Eiskaltes Matriarchat

Der Teufel schläft nicht: Jessica Hausners brillanter Horrorfilm "Hotel"

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Einmal in den Wald hinein und wieder hinaus: Mit "Hotel" gelingt Jessica Hausner ein doppeltes Kunststück: Zum einen ein europäischer Horrorfilm von einer Abgründigkeit, Dämonie und Gegenwärtigkeit, die im zeitgenössischen Kino ihresgleichen sucht und im Vergleich andere Filme wie "Antikörper" oder "Tatoo" als läppische Formalismen und billige Hollywood-Anbiederungen entlarvt. Zum andern versöhnt sie das Genre mit dem Autorenfilm: Es gibt doch noch Horror der der europäischen Horrortradition gewahr ist und die Intelligenz seines Publikums nicht beleidigt.

"Diese Tür muss immer verschlossen bleiben. Der Teufel schläft nicht." - Zeichen des Zweideutigen und Unheimlichen werden sehr früh gesetzt in "Hotel", dem zweiten Spielfilm der Österreicherin Jessica Hausner. Nach ihrem Erstling, "Lovely Rita", dem Coming-of-Age-Drama eines jungen Mädchens, entdeckt die Regisseurin, die ihre vielversprechende Karriere als Assistentin Michael Hanekes begann, nun den Horrorfilm neu als Sujet des Autorenkinos. Wie bei Hausner nicht anders zu erwarten, bricht "Hotel" aber konsequent mit den Genreklischees, deren es sich zugleich bedient - so dass der Film in sich zwar als Horror-Movie durchaus funktioniert, zugleich aber eine überaus intelligente Selbstreflexion und filmische Dekonstruktion des Genres bietet.

Zu Beginn wird eine junge Frau von einem Mann, offenkundig einem zukünftigen Vorgesetzten, durch ein großes Gebäude geführt - und das Publikum mit ihr: "Eine ihrer ersten Pflichten ist das Kellerlager." - "Eine Zeitschaltung. Strom sparen." - "Im Falles eines Notfalls: Alarm." Diese Führung entpuppt sich im Laufe des Films als Vorgriff auf Zukünftiges: Indem man das Gebäude und seine Funktionen kennengelernt hat, sind die Lokalitäten vertraut genug, um später leicht Veränderungen zu bemerken, Störungen im reibungslosen Betriebsablauf, Irritationen im Lauf der Dinge. Bei dem Gebäude handelt es sich um das noble, einsam und weitab vom Betrieb der Großstadt in einem gebirgigen Wald gelegene "Hotel Waldhaus", wo die junge Iréne (glänzend gespielt von Franziska Weisz) soeben ihre Arbeit als neue Empfangsdame beginnt.

Das Phantastische dringt in die gewöhnliche Welt

Von Anfang an, in den ersten Bildern schon, scheint etwas Ungewöhnliches spürbar, scheint die Grenze zwischen dem Realen und dem Illusorischen nicht völlig eindeutig gezogen. Auch Iréne scheint das zu spüren, und manchmal bewegt sie sich durch das Gebäude wie ein Medium. Schon hier bedient sich Hausner sowohl aus dem gängigen Fundus der Märchen und Gespensterstories - etwa der Motivik des "beseelten Hauses" -, wie aus der Filmgeschichte.

So wirken die schweren roten und grünen Samtvorhänge, die man im Aufzug und in den Zimmern des Hotels sieht, und die so gefilmt sind, dass sie kein Oben und Unten zu haben scheinen, direkt aus den Filmen David Lynchs ("Twin Peaks", "Lost Highway", "Mullholland Drive") entnommen, während die langen, in diffuses Licht gehüllten, von einer subjektiven Kamera abgetasteten Hotelgänge Erinnerungen an Stanley Kubricks "Shining" wach werden lassen, aber auch an den "Hotel" stilistisch verwandten neuen Film Ulrich Köhlers "Montag kommen die Fenster", bei dem ebenfalls ein im Wald gelegenes Hotel zum symbolischen Ort des Übergangs, der Lebens-Passage wird.

Die entscheidende Differenz, zumindest zu Kubrick, liegt allerdings darin, dass sein Hotel ein Raum ist, in dem wir uns orientieren können. Seine Kamerabilder klären auf, zeigen reale Räume, die von den Figuren mit deren Projektionen gefüllt werden. Bei Haussner ist es Desorientierung pur. Ihre Räume könnten auch aus dem Bewusstsein selbst stammen, könnten selbst eine solche Projektion sein. Die einzelnen Raumfacetten, die sie zeigt, bleiben immer in sich diffus und bilden nie zusammen ein Gebäude - das Hotel.

Der Ort an dem dies spielt, ist insofern imaginär, es ist, wie sich noch zeigen wird, das ganze Österreich. Offenkundig bedient sich Hausner auch aus dem Arsenal der bekannten Horrorthriller-Konventionen, wobei sie allerdings auf die gröberen und manipulativeren von ihnen, wie anschwellende Musik und aufdringliche Symbolik konsequent verzichtet.

Bald häufen sich die Merkwürdigkeiten, und mit der Zeit erfährt Iréne, dass ihre Vorgängerin Eva, ein vielleicht etwas zu hübsches junges Mädchen, unter mysteriösen Umständen verschwand. Die Polizei ermittelt ohne greifbare Ergebnisse, manche erzählen ihr stattdessen von einer alten Legende: 1591 wurde hier die sogenannte "Waldfrau" Frau als Hexe verbrannt...

So dringt das Phantastische allmählich in die Realität einer alltäglichen, gar nicht außergewöhnlichen Welt, und der Betrachter beginnt, den Anschein infrage zu stellen, hinter allem einen doppelten Boden zu vermuten. Der Irritation der Hauptfigur entspricht die des Zuschauers.

Dazu passend beginnen die Identitäten von Iréne und Eva miteinander zu verschwimmen: Als ihre Brille kaputt geht, setzt Iréne die Brille Evas auf, beginnt also, "mit den Augen der Anderen zu sehen." Als Iréne weiterhin Näheres zum Schicksal der Vorgängerin herauszufinden sucht, stößt sie bei den übrigen Hotelangestellten zunächst auf Gleichgültigkeit und dann zunehmend auf Feindseligkeit. Iréne spürt, dass etwas Ungreifbares sie bedroht. Aber wo sind ihre Beobachtungen real, wo beginnt ihr ihre Einbildungskraft einen Streich zu spielen?

Portrait einer repressiven Gesellschaft

Stilistisch ist "Hotel" überaus genau komponiert. Es ist ein Film ohne Establishing Shots, also ohne jene Kameraeinstellungen, die es dem Zuschauer erlauben, sich zu orientieren, es sich heimisch zu machen. Während der ersten Viertelstunde spielt der Film nur Innen, und als Iréne nach 17 Minuten erstmals vor der Tür steht und raucht, ist es genau der gleiche Ort, wo sie auch im vorletzten Bild stehen wird. Wie der Vorhang im Inneren, erscheint auch dieser Wald, in dem sich das Haus befindet, sonderbar irreal. Das Schwarz der säulenhaften Bäume, die das Bild strukturieren, und nach oben ins Nichts führen, sieht aus, wie in Fritz Langs "Die Nibelungen", ein deutsch-österreichischer Mythenwald, wie man ihn aus Matthias Claudius', in "Hotel" auftauchenden Zeilen kennt: "Der Wald steht schwarz und schweiget."

So wie Claudius kurz danach vom "bösen Nachbarn" schreibt, und sein Lied "Der Mond ist aufgegangen" nicht einfach eine Idylle schildert, sondern auch als metaphorische Kritik an den restaurativen Verhältnissen des Spätabsolutismus verstanden werden muss, ist auch "Hotel" über die Darstellung bloßer Spießigkeit hinaus das Portrait einer repressiven Gesellschaft, eines unheilvollen autoritären und hierarchischen, hermetischen verschlossenen Systems, das Widerspruch nicht duldet und Outsider wie Eindringlinge mit dem Tod bestraft. Zwei ungehorsame Hunde erscheinen fast als das humanste Element unter lauter gedrillten und verängstigten Menschen.

Der Film errichtet einen offenen (Zeichen-)Raum, der für mehrere, einander im Übrigen sich nicht notwendig ausschließende Deutungen dessen zulässt, was einem hier präsentiert wird. So kann man das Ganze außer als Gesellschafts-Parabel auch als unbewusste Selbstmordphantasie verstehen, bei der statt der eigenen Hand das heraufbeschworene Übernatürliche die Selbstzerstörungslust vollzieht. Auch die Besetzung der autoritären Hotelchefin mit der österreichischen Schriftstellerin Marlene Streeruwitz ist so ein Zeichen, denn Streeruwitz' Romane handeln meist von ähnlichen Konflikten zwischen alltäglichen Unterdrückungsmechanismen und Befreiungsstreben aus der Perspektive von Frauen, sie zeigen, wie schon Thomas Bernhard, Österreich als unheilvolle Melange aus "Katholizismus und Nationalsozialismus" (z.B. in seinem Roman "Die Auslöschung").

Haare immer ordentlich gescheitelt

Hinter dieser gönnerhaften Machtsprache . "Ich glaub', das bringen Sie jetzt schon zusammen", sagt ihre Vorgesetzte einmal zu ihr vor allen anderen - verbirgt sich der Faschismus. Eine überraschende Pointe ist dabei allerdings, dass Hausner dieses Zwangssystem wie Jellineks von Haneke verfilmte "Klavierspielerin" als eiskaltes Matriarchat beschreibt.

Und nie wirkt Irène frei, auch dann nicht, wenn sie ihre Arbeitsuniform mit Freizeitkleidung tauscht, und in der Dorfdisco Tanzen geht. Sie ist perfektionistisch, gönnt sich nichts, hat ihre Haare immer ordentlich gescheitelt. Nur wenn sie abends im Hallenbad ihre Bahnen schwimmt, löst sich die Körperspannung, dann bekommt Irène etwas Katzenhaftes, und man kann an die CAT PEOPLE Tourneurs denken, auch sie Boten einer anderen Welt.

Der Film ist witzig, insgeheim genießt er das, was er zeigt auch, und genießt das Spiel, das er mit dem Zuschauer treibt. Die Härte und mit ihr verbundene Gelassenheit dieser Entlarvung erinnerte zu recht manche an eine schwarze Variante von Loriot.

Hausner arbeitet mit präziser Farbdramaturgie: Irénes hellblondes Haar, ihr rotweißes Kostüm steht dem grün-braun des übrigens Hotels komplementär entgegen, ansonsten sind die Bilder von im Übergang diffusen Weiß-Schwarz und Hell-Dunkel-Oppositionen geprägt. Martin Gschlachts Kamera zeigt oft klassische Halbtotalen, die, oben eine Spur zu knapp abgeschnitten, das dominierende Gefühl des Unheimlichen verstärken. Zudem sind sie oft höchst subjektiv, schreiten mit Tunnelblick die Korridore ab. Wichtig dafür ist auch die Tonspur, die das Hotel und den kalten Wald durch seine eigenen Geräusche belebt. Die dann aber wieder die Geräusche ganz verschwinden lässt, die Szenerie in Watte taucht oder durch dumpfe abstrakte Töne in Traumlandschaften verwandelt.

Hausners Horror ist ein Horror des Unheimlichen. Anstatt auf den Schock, das Erschrecken des Zuschauers zu setzen, entfaltet Hausner in einer Sprache der Andeutungen einen Horror des Grauens und Entsetzens, der sich im Gegensatz zur Furcht auf das Unbekannte richtet. Irénes Sehnsucht verwandelt sich durch Stille und Leere in Horror Vacui. Zu kritisieren ist allenfalls, dass Hausner dem Horror ruhig noch etwas mehr hätte auserzählen dürfen. Stattdessen wurde die Verleihfassung des Films, der bereits 2004 beim Festival von Cannes in der Reihe "Un certain regard" Premiere hatte, gegenüber der Cannes-Fassung noch einmal um fast zehn Minuten gekürzt.

Es gibt kein "Recht auf Dummheit"

"Hotel" ist ein rätselhafter, ausgeklügelter, dabei stiller Horrorfilm, der grelle Effekte nicht nötig hat, dafür ans Unterbewusstsein des Zuschauers rührt, einen ganz eigenen, inneren Sog entfaltet, und außer durch seinen Witz gerade dadurch besticht, dass er Leerstellen und Offenheiten hinterlässt, die im Betrachter nachwirken. Mag manches auch schon von den zuvor genannten Vorbildern her vertraut sein, wirkt es doch ungebrochen.

Hausner beherrscht alle Kunstgriffe und Tricks des Horrormysterys, und wenn dem Film jetzt vorgeworfen wird, dass er "sich geniert, ein ganz normaler Psychothriller zu sein" (FAS), dann ist das zwar richtig, aber kein Grund zum Vorwurf, sondern genau die Frage, um die es geht: Was kann man jenseits des Bekannten noch erzählen? Kann man Autorenfilm und Horror verbinden. Man kann. Auch Godards Genrefilme schämen sich, normale Genrefilme zu sein, und versuchen darum etwas anderes. Wenn jemand keinen Horrorfilm machen will, jedenfalls keinen konventionellen, sollte man sich dafür nicht noch entschuldigen müssen.

In der Umgebung immer gewalttätigerer, immer spekulativerer, immer dümmerer Horror-Filme, die das hohe Niveau subversiver Kritik am Bestehenden, das Film-Autoren wie Wes Craven, George Romero, John Carpenter und David Cronenberg einst begründeten, weit unterschritten haben, in einer Zeit, in der selbst die Genannten - Cronenberg ausgenommen - ihre einstige Stärke nicht mehr erreichen, in der stattdessen blutiger Unsinn wie "Saw" (vgl. Worüber man nicht reden darf ... und Der Serienmörder als Superheld) und bizarre Horrorphantasien wie "Hostel" an den US-amerikanischen Kinokassen Meilensteine in punkto Publikumszuspruch setzen, in der die industriellen Remakes alter Klassiker - "Land of the Dead" oder "Texas Chainsaw Massacre" - und die x-ten Aufgüsse bekannter Strickmuster nur illustrieren, dass die Vorstellung, bestimmte Horrorgenres seien "immer schon sozial-kritisch" der Vergangenheit angehört, beweist Jessica Hausner bemerkenswerte Phantasie und Orginalität.

Es gibt, antwortet Hausner auf Fragen, die auch in Telepolis ernsthaft gestellt werden, kein "Recht auf Dummheit". Mehr wissen hilft. Aber es beantwortet nicht alle Fragen:

"Hotel" dreht sich einerseits um das heftige Verlangen, alles zu verstehen, was uns zum Erforschen der dunklen Seite unserer Existenz inspiriert. Andererseits handelt der Film vom Tod, den niemand wirklich kennt und der unabwendbar, mysteriös und dennoch ganz normal ist.

Jessica Hausner

Dabei bleibt "Hotel" immer in der Mitte unserer europäischen Wirklichkeit, verbindet diese Alltäglichkeit mit der geheimnisvollen Atmosphäre eines Grimmschen Märchens.