"Heldinnen ihres Alltags"

Iranische Frauen wehren sich gegen die völlige Entrechtung

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Seit fast dreißig Jahren versuchen die Mullahs und ihre politischen Repräsentanten, die iranischen Frauen klein zu kriegen. Völlig entrechtet und in den Tschador gezwängt wurden die klugen und stolzen Iranerinnen zu einem Schatten ihrer selbst degradiert. Doch die Schatten führen ein erstaunliches Eigenleben, und immer mehr treten die Frauen aus demselben heraus und fordern selbstbewusst ihre Rechte ein - trotz aller Repression.

Teherans Frauen pfeifen schon lange auf die Mullahs und kleiden sich, wie es ihnen gefällt. Viele Jahre nur heimlich zuhause oder im Ausland, in letzter Zeit immer offener auch auf der Straße: Unter vielen Mänteln lugen Jeans hervor und der Schleier besteht aus einem leichten Tuch, das lässig um die Haare geschlungen wird. Trotzdem ist es eine Zwangsverkleidung und die Frauen wehren sich dagegen. Genauso wie gegen die vielen Diskriminierungen, denen ausgesetzt sind. Deshalb seien sie „Heldinnen ihres Alltags“, sagte eine deutsche Journalistin kürzlich in einem Berliner privaten Radiosender.

Irans Frauenbewegung, die lange nur im Untergrund oder im Exil arbeiten konnte, habe „ihr Haupt erhoben“, schrieb eine iranische Journalistin: Am 12. Juni 2005 trafen sich Hunderte Frauen, um Forderungen zu formulieren, die an die Regierung gerichtet werden sollten. Gefordert wurden das Verbot der Polygamie, gleiches Scheidungsrecht für Frauen und Männer, gleiches Sorge- und Vormundschaftsrecht für beide Elternteile, die Aufhebung der Benachteiligung von Frauen im Arbeitsleben, vom Ehemann unabhängige Bürgerrechte, gleiches Zeugenrecht sowie die Heraufsetzung des offiziellen Heiratsalters von Mädchen auf 18 Jahre.

„Iranische Frauen haben überhaupt kein Recht auf ihre Kinder“, erläutert Farkhoude Tagnadassi, die seit mehr als zehn Jahren in der BRD im Exil lebt. „Bei einer Trennung kommen die Kinder automatisch zum Vater, im Fall von dessen Tod gehören sie zu seiner Familie. Die Frau ist auf den guten Willen seiner Angehörigen angewiesen, ein Recht auf die Kinder hat sie nicht.“

Ein Jahr später war keine der Forderungen der Frauen auch nur ansatzweise erfüllt, also brachten sie sie am 12. Juni 2006 wieder zu Gehör. Diesmal trafen sie sich indes nicht im stillen Kämmerlein, sondern mitten in Teheran. „Frauenrechte sind Menschenrechte“, war auf Transparenten zu lesen. Tausende Frauen kamen, unterstützt von den Studierenden, den Gewerkschaften, z.B. den streikenden Busfahrern und 111 Intellektuellen, die in einer gemeinsamen Erklärung ihre Solidarität zum Ausdruck brachten. Doch der Protest wurde brutal niedergeknüppelt und 70 Personen, 42 Frauen und 28 Männer, verhaftet und in das berühmt-berüchtigte Evin-Gefängnis gebracht.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Islamischen Republik wurden Frauen als Ordnungskräfte eingesetzt: Um der aufmüpfigen Iranerinnen Herr zu werden, ließ das Regime eigens Frauen im Polizeidienst ausbilden, die bewaffnet mit Gummiknüppeln und Pfefferspray auf ihre Geschlechtsgenossinnen losgingen. Doch die Protestierenden ließen sich trotz der Repressionen nicht einschüchtern: zwei Tage nach der Demo zogen mehrere Hundert Menschen vor das Evin-Gefängnis, um die Freilassung der inhaftierten Frauen und Männer zu fordern.

Brutalität im Gefängnis

Von den Mullahs wird der weibliche Körper als ein „Ort des Teufels“ begriffen. Deshalb, so die islamischen Machthaber, müssten Frauen vollständig kontrolliert und handlungsunfähig gemacht werden. Folglich wurden sie nach der „Islamischen Revolution“ in den Tschador gesteckt, eine Art Umhang, der den Körper ganz verhüllt und nur die Augen frei lässt. Dann wurde die Scharia ausgerufen, ein Rechtssystem, das angeblich auf dem Koran basiert und nach dem Frauen völlig rechtlos sind.

Trotzdem leisteten Frauen weiterhin Widerstand: Die Ärztin Nadja Mastoor, die seit 1999 in Hamburg im Exil lebt, engagierte sich als junge Studentin in einer kommunistischen Gruppierung, wurde deswegen verhaftet und im Evin-Gefängnis inhaftiert. „Im Knast habe ich gelernt, im Stehen zu schlafen“, erzählt sie rückblickend. „Es gab ein dreistöckiges Bett für 25 Frauen. Oft wurden wir gezwungen, die ganze Nacht stehen zu bleiben, einmal drei Tage und Nächte.“

Trotzdem ließen Nadja und ihre Mitgefangenen sich nicht einschüchtern und leisteten Widerstand - auf ihre Art: „Spektakuläre Aktionen gab es natürlich nicht“, so Nadia Mastoor. „Wir haben uns beispielsweise geweigert, zu beten und den Fastenmonat Ramadan einzuhalten.“ Als Strafe dafür wurden sie ausgepeitscht oder in Einzelhaft gesteckt: eine höchstens 0,5 mal 1,5 m große Zelle, in der sie mit verbundenen Augen knien mussten, wurde dann für die Frauen für viele Monate ihr „zuhause“.

Eine andere ehemalige Evin-Gefangene, die aus Angst vor Repression gegen ihre im Iran lebenden Angehörigen ihre Identität nicht preisgeben möchte, hat unbeschreibliche Folter erlebt.

Zwei bis drei Personen schlagen mit einem Stück nackten Kabel abwechselnd auf die Fußsohlen der Gefangenen. Es ist zu erwähnen, dass die Fußsohle eine sehr empfindliche Stelle ist, bei jedem Schlag zieht der Schmerz bis in die Knochen durch. Die Verbrecher schlagen mal mit Stiefeln auf die Füße, mal stechen sie mit Kugelschreibern hinein. Durch die Schläge schwellen die Füße und laufen blau an. Um die Schmerzen zu intensivieren, zwingen sie die Gefangenen zu laufen oder zu hocken. Das Pflegepersonal ist genauso brutal. Sie schneiden ohne Betäubungsmittel in die Füße, wühlen mit Fingern in Wunden und hacken blau angelaufene Zehen ab.“

Sexuelle Gewalt als Form der systematischen Folter steht im Iran auf der Tagesordnung

Zum Tode verurteilte Frauen werden vor ihrer Exekution von Soldaten vergewaltigt, weil es ein islamisches Gesetz verbietet, Jungfrauen hinzurichten. Viele Frauen müssen ihre Kinder in die Haft mitnehmen. Dort werden sie dann vor den Augen ihrer Kinder gefoltert und vergewaltigt. Ihnen wird angedroht, dass dasselbe mit den Kindern geschieht.

Frauen sind von ihren Familien viel mehr abhängig als Männer. Doch die Familien bieten den Frauen häufig nach der Haftzeit keinen Schutz und keine Sicherheit. Wird ein Mann aus dem Gefängnis entlassen, kümmern sich Familie und Freunde um ihn. Bei Frauen ist das nicht so. Es ´gehört sich nicht`, dass Frauen politisch aktiv sind, dass sie im Knast sitzen. Bei ihnen ist die erste Frage, die allerdings niemand direkt zu stellen wagt: „Wurden sie vergewaltigt?“ Dann gelten sie als „gefallene Mädchen“, als Schande für die Familie.

Nadia Mastoor

Dieselben Mullahs, die so sorgsam über die Tugend der iranischen Bevölkerung - vor allem der Frauen - wachen, sind ganz dick in das Geschäft mit Prostitution und Frauenhandel verwickelt. „Die Arbeitslosigkeit betrifft vor allem Frauen“, erläutert Farkhoude Tagnadassi, die ebenfalls durch die Hölle des Evin-Gefängnisses gegangen ist:

Wenn sie dann noch Kinder haben und auf sich gestellt sind, sehen viele keine andere Möglichkeit, als ihren Körper zu verkaufen. Die Prostitution ist staatlich kontrolliert und die Mullahs kassieren dabei kräftig ab. Hunderte von Mädchen verschwinden spurlos. Immer wieder wird aufgedeckt, dass sie als Prostituierte ins Ausland verkauft werden. Auch darin sind die Mullahs verstrickt.

Doch trotz des despotischen Regimes sieht Farkhoude Tagnadassi der Zukunft optimistisch entgegen: „Derzeit entwickeln sich sehr viele soziale Bewegungen, die offen agieren und sich gegenseitig unterstützen.“ Das iranische Atomprogramm lehnt die Pädagogin ab, sie ist sowohl gegen die zivile als auch militärische Nutzung der Atomkraft. Wie viele Iranerinnen und Iraner ist sie überzeugt, dass die Machthaber die Atombombe bauen und auch anwenden würden, wenn sie die Möglichkeit dazu hätte. Dass die USA den Iran wirklich angreifen, glaubt sie indes nicht. „Aber ich weiß es natürlich nicht genau“, räumt sie ein. „Denn die USA haben keine Prinzipien und sind unberechenbar - genauso wie das Regime in Teheran.“