Lizenz zum Killen im Ausland

Update: Russischer Präsident kann Militär und Spezialeinheiten ohne Genehmigung des Parlaments ins Ausland entsenden

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Ende Juni sind fünf russische Diplomaten im Irak von Mitgliedern einer Terrorgruppe ermordet worden, die Köpfung von zwei Russen wurden von den Entführern gefilmt und das Video im Internet verbreitet. Der russische Präsident Putin hatte daraufhin angeordnet, dass die Geheimdienste des Landes die Terroristen aufspüren und töten sollen. Kurz darauf billigten die Duma und am Freitag auch der Föderationsrat Änderungen zum Anti-Terror-Gesetz. Sie ermöglichen es dem russischen Präsidenten jetzt, ohne vorherige Genehmigung des Parlaments russische Soldaten im Ausland einzusetzen.

Am Donnerstag beantwortete der russische Präsident Putin auf einer „Internet-Konferenz“, an der auch die BBC beteiligt war, Fragen, die zuvor über das Internet gestellt wurden. Eingereicht wurden fast 160.000 Fragen. Foto: kremlin.ru

Die Gruppe, die die Russen entführten und schließlich ermordeten, gehört dem Mudschaheddin-Schura-Rat an, der auch die Gruppe des von der US-Armee getöteten al-Sarkawi beigetreten ist, aber von diesem nicht geführt werden wollte. In seinem letzten Band hat Bin Laden al-Qaida-Anhänger aufgefordert, weiter Teil dieses „Rats“ zu sein, der wiederum kürzlich die Sunniten aufforderte, den Versöhnungsbemühungen der irakischen Regierung nicht nachzugeben. Die Entführer im Irak hatten zuvor verlangt, dass Russland sich aus Tschetschenien zurückziehen und muslimische Gefangene freilassen soll. Auch wenn tschetschenische Rebellen abstritten, mit der irakischen Gruppe in Beziehung zu stehen, wirkt der Irak-Krieg so nun auch direkt auf die russische Politik ein.

Nachdem Putin zunächst den Geheimdiensten den Auftrag gegeben hatte, die Entführer mit allen Mitteln zu jagen und zu töten und auf Hinweise, die zu ihrer Ergreifung führen, 10 Millionen US-Dollar ausgesetzt wurden, wurde nun von der in aller Regel willigen Duma am Mittwoch ein Gesetz mit einer großen Mehrheit von 429 zu 226 Stimmen bewilligt, dass es dem Präsidenten ermöglicht, ohne vorherige Billigung des Parlaments weltweit Streitkräfte und Geheimdienste einsetzen zu können. Nach dem Überfall auf die Schule von Beslan hat die russische Regierung ihre immer einmal wieder geäußerte Drohung wiederholt, Terroristen auch im Ausland und präventiv zu bekämpfen ("Ein totaler, grausamer Krieg"). Dass dies nicht nur Gerede ist, zeigte der Anschlag auf den in Katar im Exil lebenden Selimchan Jandarbijew, der 1996 kurzzeitig Präsident Tschetscheniens war. Russische Agenten hatten ihn 2004 durch eine Bombe in seinem Auto getötet. Auch bei dieser russischen „gezielten Tötuung“ kamen, wie auch in anderen Fällen, weitere Menschen ums Leben: Zwei seiner Begleiter wurden getötet, sein 13-jähriger Sohn schwer verletzt. Die Polizei von Katar nahm daraufhin drei Russen fest. Die zwei Geheimdienstangehörigen wurden zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, der dritte Verdächtige, ein Diplomat, durfte ausreisen. Aufgrund des Vorfalls kam es zu einer Krise zwischen Russland und Katar (Gezielte Tötung nach russischer Art).

Seitdem müssen Tschetschenier fürchten, die im Ausland leben, dass sie auch einem Geheimkommando der Russen in die Hände fallen könnten. Seit langem schon übt Russland Druck auf andere Länder aus, angebliche tschetschenische Terroristen auszuliefern. Das ist etwa der Fall bei Achmed Sakajew. Zunächst hatte Dänemark Sakajew, der Asyl in Dänemark gefunden hatte und dem Russland Beihilfe zum Massenmord vorwirft, 2002 einige Wochen inhaftiert, dann aber wieder freigelassen, weil die Anklagepunkte nicht überzeugten. Daraufhin ist der ehemalige tschetschenische Politiker, der als Sprecher des 2005 von russischen Soldaten getöteten ehemaligen tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow auftrat (In Tschetschenien verhärten sich die Fronten), nach Großbritannien gegangen, wo er 2003 als Flüchtling anerkannt wurde. Die russische Regierung fordert weiterhin die Auslieferung und kritisiert, dass Großbritannien nach zweierlei Maß handle. Am Mittwoch erst kritisierte Putin auf der Konferenz des Beratenden Ausschusses Europäischer Generalsstaatsanwälte (CCPE) die britische Regierung erneut wegen ihrer Haltung. Putin hatte im Mai das Abkommen über die Terrorismusprävention des Europarats ratifiziert, das auch die Kooperation der Mitgliedsstaaten in der Verfolgung und die Auslieferung von Verdächtigen regelt.

Das vom Unterhaus in zweiter und dritter Lesung gebilligte Gesetz wurde am Freitag auch vom Oberhaus, dem Föderationsrat, angenommen. Damit kann der russische Präsident nun auf eigene Entscheidung hin Truppen oder Spezialeinheiten ins Ausland entsenden, um gegen den internationalen Terrorismus zu kämpfen, die Menschenrechte von russischen Bürgern sowie die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität Russlands zu verteidigen. Terroroperationen „gegen Russland, russische Bürger oder Menschen, die permanent in Russland leben“, können im Ausland bekämpft werden. Ein in zweiter Lesung gebilligtes Gesetz würde die Berichterstattung über Antiterroreinsätze beschränken. Nur der Leiter eines Einsatzes ist dann noch befugt, den Medien Informationen zu geben, und er kann ihnen Vorschriften machen. Der Einsatz von Antiterror-Einheiten im Ausland sei vom Völkerrecht gedeckt, meinte Putin am Donnerstag während eines Chats: "Artikel 51 der UN-Charta erlaubt den Staaten, sowohl im Alleingang als auch kollektiv eine Aggression abzuwehren. Dort steht nicht, dass dies nur die Aggression eines Staates gegen einen anderen betrifft.“ Das Töten von Terrorverdächtigen im Ausland sei auch keine Todesstrafe, sondern lediglich die Abwehr einer Aggression. Daher werde auch das Moratorium nicht durch seine Anordnung verletzt, die irakischen Geiselnehmer zu töten.

Erst im März ist ein neues Antiterrorgesetz in Kraft getreten, das den Sicherheitskräften und Geheimdiensten umfassende Vollmachten einräumt, der Luftwaffe das Abschießen von entführten Flugzeugen erlaubt und auch "informatorische und andere Komplizenschaft bei der Planung, Vorbereitung und Ausführung von Terroranschlägen sowie die Propagierung terroristischen Gedankenguts" dem Terrorismus zurechnet und verbietet, auf politische Forderungen von diesen einzugehen. Hier war zwar bereits geregelt, dass das Militär im In- und Ausland gegen Terroristen eingesetzt werden kann, aber der Präsident musste bei Auslandseinsätzen zuvor die Genehmigung des Föderationsrats erhalten.