"Iran ist im Libanon. Wo sind die Araber?"

Kritik an der Hisbollah, Argwohn gegenüber der Rolle Syriens und des Iran einerseits und starker Unmut gegen schwache Regierungen andrerseits: Die Reaktionen arabischer Medien auf die Krise im Nahen Osten sind gespalten

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In den amerikanischen Zeitungen würde man keine Fotos sehen von den getöteten libanesischen Kindern, in den britischen Medien schon, schimpft der Angry Arab, As'ad AbuKhalil, der seit einigen Jahren als Politik-Professor in den USA lebt, sich publizistisch für die palästinensische Bevölkerung stark macht und keiner größeren Organisation und schon gar keiner Regierung das Wort redet.

Sein Blogger-Nome-de-Guerre hält Wort: AbuKhalil ist berühmt und berüchtigt für seine schneidenden, wütenden Kommentare, die mit viel Hintergrund- und Insiderwissen von den komplizierten Verhältnissen in seinem Heimatland Libanon angereichert sind. Seine "roten Tücher": Israel, die einseitige, Israel freundliche Politik der USA im Nahen Osten, inkompetente und fehlerhafte Berichterstattung und die an Selbstinteressen orientierte Politik der arabischen Regierungen in der palästinensischen Sache. Die Eskalation der Krise im Nahen Osten gibt dem Angry Arab derzeit viel Gelegenheit zu zornigen lakonischen wie ausschweifenden Kommentaren:.

Und man soll sich darüber nicht täuschen: Noch mehr als zu anderen Zeiten steht die Agenda des Hauses Saud - der Familie, die Osama Bin Laden hervorgebracht hat, im Gegensatz zum Interesse jedweder arabischen Sache - und zu jedweder progressiven Sache weltweit. Kenne deinen Feind.

Der Anlass seines Ärgernisses mag banal sein - ein Zeitungsartikel, der die offizielle Position des Herrscherhauses in Saudi-Arabien wiederkäut, der Grund ist es weniger: Die offene Kritik Saudi-Arabiens an der Hisbollah und die Zurückhaltung des Hauses Saud, was eine entschiedene Kritik an Israels Vorgehen betrifft.

Folgt man aktuellen Berichten zur Reaktion der "arabischen Welt" auf die kriegerische Zuspitzung des Konfliktes zwischen Israel, der Hamas und der Hisbollah, so zeigt sich, dass AbuKhalil in vielen seiner Äußerungen das ohne Umschweife artikuliert, was ein offensichtlich größerer Teil der Bevölkerung in den Ländern Ägypten, Syrien, Jordanien, Saudi-Arabien und im Libanon empfindet und denkt: Ihre Regierungen sind zu schwach und zu sehr an Eigeninteressen orientiert, um in diesem Konflikt eine entschiedene Haltung einzunehmen, die etwas riskiert. "Die arabischen Regierungen reagieren in einer sehr zurückhaltenden Weise", stellt auch Marc Lynch fest, der die Öffentlichkeiten in der arabischen Welt seit Jahren genau beobachtet, "aber das heißt nicht, dass die öffentliche Meinung genauso fühlt wie sie."

Und das könnte gefährlich werden für die Regierungen, denn, "was sie in diesen Tagen noch weniger mögen als die Hisbollah, sind ihre eigene Öffentlichkeiten“. Während in der Vergangenheit der israelisch-palästinensische Konflikt gerne zur Ablenkung und zum Dampfablassen der Öffentlichkeit instrumentalisiert wurde, kommt der Konflikt jetzt sehr nahe an die Regierungen selbst heran, daher sei es gut möglich, dass die verächtliche Herablassung der Regime gegenüber der "Mainstream-Meinung" in der Bevölkerung gefährliche Konsequenzen haben könnte.

Die Regierungen sind in den Augen der Bevölkerung "diskreditiert", stellt auch eine Expertin der American University in Kairo fest. Erste Demonstrationen in Ägypten und Jordanien zeigen genau das, was die Regierungen fürchten: aufgebrachte Menschenmengen:

They are in great embarrassment. These two countries have signed peace treaties but having and observing peace with Israel is not the same as letting Israel do what it likes because we have peace with them. I think there is a major burden on both countries to do something. I don't know what, but something.

Taher al-Masry, früherer Premierminister von Jordanien über Ägypten und Jordanien

Was zu tun ist, darüber wurden sich auch die Außenminister der Arabische Liga, die am Wochenende zusammentrafen, nicht einig. Drei unterschiedliche Erklärungen zum Libanon, Gaza und dem Friedensprozess im Nahen Osten gab es am Ende, keinen Ansatz zu einem effektiven Plan zur gemeinsamen Lösung der Krise, nur das Fazit, dass der Friedensprozess am Ende sei. Beinahe hat es den Anschein, als wolle man die Krise aussitzen.

Die Demonstrationen der aufgebrachten arabischen Straße verärgern jedoch nicht nur Regierungen. Auch der Leiter des bekannten Fernsehsenders Al-Arabyia (finanziert mit Geldern aus Saudi-Arabien) entrüstet sich und vergleicht die Demonstranten und andere, die mehr Initiative und Taten von arabischen Führern fordern, mit denen, die damals gegen den Irak-Krieg protestierten: Das seien Unverantwortliche, die das Unmögliche fordern, während andere Araber - damals die Iraker, heute die Libanesen - leiden müssten für den Enthusiasmus der Protestierer.

Der Großteil der saudischen Medien, der Fernsehsender al-Arabyia und die international bekannte Zeitung al-Sharq al-Awsat eingeschlossen, schließe sich der offiziellen saudischen Position an, verurteile das "unverantwortliche Abenteuer" der Hisbollah, agitiere gegen Iran und Syrien und kritisiere das Verhalten der Aktivisten und Demonstranten, die zu emotional handeln würden, so Marc Lynch, der einen derartigen "Riss" der arabischen Medien in der Berichterstattung über die gegenwärtige Krise noch selten beobachtet hat.

Auf der anderen Seite würden nämlich al-Jazeera, al-Quds al-Arabi und "die meisten der unabhängigeren Zeitungen" vorwiegend Wut gegenüber Israel äußern und eine scharfe Kritik an den arabischen Regierungen. Die Jordan Times soll arabische Führer gar eine Horde "nervöser Schulmädchen" genannt haben. Anhänger der Hisbollah wurden von al-Jazeera für eine Prime-Time-Show als "libanesischer Widerstand" betitelt. Und auch Iran komme bei diesen Medien besser weg, so stelle ein jordanischer Autor die Frage: "Wenigstens ist Iran im Libanon - wo aber sind die Araber?"

Diese Kluft der unterschiedlichen Ansichten in den Medien würde aber, wie Lynch vermutet, nicht die Ansichten der "schweigenden Mehrheit" widerspiegeln; es sei mehr ein Indiz dafür, dass die Regimes, allen voran Saudi-Arabien, versuchten, wie üblich starken Einfluss auf die Medien auszuüben. Die interessante Frage sei, ob das noch mit einer arabischen Öffentlichkeit funktioniere, die, seit einigen Jahren an die neuen journalistischen Herangehensweisen vor allem von al-Jazeera gewohnt, ihre Meinung aus mehreren Quellen speist.