Meine Charlotte, meine Eltern und ich

Die Amerikaner werden immer einsamer

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Wieviel Freunde braucht man? Weniger als eine Handvoll, denn wer mehr hat, ist ein oberflächlicher Mensch? Drei, zwei, einen nur? Oder gar keinen mehr, weil die Familie vollends reicht?

Ich habe meine Charlotte und mit ihr meinen besten Freund und meine Ehefrau, das reicht mir, sagte mir ein Bekannter auf meine Frage, wie viele Freunde er denn habe. Damit wäre er beinahe schon ein guter Durchschnittsamerikaner. Denn, so hat eine Studie herausgefunden, die Hälfte der Amerikaner gaben nur mehr zwei oder weniger Menschen an, denen sie die wichtigsten Angelegenheiten anvertrauen. Einer davon ist meistens der Ehegatte.

Fast ein Viertel der befragten 1500 repräsentativen Amerikaner hatte gar keinen engen Freund, mit dem sie persönliche Dinge bereden konnten. Die Wissenschaftler von den Universitäten von Arizona und Duke sind nun der Überzeugung, dass die Amerikaner sozial isolierter sind als früher, da eine ebenso angelegte landesweite Studie, die vor zwei Jahrzehnten - 1985 - durchgeführt wurde, zu sehr viel freundlicheren Ergebnissen gekommen ist.

Damals sagten die meisten Amerikaner, dass sie drei enge Freunde hätten, die sie seit längerem kennen, öfter sehen würden und mit denen sie eine Anzahl von Interessen teilen würden. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie sogar vier oder fünf Freunde nannten, war beinahe genauso groß; viele Beziehungen entstanden in Nachbarschaften und anderen "Communities".

Das sei eine große soziale Veränderung, so interpertiert Professor Lynn Smith-Lovin die Ergebnisse ihrer Studie: "Sie zeigt etwas an, was für die Gesellschaft nicht gut ist."

Das Hauptaugenmerk der Studie liegt nämlich auf den "core discussion networks" der Gesellschaft, dort, wo man einander die Dinge anvertraut, die für das persönliche Leben am wichtigsten sind. Und dieser intime Kreis an Vertrauten ist in Amerika kleiner geworden. Lieferte im Jahr 2000 noch der Buchtitel "Bowling Alone" von Robert Putnam die Metapher für die Vereinsammung der Amerikaner und die langsame Erosion des "sozialen Kapitals", so verweist die Soziologin Lynn Smith-Lovin jetzt auf ein neues bezeichnendes Bild, das der um Hilfe flehenden Menschen auf den Hausdächern während der Katrina-Katastrophe im letztjährigen Sommer (vgl. Was Katrina und Rita uns gelehrt haben).

Gerade Nicht-Weiße und Menschen mit geringerer Bildung würden ein immer kleineres Sicherheitsnetz an Personen haben, mit denen sie sich eng verbunden fühlen und Hilfe und Anteilnahme in existentiellen Notsituationen erwarten könnten, fand die Studie heraus, die ihr Forschungsinteresse auf die elementaren Kontakte richtete, die soziale Unterstützung und "echte, konkrete Hilfe" leisten.

Der Trend gegenüber der früheren Untersuchung gehe dabei deutlich in Richtung Familie. Zwar geben Amerikaner jetzt generell - innerhalb und außerhalb der Familienbande - weniger Personen an, denen sie vertrauen, aber der größere Rückgang sei auf Seiten der vertraulichen Freundschaften außerhalb der Familie zu verzeichnen. Engere Kontakte zu Nachbarn und anderen Arten der sozialen Gemeinschaften verlieren demnach an Bedeutung; die Zuwendung in wichtigen Dingen konzentriert sich mehr auf Ehegatten und Eltern.

Zur Erklärung dieses Phänomens haben die Autoren der Studie nur Ansätze parat: Amerikaner würden jetzt mehr arbeiten und weitere Wege in die Arbeit fahren, die Menschen seien mobiler geworden, man würde Freunde schneller aus den Augen verlieren. Etwas konkreter gibt man sich nur in der Skepsis gegenüber Argumenten, die eine Häufung sozialer Kontakte durch Internetverbindungen anführen: Die würden den Verlust der Nähe in echten menschlichen Kontakten nicht ersetzen können.

Freundschaft hat viele Gesichter. Hinter der bei den Zuschauern beliebten WM-Streiterei zwischen Günther Netzer und Gerd Delling beispielsweise verbirgt sich nach eigenen Angaben der Kampfhähne eine eheähnliche Freundschaft

Netzer: Was Delling angeht, muss ich vieles sein: Seelsorger, Kindermädchen, Aufpasser. Und als Freund erkläre ich mich aber dafür gerne zuständig. Aus diesem Grund habe ich selbst nur sehr wenige Freunde. Weil nur sehr wenige Menschen diese absolute Auffassung teilen. Außerdem ist es in meinem Alter fast unmöglich, neue Freunde zu gewinnen. Aber auch die alten Freundschaften zu erhalten ist sehr, sehr schwierig.

Delling: Es ist nicht ganz leicht, mein Freund zu werden. Herr Netzer hat Recht, ich erwarte sehr viel von einem Freund. Ich muss mich zu 100 Prozent auf ihn verlassen können. Ich muss ihn zu jeder Tages- oder Nachtzeit anrufen können, wenn ich Hilfe brauchte. Und ich würde erwarten, in speziellen Situationen den Rat zu bekommen, der objektiv der beste ist.