Straftatbestand "Feldbefreiung"

Der Streit um gentechnisch veränderte Pflanzen beschäftigt in Hessen nicht nur Wissenschaftler und Öko-Aktivisten, sondern auch die Polizei. Weitere Konflikte sind vorprogrammiert

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Wenn Mitarbeiter eines Instituts für Phytopathologie und Angewandte Zoologie plötzlich im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen, muss Außergewöhnliches geschehen sein. So auch in Gießen, wo die renommierte Justus-Liebig-Universität eigentlich nur für wissenschaftliches Aufsehen sorgen wollte und nun im Zentrum einer annähernd philosophischen Diskussion mit möglicherweise strafrechtlichen Folgen steht.

Selbige drohen allerdings nicht der Universität, denn deren Aussetzung von 5.000 gentechnisch veränderten Gerstenpflanzen auf einer zehn Quadratmeter großen Versuchsfläche war als bundesweites Pilotprojekt nicht nur legal, sondern überdies Teil des noch von der rot-grünen Bundesregierung beschlossenen Programms Biologische Sicherheit gentechnisch veränderter Pflanzen. Hierbei sollte die Auswirkung der transgenen, gegen einen schädlichen Bodenpilz resistenten Pflanzen auf nützliche Mikroorganismen wie die Mykorrhiza-Pilze studiert und außerdem untersucht werden, inwieweit sich die Qualität von Bier und Hühnerfutter durch Eingriffe in das Erbgut verbessern lässt. Ob das Vorhaben jemals die gewünschten Ergebnisse zeitigt, ist derzeit allerdings offen.

Am Pfingstwochenende wurde die Versuchsstation des Instituts Ziel einer sogenannten „Feldbefreiung“, die der erboste Uni-Präsident Stefan Hormuth nicht mehr als „spontane Übergriffe von Gentechnik-Gegnern“ durchgehen lassen wollte, sondern umgehend als „geplante und gezielte Angriffe auf ein unabhängiges Forschungsprojekt“ klassifizierte. Während der Aktion wurden sechs Personen verhaftet, etwa 20% des Versuchsfeldes sollen beschädigt worden sein.

In einer offiziellen Pressemitteilung der Universität werden Polizeibeamte zitiert, die am vergangenen Freitag offenbar beobachten konnten, „wie die vier Haupttäter Pflanzen herausrissen, nachdem sie einen Drahtzaun zerschnitten und ein Insektennetz beiseite geräumt hatten“. Anschließend setzt die Universität zu einer mal ziellosen, mal überaus konkreten Medienschelte an. Schon Wochen vorher sei auf Flugblättern und im Internet für die Aktion geworben worden, außerdem habe der Hessische Rundfunk bereits am 31. Mai 2006 einen Beitrag für den 2. Juni mit dem bemerkenswerten Titel „Gentechnikgegner verwüsten Felder in Gießen“ angekündigt.

Biologische Sicherheitsforschung und Misstrauen in Selbstbestäuber

Der Institutsleiter Karl-Heinz Kogel, der am Gießener Institut eine Professur für Pflanzenkrankheiten und Pflanzenschutz innehat und das Projekt seit Monaten als „biologische Sicherheitsforschung“ verteidigt, befürchtet nun „schwere Schäden“ für die Aussagekraft seiner Untersuchung, weil wichtige Fragestellungen nicht mehr bearbeitet werden könnten. Auf Nachfrage von Telepolis weist Kogel, der sich selbst ausdrücklich nicht als bedingungslosen Verfechter der Gentechnologie sieht, darauf hin, dass zu viele Pflanzen zerstört oder beschädigt worden seien, um die Ertragserhebungen noch im vorgesehen Umfang durchführen zu können.

Es fehlt uns jetzt natürlich eine Vergleichsbasis. Wir können die betroffenen Parzellen nicht mit unbeschädigten vergleichen, aber immerhin noch Teilziele erreichen. Der Versuch wird fortgesetzt, damit sich beispielsweise Aussagen zum Bodenökosystem treffen lassen.

Karl-Heinz Kogel

Da die Aktion möglicherweise als Landfriedensbruch und Sachbeschädigung gewertet werden kann, hat die Universität Gießen mittlerweile Strafantrag gegen die Feldbefreier gestellt. Sie versichert – wie schon vor der Aussaat der transgenen Pflanzen -, dass die Gefahr einer Auskreuzung gegen Null tendiert. Bei der Gerste sei nicht nur die Samen-, sondern auch die Pollenausbreitung stark reduziert, da es sich um einen Selbstbestäuber mit einer Selbstbefruchtungsrate von rund 99% handele.

Die Öko-Aktivisten sehen das anders. Auf mehreren Internetseiten sammeln sie Gegenargumente, rufen aber auch unmissverständlich zum zivilen Ungehorsam auf. Die Selbstbestäuber-Theorie hat hier aus mathematisch-ideologischen Gründen wenig Anhänger.

Gerste sei zu 99% Selbstbestäuber. Das sagte Versuchsleiter Kogel am 30.5. Ein Prozent der Blüten entlässt also den Pollen in die Umwelt. Pro Korn eine Blüte, die viele Pollen entlässt. Pro Ähre viele Körner. Pro Quadratmeter viele Ähren. 9,6 Quadratmeter transgene Gerste stehen hier. Wieviel Millionen Pollen gelangen da wohl in die Umwelt, wenn ein Prozent in die Außenluft entstäubt? Der Versuch diene der Sicherheitsforschung - sagt der Versuchsleiter. Aber neben der genannten Genmanipulation, deren Wirkung auf Bodenpilze untersucht wird, sind drei weitere Genveränderungen in den Pflanzen dieses Feldes. Eines zur Ertragsveränderung. Eines zur Anpassung auf das BAYER-Spritzmittel Basta. Und ein Marker-Gen. Ist das ehrlich?

projektwerkstatt.de

Die nächsten Versuchsfelder sind schon bestellt

Neben gesundheitsschädlichen Folgen und der Gefahr der Auskreuzung transgener Pflanzen mit unabsehbaren ökologischen Folgen befürchten die Gegner gentechnisch veränderter Lebensmittel auch die Entstehung unkalkulierbarer Antibiotika-Resistenzen, Monopol- und Kartellbildungen auf dem Agrarsektor oder die Vernichtung von Arbeitsplätzen durch weitere Rationalisierungsmaßnahmen.

Die Befürworter berufen sich dagegen auf eine Jahrhunderte lange Tradition der Manipulation von Nutzpflanzen und hoffen im übrigen auf wissenschaftlich-technische Fortschritte sowie eine verbesserte Nahrungsmittelqualität. Eine Vermittlung zwischen beiden Positionen, wie sie im neuen Gentechnikgesetz angestrebt wird, scheint so gut wie ausgeschlossen.

Die Umweltschutzorganisation „Greenpeace“ hat vor wenigen Tagen ein Dokument veröffentlicht, das Teil eines vom Bundeslandwirtschaftsministerium vorbereiteten Grundsatzpapiers zur Gentechnik in der Landwirtschaft sein soll. Demnach plant das Ministerium, die von der EU vorgeschriebenen Sicherheitsabstände zwischen Gen-Pflanzenfeldern und Feldern von Bio-Bauern auf 150 Meter zu reduzieren und „Auskreuzungsprodukte gesetzlich vom Bedürfnis einer Inverkehrbringensgenehmigung auszunehmen“. Im Ernstfall könnten natürliche Pflanzen, die mit gentechnisch veränderten in Kontakt gekommen sind, dann ohne größere Umstände in Tierfutter oder Lebensmitteln verwertet werden.

Neue Auseinandersetzungen sind unter diesen Umständen vorprogrammiert, und manchmal stehen sogar schon die Termine fest. Die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft hat für ihre Feldtage, zu denen vom 20. bis 22. Juli 2006 rund 20.000 Besucher aus aller Welt erwartet werden, die nächste Genoffensive angekündigt. Zu diesem Zweck wurde den Firmen KWS, Monsanto und Pioneer auf ihren Ausstellungsflächen die Aussaat transgener Maissorten gestattet, die gegen den „Maiszünsler“ resistent sein sollen und seit 1998 von der EU zugelassen sind. Auf der Staatsdomäne Baiersröderhof ist der gentechnisch veränderte Mais „MON810“ bereits auf einer Fläche von 133 Quadratmeter ausgesät worden.

Die hessische Landtagsfaktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat deshalb für heute eine Beratung im Umweltausschuss durchgesetzt und verweist auf eine Untersuchung aus Italien, derzufolge Schweine, die mit MON810 gefüttert wurden, veränderte Blut-, Leber- und Nierenwerte aufweisen sollen (Was macht synthetische DNA im Blut?). Die Parteifreunde im Deutschen Bundestag sind außerdem davon überzeugt, dass den in Deutschland verwendeten und seit vielen Jahren heftig umstrittenen MON810-Sorten, denen ein insektenschädliches Gen des Bodenbakteriums Bacillus thuringiensis übertragen wurde, die erforderliche gentechnikrechtliche Genehmigung fehlt und der Mais deshalb hierzulande weder vertrieben noch angebaut werden darf.

De facto wird er es aber schon. Seit Horst Seehofer das MON810-Verbot von Amtsvorgängerin Renate Künast kassiert hat, wurden bundesweit 1.700 Hektar Anbauflächen registriert, die meisten davon in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Sachsen (Grüne Gentechnik: Volle Kraft voraus?). Die Kontroversen um gentechnisch veränderte Pflanzen stehen also wohl gerade erst am Anfang.