Privates wird öffentlich, Öffentliches privat

Privatsphäre und die Auswirkungen von Informations- und Kommunikationstechnologien

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Das Recht auf Privatsphäre ist in westlichen Gesellschaften oft konstitutionell verankert und als demokratietheoretisches Element mit der Idee eines rechtsstaatlich verfassten liberalen Staates verbunden – es soll den Kernbereich privater Lebensgestaltung schützen und einen Raum des Rückzugs schaffen. Die Trennung in einen privaten und einen öffentlichen Bereich ist mit dem Liberalismus des 18. und 19. Jahrhunderts und dem Gedanken des grundlegenden Schutzes individueller Freiheit und Autonomie vor unzulässigen Eingriffen des Staates oder der Gesellschaft verbunden. Probleme dieser Trennung sind jedoch, dass zum einen die Konzepte von „privat“ und „öffentlich“ nicht klar definierbar zu sein scheinen; zum anderen aber wurde die Trennung des Lebens in einen privaten und einen öffentlichen Teil auch deshalb kritisiert, weil damit historisch zahlreiche Exklusionen von Personen, bspw. Frauen und Kinder, aus dem politischen Leben einhergingen – dies war immer ein zentraler Punkt feministischer Kritik (ausführlich kann man dies nachlesen in Beate Rössler: „Der Wert des Privaten“).

Seit einiger Zeit sind nicht nur die genannten Konzepte einem Wandel unterworfen, sondern auch die damit verbundenen Verhaltensweisen. Diese Veränderung wird vor allem durch die Entwicklung der Medien und der Informations- und Kommunikationstechnologien angestoßen. Betrachtet man den Zusammenhang der politischen Kategorien „öffentlich“ und „privat“ mit Informations- und Kommunikationstechnologien, lassen sich folgende Entwicklungen anführen. Zum einen ist eine zunehmende Medialisierung des Privaten zu beobachten, bspw. durch Talkshows oder Sendungen wie Big Brother in klassischen Medienformaten, oder aber im Internet bspw. durch Weblogs. Auch können im Internet Formen von neuen öffentlichen Räumen entstehen, wo im Unterschied zu den klassischen Massenmedien nicht ein fertiges Medienprodukt Gegenstand der Kommunikation ist, sondern in denen Interaktivität, die den Prozess und den Inhalt von Kommunikation beinhaltet, im Mittelpunkt steht.

Die zunehmende Durchdringung vielfältiger Lebensbereiche mit „smarten“ Objekten, wie RFID-Chips oder andere Formen einer „intelligenten Umgebung“, zeigt eine weitere Entwicklung auf. Gegenstände der Lebenswelt werden mit Informationen „aufgeladen“, die meist nicht mehr für alle zugänglich sind; dadurch können öffentliche Räume individualisiert werden. Zum anderen werden Handlungen und Inhalte öffentlich gemacht, da diese Objekte Daten über Personen sammeln und speichern können. Dies wiederum greift in die Privatsphäre der Individuen ein und verändert ihre Bedeutung. Überwachungstechnologien können zudem eine „Reprivatisierung“ öffentlicher Plätze befördern, wenn es darum geht, aus Innenstädten oder Einkaufszentren bestimmte Personengruppen zu entfernen. Diese Entwicklung zeigt auf, dass öffentliche Plätze nicht mehr per se als öffentlich begriffen werden und somit ihre Funktion verändern können.

Neue mobile Technologien werden also die Wahrnehmung von Privatsphäre und Öffentlichkeit verändern. Mehr noch: In der einschlägigen Literatur (siehe bspw. Richard Sennetts „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität“) existiert die These, dass Öffentlichkeit und Privatsphäre nicht mehr wirklich trennscharf voneinander zu unterscheiden sein werden. Außerdem bieten Technologien wie RFID, GPS oder UMTS Möglichkeiten für völlig neue Produkte. Schlagwörter sind hier bspw. Ubiquitous bzw. Pervasive Computing, Ambient Intelligence oder auch das derzeit viel diskutierte mobile Fernsehen. Diese technologische Entwicklung legt die Sichtweise nahe, dass Menschen gar nicht mehr wissen können, welche Möglichkeiten der Überwachung und Kontrolle diese Technologien bieten: Mit dem Handy kann man etwa telefonieren, man kann damit aber auch von Dritten (z.B. Polizei) geortet werden.

Das Forschungsprojekt Mobile Internetdienste und Privatsphäre ist ein Teilprojekt des Verbundprojektes Geschäftsprozesse und Nutzerschnittstellen im Mobile Business, welches zurzeit an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) durchgeführt und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird. Innerhalb des Verbundprojekts geht es in erster Linie um die betriebswirtschaftliche und technologische Fundierung mobiler Informationsverarbeitung im elektronischen Geschäftsverkehr. Das Teilprojekt Mobile Internetdienste und Privatsphäre ist hingegen stärker auf die sozialen Folgen moderner Informations- und Kommunikationstechnologie ausgerichtet. Hauptziel ist, die Einstellungen von (potentiellen) Nutzerinnen und Nutzern von Geräten und Diensten (mobiler) Informations- und Kommunikationstechnologie bezüglich Privatsphäre zu evaluieren.

Erste empirische Untersuchungen deuten an, dass Privatsphäre und Datenschutz für viele Nutzerinnen und Nutzer gar nicht den Stellenwert haben, wie dies häufig in der öffentlichen Debatte unterstellt wird – viele Menschen wären bspw. bereit, ökonomische Vorteile gegen Privatsphäre einzutauschen. Um diese Ergebnisse validieren zu können, führt die Projektgruppe des Forschungsprojekts Mobile Internetdienste und Privatsphäre seit dem 07. Juni 2006 bis zum 07. Juli 2006 eine Online-Umfrage durch, deren Ergebnisse belastbare Aussagen über die Einstellungen und das Verhalten von (potentiellen) Nutzerinnen und Nutzern von Geräten und Diensten (mobiler) Informations- und Kommunikationstechnologie im Hinblick auf die Wahrung von Privatsphäre und Datenschutz ermöglichen soll.