Im Würgegriff des Pulsars

Neutronenstern überrascht Astronomen mit ungewöhnlicher Charakteristik, die bisher nur von Schwarzen Löchern bekannt war

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Wenn Sterne funkeln, Gammastrahlenblitze aufleuchten oder Neutronensterne periodisch pulsieren, erhalten Astronomen zugleich interstellare oder intergalaktische Kosmogramme aus ferner Vergangenheit, die, werden sie richtig gelesen und interpretiert, höchst informativen Gehalt haben können. Richtig hingeschaut und gelesen hat kürzlich ein US-Astronomenteam mit dem NASA-Infrarot-Observatorium Spitzer. Es spürte einen von der Erde 10.000 Lichtjahre entfernten Neutronenstern auf, der überraschenderweise kompakte Jets ins All schleudert. Materieströme dieser Intensität beobachteten Astronomen bislang nur bei Schwarzen Löchern.

Sonnen blähen sich zu Roten Riesen auf, Sterne verabschieden sich mit gewaltigen Supernovae aus der stellaren Geschichte, mutieren zu Weißen Zwergen oder Neutronensternen – oder verewigen sich in der ungeschriebenen kosmischen Enzyklopädie als ultimative Schwerkraftfallen: als Schwarze Löcher.

Das stellare Zeitliche segnen

Die Zukunft des Universums hält scheinbar viele Szenarien bereit, um dessen Ende – beziehungsweise zumindest den Abschied strukturierter Materie aus dem Kosmos (oder seine Transformation in ein anderes Etwas) – auf theatralische Art und Weise zu zelebrieren. Deutlich zum Ausdruck kommt dies, wenn zwei oder mehr Galaxien mit- und ineinander verschmelzen, so wie es sich noch vor dem Ende des Zeitalters der Sterne zwangsläufig zutragen wird.

Hubble-Aufnahme der Andromeda-Galaxie (M 31), die etwa 180.000 Lichtjahre im Durchmesser groß und 2,2 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt ist (Bild: NASA)

Der unausweichliche Zusammenstoß des Andromeda-Nebels mit unserer Galaxis etwa, der gravitativ programmiert ist und sich in etwa sechs Milliarden Jahren zutragen wird, spiegelt dies auf fatale Weise wider. Denn bei einem intergalaktischen Crash solchen Ausmaßes stürben viele Sterne, andererseits blieben viele davon unversehrt, zumindest solange, bis die in der Raumzeit des Universums eingebetteten fernen Sonnen selbst das Zeitliche segnen.

Segnen Sterne das stellare Zeitliche, ist dies aber beileibe noch nicht das Ende aller astralen Dinge, sondern nur der Übergang in eine neue Form der Existenz. Schwarze Löcher sind hierfür das prägnantste Beispiel. Schließlich gibt es im All genügend vermeintlich „leblose“ Sterne, die über die Fähigkeit verfügen, energievoll wieder zu Leben zu erwachen.

Energiereiches Phänomen

Ein sehr plastisches Bild hiervon machen konnte sich jüngst ein Astronomenteam mithilfe des NASA-Weltraumteleskops Spitzer während der Beobachtung eines Doppelsternsystems. Unter der Leitung des Astrophysikers Simone Migliari vom Center for Astrophysics and Space Sciences der University of California in San Diego entdeckte das Team während einer Observation eines Neutronensterns in dem dualen System 4U 0614+091 ein ungewöhnlich energiereiches Phänomen, das Astronomen bislang nur von Schwarzen Löchern kannten.

NASA-Infrarotweltraumteleskop Spitzer (Bild: NASA/JPL-Caltech)

Als Migliari und sein Team das 10.000 Lichtjahre von der Erde entfernte Röntgen-Binärsystem 4U 0614+091 (Sternbild Orion) genauer unter die Lupe nahmen, stellten sie zu ihrer Überraschung fest, dass der dort ansässige Neutronenstern seinen masseärmeren Begleiter sehr eng umklammert und seine Energie absorbiert. Ein solches Bild kannten Astrophysiker bislang nur von Schwarzen Löchern.

Plasmaströme par excellence

Da der 14-mal massereichere Neutronenstern ein sehr starkes Gravitationsfeld generiert, zapft er von seinem stellaren Trabanten Materie ab, konzentriert diese in einer Akkretionsscheibe und emittiert ein Großteil besagter Materie über zwei kompakte Plasmaströme, sprich Jets, wieder ins All.

Jets, ob groß oder klein, zählen immer noch zu den großen kosmischen Mysterien. Wie es genau dazu kommt, dass Teile der von den Schwarzen Löchern absorbierten Materie über deren Pole in eng und stark gebündelten Plasmaströmen mit beinahe Lichtgeschwindigkeit ins All geschossen werden, ist bis dato völlig schleierhaft. Gewiss ist nur, dass bei diesem Vorgang enorm viel Röntgen-, Radio- und Gammastrahlung abgestrahlt wird.

Künstlerporträt eines Neutronensterns, aus dem Jets schießen. (Bild: NASA/JPL-Caltech/R. Hurt, SSC)

„Jahrelang vermuteten wir, dass nur Schwarze Löcher in der Lage sind, kompakte Jets kontinuierlich zu bilden, weil wir diese bisher nur bei Schwarzen Löchern beobachteten“, sagt Simone Migliari. „Nun, seitdem Spitzer einen Jet ausmachte, der permanent aus einem Neutronenstern schießt, wissen wir, dass derlei Phänomene auch bei diesem Typ vorkommen.“

Nur Schwarze Löcher sind dichter

Neutronensterne (Pulsare) sind vereinfacht gesagt kompakte, sehr dichte kosmische Objekte, die aus einem massereichen Stern hervorgehen. Endet ein solcher in einer gewaltigen Explosion (Supernova), verdichten sich die materiellen Überbleibsel praktisch zu einem einzigen riesigen Atomkern, zu einem Neutronenstern. Dabei ist die Dichte solcher Himmelskörper mit rund einer Milliarde Tonnen pro Kubikzentimeter sogar größer als die eines Atomkerns. Hinzu kommt, dass auf deren Oberflächen Temperaturen von rund einer Million Grad Celsius herrschen – und dass deren Magnetfeld mehrere Billionen mal stärker ist als das der Erde. Dadurch bilden sich an den magnetischen Polen so genannte "Hot Spots", besonders heiße Regionen.

Auf Neutronensternen dominieren extrem starke Magnetfelder das Geschehen (Bild: NASA)

Neutronensterne leuchten von der Erde aus gesehen wie ein kosmisches Leuchtfeuer und emittieren starke Röntgen- und Radiostrahlung in regelmäßigen Intervallen. Dabei vereinen sie Masse und Energie nicht nur auf engstem Raum, sondern warten in der Regel mit einem Drehimpuls auf, der im wahrsten Sinne des Wortes schwindelerregend ist. Manche von ihnen drehen sich rund 100-mal pro Sekunde um sich selbst, Millisecond-Pulsare sogar binnen weniger Millisekunden mehrmals. Signifikant für Pulsare ist deren perfektes Rotationsintervall. Es ist dermaßen genau, dass nach ihm Atomuhren gestellt werden könnten.

Kleiner Erfolg

Dass Himmelskörper dieser Machart, die in einem Doppelsternsystem einen „normalen“ Stern im wahrsten Sinne des Wortes das Leben schwer machen, zudem kompakte Jets emittieren, galt in der Theorie bislang als möglich, wurde aber de praxi noch nicht beobachtet. Angesichts der Studie von Migliari etc. müssen daher viele Astronomen umdenken. „Unsere Daten zeigen, dass die Anwesenheit einer Akkretionsscheibe und ein intensives Gravitationsfeldes alles zu sein scheint, was wir brauchen, um einen kompakten Jet zu bilden“, erklärt Migliari.

Bild eines kompakten Nebels um den Neutronenstern Vela. Aufgenommen mit dem NASA-Röntgenteleskop Chandra im April 2000. (Bild: NASA/PSU/G.Pavlov et al.)

Letzten Endes sei diese Entdeckung, so Migliari, der Sensibilität des NASA-Weltraumteleskops Spitzer zu verdanken. Obwohl die Jets des Neutronensterns bei 4U 0614+091 zehnmal schwächer strahlten als bei einem durchschnittlichen Schwarzen Loch, sammelte Spitzer die nötigen Informationen binnen weniger Minuten.

Migliari und die beteiligten Forscher gehen davon aus, dass Akkretionsscheiben und intensive Gravitationsfelder Charakteristika sind, die Schwarze Löcher und Neutronensterne in Röntgen-Binärsystemen teilen. Näheres zu der Studie in der aktuellen Ausgabe der Astrophysical Journal Letters vom 20. Mai 2006.