Nach dem Verkauf ist vor dem Garantiefall

Warum die Qualitätskontrolle auch bei namhaften Firmen der Elektronikindustrie ins Hintertreffen gerät

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Mein Interesse an der Fotografie ist erst wieder erwacht, als vor einigen Jahren Digitalkameras zu bezahlbaren Preisen auf den Markt kamen, die Aufnahmen von hoher Qualität machen konnten. In drei Jahren habe ich etwa 23.000 Mal auf den Auslöseknopf meiner beiden Sony-Kameras gedrückt (eine DSC-P92 und eine DSC-H1), und das wäre nicht der Fall gewesen, wenn die Geräte keinen Spaß gemacht hätten. Ich habe ihre Vor- und Nachteile in der Zeit ausgiebig kennengelernt. In letzter Zeit hat der Spaß allerdings gelitten. Zuerst wies die DSC-P92 kurz außerhalb der Garantiezeit Mängel auf, die sich immer weiter verschlimmerten, dann gab die H1 (nach einem Jahr Betriebsdauer und etwas mehr als 9.000 Fotos) den Geist auf. "Zufall" könnte man sagen, und im Falle der P92 gar kein so böser, denn, wie gesagt, die Garantie war abgelaufen, und ich hatte mit der Kamera mehr Bilder gemacht, als das fünfstellige Zählwerk fassen konnte - nach der zehntausendsten Aufnahme hatte es einfach wieder von vorne angefangen.

Von Zufall kann allerdings trotzdem nicht die Rede sein, denn in den Jahren 2002 bis 2004 stellte Sony minderwertige CCD-Chips her, die nicht nur in allen möglichen eigenen Kameras verbaut wurden, sondern auch in denen anderer Hersteller. Meine P92 gehörte zu den betroffenen Kameras - die Resultate waren durchaus spektakulär - und weil Sony in einer bemerkenswerten Aktion Verantwortung übernahm, kann man immer noch Sony-Produkte kostenlos reparieren lassen, die den defekten Chip in sich tragen.

Der Vertragspartner von Sony leistete gute Arbeit, die Reaktionszeit war nicht überragend (ca. 1 Monat), aber doch immerhin erträglich - alles in allem eine saubere und faire Abwicklung. Kurz aber, nachdem die P92 heil aus der Werkstatt wieder zurückgekommen war, hörte die H1 auf, zu funktionieren, diesmal innerhalb der Garantiezeit. Das Objektiv der Kamera fuhr nicht mehr aus, und sie schaltete sich sofort wieder ab, ohne überhaupt in Bereitschaft gegangen zu sein. Ähnliche Symptome sind von einigen anderen Besitzern der Kamera gemeldet worden. Die in China vertriebenen Exemplare des Modells wurden Anfang des Jahres komplett zurückgerufen, zusammen mit fünf anderen Typen, die staatlichen Stichpunktkontrollen nicht standgehalten hatten.

Nun steht Sony sicher nicht allein mit solchen Problemen. Apple zum Beispiel, die Prestigemarke im Computerbereich schlechthin, hatte in den letzten Jahren mit defekten Monitoren, schwachen iPod-Akkus und hoher Geräuschentwicklung bei Desktops zu kämpfen. Aktuell stehen die neuen MacBooks der Firma in der Kritik.

Es ist zwar als sehr fair zu bewerten, dass Sony aktuell sogar einen Abholservice für seine Produkte anbietet, die innerhalb der Garantiezeit Defekte aufweisen. Dennoch muss man sich fragen, warum Weltkonzerne derartige Probleme überhaupt aufkommen lassen, wenn doch offensichtlich ist, dass die Nachbesserungsmaßnahmen viel Geld kosten müssen. Die Antwort lautet: Sie haben gar keine andere Wahl.

Kehren wir noch einmal zu meinen beiden Kameras zurück. Beide kosteten, als ich sie kaufte, etwa 400 Euro, die P92 im Jahr 2003, die H1 zwei Jahre später. Aber die H1 bietet ungleich mehr Möglichkeiten und macht ohne jeden Zweifel die viel besseren Bilder. Dieser simple Vergleich verdeutlicht den enormen Innovationsdruck (bei gleichzeitigem Preisverfall), der hier herrscht. Er ergibt sich letztendlich aus der Konkurrenz am Markt selbst.

"Je ein Kapitalist schlägt viele tot" - ein Marx-Zitat, das heute seine Berechtigung wie vor 140 Jahren hat. Wer in diesem mit Zähnen und Klauen ausgefochtenen Kampf nicht zu den Opfern gehören will, kann gar nicht anders, als die gerade noch tauglichen Komponenten einzukaufen, dabei Zulieferer bis an den Rand des Erstickens zu würgen, aus so wenig Mitarbeitern wie nötig so viel Mehrwert herauszuholen wie möglich - und eben Teile der Kosten für Entwicklung und Qualitätskontrolle auf die Kunden abzuwälzen. Dies unter der Bedingung, dass die Konkurrenzfähigkeit am Markt möglichst lange Garantielaufzeiten erzwingt. Vermarktet wird Bananenware, die beim Kunden reift.

Zynisch gesehen lautet die Hauptfrage an die Kalkulation: Was ist der richtige Preis für unseren Elektronikschrott, wenn wir möglichst hohe Stückzahlen absetzen wollen, seinen Prestigewert und die Zugkraft unseres guten Namens einberechnen und die Beschädigung dieses guten Namens durch nachgeordnete Servicemaßnahmen verhindern müssen? Die hektische Rationalisierung im Servicebereich (Call Center in Billiglohnländern, automatisierte Voicemail-Systeme u.a.) hat mit dem dringenden Wunsch der Firmen zu tun, die Kosten für diese notwendige Bananenproduktpolitik so niedrig zu halten wie möglich - auch hier haben sie in Wirklichkeit gar keine Wahl.

Was die langen Garantielaufzeiten angeht, hoffen die Firmen einfach darauf, dass möglichst viele Kunden ihre Ansprüche nicht geltend machen. Ob mancher nichtabsichtlich ein Servicegestrüpp hochzieht, in dem man sich als Kunde nur verheddern kann, sei dahingestellt. Moralische Appelle jedenfalls, sich bei der Qualitätskontrolle endlich zusammenzureißen, sind vollkommen überflüssig - genauso wie die läppischen Aufforderungen an die Konsumenten, den ungeilen Geiz endlich abzulegen. Denn das Prinzip der Kostenminimierung gilt ja für sie genauso. Sie müssen sich fragen, wie viel sie für den Elektronikschrott in den Regalen der Händler bezahlen können, wenn sie dabei nicht pleite gehen wollen, und ob sie für halbwegs brauchbare Garantieleistungen hinblättern, was sie eigentlich nicht hinblättern möchten, oder ob sie sich ganz der Hoffnung hingeben, der Kram werde wenigstens eine gewisse Zeit halten.

Askese ist deswegen keine Lösung, weil in unserer Gesellschaft die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben über die Waren vermittelt wird, die sie anbietet. Und weil es ein Webfehler der kapitalistischen Warenwirtschaft ist, zusammen mit der Entdeckung der Möglichkeiten, den Schrottkonsum zu demokratisieren, werden die meisten von uns auch weiterhin Geräte benutzen, die tendenziell immer weniger kosten, immer mehr können und immer häufiger kaputt gehen - ob wir das wollen oder nicht.