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15.000 Interessenvertreter kämpfen in Brüssel um Macht und Einfluss in der EU. Ein neuer "Reiseführer" gibt Einblicke in das Lobby-Paradies

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5.000 Lobbyisten haben einen Hausausweis für das europäische Parlament. Verbissen wird hier und bei der EU-Kommission darum gekämpft, dass sich die Interessen ihrer Auftraggeber in EU-Gesetze, Richtlinien und Verordnungen verwandeln. Konzerne, Industrie- und Wirtschaftsverbände leisten sich eine ganze Armada von Mitarbeitern, Think Tanks, Anwaltskanzleien, PR-Agenturen und wissenschaftlichen Instituten. Wer wen beauftragt und in welcher Höhe finanziert, ist unklar. Denn es gibt keine Verpflichtung zur Offenlegung und Transparenz. Wie groß der Einfluss wirtschaftlicher Interessen in Brüssel ist, zeigt „Lobby Planet“, herausgegeben von LobbyControl und dem Corporate Europe Observatory. Die als Reiseführer gestaltete Infobroschüre ist jetzt auf deutsch erschienen.

Das Brüsseler EU-Viertel gilt nicht gerade als touristische Hochburg: breite Einfallsstraßen, anonyme Bürotürme aus Stahl und Beton - architektonische Alpträume der Zweckmäßigkeit. Früher war die Gegend zwischen Parc Léopold und Point Schuman das Refugium der reichen Stadtbewohner, geprägt von Jugendstilarchitektur. Seit sich die EU-Bürokratie vor einigen Jahrzehnten hier niedergelassen hat, sprießen unablässig neue gigantische Verwaltungsgebäude und bizarre Prunkbauten aus dem Boden. Unzählige Lobbyorganisationen haben sich rings um die politischen und administrativen Machtzentralen eingerichtet (Brüssel: Mekka der Lobbyisten). Die engen Beziehungen zur Macht verdeutlicht neben dem „Lobby Planet“ auch die Website EUlobbytours mit einem virtuellen Rundgang durchs EU-Viertel.

Lobbyismus ist eine boomende Branche. Es wird geschätzt, dass 11.000 Menschen in Brüssel hauptberuflich für die Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen arbeiten. Für die außerparlamentarischen Einflüsterer gibt es viel zu tun: Allein die Europäische Kommission beschäftigt über 22.000 Mitarbeiter, im EU-Parlament sitzen 732 Abgeordnete und permanent werden die derzeit 80.000 Seiten EU-Gesetzestexte verändert. Aber es geht der Wirtschaft nicht nur um die Verhinderung von finanziellen Einbußen durch z.B. eine Stärkung von Umweltschutz oder Arbeitnehmerrechten. Der Etat der EU umfasst ca. 100 Milliarden Euro und so zielt die Beeinflussung auch darauf ab, EU-Fördermittel abzuschöpfen, beispielsweise über Finanzhilfen für den eigenen Wirtschaftszweig.

Wirtschaft bestimmt EU-Ziele

Auch ganz offiziell ist die Wirtschaft zentraler Partner der europäischen Institutionen. Im Jahr 2000 wurde die „Lissabon-Strategie“ ins Leben gerufen (Alle und alles ans Netz), um die Europäische Union innerhalb von zehn Jahren „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen - einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen.“ Diese Ziele kommen nach Auffassung von „Lobbycontrol“ nicht von ungefähr, sondern sind direkte Folge der Lobbyarbeit der Union der Industrie- und Arbeitgeberverbände Europas (UNICE) und des Europäischen Runden Tischs der Industriellen (ERT). Beide Organisationen versammeln die größten europäischen Konzerne und mächtigsten Industrieverbände und gelten als absolute Schwergewichte der europäischen Lobbyszene. Derzeit kommen sieben Mitglieder des ERT aus Deutschland: Bernd Pietschesrieder (Volkswagen), Kai-Uwe Ricke (Deutsche Telekom), Wulf Bernotat (Eon), Henning Kagermann (SAP), Klaus Kleinfeld (Siemens), Manfred Schneider (Bayer), Gerhard Cromme (ThyssenKrupp). Sie alle dringen auf eine Ausrichtung der EU am wirtschaftlichen Wachstum.

„Es gibt ein starkes Interesse der Lobby, dieses Thema stark zu machen. Der Fokus auf den Wettbewerb ist selbst schon ein Ergebnis von Lobbyismus. Sie versuchen einen übergeordneten Sinnzusammenhang zu geben, der ihren Interessen Tür und Tor öffnet. Der Lissabon Prozess hat ja mehrere Kriterien aufgelistet, doch die harten ökonomischen Felder gerieten immer stärker in den Fokus“, kritisiert Ulrich Müller von der Organisation „LobbyControl“. So haben es UNICE und ERT geschafft, dass derzeit die Klimaschutz-Verpflichtungen der EU auf dem Prüfstand stehen: Die ehrgeizigen Ziele des Kyoto-Protokolls werden nun daraufhin geprüft, ob sie sich zu negativ auf das europäische Wirtschaftswachstum auswirken.

„Kanonenboot“, „Kofi Annan“, „Esel“

Um zum Ziel zu kommen, schlagen PR-Agenturen ihren Kunden je nach Sachlage verschiedene Szenarien der Beeinflussung vor. „Lobby Planet“ veröffentlicht einige Strategien der Beratungsfirma „Kimmons & Kimmons“. Das „Kanonenboot“ ist die aggressivste Variante und kommt zum Einsatz, wenn alle sanften Mittel versagt haben. Als beliebtes Druckmittel gilt die Androhung von Standortschließungen oder Unternehmensverlagerungen.

Das Konzept „Guter Polizist – böser Polizist“ erinnert an gängige Verhörmethoden: Ein Konzern oder Interessenverband prescht mit extremen Forderungen vor. Anschließend werden von anderer Seite gemäßigtere Vorschläge unterbreitet, die wie Kompromisse erscheinen, aber das gewünschte Ziel punktgenau erreichen. Besonders beliebt ist in Brüssel aber „Kofi Annan“: Hier wird von Anfang an ein Vorschlag unterbreitet, der sich als konstruktiver Kompromiss unter Abwägung aller Interessen präsentiert. Damit wird gewährleistet, dass die wirtschaftlichen Interessen auf jeden Fall Teil des Ergebnisses sind - oft auf Kosten von Verbraucher- und Umweltschutz. Am liebsten arbeitet der Lobbyist aber mit dem „Esel“: Der Begriff meint, dass politischen Entscheidungsträger als Fürsprecher der eigenen Interessen zur Verfügung stehen.

Damit der „Esel“ langfristig und nachhaltig zum Goldesel für die eigene Sache wird, knüpfen die einflussreichen Lobbyorganisationen persönliche Netzwerke und Seilschaften bis in die höchsten politischen Stellen. Artikel 2 der Geschäftsordnung des EU-Parlaments lautet zwar: „Die Mitglieder des Europäischen Parlaments üben ihr Mandat frei aus. Sie sind weder an Aufträge noch an Weisungen gebunden.“ Aber das ficht Menschen wie Elmar Brok nicht an. Das CDU-Mitglied sitzt seit 1980 im EU-Parlament und gilt als einer der einflussreichsten Parlamentarier. Er nennt sich selbst gerne „Mister Europaparlament“. Unter anderem ist er Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten. Daneben ist er auch als „Europa-Beauftragter der Vorstands“ bei der Bertelsmann AG angestellt – und wahrscheinlich an deren Aufträge und Weisungen gebunden. Bertelsmann ist sehr an intensiven wirtschaftlichen Beziehungen zu den USA interessiert und setzt sich dafür im Transatlantic Policy Network ein. Über Brok flossen Textbausteine des Lobby-Netzwerks direkt in Gesetzesanträge ein und wurden dem Parlament direkt zur Abstimmung vorgelegt. „Elmar Brock ist ein in Deutschland bekanntes Beispiel. Es gibt eine ganze Reihe anderer Parlamentsmitglieder, die Nebentätigkeiten für Unternehmen und Anwaltskanzleien ausüben oder Vorsitzende von irgendeinem Forum sind, das Parlamentarier und Wirtschaftsvertreter zusammenbringt“, so Ulrich Müller.

Während sich manche neben ihren Diäten bereits ein üppiges Zubrot verdienen, gibt es manchmal auch erst nach der politischen Karriere ein „Dankeschön“. Willfährige Abgeordneten oder Beamten werden nicht selten für ihr Engagement im Sinne wirtschaftlicher Interessen mit lukrativen Posten belohnt.

Das Prinzip „Drehtür“ ist ja hierzulande aktuell durch Schröder und Wiesheu bekannt. Bei der EU-Kommission wechselte der Direktor der Generaldirektion „Umwelt“, der dort für den Bereich Atomenergie zuständig war, anschließend zum Atomkonzern British Nuclear Fuels. Zuvor soll er unter anderem den Wechsel der Abteilung „Strahlenschutz“ aus seinem Haus zur Generaldirektion „Energie“ unterstützt haben. Man kann sich vorstellen, dass der Strahlenschutz verschieden aufgefasst wird, je nachdem, ob er unter energiepolitischer oder unter umweltpolitischer Aufsicht steht.

Ulrich Müller

Erfolgreiche Lobbyarbeit: Die EU-Transparenzinitiative

Das Thema „Lobbyismus“ ist ein Dauerbrenner. Immer wieder wird auf die problematische Rolle und die Gefahr der Aushöhlung demokratischer Entscheidungsprozesse behandelt. Auch Abgeordnete, Regierungsmitglieder und höchste EU-Repräsentanten beklagen den massiven Einfluss von Lobbyisten und fordern Kontrollen. Jetzt hat die EU-Kommission erstmals ein Grünbuch "Europäische Transparenzinitiative" herausgegeben. Die Vorlage ist ein sehr zahmer Versuch, den Tiger zu bändigen, meint Ulrich Müller:

Die Kommission schlägt die freiwillige Registrierung für Lobbyisten vor. Wer sich anmeldet, bekommt künftig einige Informationen schneller. Aber das ist kein wirklicher Anreiz und wird nichts bewirken. De facto ist es auch so, dass die Kommission mit diesem Vorschlag hinter ihren eigenen Erkenntnisstand zurückfällt. Denn der zuständige Kommissar Siim Kallas hat bereits im vergangenen Jahr den Ansatz der „Freiwilligkeit“ kritisiert. Aber die Kommission schreckt vor weitreichenderen Maßnahmen zurück - auf Druck von Lobbyisten. In einigen Tagen finden in Berlin und Brüssel Konsultationen zum Grünbuch statt. Wie die Entwicklung weiter abläuft, hängt sehr davon ab, welche öffentliche Aufmerksamkeit das Entscheidungsverfahren bekommt.