Chancenlos

Die internationale Gemeinschaft hat mehrere Vorschläge für eine Beendigung des Libanon-Krieges vorgelegt und stößt damit auf beiden Seiten auf Widerstand

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Auch Anfang der Woche gingen die Angriffe der israelischen Luftwaffe auf Ziele im Libanon weiter, die mit der Hisbollah in Verbindung gebracht werden. Verstärkt wurden auch Einrichtungen angegriffen, die sich in dicht besiedelten Gebieten befinden: In Sidon und Beirut wurden Büro – und Lagerhäuser angegriffen, außerdem wurden nach Angaben des israelischen Militärs überall im Land Waffenlager, Lastwagen und Straßen angegriffen. Bis Dienstagmittag kamen nach Auskunft der libanesischen Regierung mindestens 200 Menschen ums Leben (Bomben auf Beirut) Die Hisbollah setzte derweil ihre Raketenangriffe auf den Norden Israels fort: Am Montag schlugen erneut sieben Katjuschas in der Großstadt Haifa ein; insgesamt seien seit der vergangenen Woche mehr als 800 Einschläge gemeldet worden, berichtet die israelische Militärführung. Sie hat mittlerweile drei Reservebattalione zum Dienst beordert. Die internationale Gemeinschaft bemüht sich derweil um ein Ende der Auseinandersetzungen: Als Gegenleistung für ein Ende der israelischen Offensive solle die Hisbollah die beiden entführten Soldaten freilassen, lautet einer der Vorschläge. Außerdem denken die Vereinten Nationen und die Europäische Gemeinschaft über die Entsendung von Friedenstruppen nach.

Passanten bringen sich nach einem israelischen Raketenangriff in Sicherheit. Im Hintergrund ein Graffiti, dass aus der Zeit der israelischen Beatzung stammt. Foto: Kanal2 Nachrichten

Zwischen Gaza und Sidon gibt es im Moment kaum einen Unterschied, jedenfalls in der Nacht. Im Minutentakt donnern Kampfflugzeuge über die Stadt im Süden des Libanon hinweg. Der laute Knall der dann die Nachtruhe durchbricht, kann beides sein – die Schallmauer. Oder ein neuer Angriff. Kein Luftalarm kündigt die Angriffe an: „Die Flugzeuge sind ja so gut wie immer da“, sagt ein Polizist, der auf einer Straßenkreuzung den Verkehr regelt: „Da gibt es nicht viel zu warnen.“ Viel zu tun hat er nicht: Nur wenige Wagen sind unterwegs; Läden und Restaurants haben schon seit Tagen geschlossen: „Am Ende gab es ohnehin kaum noch etwas zu kaufen – die Leute haben alles gekauft, was sie bezahlen konnten“, sagt der Beamte, bevor es in der Ferne mehrmals laut kracht: ein israelischer Angriff auf ein Bürohaus, der fünfte an diesem Tag allein in Sidon.

Im Libanon herrscht seit etwas weniger als einer Woche Krieg, und niemand weiß, wie lange er dauern wird. Am Schwersten ist davon der Süden des Landes betroffen, jene Region, die bis Mitte 2000 18 Jahre lang von israelischen Truppen besetzt gewesen war und danach von der Hisbollah regiert wurde. Das libanesische Militär hatte sich hier nie blicken lassen nach dem Abzug, vor allem aus Angst davor, das fragile Machtgefüge zu zerbrechen, das sich nach dem Ende des Jahrzehnte langen Bürgerkrieges im Libanon gebildet hatte: Immer wieder machte die ebenso radikal islamische wie militante Hisbollah klar, dass sie sich nach allem was war, nicht auf eine Entwaffnung oder gar einen Verzicht auf ihren Machtanspruch einlassen würde. Aber genau das will Israels Regierung: Sie möchte, dass der Organisation der Hahn abgedreht wird, ganz gleich wie, denn die Organisation hat nicht nur einen Großteil von 18 Jahren lang gegen die israelische Besatzung gekämpft, sondern auch danach ihre Angriffe auf Israel weiter fortgesetzt.

Ein weiterer Faktor sind zwei Regierungen, die vor allem von politischer Schwäche gezeichnet sind: Premierminister Ehud Olmert wurde von den Wählern Ende März über das Versprechen ins Amt gewählt ("Wenn es nicht anders geht, müssen wir eben ohne die palästinensische Seite weitermachen"), viele der israelischen Siedlungen im palästinensischen Westjordanland zu räumen, Doch sein Vorhaben hat bei den meisten Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft im besten Fall eine lauwarme Reaktion hervorgerufen und wird deshalb möglicherweise nie umgesetzt werden. „Dass dann innerhalb von kurzer Zeit auch noch zunächst ein Soldat in den Gazastreifen und dann auch noch zwei Soldaten in den Libanon entführt wurden, während die Zustimmungsquoten für die Regierung nie gesehene Tiefststände erreichten, hat dazu geführt, dass sich die Regierung vorgenommen hat, den Wählern Entscheidungsstärke zu beweisen“, sagt Ilan Marciano von der Zeitung Jedioth Ahronoth.

In Beirut muss die Regierung von Premierminister Fuad Siniora derweil damit zurecht kommen, dass der Nationale Dialog, eine Versammlung von Vertretern aller politischen Parteien und Glaubensrichtungen, die in den vergangenen Monaten versucht hat, das künftige Zusammenleben im Libanon zu regeln, schon vor Wochen gescheitert war. Die Teilnehmer hatten sich vor allem nicht auf eine Entwaffnung der Hisbollah, die selbst Teilnehmerin war, und der palästinensischen Milizen in und um die Flüchtlingslager herum einigen können.

Aber genau das fordert die israelische Regierung: Am Wochenende hatte der italienische Botschafter in Beirut Siniora die israelischen Bedingungen für einen Waffenstillstand überbracht. Vor allem fordert Jerusalem, die libanesische Regierung solle innerhalb kurzer Zeit Truppen in den Süden des Landes entsenden und dafür sorgen, dass die Hisbollah dauerhaft keine Gefahr für die Menschen im Norden Israels mehr darstelle.

Denn der Süden, dort wo einst israelische Soldaten stationiert waren (Nicht Normal), ist eine ganz besondere Region: Kaum ein Polizist und so gut wie kein Soldat ist hier stationiert; die Sicherheitsmacht hier heißt Hisbollah. Schon wenige Kilometer südlich von Sidon kontrollieren martialisch aussehende jugendliche Kämpfer der Organisation an einem Kontrollpunkt die Pässe von Autofahrern und Passanten, als sei es ihre Aufgabe, während sich in die umgekehrte Richtung immer noch eine schier nicht enden wollenden Kolonne aus Autos, Minibussen und Lastwagen in Richtung Norden bewegt: Menschen, die vor den Einschlägen israelischer Bomben und Raketen flüchten. Man schieße nur auf Einrichtungen der Hisbollah und deren Kämpfer und warne die Zivilbevölkerung zuvor, sagt das israelische Militär. In der Tat werfen Kampfflugzeuge immer wieder Flugblätter ab, auf denen die Zivilbevölkerung dazu aufgefordert wird, ihre Häuser nicht zu verlassen: „Aber wie sollen wir das bitteschön machen“, fragt Gilbert, ein Hotel-Portier: „Wir können doch nicht wochenlang zu Hause bleiben – zumal die eigenen vier Wände zur Todesfalle werden können.“

Flucht Bei einem Luftangriff in Sidon hilft ein junger Mann seiner Mutter, sich in Sicherheit zu bringen. Foto: Kanal2 Nachrichten

So wie für jene Familie, die einst ein schmuckes Haus in Beit Jahune bewohnte: „Mitten in der Nacht haben wir einen lauten Knall gehört“, berichtet ein Nachbar, der samt Familie und allem was irgendwie in sein Auto gepasst hat, am Checkpoint auf die Durchfahrt in Richtung Norden wartet: „Für eine Weile haben wir noch Schreie gehört, dann wurde es plötzlich still. Die gesamte Familie ist tot. Wir haben sie noch beerdigt und uns dann auf den Weg gemacht.“

Für die Hisbollah sind Vorfälle wie dieser nur noch mehr Anreiz zum Weitermachen. Sie bezieht aus den israelischen Angriffen eine neue Legitimation, die sie vorher nicht mehr hatte: „Wir befinden uns im Krieg“, sagt ein Hisbollah-Kämpfer, der sich nur als Machmud identifiziert. „Wir werden das Land befreien. Wir werden niemals aufgeben. Wir werden auf keinen Fall freiwillig unsere Waffen abgeben. Es ist unser Recht, Waffen zu tragen. Die Bevölkerung steht hinter uns.“

In der Tat wird die Organisation Schätzungen zufolge von rund einer Million Libanesen unterstützt, weil sie, wie übrigens die radikalislamische Hamas in den Palästinensischen Gebieten auch, nicht nur Miliz ist, sondern sich auch um die sozialen und spirituellen Notwendigkeit ihrer Gefolgschaft kümmert.

Die Zentralregierung bringt dies in eine schwierige Lage: Geht sie auf die Forderungen Israels ein, und versucht tatsächlich gegen die Hisbollah vorzugehen, muss sie eine Neuauflage des Bürgerkrieges fürchten. Tut sie dies nicht, werden die Angriffe der israelischen Luftwaffe weiter gehen.

Denn beide Seiten haben gelobt, auf keinen Fall nachgeben zu wollen: „Wir werden auf keinen Fall zum Status quo ante zurückkehren, in dem die Hisbollah die Möglichkeit haben wird, Israel anzugreifen wann immer sie oder Syrien das wollen“, bekräftigte ein Sprecher der Regierung am Montagmittag eine Position, die im Laufe der vergangenen Woche immer wieder zu hören gewesen war. Und ein Sprecher der Hisbollah betonte einmal mehr, dass eine Übergabe der beiden entführten Soldaten und ein Ende des Raketenfeuers nur im Gegenzug für eine Freilassung von Tausenden von libanesischen und palästinensischen Häftlingen aus israelischen Gefängnissen in Frage kommen. „Die Hisbollah ist mit der klaren Forderung nach einem Gefangenenaustausch in diese Sache hinein gegangen. Wenn sie jetzt davon abrückt, würde dies einen Gesichtsverlust bedeuten, denn sie unmöglich akzeptieren kann“, sagt sagt Melhem Karam vom französischsprachigen Magazin La Revue du Liban: „Jeder Vermittlungsversuch wird damit aber ausgesprochen schwierig, weil die Hisbollah zudem auch gegen die Entsendung von Friedenstruppen ist.“

So haben auch die verschiedenen Vermittlungsversuche der internationalen Gemeinschaft im Moment wenig Zukunft: Am Wochenende hatten die Vereinten Nationen beide Konfliktparteien auf der Grundlage einer Resolution der Teilnehmer des G8-Gipfels im russischen St. Petersburg zur sofortigen Einstellung der Kampfhandlungen aufgefordert und vorgeschlagen, die Hisbollah solle im Gegenzug für eine Beendigung der Militäroffensive die Kampfhandlungen einstellen. Doch selbst Mitarbeiter der Vereinten Nationen gestehen ein, dass dieser Vorschlag „pure Kosmetik“ war: „Irgendwas mussten wir ja tun – wir konnten ja nicht mehr weiter zuschauen. Aber wenn die Dinge so einfach wären, wäre das Leben schön.“

So hat die Idee, Friedenstruppen in den Libanon zu entsenden, mehr Klang, jedenfalls in der Theorie Darüber denken zur die Europäische Union und die Vereinten Nationen nach: Sie haben am Wochenende beiden Seiten den Vorschlag unterbreitet, eine internationale Truppe nach dem Vorbild der Kontingente auf dem Balkan für Ruhe und Ordnung sorgen zu lassen. Doch die Hisbollah lehnt den Vorschlag ab; man werde keine fremden Soldaten auf libanesischem Boden akzeptieren, „nachdem der Libanon so viele Jahre unter dem Joch des Westens gelitten“ habe, sagte der Sprecher der Organisation. „Die Hisbollah möchte das alleinige Sagen haben – was für sie jede Form von Truppen im Süd-Libanon unakzeptabel macht“, erläutert Magazin-Mann Karam.

Einheinten der israelischen Armee feuern in das libanesische Grenzland. Foto: Kanal2 Nachrichten

Auf der israelischen Seite scheint man sich derweil im Moment noch nicht einig zu sein. Während Außenministerin Tzippi Livni am Dienstagmittag erklärte, die Regierung werde ernsthaft über den Vorschlag nachdenken, ist die Militärführung vehement gegen einen solchen Schritt: Sie befürchtet, dass die Hisbollah die Waffenruhe dazu nutzen könnte, ihr Arsenal neu aufzustocken. „Das darf auf keinen Fall passieren“, sagt ein Militärsprecher: „Wir können bereits beobachten, dass der Hisbollah die Luft ausgeht: Die Angriffe auf den Norden Israels werden weniger, und wir möchten erreichen, dass sie ganz aufhören, und zwar für immer. Ein Waffenstillstand zu diesem Zeitpunkt wäre kontraproduktiv, weil er es der Organisation ermöglichen würde, wieder von vorne anzufangen.“

Doch Druck kommt auch von einer unerwarteten Seite: Während Irans Präsident Machmud Achmadinedschad in einem Brief seinem Amtskollegen Baschar al Assad für den Fall eines israelischen Angriffs auf Syrien die Hilfe des Iran zusagte, stattete sein Außenminister Manuchehr Mottaki Damaskus einen Besuch ab, um die Hisbollah zur Einstellung des Raketenfeuers zu bewegen. Die iranische Regierung befürchte, an Einfluss zu verlieren, weil sich mittlerweile eine ganze Reihe von libanesischen Politikern gegen die Hisbollah ausgesprochen haben, die unter anderem von Iran unterstützt wird, berichtet die in London erscheinende Zeitung al Schark al Awsat unter Berufung auf einen anonymen Mitarbeiter der iranischen Regierung: „Iran genoss einen guten Ruf bei den Libanesen, weil sie die Hisbollah unterstützte, doch heute haben viele unserer Verbündeten uns den Rücken zugekehrt“, zitiert die Zeitung den Beamten.

In der Tat sind die Menschen im Libanon zunehmend frustriert über das Verhalten der Hisbollah: „Es ist nicht die Aufgabe der Hisbollah, uns zu verteidigen, sondern Sache der Armee“, sagt Hotel-Portier Gilbert. Die aber hält sich bisher aus den Kampfhandlungen weitestgehend heraus, vermutlich um ihre Kräfte zu schonen. „Viele haben das Gefühl, dass die Hisbollah auch den Libanon gekidnappt hat, dass sie mit Entscheidungen leben müssen, die sie nicht gefällt haben und die nicht einmal ihrem eigenen Wohl dienen“, sagt Journalist Karam: „Wir dürfen nicht vergessen, dass der Libanon ein gespaltenes Land ist, dass immer wieder ein Spielball des Auslands war. Die Ziele der Hisbollah sind nicht notwendigerweise die Ziele der Libanesen.“