Das Netz als Werbefläche

Internetkommunikation und wirtschaftliche Interessen. Ein Überblick - Teil 1

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Im Zeitalter der Globalisierung scheint die Macht wirtschaftlicher Organisationen so groß zu sein wie nie zuvor. In dem Maß, in dem sich die Politik auf den Nachvollzug ökonomischer „Sachzwänge“ beschränkt, schwinden auch die Mitgestaltungsmöglichkeiten der einzelnen Bürger im Rahmen herkömmlicher demokratischer Verfahren. Vom „Web 2.0“ beflügelte Utopien einer basisdemokratischen „power to the people“ durch kommunikativen Austausch im Internet kommen hier gerade recht. Dumm nur, dass ausgerechnet im Netz Kommerz und wirtschaftliche Macht nahezu ungezügelt herrschen. Netzbürger, die den Marketingapparaten von Firmen und Agenturen eigene Standpunkte entgegenstellen wollen, haben mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen.

„Kommunikation“ ist längst ein von der Welt der Werbung und PR vereinnahmter Begriff: Botschaften werden gezielt und mehr oder weniger geschickt von Spezialisten an den Mann oder die Frau gebracht. Die kommunikativen Möglichkeiten, die das Internet bietet, erinnern dagegen an Zeiten, in denen Kommunikation noch ein Schlüsselbegriff im Projekt linker Aufklärung war.

In Foren, Weblogs und im Usenet wird - in der Theorie - miteinander gesprochen; Kommunikation endet hier nicht mit dem einseitigen Überbringen einer strategischen Botschaft, sondern bedeutet wieder den Austausch von Argumenten durch Kommentierung und Diskussion. Der alte linke Kampfbegriff der Partizipation findet sich auf einmal als Schlüsselkonzept im Web 2.0 wieder. Insbesondere Blogging-Anbieter senken nicht nur die finanzielle, sondern auch die technische Hemmschwelle, sich mit eigenen Standpunkten im Web zu präsentieren - mit allen Vor- und Nachteilen für das Niveau der Diskurse im Netz.

Jede Ausweitung kommunikativer Möglichkeiten lockt aber auch kommerzielle Interessen an. Sobald sich das Internet von seinen militärischen Anfängen gelöst hatte, weckte es Utopien von freier Kommunikation und ungehindertem Informationsaustausch, in der Praxis folgte allerdings die Entwicklung des World Wide Web zu einer gigantischen Marketingplattform und zum wichtigsten Absatzmarkt der Sexindustrie. Heute trifft die Erweiterung der Teilhabe auf ein durch wirtschaftliche Interessen vielfältig vorstrukturiertes Netz. Unmittelbar Geld verdienen lässt sich hier beispielsweise durch webbasierte Handelsplattformen, kostenpflichtige Dienste und nicht zuletzt durch Geschäftsmodelle zweifelhafter Seriosität von legaler Abzocke bis Betrug.

Die leichte Erreichbarkeit einer großen Zahl potentieller Kunden durch Webauftritte, Werbung oder Mailinglisten macht das Internet auch für die „Old Economy“ interessant. Von großen Konzernen bis hin zu kleinen Geschäften, Handwerkern und Freiberuflern ist mittlerweile fast jeder im Netz vertreten, der auf Marketing und Verkauf angewiesen ist.

Das überschwemmte Netz

Die Kommerzialisierung des World Wide Web wird oft beklagt. Aber auch in andere Internetdienste wie das Usenet und E-Mail schaltete sich bald rein wirtschaftlich motivierte Kommunikation in Form von Spam ein. Spam in seinen verschiedensten Ausprägungen ist heute allgegenwärtig, auch in der „echten Welt“ in Form von unverlangten Werbesendungen, immer aggressiverem Telefonmarketing und Direktmarketing durch Haustür-Drücker. Während klassische Spammer noch Verkaufsabsichten haben (und sei es im Bereich Potenzmittel und Penisverlängerung), geht es heute immer öfter um Betrug durch Phishing, spitzelnde Trojaner, Dialer, nigerianische Geldwäscheangebote und ähnliches mehr (Jeder zwölfte Brite ist schon einmal auf Online-Betrüger hereingefallen).

Spam ist dabei nicht auf das Versenden direkter Botschaften an potentielle Opfer (oder Konsumenten) beschränkt. Spamseiten im WWW mit spezieller Linkstruktur, Weiterleitungen und Unmengen von Schlüsselworten kleistern keine Postfächer zu, sondern die Ergebnisseiten von Suchmaschinen. Natürlich hat auch die Sphäre der Weblogs mittlerweile mit Kommentarspam und Trackback-Spam zu kämpfen; Pseudo-"Spamblogs" mit Links zu kommerziellen Seiten und exzessiver Werbung zwischen automatisch erstelltem oder gestohlenem Inhalt schieben sich zwischen Suchergebnisse und Feed-Abstracts und lauern hinter „Nächstes Blog erkunden“-Buttons.

Ob in Blogs, Foren, Newsgruppen, Gästebüchern, Chats oder Wikis: Wo auch immer Möglichkeiten für Internetnutzer geschaffen werden, um sich auszutauschen oder Informationen zusammenzutragen, ziehen Spammer nach. Betreiber, bei denen sich Spam-Attacken konzentrieren, sehen sich mitunter zur Kapitulation gezwungen: Kommentare oder Trackbacks werden deaktiviert, die Moderation von Diskussionsbeiträgen wird eingeführt, die Bearbeitungsfunktion von Wikis eingeschränkt oder abgeschaltet - die Vernetzung und freie Partizipation der Benutzer fällt der Gier der Spammer zum Opfer.

Kennzeichnend für Spam ist zum einen seine durch automatisierte Erstellung ermöglichte Masse, zum anderen das absichtliche Vermischen mit anderer Kommunikation bis hin zur mehr oder weniger durchschaubaren Tarnung der kommerziellen Absichten. Spam erhöht so den Aufwand von Kommunikation, da Unerwünschtes zuerst herausgefiltert werden muss. Rein technische Filterlösungen scheitern immer wieder an der Findigkeit der Spammer.

Zum echten Problem wird die Infiltration durch Spam spätestens, wenn Botschaften nicht aktiv an den Empfänger herangetragen werden, sondern wenn es darum geht, Informationen überhaupt erst zu finden. Spamseiten zielen auf Suchmaschinen, die unverzichtbar sind, um den unüberschaubaren Datenbestand des World Wide Web aufzuschlüsseln, und schränken deren Funktion ein. Selbst bei der Eingabe trennschärfster Suchbegriffe erscheinen häufig neben tatsächlich verwertbaren Ergebnissen Lock- oder Anzeigenseiten mit Pseudoinhalt; Linkspamming treibt die „Relevanz“ kommerzieller Angebote künstlich nach oben. Im schlimmsten Fall finden sich die Links zu den eigentlich gewünschten Informationen im Ergebnisranking so weit hinten, dass kaum ein Benutzer mehr daran vorbeikommt.

Während Spamseiten versuchen, die Mechanismen von Suchmaschinen gegen die Absichten ihrer Betreiber auszutricksen, tragen einige Suchanbieter auch aktiv zur Überschwemmung der Ergebnisse mit kommerziellen Angeboten bei, indem sie sich für die Aufnahme von Seiten oder die entscheidende Platzierung von Einträgen am Anfang der Ergebnislisten bezahlen lassen. Zusammen mit der schieren Masse an kommerziellen Webseiten wird es in vielen Bereichen immer mühsamer, nicht-kommerzielle Inhalte im Web zu erschließen. Und die Wachstumsbranche der Suchmaschinenoptimierer will dafür sorgen, dass das auch in Zukunft so bleibt.

Anfang des Jahres machte der Suchmaschinen-Marktführer Google allerdings erneut Ernst mit der internationalen Durchsetzung seiner Qualitätsrichtlinien, die „schwarze“ Methoden zur Suchmaschinenoptimierung ausschließen. Spamming mit scheinbar inhaltsreichen Seiten, die durchschnittliche Benutzer mit aktiviertem Javascript aber dank Weiterleitung nie zu sehen bekommen, wurde auch bei großen Unternehmen entdeckt. Als Konsequenz schloss Google unter anderem die gesamte „bmw.de“-Domain aus seinem Index aus. Die Seiten sind mittlerweile gesäubert und neu aufgenommen.

Die juristischen Implikationen solcher Anti-Spam-Aktionen dürften freilich noch zu klären sein (Google räumt auf). Die hier bewusst ausgeübte Macht der Suchmaschinen, Inhalte für viele Benutzer überhaupt erst sichtbar oder eben unsichtbar zu machen, wirft aber auch generellere Fragen auf - denn traditionelle Suchmaschinen sind ja zunächst einmal selbst kommerzielle Angebote, die eigene wirtschaftliche Interessen verfolgen.

Werbung trifft Content

Spam ist ein extremer, aber beileibe nicht der einzige Weg, die Kommunikationskanäle im Internet für kommerzielle Botschaften nutzbar zu machen. Reguläre Werbung ist nicht nur auf der Straße und in den traditionellen Medien, sondern auch im Netz überall und kommt - wie im richtigen Leben - in unterschiedlichsten Stufen der Aufdringlichkeit daher. Der Effekt ist zwiespältig: Während ressourcen- oder bandbreitenintensive Werbeformen wie Popup-Fenster und Flash-Animationen es mitunter erschweren, auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, können Werbeeinnahmen auf der anderen Seite auch die Teilhabe und die Verbreitung unkommerzieller Inhalte fördern, indem sie helfen, Angebote zu finanzieren. Bannerwerbung und Partnerprogramme auf privaten Webseiten gibt es schon lange, und kostenlose Provider für Webhosting und E-Mail schalten als Gegenleistung für ihre Dienste gerne Eigenwerbung oder bezahlte Anzeigen ein.

In jüngerer Zeit geht der Trend zu kontextbezogener Werbung, bei der Anzeigen automatisch auf den Inhalt der Kommunikation abgestimmt werden, wie etwa bei dem aus Datenschutzgründen stark umstrittenen Mail-Dienst von Google. Googles ebenfalls kontextbasiertes Adsense-Programm für Webseiten gewinnt immer größere Verbreitung, auch und gerade in Weblogs. Durch die Übernahme von Blogger hat sich Google schon vor längerer Zeit auch als Blogging-Anbieter positioniert; speziell für Blogs und News-Seiten wurde konsequenterweise Adsense für XML-Feeds entwickelt.

Adsense bietet einige Vorteile für private Seitenbetreiber: Statt Bannern und blinkenden Grafiken sind hier auch relativ unaufdringliche Textwerbeblöcke schaltbar; Techniken zur Inhaltsauswertung und Filter sollen garantieren, dass wirklich nur solche Werbung eingeblendet wird, die zum Inhalt der jeweiligen Seite passt. Das Adsense-Programm ist allerdings mit umfangreichen Geschäftsbedingungen und Richtlinien verknüpft, die in der Summe mitunter als „Knebelverträge“ empfunden werden:

Ein Verstoß (...) kann bei einer größeren Website praktisch immer nachgewiesen werden und so liegt es immer im Ermessen von Google, ob die verdienten Beträge tatsächlich ausgezahlt werden oder nicht.

Aus dem Blog Der Schockwellenreiter

Über „vertrauliche Google-Informationen“ wie „Vorgaben, Material, Richtlinien“ (soweit nicht selbst von Google veröffentlicht) oder Statistiken zur individuellen Programmleistung dürfen die Adsense-Teilnehmer nicht sprechen. Zu den zahlreichen Auflagen gehört außerdem, dass ein Anzeigenlink nicht automatisch in einem neuen Fenster geöffnet werden darf - die eigene Seite soll also im Idealfall für das kommerzielle Angebot wieder verlassen werden. Der Google Content Blocker, der allen Seiteninhalt außer der Werbung ausblendet, ist allerdings noch Satire: Laut den Richtlinien möchte Google gerade nicht, dass Seiten als reine Träger für Adsense-Anzeigen eingerichtet werden. Ein Web, das nur noch aus Million Dollar Homepages besteht, ist für Anzeigenkunden nicht mehr rentabel.

Die enge Verzahnung von Adsense-Werbung und Seiteninhalt hat aber auch bedenkliche Nebenwirkungen für das Prinzip freier Kommunikation. Wer auf seinen Seiten "negativen Content" beherbergt, muss riskieren, dass Google hier nur Anzeigen für gemeinnützige Organisationen (PSAs) schaltet, für die es keine Provision gibt - sofern Google die Bewerbung für das Adsense-Programm überhaupt annimmt. Im Bewerbungsprozess, und gegebenenfalls auch noch später, werden die betreffenden Seiten manuell von Google geprüft.

Die Frage bleibt offen, inwieweit sich dort veröffentlichte Kritik an Inserenten oder an Google selbst mit der Teilnahme verträgt. Google schließt in seinen Adsense-Richtlinien explizit Seiten aus, die „Angriffe gegen Personen, Gruppen oder Organisationen“ beinhalten - ein dehnbarer Begriff, wie sich auch schon im spiegelbildlichen Fall unerwünschter Adwords-Werbung gezeigt hat.

Selbstzensur bei empfindsamen Gemütern, die nicht auf die Adsense-Einnahmen verzichten möchten oder zur Finanzierung ihrer Seite darauf angewiesen sind, ist die Folge. Besonders starke Nerven braucht es, einen negativen Erfahrungsbericht über ein Produkt und eine profitable Adsense-Werbung dafür auf derselben Domain zu beherbergen. Umgekehrt bietet Adsense große Anreize, die Inhalte der eigenen Seiten generell so auszurichten, dass dort möglichst ertragreiche Anzeigen geliefert werden. Das Schielen auf hohe Adsense-Kompatibilität unterwirft so auch die Inhalte zwischen der Werbung den Regeln strategischer Kommunikation.

Teil 2: Virales Eigenlob