Im Dienst der Wissenschaft?

Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften erklärt agrarische Gentechnik für unbedenklich

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Wenn es um viel Geld geht, werden die Sitten rauer. Dieser Erkenntnis sich bedienend, hat die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften Ende Juni eine Presseerklärung zur aktuellen Auseinandersetzung um die agrarische Gentechnik vorgelegt. Das Beiwort „grün“ rückt den agrarischen Bereich der Gentechnik ins gefahrlos Unschuldige. Und so titelt die Akademie ihre Erklärung denn auch „Für Forschungsfreiheit in der Gentechnik, insbesondere in der so genannten Grünen Gentechnik“. Der knappe Text fordert, alle Barrieren für die großflächige Anwendung der Gentechnik auf dem Acker beiseite zu räumen und präsentiert als Begründung eine ganz freie Lesart des bisherigen Kenntnisstandes über die Gefahren der Gentechnik in der Landwirtschaft.

Der Zeitpunkt kommt nicht von ungefähr, denn in diesen Sommermonaten will das Ministerium entscheiden, ob der großflächige Anbau genmanipulierter Saaten freigegeben oder weiterhin, womöglich sogar stärker noch als bisher, reglementiert werden soll. Im Herbst, so Minister Horst Seehofer, kommt dann das neue Gentechnikgesetz.

Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften ist nicht irgendwer, sondern eine altehrwürdige Institution, die älteste ihrer Art, vor über 300 Jahren von Gottfried Wilhelm Leibniz gegründet, dann als Preußische Akademie der Wissenschaften zu einigem Ruhm gelangt, in der DDR fortgeführt und heute als Körperschaft öffentlichen Rechts der Forschungsförderung verschrieben. Über 200 hochrangige Wissenschaftler sind hier vereint, 77 Nobelpreisträger hat die Akademie in ihrer Geschichte zu ihren Mitgliedern rechnen dürfen. Einer der Arbeitsbereiche: die Herausgabe des jährlichen Gentechnologieberichts. Wahrlich keine gen-kritische Studie, sondern eine bekennend einseitige Expertise, die den Einsatz dieser umstrittenen Technik vorantreiben möchte.

Dennoch rumort es wegen der genannten Presseerklärung für die Freiheit der agrarischen Gentechnik in den Reihen der Akademiemitarbeiter. Denn das Präsidium der Einrichtung hat sich darin allzu forsch und unbekümmert zum Wasserträger der Gentechnikindustrie gemacht.

Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften stellt fest, dass es sich bei der Grünen Gentechnik beim jetzigen Stand der Wissenschaft um keine Technologie handelt, die als Risiko-Technologie einzustufen wäre. Zwischen 1997 und 2003 wurden weltweit auf mehr als 453 Millionen Hektar gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut, ohne dass negative Auswirkungen auf Umwelt, Mensch und Tier dokumentiert werden konnten.

Eine solche Unbedenklichkeitserklärung widerspricht nicht nur dem nationalen wie internationalen Forschungsstand, den das Präsidium der Akademie nicht zu kennen scheint, sondern selbst dem aktuellen Gentechnologiebericht des eigenen Hauses.

Um mit dem Forschungsstand außerhalb der Akademie zu beginnen: Im Jahre 2004 stellte eine vom britischen Landwirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Studie fest, dass an den Ackerrändern von genverändertem Raps 44 Prozent weniger Pflanzen blühten. Spezialgifte, die auf den Genäckern eingesetzt werden, waren dafür verantwortlich. Bei Mais gab es nur deshalb dieses alarmierende Ergebnis nicht, weil auf den zum Vergleich herangezogenen herkömmlichen Maisäckern noch mehr Beipflanzen tot gespritzt wurden, dummerweise mit einem seit Jahren verbotenen Totalherbizid.

Die sogenannte Benbrook-Studie aus den USA fand 2004 heraus, dass auf den dort angebauten gentechnisch veränderten Pflanzen nicht, wie versprochen, weniger Spritzmittel ausgebracht wurden. Das war nur in den ersten Jahren des Anbaus der Fall. Dann drehte sich der Einspareffekt um. Denn die Unkräuter hatten Resistenzen gegen die Spezialgifte entwickelt, mit denen die Landwirte ihre genveränderten Pflanzen besprühten. Seit dem Jahre 2001 mussten deshalb 33.000 Tonnen mehr Gifte auf genveränderte Agrikulturen ausgebracht werden.

Eine Studie der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft zählte im Jahr 2005 auf, welche Folgewirkungen für die Umwelt der Anbau von genmanipuliertem Mais hat. Schmetterlinge, Spinnen, Wanzen und zahlreiche Bodenorganismen werden beeinträchtigt. Die Forscher stellten fest, der Anbau, „könnte weitreichende Folgen für das Agrarökosystem und die biologische Kontrolle von Schädlingen haben“. Wenig später veröffentlichte das Bundesamt für Naturschutz eine Spezialstudie darüber, wie Schmetterlinge auf genveränderten Mais reagieren und fand ebenfalls alarmierende Auswirkungen.

Sogar die Forschungsliteratur aus eigenem Hause, der Gentechnologiebericht der Berlin-Brandenburgischen Akademie für Wissenschaften, verschweigt im Jahre 2005 nicht, dass Gentechnik auf dem Acker so ihre Probleme zeitigt. Dass z.B. genveränderter Mais auch Insekten beeinträchtigen kann, die zu den Nutzinsekten gehören (S. 327). Oder dass die ökologischen Langzeitwirkungen von gentechnisch verändertem Soja noch ziemlich unklar sind (S. 322). Oder dass der gute alte Regenwurm von genmanipulierten Pflanzen geschädigt werden kann (S. 328). Einen Freifahrschein stellen also selbst diese offenen Befürworter der agrarischen Gentechnik dem ungehemmten Anbau genmanipulierter Pflanzen nicht aus.

Die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler, die zwar erst seit 1959 existiert, sich aber dafür eindeutig und immer wieder kritisch mit der Zuträgerrolle der Wissenschaft für Wirtschaft und Politik befasst, hat die peinliche Lobbytätigkeit der Berliner Akademie für die agrarische Gentechnik deutlich charakterisiert: als anmaßend, arrogant und unwissenschaftlich.