Das Ende der Illusionen am Hindukusch?

Afghanistan: Anschläge auf deutsche Soldaten, verschärfte Sicherheitsmaßnahmen, aber keine Zweifel an der Mission

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die sich häufenden Anschläge auf deutsche Soldaten in Afghanistan zerstören die Illusionen darüber, dass "unsere Freiheit am Hindukusch" ohne größere Risiken zu verteidigen wäre. Zu hoffen bleibt, dass "verschärfte Sicherheitsmaßnahmen" (Verteidigungsminister Jung) das Risiko für die Soldaten wirksam minimieren; zu fürchten ist, dass das "Restrisiko" zu groß ist, um irgendeinen Schutz zu bieten. Gut möglich nämlich, dass es darin besteht, an einer Militäraktion teilzunehmen, deren Mission schon grundsätzlich auf irrtümlichen Annahmen aufgebaut ist, weil sie die Realität im Land verkennt und deswegen auf einen zunehmenden Widerstand seitens der Bevölkerung trifft.

Bis jetzt ist die Lage im Norden, wo die deutschen Truppen stationiert sind, noch relativ friedlich. In den Schlagzeilen ist der Süden Afghanistans, wo die Kämpfe der letzten Wochen für erschreckend hohe Opferzahlen gesorgt und den "vergessenen Krieg" in Afghanistan zurück ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt hatten.

Ziemlich überrascht zeigte sich der Nato-Sprecher für die Nordregion, der deutsche Oberstleutnant Markus Werther:

Das ist eine Häufung von Anschlägen, die wir auf keinen Fall erwartet haben.

Doch gibt es seit längerem schon Alarmsignale von Beobachtern, die befürchten lassen, dass sich die Spannungen, die Unzufriedenheiten und die Tendenz zu gewalttätigen Konflikten landesweit verbreiten könnten. Und es sind längst nicht mehr nur die amerikanischen Soldaten, die von Teilen der Bevölkerung schlecht gelitten werden, eine "aggressive Stimmung" richte sich mehr und mehr gegen alle ausländischen Truppen - und die Guerillas machen sich dies zunutze.

Aktuell ist diese Warnung auch in einem Bericht des Think Tanks Senlis Council, einer Gründung des "Network of European Foundations", zu finden. Zwar konzentriert sich der Bericht auf die gefährliche Situation der kanadischen Truppen im umkämpften Süden des Landes, doch was er grundsätzlich zur Ausrichtung der Politik der internationalen Gemeinschaft zu sagen hat, wäre auch hierzulande eine Diskussion wert.

Die Gemeinschaft müsse zurück ans "Reißbrett", appelliert Senlis Council Chef Emmanuel Reinert an die Verantwortlichen. Man habe "allem Anschein nach ungefragt die fundamental fehlerhafte Zugangsweise der Amerikaner“ akzeptiert, was sowohl die Soldaten in Gefahr für ihr Leben bringe, wie auch die Stabilisierungs-, Wiederaufbau- und Entwicklungsprozesse gefährde. Man müsse erst die "Hinterlassenschaft" der Operation Enduring Freedom loswerden, um für neue Rahmenbedingungen zu sorgen, welche die Situation wieder deeskalieren könnten.

Konkret mahnt der Bericht Veränderungen in der taktischen Vorgehensweise der Truppen an: Die Auswirkungen, insbesondere die Vielzahl von zivilen Opfern, der berüchtigten "search and destroy"-Operationen hätten dazu geführt, dass ausländische Truppen nicht länger als willkommene Helfer gesehen würden, sondern es mit wachsendem Argwohn und Feindseligkeit zu tun hätten.

Es müssten mehr Gelder für kurzfristige Hilfsmaßnahmen zur Verfügung gestellt werden, damit spürbare Abhilfe für eins der größten Probleme des Landes geschaffen werde: die extreme Armut. Solange die Bevölkerung trotz großer Versprechen seitens des Westens keine Verbesserung elementarer Lebensbedingungen spürt, wächst die Frustration. Sie müsse mehr eingebunden werden, so der Senlis-Bericht, der für mehr Versammlungen nach der Art lokaler Dschirgas plädiert.

Gemünzt sind diese Vorschläge des Berichts vor allem auf den Süden, doch betrifft ein anderer Aspekt auch den Norden des Landes: die Haltung gegenüber den Opiumfarmern. Die propagierte aggressive Politik der zwangsweisen Vernichtung sei falsch und führe zur Unzufriedenheit der Bauern, wovon die Taliban profitieren. Der Gegenvorschlag: eine vierjährige Periode der gnädigen, soften Umstellung nach dem Vorbild Thailands.

Dergleichen grundsätzliche Überlegungen, die sich kritisch mit den strategischen Grundlagen der Afghanistan-Mission auseinandersetzen, scheinen in Deutschland keine hörbare Stimme zu haben. Aus dem Kampf gegen den Drogenanbau hält man sich ohnehin heraus - und bleibt weiter Beobachter. Die Reaktion auf "anhaltende Gefährdungslagen" von deutschen Soldaten in Auslandseinsätzen konzentriert sich vor allem auf eine Verbesserung der Ausrüstung: mehr geschützte Fahrzeuge will das Verteidigungsministerium. Doch wie in einigen Berichten deutlich wird, saßen die deutschen Soldaten, die bei Anschlägen verletzt wurden, bereits in gepanzerten Fahrzeugen.

Man dürfe "beim Schutz unserer Soldaten keinerlei Kompromisse eingehen", fordert etwa der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Christian Schmidt (CSU), laut, meint damit aber nicht eine grundsätzliche Neubewertung der Mission am Hindukusch, sondern die Finanzierung der Aufrüstung der Soldaten trotz großer Finanzlücken.