgüter in Deutschland ist satt. Dies gilt nicht nur für Automobile. Die Folge ist eine langanhaltende Stagnation

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Die wirtschaftliche Dynamik in den kapitalistischen Industriestaaten lebte im 20. Jahrhundert von der massendemokratische Verbreitung vormals elitärer Komforttechniken, wie Kommunikation über weite Distanzen, Fernreisen, Zentralheizung, elektrische Beleuchtung etc. Diese Dynamik erlahmt. Die Reichen und Superreichen verfügen kaum noch über technologische Privilegien, die verallgemeinert werden könnten. Damit flieht die ökonomische Dynamik aus den Industriestaaten der Triade (Westeuropa, USA, Japan) und geht über auf Schwellenländer wie die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, China, Indien) und die Mittelosteuropäische Staaten (MOE) des ehemaligen Sowjetreiches. Diese wiederholen im Weltmaßstab den ökonomischen Prozess der Wohlstandssteigerung für die Massen, der im 20.Jahrhundert dem Westen vorbehalten schien.

Für die Triade bedeutet dies langanhaltende Stagnation. Weil aber Dynamik die Seele des Kapitalismus ist, ergibt sich daraus eine Krise des Systems und das Ende der Hegemonie über die Weltmärkte. In Deutschland trägt dieser Hegemonieverlust den Namen „Globalisierung”. Für Staaten wie China, Indien und MOE bedeutet der Staffelwechsel der ökonomischen Dynamik, dass sich hier die neuen Zentren des Weltkapitalismus etablieren, was automatisch Machtgewinne generiert.

Im globalen Schicksal der Automobilindustrie fokussiert sich dieser Prozess. Seit etwa 10 Jahren stagniert der Absatz von PKWs in den Staaten der Triade. Die Märkte sind gesättigt. Und streng nach den Gesetzen der Konkurrenz in gesättigten Märkten verwandelt sich die einstmalige Quelle von Wohlstandsgewinnen, die Steigerung der Produktivität, in eine Quelle von Wohlstandsverlusten.

Die Automobilindustrie ist eine Schlüsselbranche der deutschen Wirtschaft. 5,5 Mio. Kraftfahrzeuge verlassen jährlich deutsche Produktionsstätten, das ist ein Drittel der gesamten Kfz-Produktion in der Europäischen Union. Von deutschen Automobilkonzernen stammten 2004 20% der Weltautomobilproduktion. In Westeuropa besitzen deutsche Hersteller einen Marktanteil von 47%. Vom Gesamtumsatz der deutschen Industrie entfielen 2004 18,7% auf die Automobilindustrie, vor 10 Jahren waren es erst 12,1%. 20% des deutschen Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet das Auto. 5,3 Mio. Menschen leben direkt oder indirekt vom Automobil. Damit hängt jeder 7. Arbeitsplatz vom Florieren dieser Branche ab. Das sind 600.000 mehr noch als vor 10 Jahren. Im gleichen Zeitraum gingen in den übrigen Sektoren der deutschen Industrie 1,5 Mio. Arbeitsplätze verloren.

Mit 140 Mrd. Euro ist die Automobilindustrie die stärkste deutsche Exportbranche. Sie erwirtschaftet rund 80% des gesamten deutschen Handelsbilanzüberschusses, investierte 30% aller F&E-Ausgaben der deutschen Wirtschaft und mit 100 Mrd. Euro in den letzten 10 Jahren 26% aller Industrieinvestitionen in Deutschland. Dieser Motor der deutschen Wirtschaft stottert. Die folgende Grafik zeigt die Marktentwicklung seit 1964.

Mitte der sechziger Jahre wuchs der Bestand noch um über 20% pro Jahr, der Absatz florierte, die Automobilbranche war ein Jobmotor. An ihrem Beispiel lässt sich die Mechanik der Wohlstandsgewinne studieren. Die Steigerung der Produktivität senkte die Preise und ließ Automobile für stetig erweiterte Kreise der Bevölkerung erschwinglich werden, damit stieg der Absatz schneller als die Produktivität und die Autoindustrie stellte neue Mitarbeiter ein. In anderen Branchen verlief der Prozess ähnlich. Es herrschte Vollbeschäftigung. Die Realeinkommen wuchsen, womit auch von der Seite der Einkommen her neue Bevölkerungskreise sich ein Automobil leisten konnten. Was wiederum den Absatz beflügelte. Ein sich selbst verstärkender Kreislauf kam in Gang, der solange funktionierte, wie neue Käuferkreise gewonnen werden konnten, solange also weite Teile der Bevölkerung noch kein Automobil ihr Eigen nennen konnten. Mit wachsender Marktdurchdringung verlor dieser Kreislauf an Schwung.

Schubweise ging es bergab. Jede konjunkturelle Delle schlug eine neue Kerbe in die Wachstumskurve, die nachfolgende konjunkturelle Erholung erreichte jeweils ein niedrigeres Niveau als das der vorherigen Konjunkturphase. Seit Mitte der 1990er Jahre stagniert das Wachstum (der steile Zahn um 1993 ist der Bestandszuwachs durch den Beitritt der neuen Bundesländer). Die meisten Menschen in Deutschland besitzen jetzt ein Fahrzeug. Damit bricht der Kreislauf der Wohlstandssteigerung zusammen. Der Automobilmarkt befindet sich in der Sättigung, die Autoindustrie in der Krise. Dieser Prozess fand ähnlich in der gesamten Triade statt.

Einen Gesamtüberblick über Gegenwart und Zukunft der globalen Automobilindustrie bietet Helmut Becker, seit mehr als 30 Jahren intimer Kenner der Branche (ehemals wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Sachverständigenrat, ab 1974 Chefvolkswirt der BMW AG, heute Leiter des Instituts für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation) in seinem Buch „Auf Crashkurs, Automobilindustrie im globalen Verdrängungswettbewerb”. Es sei gleich vorweg gesagt: Die Zukunft sieht für die Triade nicht rosig aus.

38 Millionen Haushalte in Deutschland besitzen mehr als 45 Millionen PKWs, auf je 1000 Einwohner kamen (im Jahr 2001) 538 PKWs. Dies ist nach Luxemburg (638), den USA (594), und Italien (590) die vierthöchste PKW-Dichte der Welt. Der Durchschnitt liegt in Westeuropa bei 520, in Japan bei 415. Damit scheint eine Sättigungsgrenze erreicht.

Jedenfalls stagniert seit Ende der neunziger Jahre der Automobilabsatz in allen westlichen Industrieländern. Und die Zukunft dürfte keine Entspannung bringen.

Die Gründe für die Stagnation sind:

  1. eine stagnierende Bevölkerungsentwicklung
  2. stagnierende bzw. sinkende Reallöhn
  3. und eine weitgehende Bedarfsdeckung.

Der Absatz schrumpft tendenziell auf den Ersatzbedarf.

Betrug der Ersatzbedarf 1970 etwa 50% des Absatzes, so erreichte er 2002 nahezu 100% und lag auch 2004 über 90%. Und der Ersatzbedarf ist naturgemäß eine Konstante, er wird einzig durch die Haltbarkeit der Produkte bestimmt (was konjunkturelle Schwankungen selbstverständlich nicht ausschließt, jedoch kannibalisiert ein höherer Absatz heute den Absatz in den nächsten Jahren).

In gesättigten Märkten ist eine Grundannahme des klassischen Marktmodells, die Elastizität der Nachfrage, außer Kraft gesetzt. Sinkende Preise (Angebotstheorem) oder steigende Einkommen (Nachfragetheorem) führen zu keinem steigenden Gesamtabsatz mehr. Man kauft sich kein neues Auto, nur weil die Preise gerade günstig sind, jedenfalls wenn man schon eins hat. Mit dem Autoneukauf wartet man, bis das Alte nicht mehr den Ansprüchen genügt, sei es, weil es älter als zwei/drei Jahre ist (wenn man ein Neuwagenfahrer ist), sei es, weil es nicht mehr durch den TÜV kommt (wenn man ein Liebhaber von Rostlauben ist). Auf jeden Fall ist der Kauf eines Autos bei Menschen, die schon über ein Automobil verfügen, weit mehr abhängig von eigenen, stabilen Gewohnheiten als von Preisentwicklungen. Daher ist in gesättigten Märkten der Gesamtabsatz gleichbleibend hoch bzw. niedrig. Für die Automobilkonzerne ist dies ein schwieriges Marktumfeld. Sie können ihren Absatz nur noch auf Kosten der Konkurrenz erweitern. In gesättigten Märkte tobt daher ein gnadenloser Kampf um dieselben Kunden.

Die Unternehmen räubern in den Märkten der Konkurrenz. Fast alle Automobilhersteller haben ihre angestammte Marktnische verlassen und ihre Produktpaletten „upstram”, „downstram” und „cross-over” erweitert. VW wurde zur Produzenten von Luxuslimousinen, Mercedes produziert Kleinwagen, die Modellpalette explodiert. All dies kostet enorme Summen für Entwicklung und Investitionen in neue Produktionslinien und erhöht den Druck auf die Erträge. Neue Modelle erfordern neue Kapazitäten. Insgesamt wachsen die Überkapazitäten im Markt, die Kapazitätsauslastung ist bei fast allen Produzenten miserabel.

Bemerkenswert ist die durchweg schlechte Auslastung der großen deutschen Konzerne, sie liegt, mit der Ausnahme von BMW, unter dem Durchschnitt von 77,9%. Die Theorie des Wettbewerbes in gesättigten Märkten sagt unter solchen Bedingungen ein Oligopol voraus. Und so ist es denn auch. Von 1990 bis 2004 ist die Zahl der eigenständigen Automobilproduzenten weltweit von 21 auf 12 gesunken und der Ausleseprozess ist nicht beendet. Von diesen 12 verbliebenen Produzenten sind 6 westeuropäische und davon wiederum 4 deutsche.

Becker geht davon aus, dass die Zahl der selbständigen global tätigen Konzerne bis 2015 auf 9 sinken wird.

Der Markt spaltet sich in eine Gewinnergruppe (Toyota, Nissan, Honda, Renault, BMW) mit immer noch stabilen Renditen und in eine Gruppe der Verlierer mit niedrigen bzw. fallenden Renditen (GM, Ford, DaimlerChrysIer, Peugeot S.A. Volkswagen, Fiat).

Bemerkenswert an dieser Ertragsdifferenzierung sind fünf Punkte:

  1. Zu den Gewinnern zählen nicht nur Premium-Hersteller, sondern auch Anbieter mit dem Schwerpunkt in mittleren und unteren Marktsegmenten. Offensichtlich kommt es nicht auf das Marktsegment an, ob ein Unternehmen langfristig erfolgreich ist oder nicht.
  2. Zum anderen weisen die Hersteller aus der Gewinnergruppe ein vergleichsweise schmales Marken-Portfolio auf. Das Gleiche gilt vice versa für die Gruppe der Verlierer.
  3. Zumindest bis 2003 spaltet sich der Renditetrend zwischen Gewinnern und Verlieren weiter auf: Die „Guten" werden immer besser und die „Schlechten" immer schlechter.
  4. Außer BMW gehören alle großen deutschen Konzerne in die Verlierergruppe.
  5. Die Gruppe der Gewinner wird eindeutig dominiert von asiatischen Herstellern.

Zu den aktuellen Verlierern gehören die Platzhirsche auf dem Markt, die US-amerikanischen Konzerne und die großen europäische Volumenproduzenten, die Sieger sind die asiatischen Newcomer (BMW ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt). Auch ein detaillierteres Ranking, das Becker in seinem Buch vorstellt, kommt zu einem ähnlichen Resultat. Die Spitzengruppe bilden (in dieser Reihenfolge) Toyota, BMW, Honda, Nissan, die US-Hersteller liegen, aufgrund ihrer Größe und damit ihres Entwicklungspotentials im Mittelfeld vor DaimlerChrysler, Volkswagen und Peugeot S.A. Renault und Fiat bilden die Schlusslichter.

Die Krise im Automobilbau in Deutschland wird also weitergehen. Der Ertragsdruck nimmt zu und damit der Zwang zur Kostensenkung und zum Abbau der immensen Überkapazitäten bei fast allen deutschen Herstellern. Insbesondere wird die Verlagerung von Produktionskapazitäten in die MOE-Staaten bei den Zulieferern anhalten, soweit sie nicht aus unabweisbaren produktionstechnischen Gründen die unmittelbare Nähe zu den Entwicklungszentren der deutschen Automobilindustrie benötigen. Denn diese werden noch eine Weile – allerdings abgespeckt - überleben, da der Aufbau von Kompetenz- und Entwicklungscluster nicht von heute auf morgen möglich ist. Becker erwartet in den nächsten Jahren den Abbau von etwa 150.000 Jobs in der unmittelbaren Autoindustrie (Produzenten und Zulieferern). Diese Schätzung ist, wie Becker zugibt, optimistisch. Andere Marktbeobachter gehen von weit größeren Substanzverlusten aus.

Anders sieht die Sache in Asien aus. Hier boomt die Branche, denn hier ist der oben beschriebene Kreislauf der Wohlstandssteigerung noch in Kraft, bzw. kommt wie in China gerade erst so richtig in Schwung. Was nicht überraschend sein sollte, wirft man einen Blick auf die PKW-Dichte in den verschiedenen Weltregionen. In China etwa wächst der Automobilbestand wie in Deutschland zu den besten Zeiten des Wirtschaftswunders.

Deutschland steckt in der Depression - und wird es noch lange bleiben. Eine Branche nach der anderen ist in der Marktsättigung angekommen. Nach der Montanindustrie, dem Textilgewerbe, dem Druck- und Papiergewerbe, dem Maschinenbau und der Bauindustrie hat es jetzt die Automobilbranche, bisher Wachstumsmotor und Rückgrat der deutschen Wirtschaft, erwischt. Der Absatz stagniert und mit ihm die Produktion.

Die Unternehmen kämpfen in mörderischer Konkurrenz um die wenigen zahlungskräftigen Kunden, die schwächeren scheiden aus, wer kann, flieht ins kostengünstigere Osteuropa, nur wenige überleben am Standort. Die Zahl der Anbieter schrumpft zu einem Oligopol. Es sinken die Preise, aber auch die Einkommen, das einzige, das steigt, ist die Zahl der Arbeitslosen. Bei steigender Arbeitsproduktivität sinkt notwendigerweise die Zahl der Beschäftigten. Damit wird aus dem, was eigentlich eine Quelle von Wohlstandsgewinnen ist, die Steigerung der Produktivität, eine Quelle von Wohlstandsverlusten.

Der Markt für langlebige Konsumgüter in Deutschland ist satt. Dies gilt nicht nur für Automobile. Auch bei Fernsehgeräten, Kühlschränken, Waschmaschinen, Schrankwänden oder zentralgeheizten Dreizimmerwohnungen sieht es nicht besser aus.

Neue, florierende Branchen, die eine so kräftige Dynamik entfalten würden, dass sie die Stagnation der alten Branchen kompensieren könnten, sind nicht in Sicht

Die New Economy der 1990er Jahre versprach für kurze Zeit, sie könne die neue, kräftige Dynamik entfalten, jedoch konnte sie dieses Versprechen nicht halten. Ihre Produkte gerieten schon nach sehr kurzer Zeit in die Sättigung, weit schneller als die Automobilbranche, die dafür etwa 100 Jahre brauchte. Der Grund für dieses Versagen war der zu geringe Aufwand, den sie trieb. Ihre „Virtualität” war keine Stärke, sondern ihre Schwäche. Damit eine neue Dynamik die Stagnation der alten Branchen kompensieren kann, muss sie mindestens so aufwändig sein wie die alte. Und die Automobilbranche war sehr aufwändig, rechnet man alles zusammen, was sie in Bewegung setzte: Straßenbau, Produktionsstätten, Servicestationen, Tankstellen, Versicherungsunternehmen usw.

Ein wesentlicher Grund für diesen Mangel an neuen, attraktiven Komforttechnologien ist eine energetische Schranke. Komforttechnologien benötigen eine üppig sprudelnde Energiequelle, da sie menschliche Kraftanstrengungen an Maschinen delegieren. Das Automobil, die zentralgeheizte Wohnung, die elektronischen Geräte aller Art brauchen ausreichend Nachschub an Energie. Bequemlichkeit überhaupt ist an ein, thermodynamisch gesprochen, ausreichend hohes Energieniveau gebunden. Bisher stammte diese Energie zum Großteil aus fossilen Quellen und damit hat es bekanntlich so seine Schwierigkeiten. Andere Energiequellen sprudeln noch recht spärlich, es ist umstritten, ob sie in absehbarer Zeit ausreichen werden, um auch nur unser gegenwärtiges Energieniveau aufrechtzuerhalten. Damit stehen die Chancen schlecht, dass wir ein neues, qualitativ höheres Energieniveau erreichen können und uns damit auch neue, weit aufwändigere und bequemere Komforttechnologien leisten können. Wir bräuchten schlichtweg eine neue, kräftig sprudelnde Energiequelle, damit die kapitalistische Dynamik wieder in Gang kommt - und die ist nicht in Sicht.

Zur Zeit wird die westliche Welt vom Gedanken des Sparens beherrscht. Energiesparen, für die Rente sparen, Kosten senken. Energieverschwendung ist nicht mehr comme il faut. Regiert von der Energieknappheit ist das Gros der Innovationen auf Einsparung und Substitution fokussiert. Substitutionen und Einsparungen schaffen jedoch keine neue Dynamik. Die Verschwendung ist das Lebenselexier des Kapitalismus und die Energieverschwendung ist die Mutter aller Verschwendung. Solange daher die ökologische Not und die Knappheit an fossilen Ressourcen zur energetischen Sparsamkeit zwingen, wird die Depression anhalten. Alle politischen „Reform”bemühungen werden daran nichts ändern.

Weder eine Keynesianische Politik der Steigerung der Kaufkraft (nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik) noch eine neoliberale, angebotsorientierte Politik, die die Situation der Unternehmen bessern will, kann unter diesen thermodynamischen Rahmenbedingungen aus der Stagnation herausführen. Beide Politiken müssen in einer Situation der Marktsättigung versagen. Der Keynesianismus türmt heute nur Schuldenberge auf, die ökonomisch verpuffen, der Neoliberalismus zementiert die Sättigung der Märkte und damit die Stagnation.

  1. Der Keynesianismus verpufft, da eine Steigerung der Einkommen zwar kurzfristig Nachfrage generieren könnte, jedoch wäre dies nur eine vorgezogene Befriedigung des Ersatzbedarfs, die mit Nachfragerückgängen in den folgenden Jahren erkauft wäre. Der Keynesianismus hatte seine Erfolge in der Mitte des letzten Jahrhunderts. Damals konnte er eine Schranke der kapitalistischen Entwicklung überwinden. Der Autobahnbau und andere große Infrastrukturinvestitionen schufen die Grundlage für die Massenmotorisierung nach dem Weltkrieg. Schon der Keynesianismus der 1970er Jahre erzeugte mit den „Nur-so-Brücken” das Symbol für sein eigenes Versagen. Seine Zeit mag wiederkehren, wenn es darum geht, eine neue Infrastruktur für eine neue Komforttechnologie aus dem Boden zu stampfen. Diese ist aber noch nicht einmal von Ferne in Sicht.
  2. Der Neoliberalismus zementiert die Sättigung der Märkte, da seine Rezepte zwar auf eine Verbesserung der Ertragssituation der Konzerne hinauslaufen, jedoch schafft dies keine zusätzliche Nachfrage, die über den Ersatzbedarf hinaus ginge. Eine Lockerung des Kündigungsschutzes etwa, wie sie die FDP vehement einfordert, würde den Konzernen zwar den Abbau von Überkapazitäten erleichtern, was jetzt nur mit hohen Kosten (Sozialplänen etc) erreichbar ist. Eine neue wirtschaftliche Dynamik entsteht dadurch jedoch nicht. Zumal alle diese Rezepte zusätzlichen Druck auf die Realeinkommen ausüben, was die Situation nicht gerade verbessert.
  3. Auch Projekte zur Senkung der Lohnkosten durch Absenken der Lohnnebenkosten dürften nur geringe positive Wirkungen entfalten, gleiches gilt für die Subvention von Niedriglöhnen. Alle diese Rezepte leben von dem Glauben an eine intakte Nachfragekurve, jedoch stellt kein Konzern Leute ein, nur weil die Lohnkosten gesunken sind, wenn gleichzeitig 20 bis 25% der Kapazitäten nicht ausgelastet sind (teilweise sind es bei einigen Produktionen, etwa beim Smart, bis zu 40%).

Helmut Becker: Auf Crashkurs. Automobilindustrie im globalen Verdrängungswettbewerb. Springer Verlag Berlin Heidelberg New-York 2005, 267 Seiten; 86 Abb. und 29 Tabellen, € 69,95