Kyle im Glück

"One Red Paperclip": Wie ein Kanadier sich in 12 Monaten und 14 Zwischenschritten von einer alten Büroklammer zum Eigenheim tauschte

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Eine mickrige Büroklammer, rot und gebraucht, machte vor einem Jahr den Anfang. Am Ende, so das erklärte Ziel des übers Internet abgewickelten Tauschexperiments, sollte dann nicht weniger als ein stattliches Haus auf den Initiator Kyle MacDonald warten. Viel höher hätte sich der junge Kanadier die Latte kaum hängen können: Mit nichts als einer zündenden Idee und einer roten Büroklammer war er angetreten, es der legendären Million-Dollar-Homepage gleichzutun, die als Leitstern skurriler Geldbeschaffungsmaßnahmen in die Annalen der Internet-Geschichte eingegangen ist.

Mit dieser Büroklammer fing der Tausch an. Foto: K. MacDonald

Und in der Tat hat Kyles Projekt One Red Paperclip, kaum war der Startschuss Mitte Juli des Vorjahres verhallt, eine bemerkenswerte Dynamik entwickelt. Nach mehreren flotten Sprüngen auf der Stufenleiter zum Eigenheim schien der Kanadier aus Montreal auf bestem Wege, tatsächlich innerhalb der selbst gesetzten Jahresfrist ans Ziel zu gelangen. Nach den ersten Tauscherfolgen geisterte im Winter denn auch kurzzeitig die Kuriosameldung von den hochtrabenden Plänen des 26-Jährigen durch die Presse, dann aber schwanden MacDonalds Tauschhändel wieder aus dem medialen Blick. Zuletzt schienen die Geschäfte nämlich – ungeachtet des Optimismus, den er auf seiner Website vollmundig verkündete – nicht mehr so ganz nach Wunsch zu verlaufen.

Nun ist am 12. Juli die Frist endgültig verstrichen: Exakt ein Jahr und fünfzehn Schritte nach dem Beginn seines Tauschabenteuers kann er sich jetzt tatsächlich daran machen, seine Habseligkeiten in Umzugskartons zu packen. Schon am Mittwoch ist er mit im seiner Freundin ins beschauliche 1068-Seelen-Städtchen Kipling im kanadischen Saskatchewan aufgebrochen, um sich schon einmal die Schlüssel zu seinem neuen Eigenheim abzuholen.

Staffellauf in vierzehn Etappen

Es waren noch keine zwei Tage vergangen, seitdem MacDonald im Juli 2005 erstmals seine Tauschabsichten kundgetan hatte, da hatte er das Startangebot der roten Klammer schon in eine Füllfeder in Fischform getauscht, nur Minuten später folgte ein handgefertigter Keramik-Türknauf aus Seattle. Und die Tauschgeschäfte liefen seither lange Zeit gut: Vom Türgriff ging es weiter zu einem Griller, den Kyle auf einer US-Militärbasis gegen einen 1000-Watt-Generator eintauschte. Über ein “Party-Paket” samt Bierfass hat sich die Kette schließlich bis Dezember bis zu einem Skidoo fortgesetzt. Und der musste schließlich einem Drei-Tages-Urlaub im Wintersportressort Yakh (British Columbia) weichen. Dem folgte ein weißer Klein-LKW, der dann einem Aufnahmevertrag mit einem Tonstudio Platz machte.

Das Angebot eines gemütlichen Nachmittagspläuschchen mit Alt-Rockstar Alice Cooper, das Kyle gegen eine kostenlose Einjahresmiete in einem Haus in Phoenix, Arizona, eintauschte, sollte daraufhin als letztes Sprungbrett Richtung Eigenheim dienen. Das kuriose Angebot führte zwar dazu, dass MacDonald von einer amerikanischen Fernsehstation zur nächsten weitergereicht wurde – doch das erhoffte Tauschangebot, das ihm zum Durchbruch verhelfen sollte, wollte sich einfach nicht einstellen. Als die Jahresfrist dann bedrohlich nahe gerückt war, trat Kyle schließlich augenzwinkernd die Flucht nach vorne an: Das Rendezvous mit dem leibhaftigen Rockstar tauschte er gegen einen unscheinbaren KISS-Fanartikel in Form einer alten Glaskugel. Das mühsam erarbeitete Tauschniveau plumpste so mit einem Mal wieder auf die Ausgangsstufe zurück.

Dass er dann aber dennoch termingerecht ans angepeilte Wunschziel gelangte, dürfte selbst Kyle MacDonald überrascht haben. Nachdem er die Glaskugel an einen passionierten Sammler losgeworden war, der ihm dafür eine Rolle in einer Filmproduktion (namens „Donna on Demand“) beschaffte, klingelte dann vergangene Woche das Telefon. Im Auftrag des Gemeinderats bot der Bürgermeister von Kipling dem verdutzten Kanadier ein Farmhaus (zweigeschossig und frisch renoviert) und die lebenslange Ehrenbürgerschaft. MacDonald rieb sich beglückt die Hände, schlug ein und plant mittlerweile sogar schon eine „Housewarming-Party“, für die, geht alles nach Wunsch, Alice Cooper zum Tanz aufspielen wird.

Das verschlafene Nest Kipling wiederum fiebert jetzt seinem großen Auftritt entgegen. Im Herbst nämlich soll die Filmrolle dann im Rahmen eines Stadtfests mediengerecht bei einem Castingspektakel vergeben werden: Das Erfolgsrezept von Kyles Experiment liegt eben nicht zuletzt darin, dass es den Mehrwert, den sich so mancher Tauschpartner durch die – dank des Projekts generierte – Öffentlichkeit versprochen haben mag, gleich für sich selbst zu nutzen wusste.

Vom Besitzer einer Büroklammer zu der eines Hauses. Foto: K. MacDonald

Marktsatire oder Geschäftsidee?

Über die ideologischen Implikationen seines Projekts, das – durchaus zu seiner Genugtuung – bereits einige Nachahmer (etwa hier, hier oder hier) gefunden hat, dürfte sich Kyle MacDonald selbst nicht ganz im Klaren sein. Die Ausblendung des Geldes als abstraktes Medium, das sich unerbittlich zwischen die Menschen geschoben hat, ließe sich auf den ersten Blick zwar leicht als satirische Kapitalismuskritik missverstehen. Doch andererseits scheinen sich das Lob der Tauschverhältnisse als Ort sozialer Interaktion und sein geschicktes Händchen in Sachen Selbstvermarktung der Logik des Marktes nicht allzu sehr zu widersetzen. Vor allem huldigt MacDonald dem trügerischen Mythos der – angeblich – unbegrenzten Möglichkeiten, demzufolge jedem, der es zu etwas bringen will, alle Türen sperrangelweit offen stünden:

Was ich zeige, ist, dass wirklich nichts unmöglich ist und dass wir alle mit nichts (wie meiner Büroklammer) beginnen und dennoch etwas Großes erreichen können. Das ist eine Metapher für viel mehr als nur Büroklammern und Häuser.

Kyle MacDonald

Doch dem Kanadier, der seine Aktion nicht zuletzt als künstlerische Unternehmung verstanden wissen will, geht es auch ums Unbehagen an gesichtslosen Vermittlungsinstanzen. Schon bei seinem früheren Projekt Message in a Barrel, für das er rund um den Erball reiste, um die Ansichtskarten fremder Menschen höchstpersönlich zuzustellen, versuchte er, der Anonymität institutionalisierter Abläufe einen kommunikativen Akt abzutrotzen. “Neue Menschen kennen zu lernen, ist der eigentliche Kern”, erklärte er gegenüber Telepolis: “Bei Message in a Barrel ging es darum, die Postkarten den Leuten tatsächlich eigenhändig zuzustellen. One Red Paperclip ist ähnlich, auch hier mache ich jeden Tauschhandel persönlich und vor Ort. Und ich habe mit diesen Projekten einige unglaubliche Leute kennen gelernt. Es ist ein Riesenspaß!”

Seine Arbeit am Wertbegriff sieht MacDonald dabei als kleines ökonomisches Lehrstück:

Ich glaube, es macht recht deutlich, wie viel ‘Zeug’ wir ungenützt herumliegen haben. Ich zeige bloß auf, dass die Dinge selbst bedeutungslos sind; es sind die Leute hinter den Sachen, auf die es ankommt. Ständig werde ich jetzt gefragt: ‘Wie viel ist das neue Haus denn wert?’ Aber das ist doch gar nicht das Entscheidende! Ich denke nicht daran, das Haus weiterzuverkaufen. Das alles hier dreht sich um den relativen Wert. Was ist einem Verdurstenden in der Wüste wichtiger: eine Million Dollar oder ein Glas Wasser?

Kyle MacDonald

Er selbst amüsiert sich jedenfalls, wenn sich andere an seiner Stelle den Kopf zerbrechen:

Es ist lustig, denn sowohl ‘Kommunisten’ als auch ‘Kapitalisten’ scheinen in mein Projekt vernarrt zu schein. Auf der linken Seite denkt man, ich würde energisch Stellung beziehen gegen Konsumwahn und Geld; und die Kapitalisten sehen darin ein leuchtendes Beispiel freien Unternehmertums. Wahrscheinlich haben sie beide recht – dabei habe ich ja eigentlich nur versucht, eine Klammer gegen ein Haus zu tauschen.

Kyle MacDonald

In welche politische Schublade man das Experiment nun zu stecken versucht sein mag – auch das Geld dürfte Kyle MacDonald, ungeachtet seiner Tauschambitionen, nach wie vor ein Herzensanliegen sein. Neuerdings tritt der findige Jungunternehmer nämlich auch als Proponent einer Online-Initiative in Erscheinung, die das Design der kanadischen Münzen einer überfälligen Revision unterziehen will. Was, fragt MacDonald, habe denn auch das Konterfei der Queen aus dem fernen Britannien auf ihnen verloren?