Petition an Bono

Wie die Free Software Foundation den U2-Sänger im DRM-Streit zum Flaggezeigen bringen will

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Digitales Rechte Management (DRM) bedroht die kulturelle Vielfalt, führt zur totalen Kontrolle der Medienindustrie über die Konsumenten und hält die Künstler in unfairen Verträgen gefangen - so weit das gängige Statement derjenigen, die sich wie die Aktivisten der Free Software Foundation dem Kampf gegen das "Digitale Restriktionsmanagement" verschrieben haben. Dass auch Künstler diese Meinung teilen, ist bekannt. Erst kürzlich haben sich kanadische Musiker, Komponisten, Texter und Produzenten, die sich in der Canadian Music Creators Coalition zusammengefunden haben, gegen DRM-Systeme ausgesprochen. DRM-Syteme seien "riskant und kontraproduktiv", hieß es in einer Erklärung, die just am 26. April dieses Jahres, dem Welttag des geistigen Eigentums, der Öffentlichkeit übergeben wurde. Mit ihrer Online-Kampagne Defective by Design will die Free Software Foundation nunmehr in dieselbe Kerne schlagen. Mindestens zehntausend Unterschriften sollen gesammelt werden. Ziel ist es, keinen Geringeren als U2-Frontmann Bono aufzufordern, sich für die Anti-DRM-Bewegung stark zu machen.

Bono und Angela Merkel

Es war ziemlich starker Tobak, der den Musikindustriellen mit der kanadischen Erklärung der "Canadian Music Creators Coalition" unter die Nase gerieben wurde. "Künstler unterstützen es nicht, wenn digitale Sperren eingesetzt werden, um die Kontrolle der Labels über die Distribution, Benutzung und den Genuss von Musik zu erhöhen. (...) Sie unterstützen auch keine Gesetze, die die Umgehung dieser technischen Maßnahmen verbieten. Gesetze sollten Künstler und Konsumenten und nicht restriktive Technologien schützen. Verbraucher sollten dazu in der Lage sein, die von ihnen erworbene Musik im Sinne einer fairen Nutzung in andere Formate zu übertragen, ohne ein zweites Mal dafür zahlen zu müssen". Getragen wurde die kanadische Erklärung u. a. von den Barenaked Ladies, Avril Lavigne und Sarah McLachlan.

"Wir können auch anders!"

Ob solche Statements tatsächlich etwas gegen die gut geschmierte und weltweit hervorragend funktionierende Lobbying-Maschinerie der globalen Musikkonzerne ausrichten können, mag dahingestellt bleiben. Sie erinnern ein wenig an den Bildzeitungsboykott deutscher Schriftsteller, Wissenschaftler und Gewerkschafter aus den 80er-Jahren des vergangenen Jahrtausends. "Wir arbeiten nicht für Springer-Zeitungen", verkündeten damals z. B. Günter Grass, Heinrich Böll und Jürgen Habermas, wobei diese Erklärung den kleinen, aber feinen Schönheitsfehler hatte, dass die Bildzeitung Grass, Böll, Habermas und andere Linksintellektuelle niemals um ihre Mitarbeit gebeten hätte. Wer aus Prinzip bei Lidl kauft, kann Aldi prima boykottieren.

Avril Lavigne

Natürlich ist die kanadische Erklärung weder schädlich noch kontraproduktiv. Sie untergräbt in der Öffentlichkeit zumindest ansatzweise den immer wieder gern geäußerten, altruistischen Anspruch der Musikindustriellen, ihren Kampf gegen Tauschbörsennutzer, Privatkopien und Kulturflatrates nicht nur im eigenen Profitinteresse, sondern auch im Namen der produzierenden Künstler zu führen. Während sich die gut verdienenden Madonnas, Metallicas und Red Hot Chili Peppers dieser Rock- und Popwelt von der Musikindustrie noch immer gut vertreten fühlen, zeigen die kanadischen Künstler, dass sie sich nicht als kommerzielle Zugpferde vor den Profitkarren der Musikindustriellen spannen lassen wollen - ebenso übrigens wie etliche ihrer französischen und deutschen Kollegen "Wir können auch anders", heißt auf den Punkt gebracht die zornige Devise.

Solche Statements reichen nicht aus. Sie sind allenfalls ein mickriger Tropfen auf den heißen Stein des internationalen Musikgeschäfts, und ihre Wirkung verpufft schon ein paar Tage später, wenn die Medien sich beruhigt haben. Avril Lavigne mag eine passable Sängerin sein, doch dürfte ihr Einfluss auf die Entscheidungen der Musikindustrie eher gering sein. Wer wirklich etwas bewirken will, der braucht Unterstützung von ganz oben, der benötigt einen kommerziellen Top-Act, einen gut eingeübten Kommunikator, eine Person, die es gewohnt ist, mit den Großen dieser Welt Umgang zu pflegen und ihnen ins Gewissen zu reden - sofern ein solches denn vorhanden ist. Mit anderen Worten: Was macht eigentlich Bono?

"Lieber Bono"

Die Free Software Foundation wollte es genauer wissen und schrieb U2-Frontmann Bono einen offenen Brief - nein, keinen Brief. Bono schreibt man keine Briefe. Der U2-Sänger ist als Mutter Theresa der Rockmusik eine öffentlich-moralische Institution, und an Institutionen schreibt man Petitionen, im Falle Bono eine Online-Petition.

"Lieber Bono", heißt es zu Beginn der Online-Petition. "Du hast einen Großteil deines Lebenswerks dem Kampf für gute Zwecke gewidmet und übst Druck aus auf die mächtige politische Elite, um einen positiven Wandel zu bewirken." Dann dreht die Free Software Foundation den Spieß per rhetorischem Winkelzug um: "Genauso wie du die führenden Politiker zum Handeln aufgefordert hast, fordern wir nun dich auf, dir die Fakten rund um das Digitale Restriktionsmanagement einmal genauer anzuschauen." Bono möge sich doch bitte der Anti-DRM-Kampagne als prominentes Zugpferd anschließen und sich für die Abschaffung der elektronischen "DRM-Fesseln" stark machen. Bono, Weltreisender in Sachen "Tue Gutes und sprich auch mal darüber", wird geehrt sein und sich riesig freuen.

Ob sich der U2-Frontmann je mit der Geschichte der Musikindustrie und dem massiven Lobbying ihrer Pressure Groups auseinandergesetzt hat, mag dahin gestellt bleiben. Für den (unwahrscheinlichen) Fall der Fälle, dass Bono überhaupt keine Ahnung hat, worum es geht, bekommt er per Petition einen auf den Punkt gebrachten Crashkurs in "Geschichte der Musik- und Unterhaltungsindustrie", der sich in drei knappe Sätze gießen lässt: Der Musikindustrie geht es ums Geschäft. Künstlern sollte es um Kunst und kreatives Schaffen gehen. Der Konsument will keine digitalen Fesseln.

Im Ergebnis sei durch ein liberales Urheberrecht und die Beseitigung aller DRM-Fesseln allen geholfen: Kunst und Kreativität würden gedeihen. Da die Grundgesamtheit der Musikfreunde durch ein freizügiges Copyright vergrößert werde, würden auch die Verkaufszahlen wieder steigen - ein Argument, von dem die umsatzmäßig in den letzten Jahren arg gebeutelte Musikindustrie natürlich überhaupt nichts hält. Um so mehr hält diese Branche von U2 - allen voran die Firma Apple mit ihrem proprietären AAC-Format und einem iPod-Quasi-Monopol.

Apple, iPod und U2

Als Ende 2004 das U2-Album "How to dismantle an atomic bomb" erschien, wurde "Vertigo", die erste Single-Auskoppelung, vorab über Apples iTunes Music Shop veröffentlicht. Plattenfirma Interscope, U2-Management und iPod-Firma Apple hatten damals eine groß angelegte, wechselseitige Werbekampagne vereinbart. Die "Vertigo"-Vorveröffentlichung via iTunes sorgte in den einschlägigen Musik- und PC-Medien für Furore. Der Clou aber war, dass Apple einen iPod-Werbespot produzieren ließ, der gleichzeitig die U2-Single promotete und natürlich für Apples tönende Festplatte warb. Die Zusammenarbeit zwischen Apple und U2 lief so perfekt, dass Apple Nägel mit Köpfen machte und der Erfolgsrockband mit irischen Wurzeln ein eigenes iPod-Modell spendierte. Vorinstalliert war natürlich das neue Album von U2 - nicht im freien mp3-Format, sondern selbstverständlich wie bei Apple üblich im proprietären AAC-Format einschließlich restriktivem DRM (Abschreckung nutzt sich ab).

In der Online-Petition an Bono heißt es deshalb folgerichtig: "Vivendi-Universal, die Muttergesellschaft deiner Plattenfirma, spielt eine Hauptrolle bei der Durchsetzung dieser Restriktionen in Bezug auf digitale Technologie" - eine Tatsache, die Bono und seinen Managern nicht gänzlich unbekannt sein dürfte. Auch die Einschüchterungsversuche, die die RIAA durch ihre Zivilklagen gegen mutmaßliche Tauschbörsennutzer unternimmt, dürften dem U2-Vorstand hinlänglich bekannt vorkommen. Denn natürlich sind auch U2-Fans betroffen. Hat Gutmensch Bono dazu eine Meinung?

Nur eine minderwertige Kopie?

Im Gegensatz zu Bono, der sich in Urheberrechtsfragen bisher diplomatisch um eine eindeutige Position herumgedrückt hat, fand US-Sängerin Ashanti bereits im Jahr 2002 deutliche Worte. "Ich bin dafür, dass man die Menschen, die so destruktiv mit der Kunst anderer umgehen, mit Gefängnis bestraft", erklärte sie in einem Interview und meinte nicht die Musikindustriellen, sondern die Tauschbörsennutzer. Ähnliche Statements kennt man von Metallica und von den Red Hot Chili Peppers, deren jüngstes Doppelalbum "Stadium Arcadium" schon vorab illegal im Netz zu haben war. Während Ashanti ehrlich sagte, ihr ginge es um die entgangenen Tantiemen, versteckte sich Flea von den Red Hot Chili Peppers hinter der Behauptung, die im Netz aufgetauchte Version von "Stadium Arcadium" sei von minderer Qualität, was ihm schlaflose Nächte bereite. Denn die Red Hot Chili Peppers hätten monatelang am Sound gefeilt. Jetzt aber müsse man mit ansehen, wie eine minderwertige Kopie verbreitet werde.

In Fankreisen schüttelte man darüber den Kopf. Denn die illegale Kopie war keineswegs minderwertig - es sei denn, man sieht schon in der MP3-Kompression eine eklatante Soundverschlechterung. Dem Verkauf von "Stadium Arcadium" - auch im AAC-Kompressionssound via iTunes - tat die illegale Vorabveröffentlichung jedoch keinen Abbruch. "Stadium Arcadium" entwickelte sich trotz seines stolzen Preises weltweit als kommerzieller Renner. Entsprechendes gilt für das U2-Album "How to dismantle an atomic bomb", das ebenfalls vor seiner Veröffentlichung Ende 2004 bereits im Netz zu haben war. Angeblich waren die Aufnahmebänder gestohlen worden, hieß es damals vom U2-Management. Ob das der Fall war, wurde nie geklärt. Offizielle Bono-Statements zu diesem Vorfall, zum PR-Nutzen von Musiktauschbörsen und zum Digitalen Rechtemanagement gibt es bisher nicht.

Das alles soll sich künftig ändern, ginge es nach der Free Software Foundation. Rockstar Bono soll endlich Flagge zeigen - am liebsten natürlich Anti-DRM. Die Bono-Petition ist übrigens bereits die vierte Aktion, die DefectiveByDesign durchgeführt hat. Microsoft und Apple standen bereits auf der Zielliste der Aktivisten. Auch auf die Recording Industry Association of America (RIAA) hatten es die Anti-DRM-Kämpfer kürzlich abgesehen. Bono, vom US-Nachrichtenmagazin Time zusammen mit dem Ehepaar Bill und Melinda Gates zur Persönlichkeit des Jahres 2005 gekürt, befindet sich also in allerbester Gesellschaft.